ACHTZEHN
Am nächsten Morgen stand ich erneut vor der mächtigen Pforte und sah durch das geöffnete Tor in die von Sonnenlicht überflutete Medina. Einen besonders bedrohlichen Eindruck machte die Altstadt nicht auf mich. Ich warf einen letzten Blick über die Schulter auf die Straßen des Französischen Viertels, klemmte meine Handtasche noch fester unter den Arm und schritt durch die hohe Pforte hindurch, wobei ich hoffte, dass ich zielstrebig und selbstsicher wirkte und man mir meine Angst nicht ansah.
Endlich bekam ich marokkanische Frauen zu Gesicht, auch wenn wie überall im Lande nur ihre Augen über dem Gesichtsschleier zu sehen waren. Ihre Körper wurden vollständig von einem weißen Übergewand verhüllt, das, wie ich wusste, haik genannt wurde. Es handelte sich um ein weißes Baumwolltuch, das vom Kopf bis zum Boden reichte. Darunter trugen die Frauen ihre normale Kleidung, einen fließenden Kaftan. In ein paar wenigen Geschäften im Französischen Viertel hatte ich bunt gestreifte Seidenkaftane gesehen, die in der Taille von breiten Gürteln zusammengerafft wurden. Ich nahm an, dass es einige Französinnen gab, die sie aus einer Laune heraus kauften, aber vielleicht auch, um sie zu Hause anzuziehen, weil sie kühl und luftig waren.
Die meisten Marokkanerinnen in der Medina trugen große gewebte Taschen auf den Schultern, und einige von ihnen hatten ein Baby mit einem Tuch auf den Rücken gebunden. Kleine Kinder klammerten sich an das Gewand ihrer Mütter, während sie eilig neben ihnen hertrippelten, um Schritt mit ihnen zu halten. Außerdem fiel mir auf, dass jede Frau in Begleitung eines Mannes oder älteren Jungen war, die vor oder hinter ihnen gingen. Keine einzige Frau war allein unterwegs.
Augenblicklich wurde ich mir der starrenden Blicke der Männer bewusst und der Tatsache, dass die Frauen einen großen Bogen um mich machten.
Wieder rief ich mir die Warnungen von Mr Russell ins Gedächtnis, nicht allein hierherzukommen, doch er und seine Frau waren an diesem Morgen nach Essaouira abgereist. Und selbst wenn sie noch da gewesen wären, hätte ich nicht gewollt, dass er mich begleitete. Denn dann hätte ich ihm erklären müssen, dass ich eine Frau namens Manon Duverger suchte, die möglicherweise in der Altstadt wohnte.
Mir war ganz und gar nicht danach, mit jemandem über mein Anliegen zu sprechen.
Den Blick nach vorn gerichtet, schob ich mich durch das Gedränge in den engen Straßen. Ich wusste nicht, wohin ich ging, doch wenn ich erst einmal in der Medina war, so hatte ich mir gesagt, würde sich mein Weg ganz von allein ergeben.
Die Straße wurde gesäumt von Tischen, die unter Sonnensegeln aus zerfledderten Strohmatten oder Stoffbahnen standen, deren Farben vollkommen verblichen waren. Dazwischen waren einfache Teppiche auf der bloßen Erde ausgebreitet. Auf Tischen und Teppichen lag ein Angebot an allen erdenklichen Waren, darunter auch vieles, was ich nicht kannte.
Es gab Kaftane für Frauen und dschellabas für Männer in allen möglichen Farben und aus verschiedenen Stoffen. Andere Stände boten babouches feil – die hinten offenen Lederpantoffeln, die in allen möglichen Schattierungen von Gelb, Orange und Rot gefärbt waren und über den Köpfen der Händler an den Ständen baumelten. Ich sah Teekannen aus Kamelknochen, Fese aus rotem Filz und ein breites Spektrum an Parfümen, deren Düfte von Jasmin über Moschus bis Sandelholz reichten.
Ich kam an Tabletts mit Zuckerwerk, saftigen Datteln und Feigen sowie Holzkisten mit lebenden Hühnern und Tauben vorbei. Fliegenschwärme summten um die Waren herum oder saßen darauf, stoben wieder auf und ließen sich erneut darauf nieder.
Plötzlich fand ich mich auf einem riesigen, offenen Platz wieder, dessen Ränder ebenfalls von Ständen und Buden gesäumt wurden. Er wimmelte von Menschen, und als ich sah, dass in der Mitte Händler ihre Stände aufstellten, wusste ich, dass ich den Djemma el Fna erreicht hatte. Männer entrollten Läufer, in die sie Krüge eingeschlagen hatten, und hoben mit Tüchern bedeckte Körbe aus Eselskarren heraus. Andere stapelten auf Holztabletts Orangen zu Pyramiden oder gossen aus dampfenden Töpfen Berge gekochter Schnecken in geflochtene Körbe.
Da ich es nicht wagte, mitten über den Platz zu gehen und noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen, bewegte ich mich am Rand entlang vorwärts. Ich musste einen Bogen um einen Mann machen, der am Boden saß und sich über ein Holzbrett in seinem Schoß beugte. Während ein junger Mann, dem Tränen über die Wangen liefen, vor ihm kauerte und leise sprach, schrieb er etwas auf ein Blatt. Neben dem schreibenden Mann lag ein kleines Baumwollquadrat mit ein paar Münzen darauf. Der junge Mann trocknete sich mit dem Ärmel seiner dschellaba das Gesicht und legte ebenfalls eine Münze auf den Stoff, woraufhin der andere Mann ihm das Blatt reichte. Ein Schreiber, dachte ich, der für den jungen Mann einen Brief zu Papier gebracht hatte.
Auch an den Rändern des Platzes wurde die Menschenmenge immer dichter. Ich wurde geschoben und gestoßen, wobei es in den meisten Fällen an dem allgemeinen Gedränge lag, doch gelegentlich hatte ich auch das Gefühl, absichtlich angerempelt zu werden. Ich verdrängte die Stimme in meinem Kopf, die mich ermahnte, auf die Zeichen zu hören, die mir bedeuteten, hier unerwünscht zu sein, und besser kehrtzumachen.
Doch mir blieb nichts anderes übrig, als weiterzugehen. Im Französischen Viertel war ich keinen Schritt weitergekommen. Also musste ich meine Suche in der Medina fortsetzen und irgendwie herausfinden, ob Manon hier lebte. Wie schon in der Ville Nouvelle hatte ich keinen anderen Plan, als herumzufragen, ob jemand die Duvergers kannte.
Als ich eine arabische Stimme vernahm, die laut in eindringlichem Ton sprach, sah ich über die Köpfe der Menschen hinweg einen Mann mit wildem Blick und stoppligem Gesicht, der auf einer Kiste stand und mit den Armen gestikulierte. Er trug ein wunderschönes Gewand aus braunem und blauem Samt, das sich auffällig von den eintönigen dschellabas der anderen Männer abhob. Um ihn herum hockten ein paar Männer auf den Fersen im Kreis herum und hörten ihm mit offenem Mund zu. Andere wiederum standen, doch auch sie waren völlig in seinen Bann gezogen. Der Mann begleitete sein Wortfeuer mit Gesten, Kopfschütteln oder heftigem Nicken. Anhand seiner feurigen Vortragsweise und der Pausen, die er immer wieder machte, wurde mir klar, dass er eine Geschichte erzählte. Wie schon zuvor der Schreiber hatte auch er ein Stofftuch vor sich liegen, auf dem einige Münzen glitzerten. Es war also ein berufsmäßiger Geschichtenerzähler.
Etwas weiter kam ich an einem Mann vorbei, der auf dem Boden saß und sich an einem Tuch zu schaffen machte. Als ich näher kam, bemerkte ich schaudernd, dass er etliche Zähne darin eingeschlagen hatte. Sie waren von unterschiedlicher Größe, darunter verfaulte, unbeschädigte und welche mit langen, spitzen Wurzeln. Als er sah, wie ich seine Sammlung bestaunte, hielt er eine rostige Zange hoch, tippte sich damit an die Schneidezähne und öffnete und schloss sein Instrument mehrmals. Seine Zähne boten ein groteskes Bild, und ich machte, dass ich weiterkam, und beschloss, genug von dem Treiben auf dem Djemma el Fna gesehen zu haben.
Ich bog in eine der Gassen ab, die wie die Speichen eines Rades vom Platz abgingen. Ich befand mich nun in den Souks. Suchend blickte ich nach vorn und zurück, um mir irgendwelche Orientierungspunkte einzuprägen, damit ich später wieder den Weg zum Platz zurückfand. Auch hier ein Stand nach dem anderen, dazwischen winzige Läden, vor denen jeweils ein Mann stand. Es war unschwer zu erkennen, dass die Souks vom Handel beherrscht wurden: Eine Gasse war den Stoffhändlern vorbehalten, die Silberschmiede hatten sich in einer anderen angesiedelt und wieder in einer anderen Lumpensammler oder Parfümhändler. Ich erblickte kegelförmig aufgetürmte Gewürze in den verschiedensten Schattierungen von Rot, Gelb und Orange, Grün und Braun, deren Düfte sich vermischten. Die Männer liefen hin und her und grüßten einander, und manchmal kamen sie auch zu mir und murmelten: »Madame, venez, madame.« Kommen Sie, Madame.
Irgendwie hatte ich mir vorgestellt, ich könnte Frauen ansprechen und sie fragen, ob sie Manon Duverger kannten, doch kaum hatte ich den Fuß in die Medina gesetzt, wurde mir klar, dass das nicht möglich sein würde. Die Frauen eilten an mir vorbei; wenn sie zu zweit oder mehreren waren, sprachen sie durch ihren Schleier hindurch miteinander, während ihre dunklen Augen mir verstohlene, vorwurfsvolle Blicke zuwarfen und mir bewusst machten, dass ich ein Eindringling war.
Ich blieb stehen und blickte abermals in beide Richtungen der Straße. War ich bei der letzten Kreuzung rechts oder links abgebogen? Dann schaute ich nach oben, in der Hoffnung, das Minarett von La Koutoubia zu sehen, doch durch die zerfledderten Strohmatten hindurch, die als Markisen dienten, waren nur Fetzen azurblauen Himmels zu erkennen.
Würde ich wieder zurückfinden?, fragte ich mich. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse. Plötzlich spürte ich die Augen aller Männer auf mir. Die Frauen hetzten an mir vorbei und rempelten mich an den Hüften oder Schultern an, als wollten sie mich warnen.
Ich verließ das dichtere Gedränge in der Mitte der engen Straße und schob mich an den Ständen entlang. Hin und wieder riss sich ein Händler aus seiner Lethargie und redete auf Arabisch oder Französisch auf mich ein, um mich zum Kauf eines Schals, eines verzierten Handspiegels, eines Säckchens getrockneter Rosenknospen oder Pfefferminze zu bewegen. Jeden dieser Händler fragte ich nach den Duvergers. Einige zuckten die Schultern, entweder, weil sie den Namen nicht kannten oder kein Französisch verstanden, oder aber weil sie einfach keine Lust hatten zu antworten, wenn ich ihnen nichts abkaufte. Andere schüttelten den Kopf. Die meisten ignorierten meine Frage und redeten weiter auf mich ein.
Hitze und Durst machten mich benommen. Es war ein Fehler gewesen, herzukommen und aufs Geratewohl nach einer Frau zu suchen, die ich nicht kannte. Ich sehnte mich nach meinem ruhigen Hotelzimmer und nach der Sicherheit des Französischen Viertels.
Plötzlich zerrte jemand an meinem Rock, und ich keuchte. Drei kleine Kinder, nicht älter als vier oder fünf, standen um mich herum, deuteten mit ihren kleinen, schmutzigen Fingern in den geöffneten Mund und schrien: »Manger! Manger, Madame!«
Als ich mein Portemonnaie öffnete und ein paar Münzen herausfischte, machte das kleinste Kind einen Satz, als wollte es sich die Börse schnappen. Doch ich drückte sie fest an die Brust, während das Kind herzerweichend jammerte: »Bonbon, Madame, bonbon.«
»Wartet«, sagte ich. »Ich habe keine Süßigkeiten, nehmt das hier.« Ich ließ ein paar Münzen zu Boden fallen, weil es nicht möglich war, sie den Kindern in die Hand zu geben, die sich noch immer an meinem Rock festklammerten und dabei auf und ab sprangen. Als sie sich nach dem Geld bückten, nutzte ich die Gelegenheit und eilte davon, doch mit einem Mal lief eine noch größere Horde Kinder hinter mir her, die ebenfalls an meinem Rock zerrten, doch ich hatte nur noch zwei Sou und ging einfach weiter.
»Non, non«, sagte ich, um sie abzuwehren, und bemerkte mit einem Mal, als ich das Ende der Gasse erreicht hatte, dass ich mich wieder auf dem Dschemma el Fna befand. Während ich noch immer versuchte, die Kinder abzuschütteln, nahm ich eine Bewegung an meinem Ohr wahr und spürte, wie mir etwas auf die Schulter hüpfte. Erschrocken drehte ich den Kopf und starrte entsetzt in ein finster blickendes winziges Gesicht. Unwillkürlich schrie ich auf, woraufhin das kleine Ding ebenfalls kreischte, so laut, dass ich einen Moment lang das Gefühl hatte, mein Trommelfell sei geplatzt. Es ist nur ein Affe, beruhigte ich mich, nur ein kleiner Affe.
Noch immer bedrängten mich die Kinder, scharten sich um mich, zerrten an meinem Rock, während gleichzeitig der Affe an meinem Haar zog. Ich bekam keine Luft mehr, brachte keinen Ton heraus.
Endlich ließ sich eine Stimme auf Arabisch vernehmen, und die Kinder stoben auseinander. Das Gesicht schweißbedeckt und am ganzen Körper zitternd, stand ich da, das Äffchen noch immer auf meiner Schulter.
»Madame, o Madame, Sie haben wirklich großes Glück«, sagte der Mann, der die Kinder weggescheucht hatte. »Ich heiße Mohammed, und Hasi, mein Affe, hat Sie ausgewählt. Wenn Sie einen Sou geben, nur einen Sou, Madame, werden Sie dreifaches Glück haben. Oh, welch ein gesegneter Tag für Sie, weil Hasi Sie ausgewählt hat. Er hat Sie gewählt, weil er weiß, dass Sie eine gute Seele besitzen. Hasi weiß das. Er geht immer nur zu den Guten.«
Ich wusste, dass der Affe auf Geheiß seines Herrn auf jedermanns Schulter hopste. Hasi rutschte nun an meinem Arm hinab und blickte zu mir hoch. Ich sah, wie die Leine ihn in den zarten Hals schnitt; dort war das Fell abgeschabt und die Haut aufgeraut. Er bleckte die Zähne zu einem grimassenhaften Lächeln und streckte die winzige Hand mit der Handfläche nach oben aus.
»Madame«, sagte Mohammed in flehendem Ton. Er hatte kleine, ölig glänzende Augen. »Sie müssen sich etwas wünschen. Nur ein Narr würde die Gelegenheit ausschlagen. Sag der guten Dame, Hasi, sag ihr, sie darf sich diese Chance nicht entgehen lassen.«
Hasi ließ ein trauriges Glucksen vernehmen, während seine kleinen Finger – nicht größer als Streichhölzer – an meinem Ärmel zupften.
Da griff ich abermals in meine Handtasche, fischte einen Sou aus meinem Portemonnaie und legte ihn in die kleine, fast menschlich anmutende Hand, worauf ich mit einem ohrenbetäubenden Kreischen belohnt wurde. Hasi kletterte wieder an meinem Arm hoch und auf meine Schulter, von wo aus er mit einem Satz auf Mohammeds Schulter sprang. Dabei kratzte er mich mit einem Zehnagel am Hals. In einer einstudierten Bewegung ließ das Äffchen die Münze in die Tasche der Weste gleiten, die Mohammed über seinem langen Hemd trug. Dann machte er wieder eine Grimasse, presste den Mund an Mohammeds Ohr und ließ erneut ein paar glucksende Laute vernehmen, woraufhin Mohammed ernst nickte.
»Madame, Hasi hat mich informiert, dass es in Ihrem Leben eine Veränderung geben wird. Und zwar hier in Marokko.«
Natürlich war das Unsinn, und doch war meine Neugierde geweckt. Mein Hals brannte an der Stelle, an der Hasi mich unabsichtlich gekratzt hatte. »Was für eine Veränderung?«
Mohammed rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Hasi braucht noch einen Sou, um sein Wissen preiszugeben.«
Wieder tauchte ich die Hand in meine Tasche und legte meinen letzten Sou in die winzige schwarze Hand. Schnell wie der Blitz verschwand sie in Mohammeds Westentasche, ehe der Affe wieder so tat, als flüstere er seinem Herrn etwas ins Ohr.
»Aha. Eine solche Geschichte habe ich noch nie von Hasi gehört, Madame. Das ist ja wirklich interessant. Sie sind nach Marrakesch gekommen, um etwas zu finden. Sie haben etwas verloren, etwas, was Ihnen sehr viel bedeutet. Stimmt das? Ich kann an Ihrem Gesicht ablesen, dass Hasi recht hat.«
Zuerst antwortete ich nicht, dann schüttelte ich den Kopf – gewiss erzählte Mohammed jedem Ausländer die gleiche Geschichte. Ich wollte ihm nicht zeigen, dass er in meinem Fall ins Schwarze getroffen hatte.
»Vraiment? Wirklich nicht, Madame? Sie streiten es ab? Hasi hat mir nämlich erzählt, dass Sie traurig sind, aber das wird sich bald ändern. Sehr bald. Unter dem Kreuz des Südens werden Sie finden, was Sie suchen. Aber weil es eine andere Gestalt angenommen hat, werden Sie es möglicherweise nicht erkennen.«
»Dem Kreuz des Südens?«
Mohammed blinzelte gen Himmel. »Das Sternbild, Madame. Hier in Afrika. Das Kreuz des Südens. Sie müssen nachts den Himmel betrachten. Und darunter werden Sie finden, wonach Sie suchen. Aber denken Sie daran, Madame, denken Sie daran, dass es hier die Anderen gibt, die Dschinn. Sie verkleiden sich als Menschen. Seien Sie vorsichtig. Passen Sie auf, dass Sie keine unkluge Entscheidung treffen.«
Plötzlich schrie Hasi und hüpfte auf und ab.
Der Laut gellte mir in den Ohren. Ich schloss die Augen, und schon schoben sich ungebeten die Bilder vor mein geistiges Auge: Hasis düstere Grimasse, sein offener Mund mit den winzigen scharfen Zähnen, dann die offenen Münder der bettelnden Kinder. Die Zähne, die in das Tuch eingeschlagen waren, und der grinsende Zahnzieher mit seiner Zange.
Als ich die Augen wieder aufmachte, erblickte ich eine Reihe gehäuteter Köpfe; eine Schrecksekunde lang dachte ich, ich hätte die Köpfe der Enthaupteten vor mir, von denen Mr Russell gesprochen hatte. Mein Magen krampfte sich zusammen, und unwillkürlich krümmte ich mich. Doch dann sah ich, dass es keine menschlichen Köpfe waren, sondern Ziegenköpfe, blau, von Fliegen übersät und mit hervorstehenden Augen. Sie waren auf einem niedrigen Tisch aufgereiht. Ein Mann in einer abgewetzten dschellaba winkte mich nickend zu sich.
Zitternd ging ich weiter. Ich durfte hier nicht ohnmächtig werden, nicht hier auf dem mit Unrat übersäten Boden.
»Kommen Sie zurück, Madame!«, rief Mohammed hinter mir her. »Nur noch einen Sou, und Hasi wird Ihnen mehr erzählen. Er wird Ihnen etwas von äußerster Wichtigkeit verraten, etwas, was Sie brauchen, um sich vor den Anderen zu schützen. Nur einen Sou, Madame.«
Stolpernd setzte ich meinen Weg fort. Ich berührte den brennenden Kratzer an meinem Hals und starrte dann auf den Blutstreifen an meinem Finger. Als ich das hohe Minarett der Koutoubia-Moschee erblickte, heftete ich den Blick darauf, da ich wusste, dass es mich aus der Medina hinausführen würde. So schnell ich konnte, ging ich weiter, die Tasche an die Brust gepresst. Ich bemerkte, dass sich einzelne Strähnen aus den Haarnadeln gelöst hatten und dass das Kleid mir am Rücken klebte. Nicht nur wegen der Hitze, sondern auch wegen der Angst, die mich jäh überfallen hatte. Ich zog meinen kranken Fuß nach, der nicht mit dem anderen Schritt halten wollte, und wenn ich gekonnt hätte, wäre ich gerannt.