DREISSIG

Am nächsten Morgen ließ ich mich von Najeeb in die Sharia Zitoun begleiten. Ich trug einen Korb mit Brot und einem Topf kefta – Lammhackfleisch –, das ich selbst zubereitet hatte. Kurz vor elf betätigte ich den Türklopfer am Tor.

Najeeb lehnte sich draußen an die Mauer, und ich wusste, er würde auf mich warten, gleich wie lange es dauerte.

Ich musste nochmals klopfen, ehe Falida zaghaft von drinnen rief, wer da sei. Als ich mich zu erkennen gab, zog sie zögernd das Tor auf.

»Meine Herrin ist nicht hier«, sagte sie.

»Ich weiß. Aber ich wollte euch etwas zu essen vorbeibringen und nach Badou schauen.«

Sie nickte und ließ mich in den Innenhof herein.

Badou kam die Treppe herunter; wieder hatte er gekämmtes Haar und ein frisch gewaschenes Gesicht. »Sidonie!«, sagte er und blickte neugierig zum Topf. »Schau!« Er öffnete den Mund und bewegte mit der Zungenspitze einen Schneidezahn. »Mein Zahn ist so komisch.«

Ich lächelte und besah mir den Zahn. »Er wird bald herausfallen, doch dafür wird ein neuer wachsen.«

»Tut das weh?«

»Nein, oder höchstens ein kleines bisschen.«

»Gut«, sagte er voller Vertrauen und warf wieder einen Blick auf den Topf.

»Magst du kefta?«, fragte ich, worauf er begeistert nickte und dann vor mir her ins Haus rannte. Ich folgte ihm in die Küche, und Falida kam hinter mir her. Die Küche war sauber und aufgeräumt. »Du kümmerst dich so gut um alles, Falida«, sagte ich, und sie machte erstaunt den Mund auf. Dann lächelte sie, und dieses Lächeln verlieh ihrem Gesicht einen ganz anderen Ausdruck. Obwohl sie schrecklich dünn war und dunkle Ringe unter den Augen hatte, konnte man das hübsche Mädchen erahnen, das sie einmal werden würde.

»Falida badet mich jeden Tag, wenn Maman nicht da ist«, verkündete Badou.

»Ja, das habe ich gesehen.« Ich sah lächelnd zu Falida, die verlegen den Kopf senkte.

Ich verteilte das Essen auf drei Teller, und jeder trug seinen Teller in den Innenhof hinaus. Dort setzte ich mich auf das Sofa, während Badou es vorzog, auf dem Boden zu sitzen und den Teller auf den niedrigen Tisch vor sich zu stellen. Falida verharrte indessen im Hauseingang. »Komm her, Falida, und iss mit uns«, forderte ich sie auf.

Sie schüttelte den Kopf. »Das darf ich nicht.«

Ich sah sie an. »Doch, heute darfst du es.« Sie kam schüchtern herüber und nahm neben Badou auf dem Boden Platz.

Bei meiner Rückkehr in die Sharia Soura traf ich Mena im Innenhof an. Am Abend zuvor hatte sie kaum mit mir geredet, nachdem ich mit Badou und Aszulay den Majorelle-Garten besucht hatte, und ich fragte mich, ob sie vielleicht krank war.

Am Morgen hatte ich sie nicht gesehen, und als ich nun hereinkam, hob sie wortlos ein Paar babouches ihres Mannes vom Boden neben dem Eingang hoch und hielt sie gegen die Brust. Sie wies darauf, dann deutete sie auf mich. Zuerst verstand ich nicht, doch als sie die babouches wieder an die Brust drückte und dann auf mich zeigte, indem sie »rajul« – Ehemann – sagte, begriff ich, was sie meinte.

Sie wollte wissen, wo mein Mann war.

Mit einer ausladenden Geste zum Tor hin bemühte ich mich, ihr zu erklären, dass der Mann, den ich heiraten würde, sich irgendwo da draußen, in einer anderen Stadt Marokkos aufhalte.

»Aszulay?«, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. »Aszulay, sadiq.« Er sei nur ein Freund.

Doch Mena runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »La, la.« Nein, nein.

Sie wies auf sich selbst und sagte »Imra’a« – Frau –, und dann »rajul«. Dann fügte sie hinzu: »Sadiq, la.«

Ich wusste, was sie meinte: Frau und Mann können keine Freunde sein. In ihrer Welt war so etwas nicht möglich, das verstand ich. Und doch … wie hätte ich ihr beschreiben sollen, was Aszulay für mich war?

»Sadiq, Mena, na’am.« Doch, ein Freund, Mena, er ist nur ein Freund. Mein Blick wanderte zu dem Tor, während ich an Aszulay dachte.

Was er wohl im Moment tat? Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn mühelos einen großen irdenen Blumenübertopf hochheben.

Doch dann wanderten meine Gedanken zu Etienne, und ich sagte mir, dass ich doch eigentlich an ihn denken sollte.

Als ich am Vormittag des kommenden Tages wieder in die Sharia Zitoun ging, bat ich Najeeb, meine Staffelei, eine Leinwand und den Kasten mit den Ölfarben zu tragen. In einem der Souks hielt ich an und kaufte ein einfaches französisches Kinderbuch für Badou.

Falida hatte einen Ziegeneintopf gekocht, und wir aßen wieder gemeinsam zu Mittag. Erneut wurde mir bewusst, wie tüchtig sie war und wie anders sie ohne die bedrohliche Gegenwart Manons mit einem Mal wirkte, sowohl äußerlich als auch in ihrem Verhalten. Sie schien viel lebhafter als sonst.

Während sie und Badou in dem Buch blätterten, lachte sie laut beim Anblick einer Abbildung und stieß Badou mit dem Ellbogen an. Er erwiderte ihre Geste und stimmte in ihr Lachen ein. Der Gedanke, dass Manon bald zurückkommen und fortfahren würde, das Mädchen zu misshandeln, war mir unerträglich. Aber was konnte ich schon dagegen unternehmen, außer ihr meine Meinung zu sagen, auch wenn ich wusste, dass es zwecklos wäre?

Während Badou auf meinem Schoß und Falida neben mir saß, las ich ihnen aus dem Buch vor. Dann stellte ich meine Staffelei im Schatten eines Jacaranda-Baums auf, befestigte eine Leinwand darauf und bat Badou, den Kasten mit den Ölfarben aufzumachen. Er stellte ihn auf den Boden und ließ mit konzentriertem Blick den Verschluss aufspringen, um dann feierlich den Deckel aufzuklappen, als handelte es sich um ein Heiligtum. Während ich ein paar Tuben herausnahm und Farbe auf die Palette gab, beobachtete er mich. Nach einer Weile setzte er sich zu meinen Füßen auf den Boden und blätterte wieder in dem Buch. Mit dem Finger deutete er auf die einzelnen Worte und wartete, bis ich mich zu ihm hinabbeugte und ihm sagte, was es hieß, woraufhin er es wiederholte.

Nachdem wir dreimal auf diese Weise die einfache Geschichte durchgegangen waren, kannte er alle Worte.

Die Farben, die ich auf die Leinwand gebracht hatte, strahlten. Mit Ölfarben hatte man so viel mehr Freiheiten, sagte ich mir. Wasserfarben erforderten eine sehr viel größere Sorgfalt, jede feine Linie wollte genau gesetzt sein. Mit Ölfarben hingegen durfte ich wagemutiger sein, die Pinselstriche ungezwungener ausführen. Wenn mir ein Fehler unterlief, konnte ich die Stelle übermalen. Mein Arm fühlte sich freier an; die Bewegung kam mehr aus der Schulter als aus dem Ellbogen.

Plötzlich klopfte es ans Tor, und ich erschrak. »Badou, das ist bestimmt Aszulay.«

Der Junge stand auf und öffnete. Als Aszulay mit einem Sack in der Hand hereinkam und mich an der Staffelei erblickte, blieb er stehen.

»Ich habe draußen Najeeb gesehen, und da wusste ich, dass Sie hier sind.« Er reichte den Sack Falida.

Ich nickte. »Falida hat einen Ziegeneintopf gemacht, aber wir haben schon gegessen. Haben Sie Hunger?«

Er bejahte es, und ich sah Falida an. Das Mädchen ging ins Haus, und Aszulay stellte sich neben mich.

Mit einem Mal war ich befangen; ich hatte versucht, die Sonnenstrahlen einzufangen, die zwischen den Blättern des Jacarandas hereinfielen, und plötzlich wirkte meine Arbeit in meinen Augen stümperhaft.

»Sie malen«, sagte er.

»Ja. Ich habe meine Sachen hierhergebracht, weil die erste Frau Ihres Freundes nicht will, dass ich in ihrem Innenhof male, und in meinem Zimmer ist nur für wenige Stunden ausreichend Licht. Aber ich bin es nicht gewohnt, in dieser Hitze zu malen.« Ich merkte, dass ich dummes Zeug daherplapperte. »Und mit Ölfarben zu malen, bin ich auch nicht gewohnt. Normalerweise nehme ich Wasserfarben; in Albany habe ich immer nur Aquarelle gemalt.« Ich sah ihn flüchtig von der Seite an. »Bei mir zu Hause. Aber hier sind die Farben so leuchtend und lebendig, und die Dinge, die ich malen will, benötigen mehr Tiefe, mehr Kraft. Ich habe das Gefühl, all das mit Wasserfarben nicht einfangen zu können. Aber natürlich erfordert das Malen mit Ölfarben eine ganz andere Technik, und ich beherrsche sie noch gar nicht. Es wird eine Zeit lang dauern, bis ich so weit bin.« Ich legte den Pinsel auf die Palette und wischte die Hände an meinem Kaftan ab. »Der Pinsel rutscht mir in der Hand.«

»Wird es jemals so heiß in dem Teil Amerikas, aus dem Sie kommen?«, fragte er. »In Albany. Wo liegt das?«

»Es ist in der Nähe von New York City. Im Staat New York.«

Aszulay nickte. »Die Freiheitsstatue.« Er lächelte.

»Im Sommer kann es dort sehr heiß werden, außerdem ist es sehr feucht. Aber nicht vergleichbar mit der hiesigen Hitze. Und die Winter sind lang und bitterkalt. Es gibt Schnee. Zu viel Schnee. Die Landschaft ist ganz weiß, unberührbar irgendwie.« Ich betrachtete meinen Versuch, die marokkanische Sonne einzufangen. »Ich meine, es ist nicht … es ist nicht wie hier. Nicht so warm und strahlend.«

»Haben Sie Heimweh? Vermissen Sie Ihr Zuhause in New York?«, fragte Aszulay, während er das begonnene Bild betrachtete.

Ich dachte nach. Ob ich es vermisste?

»Ich interessiere mich für andere Orte«, sagte er, nachdem ich seine Frage nicht beantwortet hatte.

Ich dachte, dass Aszulay nicht nur neugierig war, sondern mich geradezu ausfragte. Neugierde war eher etwas Passives, eine Art Staunen, wohingegen er alles andere als passiv wirkte. Er besah sich die Welt nicht nur, sondern beobachtete sie. Ein haarfeiner Unterschied nur, aber mit einer großen Wirkung.

»Ich war schon immer erstaunt, dass …« Aszulay ließ den Satz unbeendet. Ich wartete. Suchte er nach dem passenden französischen Wort? Wie gebannt starrte er jetzt auf das Bild.

Und dann hörte ich es, verstand, warum er plötzlich still geworden war. Ein Vogelgesang, ein zartes Geträller, das aus dem dichten Blattwerk kam, das über unseren Köpfen Schatten spendete. Aszulay blickte nicht nach oben, um mit den Augen nach dem kleinen Wesen zu suchen, dem Urheber dieses wunderschönen Gesangs, sondern hielt den Blick starr auf die Leinwand gerichtet, unbewusst, wie ich vermutete, denn seine ganze Konzentration schien dem Vogelgezwitscher zu gelten.

Ich öffnete den Mund und verharrte einen Augenblick. Sollte ich wirklich etwas sagen – etwas im Zusammenhang mit dem Laut? Ihn vielleicht fragen, welcher Vogel dieses herrliche Geträller hervorbrachte?

Der Laut verstummte, und ich schloss die Lippen. Aszulay blinzelte und nahm den Gesprächsfaden wieder auf, als hätte er nicht im Sprechen innegehalten. »… dass es in Amerika Tiere gibt, die im Schnee leben können.«

Und ich glaube, es war in diesem Moment – während ich diesen großen Blauen Mann betrachtete, dessen Gesicht in den sanft zwischen den Blättern durchschimmernden Sonnenstrahlen glitzerte, mit den von der Gartenarbeit muskulösen Unterarmen, der einen Augenblick lang verstummt war, um ehrfürchtig einem Vogelgesang zu lauschen –, dass etwas in mir zerriss. Kein schmerzlicher Riss, sondern ein langsames, behutsames Auseinanderbrechen.

Falida kam mit einem Teller voll Eintopf zurück und reichte ihn Aszulay. Er setzte sich auf einen Hocker in der Nähe und sah mir beim Malen zu.

Als ich ein paar Stunden später in die Sharia Soura zurückkehrte, begab ich mich aufs Dach. Dort traf ich Mena zusammen mit einer Frau an, die ich nicht kannte. Mena hatte ein kleines Kind im Schoß, und die Frau stillte einen Säugling. Als sie mich sahen, unterbrachen sie ihre Plauderei und grüßten mich mit »Slema«, dem Gruß, der Nicht-Muslimen vorbehalten ist, wie ich inzwischen wusste, und mit dem man dem Angesprochenen Wohlergehen auf der Erde wünscht. Ich grüßte sie ebenfalls und ging dann ans andere Ende des Daches. Während ich wie immer den Blick über die Dächer der Medina schweifen ließ, lauschte ich zugleich Mena und ihrer Freundin. Inzwischen verstand ich einige Worte und Sätze auf Arabisch, sodass ich den einen oder anderen Gesprächsfetzen ausmachen konnte. Zuerst ging es um die Schwiegermutter der Freundin, dann um ein Gericht mit Auberginen, schließlich um einen kranken Esel. Das Kind auf Menas Schoß begann zu schreien, und ich sah zu ihnen hinüber. Mena lachte und wiegte es auf den Knien, dann schob sie ihm ein Stückchen Brot in den Mund, und ihr Gesicht wirkte dabei so warm und liebevoll. Ich wusste nicht, wie lange sie schon verheiratet war, und fragte mich, warum sie noch keine Kinder hatte. Die andere Frau lächelte dem Kind zu, das sich allmählich wieder beruhigte, und die beiden Frauen nahmen ihr Geplauder wieder auf.

Das war ihr Leben: sich um ihre Familien zu kümmern. Und deswegen war ich nicht Teil ihrer Welt – wahrscheinlich wog dieser Grund mehr als die Tatsache, dass ich Ausländerin war. Nie würden sie in mir eine Frau ihresgleichen sehen können.

Eine Welle der Trauer schwappte über mich, neu und mächtig und unerwartet. Ich rief mir in Erinnerung, wie einsam ich mich nach dem Tod meines Vaters gefühlt hatte. Dann war Etienne aufgetaucht, und wir teilten die intimsten Momente, die es zwischen Mann und Frau gibt, und doch, so schien es mir jetzt, hatte er nicht völlig die Leere in mir auszufüllen vermocht. Nie hatte er sich mir ganz und gar hingegeben. Inzwischen war mir klar, warum, ich wusste, dass sein Geheimnis – seine Krankheit – ihn daran gehindert hatte.

Während ich den Säugling an der Brust seiner Mutter betrachtete, rief ich mir die unerklärliche Freude ins Gedächtnis, die mich erfüllt hatte, als ich bemerkte, dass ich schwanger war.

Mit einem Mal war mein Gefühl der Trauer übermächtig, doch diesmal war es aus einem anderen Grund. Ich erkannte, dass ich es mir selbst zuzuschreiben hatte, dass ich mich in meinem behüteten Elternhaus isolierte und so ichbezogen wurde. Abgesehen von der Kinderlähmung hatte ich mein Leben selbst geschaffen. Und nun sah ich klar und deutlich, was ich alles verpasst hatte: eine weiterführende Schulbildung, Freundschaften, am Kirchen- und Gemeindeleben teilzunehmen, für andere da zu sein. Mich in der Malerei auszubilden, indem ich Unterricht nahm, zum Beispiel. Einen Mann kennenzulernen, mit dem ich mein Leben hätte teilen können.

Nun schämte ich mich, dass ich so von meinem vermeintlichen Stolz überzeugt gewesen war: Stolz darauf, dass ich es akzeptiert hatte, dass mein Leben einsam und bedeutungslos wurde.

Das Kind auf Menas Schoß wanderte auf den seiner Mutter und sah mich dabei an. Ich lächelte. Wieder kam mir Badou in den Sinn. Er konnte nichts für sein Schicksal, das ihn mit einer Mutter bedacht hatte, die nicht den natürlichen Instinkt besaß, sich um ihn zu kümmern. Ich dachte daran, wie sie ihn achtlos auf die Straße hinausgeschickt hatte, wie er mir seine kleinen Sorgen anvertraut hatte, dass er sich nach Freunden, einem Hund sehnte. Klein waren seine Sorgen nur, solange er noch ein kleines Kind war, doch sie würden zusammen mit ihm wachsen. Und je mehr er in der Lage sein würde, sich um sich selbst zu kümmern, umso seltener würden die Aufmerksamkeitshappen werden – ein beiläufiges Lächeln, eine raue Geste, die als Zärtlichkeit durchging –, die Manon ihm gewährte, gefangen zwischen ihren Liebhabern und ihrem zügellosen Leben.

Aszulay hingegen kümmerte sich liebevoll um Badou, doch wie lange würde er sich Manons Betragen noch gefallen lassen? Was würde mit Badou geschehen, wenn Aszulay sich nicht mehr von ihr angezogen fühlte?

Ich stellte mir Badou vor, seinen nach Brot duftenden Atem und wie sein Zahn gewackelt hatte. Bald nachdem Aszulay zu seiner Arbeit zurückgegangen war, hatte ich meine Malutensilien zusammengepackt und ihn daran erinnert, dass wir bald zusammen aufs Land fahren würden.

»Und was ist mit Falida?«, fragte er und sah das Mädchen an. »Wirst du einsam sein, wenn wir weg sind, Falida?«

»Falida?«, sagte ich und drehte mich zu ihr. »Wo ist deine Familie?«

»Meine Mutter war Dienerin. Wenn ich neun Jahre, meine Mutter sterben und ich leben auf Straße.«

Ich rief mir die bettelnden Kinder auf den Straßen und dem großen Platz in Erinnerung.

»Herrin mich sehen und sagen, ich wohnen in Sharia Zitoun, für sie arbeiten, und sie mir geben Essen.«

»Du hast also niemanden mehr?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Alis Maman ist nett zu ihr«, sagte Badou.

»Ja, sehr nette Frau«, sagte Falida. »Mir Essen gegeben.«

Ich nahm meine Tasche. »Kommt mit, ihr beiden. Wir gehen mit Najeeb in die Souks und kaufen uns etwas Schönes. Ein paar Süßigkeiten zumindest. Oder hättest du vielleicht gern ein schönes Kopftuch, Falida?«

Einen Moment lang sah sie mich an, dann ließ sie den Kopf sinken. »Ja«, sagte sie kaum hörbar.

»Du bist sehr gut, Sidonie. Wie Alis Maman«, meinte Badou mit feierlichem Ernst, und ich schlang die Arme um ihn und drückte ihn an mich.

In jenem Moment hatte ich gespürt, dass er mich brauchte, so wie Falida auch.

Ich legte mich auf den Rücken. Die Luft hier oben auf dem Dach war strahlend klar, der Himmel tiefblau. Die Sonne schien mir ins Gesicht und erfüllte mich langsam mit einer seltsamen Hitze, die sich sauber anfühlte. Wieder dachte ich an Badou und Falida, und etwas regte sich in mir. Zuerst erkannte ich nicht, was es war.

Dann plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich hatte eine Aufgabe gefunden.