Kapitel 27



Angst brachte Jones dazu, wie ein betrunkener Kerl zu stolpern. Die zwei Elite-Gardisten flankierten ihn und brachten ihn sogleich zu einem Aufzugsschacht. Er folgte ihnen mechanisch, fühlte sich wie betäubt. Er wollte sich verstecken, oder sich bei jemandem entschuldigen, oder Fragen stellen, aber die zwei Gardisten marschierten ruhig weiter, als ob sie ihn dazu bringen wollten, auszupacken. Was habe ich getan?, wollte er rufen, aber niemand befand sich in den Gängen, es war still, und kein anderer Soldat würde bei einem Schrei mehr tun, als mit einem Auge durch den Türspion zu gucken.

Die Aufzugtüren schlossen sich wie eine Guillotine und die drei Männer fuhren nach oben. Jones bekam sofort ein klaustrophobisches Gefühl. Immer noch nur zur Hälfte bekleidet, fühlte er durch den Schweiß auf seiner Haut die Kälte in der Luft nur umso deutlicher.

Sie stiegen im Dachgeschoss auf der Parkebene aus. In den düsteren Morgenstunden hing eine unheimliche Stille über dem schlafenden Metroplex. Ohne ein Wort führten ihn die zwei Elite-Gardisten über den Beton des Parkdecks. Jones fühlte die unerbittliche Härte ihrer Rüstung und sah die entschlossene Haltung an ihren Schultern.

Er dachte für einen Moment an Fitzgerald Helms und fühlte eine abgrundtiefe Traurigkeit. Sein Freund hatte sterben müssen, bevor es Jones in die Gilde geschafft hatte – und nun würde seine Karriere einfach enden. Was hätte sich Helms dabei gedacht?

Die Gardisten hatten ihn einen Bademantel über seinen Schultern werfen lassen, aber seine weißen Soldatenstiefel hielt Jones noch immer in seinen Händen. Sie marschierten mit gedämpften Schritten zu einem privaten Hovercar, das in einem dunklen Mattblau lackiert worden war, um es offenbar vor dem Nachthimmel unsichtbar erscheinen zu lassen.

Für einen Augenblick glaubte Jones, dass sie ihn im abgetrennten Bereich einsperren würden, aber stattdessen ließen sie ihn zwischen sich im Hauptbereich sitzen. Als das Gefährt in die Luft stieg und seitwärts abbog, blickte Jones auf das Wohnheim der Soldaten herab, das ihm für zwei Jahre als Zuhause gedient hatte, und dachte, dass er es nun zum letzten Mal sehen würde.

Da die Elite-Gardisten daran beteiligt waren, konnte das für ihn nichts Gutes heißen.

Jones schluckte so schwer, dass er fühlte, wie der Adamsapfel in seinem Hals nach oben und unten rutschte. Er hatte keine Chance. Nichts würde helfen. Vielleicht konnte er noch vernünftig mit ihnen reden. »Ich versteh das noch nicht.« Seine Stimme klang dünn, jammernd. »Warum könnt ihr mir nicht sagen …«

»Nein«, sagte der eine Elite-Gardist schroff. Der andere kümmerte sich nicht darum und lenkte weiterhin das Hovercar. Als sie hochflogen, sah Jones auf die Lichter der Stadt hinab – auf die verschlungenen aber verlassenen Arterien des Metroplex‘. Für den Moment überkam ihn der Gedanke, dass ihn von all jenen dort unten lebenden Menschen, niemand vermissen würde. Jones hatte keine echten Freunde – die Wunde, die sein Freund Helms bei seinem Tod hinterlassen hatte, war selbst nach zwei Jahren noch immer nicht verheilt, und das war seine eigene verdammte Schuld. So ist es recht – warum nicht auf dem Weg zum eigenen Scharfrichter auch noch philosophisch werden? Er trug keine Uniform – würden sie sich hoch über dem Metroplex seiner entledigen? Oder würden sie ihn als Bandenmitglied verkleiden, als jemanden, der vermutlich in einem gewaltgepeitschten Straßenkampf getötet worden war?

Das Hovercar landete auf dem sich spiegelnden Monolithen des Hauptquartiers der Soldaten-Gilde. Jones‘ Magen verkrampfte sich und sein Atem ging in kurzen Stößen, als sie sich dem Turm näherten.

Das Hovercar glitt auf das private Landungsdock, das für das höchste Managementpersonal der Gilde reserviert war. Jones gelang es wenigstens, seine Stiefel anzuziehen, aber die Unruhe in ihm wuchs. Seine aufgewühlten Gedanken überschlugen sich, versuchten zu verstehen, was er Schreckliches getan haben könnte, dass eine so hohe Strafe rechtfertigte. Er hatte den Diener verloren. Er hatte die Straßenunruhen heraufbeschworen, auch wenn es nicht seine Schuld gewesen war. Er hatte seine Rüstung abgeworfen – er hatte große Fehler gemacht, sicherlich … aber gemäß dem Buch, gemäß seiner Soldaten-Ausbildung, hatte er da nicht getan, wie er ausgebildet worden war? Was würde er denn jetzt tun müssen?

Der Pilot schaltete den Motor des Hovercars aus und entsicherte die Tür. Auf der Spitze des Turms pfiff der Wind um sie herum, brachte eine drückende Feuchtigkeit mit sich, die einen Frühjahrssturm ankündigte. Seine weißen Panzerstiefel hoben sich deutlich gegen seine dunkle Haut und seine schwarze, hautenge Hose. Er kletterte vorsichtig aus dem Hovercar und stolperte beinah über die Eingangsstufen, wobei ihn der zweite Elite-Gardist vorwärtsdrängte. Seine Knie waren weich.

Am Ende der Treppe erreichten sie einen verschlossenen Eingang. Der erste Gardist tippte einen langen und komplexen Zugangscode ein; ein stiller Moment verging, dann leuchteten ein paar Dioden an einer Tafel neben der Tür auf. Der Gardist gab als Antwort ein Passwort ein, und mit einem bedrohlichen, Zischen, das dem einer Kobra glich, glitt die Tür in der höchsten aller Etagen des Hauptquartiers der Gilde auf.

»Rein mit dir.« Blind, ohne nachzudenken, stolperte Jones vorwärts. Dunkelheit hüllte ihn von allen Seiten ein, er blinzelte mit seinen großen Augen und versuchte irgendetwas zu erkennen. Er realisierte, nachdem er mehrere Schritte ins Innere getan hatte, dass die zwei Elite-Gardisten in ihren blauen Rüstungen draußen geblieben waren und bewegungslos dastanden. Würden sie ihn an diesem Ort töten? Warum hatten sie ihn dann so weit weggebracht?

Jones sah sich um und stellte fest, dass er sich in einem riesigen Penthouse-Büro befand, das sich über den gesamten Bereich der obersten Etage erstreckte. Die Luft verklebte sich in seinen Hals; eine Gänsehaut kroch seine Arme entlang. Von einem Aussichtspunkt des Hauptquartiers aus konnte er auf die Lichter des Metroplex‘ sehen.

Warmes Licht leuchtete von einem Aquarium, das mit einer hölzernen Tischplatte abgedeckt worden war, als ob es eine eigene verrückte Art Möbel wär. Er hörte das Blubbern im Becken und sah die farbenfrohen Fischarten, die in ihrem Glaskäfig gefangen waren, während sie vor und zurückschwammen, als ob sie gegen unsichtbare Wände schwammen und abprallten.

Hinter einem riesigen, halbrunden Klonholz-Schreibtisch erkannte Jones schließlich die auf ihn wartende, düstere Gestalt.

»Erster Soldat Jones«, sprach eine scharfe Stimme aus den Schatten. »Du hast mir heute mit deiner Aktion eine Menge Ärger eingebracht.«

Jones zuckte zusammen und fror. Er wagte es nicht, sich umzudrehen, aber er glaubte, die zwei Gardisten fühlen zu können, die sicherlich mit den Projektilwaffen ihre Fadenkreuze auf ihn gerichtet hatten …

Mit einer melodramatischen Drehung betätigte die Gestalt hinter dem Schreibtisch einen Schalter und aktivierte eine Lichtquelle, die hinter einem rosafarbenen Rand in den Ecken des Raumes hervorstrahlte und den Raum erleuchtete. Jones konzentrierte sich auf den Mann am Schreibtisch und war verblüfft; er hatte schwarzes und öliges Haar, das seltsam fehl am Platz wirkte und hinter seine Ohren zurückgekämmt worden war. Doch schließlich erkannte Jones das Gesicht des Mannes.

Francois Nathans.

»Ich habe alles äußerst vorsichtig geplant. Es war nämlich kompliziert. Zu komplex, vermute ich. Zu viele Variablen, bei denen ein einzelner dummer Fehler drastische Auswirkungen haben konnte. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du so handelst, wie du gehandelt hast.«

Nathans schüttelte seinen Kopf und machte ein abartiges Geräusch. »Zur Hölle damit, ich kann nichts dagegen tun. Ich könnte dich ausfragen, dich rügen, dich zusammenschreien, bis mir die Lunge rausfliegt, Jones – was mir für einen Moment sicherlich guttun würde, aber Danal ist immer noch tot. Meine einzige Chance, um zu sehen, ob es funktioniert – danke sehr, Jones, dass ich mich wegen dir hilflos fühle!«

Jones schluckte schwer wegen der Verbitterung in der Stimme des Mannes. Dann fand er schließlich seine Stimme wieder. Konnte es ihm helfen, sich demütig zu zeigen? Konnte ihm irgendetwas helfen?

»Was haben Sie vor zu …« Er machte eine Pause, denn plötzlich war ihm die Dreistigkeit dieses Mannes in den Sinn gekommen – er war schließlich nur der Boss der Resurrection Inc. »Hey, warten Sie mal! Ich bin Mitglied der Gilde. Sie haben gar kein Recht, mich zu bedrohen. Sie können das in Ihrem eigenen Unternehmen machen, aber Sie haben kein Recht hier im Hauptquartier der Gilde zu sein!«

Er war über seinen eigenen Ausbruch entsetzt, aber ihm war klar, dass nichts, was er jetzt sagte oder tat, die Dinge verändern würde. Jones war niemals besonders stolz darauf gewesen, ein Teil der Gilde zu sein, oder hatte Treue ihr gegenüber gefühlt, aber er hatte sein eigenes Gefühl von Ehre, seinen eigenen Kodex. Eine nach der anderen Frage kam in ihm auf und er drehte sich zu den beiden Elite-Gardisten um, suchte ihre Unterstützung. Aber in seiner Stimme lag einfach nicht die Überzeugung oder der autoritäre Ton, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Einer der Gardisten trug ein großes, elektronisches Gerät in den Händen und suchte draußen die Treppe ab. Der zweite Gardist hielt Wache, während der andere vor dem Büro weiterscannte, und schloss die Tür. Der Zweite verschloss die Türen von innen. »Entwarnung, Sir.«

Nathans faltete seine Hände hinter den großen Schreibtisch und lächelte verdrießlich. »Und was denkst du, Jones? Wer hält die Fäden der Gilde in der Hand?«

Jones blieb stehen, als der Eisklumpen in seinem Magen schlagartig anwuchs. »Ich … habe keine Ahnung.«

Nathans lächelte. »Nun, ich glaube, jetzt hast du eine.«

Jones schloss bewusst seinen Mund. »Darf ich mich bitte setzen?«

»Selbstverständlich.« Nathans drehte die Lichter auf eine höhere Stufe. Sein Lächeln hatte mehrere Nuancen, aber es sah fast unentwegt aufgesetzt aus.

Jones fragte sich plötzlich, ob sich Nathans rächen wollte. Vielleicht verschaffte es Nathans Befriedigung, wenn Jones‘ Gesichtszüge entglitten, sobald er sein Geheimnis enthüllte.

»Oh, ich stand hinter der Gilde, als es begann – Jahre bevor ich an die Resurrection Inc. dachte. Ich hoffe, du magst Geschichten, Jones? Gut. Wie du siehst, erkannte ich, dass private Sicherheitskräfte wirksamer und motivierter für die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung sein können. Anders als ein staatlich geführtes, gewerkschaftlich organisiertes Polizeisystem. Ich will dich nicht mit den ganzen Details langweilen, aber es stellte sich heraus, dass ich vollkommen recht hatte.

Beim Arbeiten hinter den Kulissen gelang es mir langsam, alle privaten Sicherheitsunternehmen und inhabergeführten Sicherheitskräfte in der Soldaten-Gilde zu vereinigen. Insgesamt verdrängte die Gilde die hinderlichen staatlich geführten Polizeistellen.«

Nathans‘ Stimme beinhaltete einen nostalgischen Unterton. Ruhelos stand er von hinter seinem Schreibtisch auf und ging zur Seite, um aus den verdunkelten Fenstern zu starren. Er presste sein Gesicht ganz dicht an das Glas; die Lichter vom Inneren des Raums zogen die Widerspiegelung in eine eigenartige, längliche Form.

»Es war alles so einfach, dass es mich schon ein bisschen misstrauisch machte. Daher beschloss ich, ein wenig energischer vorzugehen, um zu sehen, wann wir auf Widerstand stoßen. Denn wenn es nicht funktionierte – du kannst verstehen, warum – würden Köpfe rollen. Das ist der Grund, warum ich meine Rolle vorerst geheim hielt. Ruhm und Anerkennung sind nun mal die nutzlosesten Formen des menschlichen Erfolgs, die ich kenne.«

Nathans verschränkte die Hände hinter seinem glatten schwarzen Haarteil und drehte sich wieder zu Jones. »Wir haben überall Soldaten. Ihre Anwesenheit ist unverkennbar. Sie eskortieren Personen, damit die sich wichtig vorkommen. Wir stellen sie sogar zur Bewachung von Dingen ab, wie zum Beispiel Statuen, Brunnen und Nicht Betreten-Grasflächen …« Er zuckte für einen Moment zusammen und fuhr dann fort.

»Aber die Verbrechensrate sank. Unglaublicherweise. Wir mussten neue Gesetze erfinden, um den ganzen Soldaten etwas zu tun zu geben. Wir begannen sogar mit Streitigkeiten auf den Straßen, simulierten Bandenkriege nach Anbruch der Ausgangssperre, damit die Leute weiter daran glauben, dass sie uns brauchen. Wir erfanden sogar die Blutige Ausgangssperre!« Nathans schüttelte seinen Kopf. »Und die armen Bastarde haben es uns abgekauft – getroffen und versenkt!

Jones saß steif auf seinem Stuhl und schwitzte. Alle Dinge, denen er gefolgt war, die ganze Ausbildung, das Patrouillieren – die Idee, für die Fitzgerald Helms gestorben war – sollte es nur gegeben haben, weil Nathans ein paar Machtspielchen spielen wollte? Er hielt seinen Mund geschlossen, aber Nathans musste den von Ekel getriebenen Widerwillen in seinem Gesicht gesehen haben.

Der Mann schlug mit beiden Handflächen auf den mahagoniartigen Schreibtisch. »Siehst du es denn nicht? Ich bin es gar nicht! Du glaubst, dass dies ein Polizeistaat ist? Nein! Die Leute machen ihn dazu, sie ermöglichen, dass es geschieht. Sie unternehmen nichts dagegen, um es zu stoppen, weil sie davon überzeugt sind, dass es eine gute Idee ist! Es gibt keine Entschuldigung für Apathie. Ich habe darauf gehofft, je mehr ich sie vor mir hertrieb, dass es am Ende ihr gesellschaftliches Bewusstsein wecken würde, dass es sie interessieren würde. Unsere Gesellschaft muss sich selbst ändern, aus sich selbst heraus, und darf diese Änderungen nicht aufgezwungen bekommen.«

Er seufzte lange und schwer. »Manchmal würde mir nichts mehr gefallen, als von meinen eigenen Tricks gefangen zu werden. Selbst wenn man mich hinauswerfen würde, so würde es doch zumindest beweisen, dass das Volk aufmerksam ist! Ich glaubte, dass dies hier eine Art Elektroschock wäre, um unsere stagnierende Kultur zu stimulieren. Um sie zu belehren, damit man sie nie wieder schlafend vorfindet.«

Er knackte mit den Knöcheln und schaute Jones an. »Bisher werde ich jedoch tief enttäuscht. Sie sind einzig und allein daran interessiert, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen, der mich dazu bringt, dass ich machen kann, was ich will, egal wie viel Schaden es verursacht.« Nathans sprach durch seine zusammengebissenen Zähne und knallte seine Fäuste auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen. Dann hielt er inne und senkte seine Stimme. »Sorry für mein Temperament. Ich hatte einen recht ungnädigen Tag.«

Jones rieb sich die Schläfen und fragte zögernd, mit geschlossenen Augen: »Wenn Sie Francois Nathans sind, der Mann der Resurrection Inc., was ich nicht … wie kommt es, dass Sie möglicherweise die Soldaten-Gilde leiten? Resurrection Inc. hasst die Gilde.«

»Ah.« Nathans rieb seine Handflächen aneinander, hielt dann inne und wirkte betroffen. »Das ist ein Paradebeispiel für die vermeintliche Notwendigkeit einer Soldaten-Gilde. Also, wenn alle Welt glaubt, dass Resurrection Inc. die Soldaten hasst, aber die Soldaten trotzdem für den Schutz engagiert, dann gibt das der Gilde eine unwahrscheinliche Legitimität, verstehst du? Nennen wir es Macht. Warum sollten andere Unternehmen zögern, die Dienste der Soldaten in Anspruch zu nehmen, wenn sogar Resurrection Inc. das tut?«

Jones ließ die Logik dahinter auf sich wirken, bis sie schließlich irgendwie Sinn machte. Und als alles Sinn machte, begann er zu begreifen, wie viel Nathans ihm gerade gesagt hatte – zu viel. Die schreckliche Erkenntnis kam und lag ihm heulend in den Ohren.

Sollte er versuchen davonzulaufen? Während Nathans abgelenkt war? Konnte er an den zwei Elite-Gardisten vorbeikommen, das Hovercar nehmen und wegfliegen – irgendwo hin? Irgendwo außerhalb des Metroplex‘? Er war zuvor niemals außerhalb gewesen.

Sein Herz hämmerte alleine bei dem Gedanken daran. Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er wusste, dass es im nächsten Moment in seine Augen fließen würde. Jones verkrampfte sich, fühlte seine Muskeln hart werden und Knoten bekommen.

Der Schweiß rann ihm in einen Augenwinkel wie eine Träne und seinen Hoffnungen flossen im selben Moment aus ihm heraus. Nein. Er konnte es niemals mit zwei Elite-Gardisten aufnehmen. Selbst trotz der unglaublichen Soldaten-Ausbildung und Jones‘ fortlaufendem Training, bei dem er Körper und Reflexe schärfte, waren diese beiden Gardisten in ihren blauen Rüstungen zehnmal besser ausgebildet und deutlich schneller als er.

Jones schluckte. Es war reine Zeitverschwendung, es weiter vor sich herzuschieben. »Sie wollen mich töten, oder? Zumindest für das, was Sie mir da gerade erzählen.«

Schockiert starrte Nathans den dunkelhäutigen Mann an. »Lass mich dir etwas sehr Wichtiges sagen, Jones. Ich schätze mein Leben sehr, und ich freue mich sicherlich nicht darauf, zu sterben. Zu leben bedeutet für mich, etwas zu leisten: Leben ist unsere einzige Chance für alles. Folglich respektiere ich Leben – dein Leben oder das von irgendwem anders. Ich glaube an keinen Scheiß wie Schicksal, das über den Tod hinausgeht, weil es nur im Leben Hoffnung gibt. Ich töte nicht – außer in speziellen Situationen. Und ich habe nicht geplant, dich zu töten.«

»Warum sagen Sie mir das dann alles? Ich wollte das alles gar nicht wissen. Ich habe nicht gefragt.«

Nathans‘ Antwort kam wie ein Elektroschock zu ihm zurück. »Weil du das neueste Mitglied der Elite-Garde bist, Jones. Willkommen im Club.«

Jones blinzelte vor Erstaunen. Er fühlte sich in eine vollkommen andere Richtung gerissen, die ihn verwirrte. »Aber was, wenn ich nicht …«

»Du hast nichts zu verlieren, Jones. Meld dich an und sieh selbst.«

Zögernd ging Jones um den großen, halbkreisförmigen Schreibtisch herum und beugte sich über das Online-Terminal. Er tippte seinen Login-Namen und sein Passwort ein und gelangte ins Menü. »Was jetzt?«

»Überprüf deinen Benutzerstatus. Es wird die Online-Administratoren einen Monat kosten oder länger, um dein altes Kennwort zu streichen.«

Verwirrt aktualisierte Jones seine biographischen Daten. Seine Finger zitterten, und er brauchte mehrere Versuche, ehe er den richtigen Befehl eingegeben hatte. Er starrte auf die Bildelemente, die sich in seinen eigenen Nachruf verwandelten.



Soldat, Klasse 2.

Bei einem Aufstand getötet, während er einen aufsässigen Diener außerhalb der Resurrection Inc. verfolgte

Zusätzliche Bemerkung für den entsprechenden

Sonderdienst der Gilde:

Nicht im Dienst



Jones sah das Datum und starrte darauf, war unfähig, sich zu bewegen. Nathans schaltete den Bildschirm aus. »Es ist ein Trick«, flüsterte Jones.

»Ja, und ein wirklich guter. Trotzdem kannst du es auf jedem Terminal des gesamten Metroplex‘ probieren. Sobald das Netz einmal hereingelegt wurde, könntest du ebenso gut tot sein. Willkommen in der Elite-Garde.«

Es drehte sich in seinem Kopf. Jones ging zu seinem Platz zurück und setzte sich, verpasste den Stuhl beinahe. Er war wütend und gleichzeitig unfähig, sich auszudrücken, zumal er nicht wirklich begriff, was geschehen war.

»Wohlgemerkt, Jones, dies ist eine einmalige Ehre. Sehr wenige Personen werden dafür ausgewählt. Glückwunsch.«

Jones fragte sich, ob er stolz auf sich selbst sein sollte. Er hatte nicht wirklich davon geträumt, Elite-Gardist zu werden. Ein langsames, beiläufiges Gefühl des Erstaunens begann, seinen kranken Schrecken zu ersetzen. Ein Elite-Gardist? Hatte er nach alledem also doch seinen Job gut gemacht?

»Bedeutet das, dass Sie den aufsässigen Diener gefangengenommen haben? Der, der all dies verursacht hat? Der, den ich zu fangen versucht habe?«

Nathans wurde sauer, drehte sich mit böser Miene um und blickte aus dem Fenster. Jones sah, wie sich der Rücken des Mannes versteifte, während er weiter seine Hände zusammengesteckt hielt. »Nein. Er entkam. Er ist tot.«

»Ich dachte, dass Sie ihn lebendig haben wollten.«

»Das wollte ich! Aber er bekam irgendwie die Hilfe einer Krankenschwester (Techniker). Sie wählten den Freitod, indem sie in ein Nicht betreten!-Rasenstück sprangen. Sie nahmen sogar einen anderen Soldaten mit sich – und das während Dutzende Menschen zusahen! Jetzt sind noch nicht mal mehr ein paar verdammte Atome von ihnen übrig!« Nathans hörte auf einmal auf zu schreien. »Es stand viel auf dem Spiel mit dem Diener – und jetzt ist alles umsonst.«

Aber Jones runzelte die Stirn, war beunruhigt, zog seine Lippen zusammen und lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten. Der Diener war in einen »Nicht betreten«-Rasen gesprungen? Das störte ihn, plagte ihn sogar, nach allem, was geschehen war.

Nathans sah den Ausdruck und blieb abrupt stehen. »Was ist los, Jones?«

Der dunkelhäutige Mann blickte auf, die Angst war wieder da. »Nichts«, murmelte er.

Nathans trat dicht an ihn heran. Seine Augen schauten sich Jones genau an. »Du siehst aus, als hättest du gerade an etwas gedacht.« Seine Stimme wurde warm und glatt. »Ich bin jetzt dein Vorgesetzter, Jones. Ich bin an allen frischen Ideen interessiert, die du hast. Zeig mir, dass ich keinen Fehler damit begangen habe, indem ich dich für die Elite-Garde ausgewählt habe.«

Jones‘ Kopf drehte sich, und er antwortete ungewollt mit einer schwachen Stimme. »Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht an den Grund, aber ich wurde dafür eingeteilt, um eine Eskorte für Resurrection Inc. durchzuführen, Mr. Nathans. In meiner vorherigen Zuteilung habe ich versucht, einen anderen aufsässigen, weiblichen Diener zu stoppen – er blickte vorsichtig Nathans an – und sie floh, indem sie in ein »Nicht betreten«-Rasenbeet sprang. Als ob sie etwas darüber wüsste, was niemand sonst weiß.«

Er hörte Nathans‘ scharfes Luftholen. Der andere Mann drehte sich wieder zu ihm um, und Jones konnte in seinen Augen die Überraschung und Faszination funkeln sehen. »Das ist … sehr … interessant.«