Kapitel 23
Eine Stunde nachdem alle Beweise aus seinen
Büroräumen vernichtet worden waren, erhielt Francois Nathans die
ersten Berichte darüber, dass die Unruhen in den Straßen vollkommen
niedergeschlagen worden waren. Er fühlte sich erleichtert und sehr
glücklich, dass die Soldaten nur einen Diener unter den Todesfällen
ausgemacht hatten – und da es ein weiblicher Diener war, konnte es
nicht Danal sein.
Danal war irgendwie davongekommen. Jetzt musste Nathans ihn nur noch finden.
Müde und mental erschöpft versuchte er seine Kondition und seine Nerven zur Ruhe zu bringen, indem Nathans sein Büro verdunkelte und eine parfümierte Kerze anzündete, die ihn mit ihrer warmen, flackernden Beleuchtung besänftigte. Bald hatte er sich so sehr entspannt, dass er in dem gedämpften Licht kaum die verkratzte Aufnahme von Fats Wallers Jazzklängen vernehmen konnte.
Das Nachrichtenlicht begann auf dem Kommunikations-Bildschirm zu leuchten, und Nathans musste seinen ganzen Willen zusammennehmen, seinen Finger zu heben und die Antworttaste zu drücken.
Ein Soldat in weißer Rüstung erschien auf dem Bildschirm, völlig nervös. Nathans machte seine Augen weit auf, versuchte den Mann zum Weggucken zu zwingen, aber er konnte keine Reaktion hinter dem schwarzen, polarisierten Schutzvisier erkennen.
»Mr. Nathans?«, fragte der Soldat.
»Ja? Was ist?«
»Ich … ich wurde beauftragt, Sie darüber zu informieren, dass es noch ein weiteres … dass der Körper des Technikers Rodney Quick verschwunden ist. Wir vermuten, dass es am Krematorium liegen könnte, Sir.«
Die Nachricht rammte sich wie ein Messer in seinen Rücken – ein unerwarteter Schlag eines längst vergessenen Widersachers. Nathans war auf einmal völlig wach. Zu jeder anderen Zeit hätte er diese Herausforderung bereichernd empfunden und angenommen. Aber dafür war an diesem Tag schon zu viel schiefgegangen. Er ballte seine Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten, und schlug gegen die Seite seines Schreibtischs. Für einen Moment war er sprachlos, aber dann schienen die Worte alle gleichzeitig seinen Mund verlassen zu wollen.
»Aber wer hätte ihn den mitnehmen sollen? Er war doch gerade noch hier in diesem Gebäude! Wer hat ihn überwacht? Wo sollte sein Körper hingebracht werden? Wo sollte er eingelagert werden? Wie sollte jemand zu ihm gekommen sein?«
Der Soldat wirkte, als wäre er kurz davor zusammenzubrechen. »Wir brachten ihn zur Wiederauferstehungsebene, Sir. Aber da Rodney Quick ja tot ist, gab es keine Alternative für einen Techniker. Gleichzeitig mussten wir uns um den Aufstand kümmern, Sir, und Ihren Diener finden. Wir glaubten nicht, dass es ein Problem geben würde. Das hätte nicht passieren sollen. Und jetzt ist der Körper ohne eine Spur verschwunden. Soweit wir das beurteilen können, hat niemand die Ebene der Wiederauferstehung betreten oder verlassen.«
»Dann ist diese Information falsch!«, brachte Nathans hervor.
»Da ist noch eine andere Sache, auch …«, fing der Soldat an, offenbar unschlüssig und zweifelnd.
»Was?« Nathans starrte ihn für ein Moment wütend an, senkte dann aber seinen Blick. Er sollte den Mann nicht so sehr erschreckend, dass er vielleicht nicht mehr sprechen würde.
»Einer der weiblichen Diener-Assistenten in Untergeschoss Sechs schien äußerst aufgewühlt zu sein, als wir sie wegen des Verschwindens vernahmen. Wir mussten Kommandos benutzen, um sie dazu zu bringen, überhaupt zu antworten. Aber dann fiel sie zu Boden, ehe sie antworten konnte. Ihre Augen drehten sich einfach weg und sie fiel um. Offenbar tot. Ich schwöre, dass wir nichts getan haben. Es scheint, dass sie ihren eigenen Mikroprozessor gelöscht hat.«
Nathans setzte sich in seinem Stuhl nach hinten, runzelte die Stirn. »Aber wie? Wie kann das sein?«, murmelte er mehr zu sich selbst.
Er wedelte mit seiner Rückhand durch die Luft, dimmte dadurch den Bildschirm und fuhr fort, vor sich hinzumurren. Ein Diener, der elektronischen Selbstmord beging? Rodney Quick sollte ungesehen direkt vor Nathans‘ Nase aus der Resurrection Inc. entwendet worden sein? Danal im Mob verloren? Er versuchte, an einen passenden Fluch zu denken und ihn hervorzubringen, aber ihm wollte keiner einfallen.
Alles wies stets darauf hin, dass das Krematorium sich seine Objekte nicht zufällig auswählte, sondern dass sie grundsätzlich einen besonderen Vertrag eingehen mussten. Hatte Nathans einen Verräter in unmittelbarer Umgebung? Es war ein Schuss ins Blaue, wenn er dachte, dass Rodney Quick mit dem Krematorium gemeinsame Sache gemacht hätte. Allein der Gedanke machte ihn wahnsinnig, versetzte ihn in rasende Wut.
Er knirschte mit den Zähnen und schaltete wieder den Bildschirm ein. Der Soldat sprang auf. »Mir ist egal, was ihr tun müsst oder wie ihr es anstellt. Aber ich will, dass ihr Rodney Quicks Körper findet.«
Mit einer schnellen, endgültigen Geste löschte Nathans den Bildschirm und der nervöse Soldat verschwand in der statischen Dunkelheit. Er stand auf und ging im Raum herum, sprach mit sich selbst, durchdachte Möglichkeit für Möglichkeit. Einige von ihnen funktionierten zu seinen Gunsten, einige von ihnen taten es nicht.
Mit einer flüsternden Stimme im Hintergrund fuhr Fats Waller fort, den Blues zu singen.
Er hatte noch keine zwei Runden durch den Raum gedreht, ehe das Nachrichtenlicht wieder leuchtete. Nathans blickte ungehalten auf die erneute Unterbrechung, aber dann wurde ihm klar, dass die Nachricht von einem anderen Kanal kam und zu einer der wichtigeren Sicherheitsstufen gehörte.
Ein Elite-Gardist in blauer Rüstung starrte ihm entgegen, als der Bildschirm aufleuchtete. »Wir haben ihn gefunden.«
Nathans überkam eine leichte Aufregung. »Wen? Rodney Quick?«
»Wer?«, fragte der Elite-Gardist.
»Ach, nicht so wichtig. Wer ist es?«
»Ihren Diener, Sir.«
Nathans hielt sich am Rand des Schreibtischs fest und fühlte, wie sehr sein Herz schlug. »Wo ist er? Ist er verletzt?«
»Wir glauben, dass er sich in einem medizinischen Zentrum in einem anderen Bezirk verkrochen hat. Eine der Schnittstellen der Gilde hat entdeckt, dass sein Name und seine ID im Internet eingegeben worden sind. Eine Krankenschwester (Techniker) behandelt offenbar seine körperlich notwendigen Reparaturen. Wie Ihre Empfangsdame meinte, könnte Soldat Jones ihn bei seiner Flucht verletzt haben. Er wird sich daher den ganzen Nachmittag erholt haben.«
»Können wir ihn dort abholen? Wie ist die Situation?«
»Wahrscheinlich. Wir sollten vorsichtig vorgehen.«
»Verdammt richtig, das werdet ihr! Ich will nicht, dass er beschädigt wird. Er ist viel zu wertvoll. Ich habe viel dafür geopfert, um diesen besonderen Diener zu bekommen. Verstest du das?«
»Wir fragen nicht nach dem Warum.« Der trockene Ton des unbekannten Elite-Gardisten erschreckte Nathans fast. »Wir werden Ihren Diener einfangen.«
Nathans rieb sich die Hände, bis ihm auffiel, dass das eine alte Gewohnheit war, die er von Stromgaard übergenommen hatte. »Ich erwarte, dass du mich zu ihm bringst.«