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Nach der Landung in Genf fuhren sie vom Flughafen aus sofort mit dem Taxi zur Bank.
Im kühlen Inneren sprach Tatiana mit einer Frau am Empfang. »Das ist Mrs. Gloria Hatter, sie ist hier, um Geld abzuheben.«
Gloria vermutete, dass Leute, die in Schweizer Banken arbeiteten, wahrscheinlich besser Englisch sprachen als die Engländer. Sie hätte schwören können, dass Tatiana nicht mehr so russisch klang wie zuvor.
Die Dame am Empfang griff zum Telefon und murmelte diskret etwas Französisches hinein, und innerhalb von Sekunden wurden sie in ein plüschiges Separee geführt.
»Nette Bank«, sagte Tatiana anerkennend.
Eine halbe Stunde später standen sie wieder draußen im Sonnenschein. Tatiana hatte Gloria angewiesen, sich das Geld in Form hochwertiger Inhaberobligationen aushändigen zu lassen. Die Inhaberobligationen wirkten auf Gloria ziemlich unsolide, die gewichtige Realität von Bargeld wäre ihr lieber gewesen. Beute, sagte Tatiana und lachte.
Sie gingen in ein altes, teures Café, und Gloria teilte die Obligationen zwischen ihnen auf. »Eine für Sie, eine für mich«, sagte sie. Tatiana steckte ihre in ihren BH, und Gloria folgte ihrem Beispiel. Dann schaltete Gloria ihr Handy wieder ein und hörte die Nachrichten auf ihrer Mailbox ab. Eine stammte von dem Mann der Sicherheitsfirma, der sich wunderte, wo sie war und warum man ihr Haus mit Polizeiband abgesperrt hatte. Eine Nachricht war von Emily, die sich gereizt zeigte angesichts der bevorstehenden Wiederkunft Christi. Das Krankenhaus hatte ebenfalls eine Nachricht hinterlassen. Gloria nahm ein zweites Handy aus der Tasche und hörte die eine Botschaft ab, die sich auf der Mailbox befand. Sie hatte seit Dienstag mit dieser Nachricht gerechnet, und sie bestätigte den Anruf des Krankenhauses.
Es war etwas von großer Tragweite geschehen. Etwas Endgültiges.
»Graham ist tot«, sagte sie, aber sie sprach mit sich selbst. Tatiana war verschwunden.
Gloria ließ sich Zeit mit dem Kaffee. Sie aß ein ausgezeichnetes Stück »Torte Eglantine« dazu, und als sie zahlte, gab sie ein großzügiges Trinkgeld. Sie dachte daran, dass Freitag war, Beryls Tag, und fragte sich, ob ihrer alten Schwiegermutter auffallen würde, dass sie nicht gekommen war.
Auf der Straße schob sie das zweite Handy tief in den erstbesten Abfalleimer. Er würde bestimmt bald geleert werden, die Schweizer waren schließlich berühmt für ihre Sauberkeit. Was sie bislang von dem Land gesehen hatte, gefiel ihr. Vielleicht sollte sie auf dem Land ein Häuschen aus dunklem Holz kaufen mit Blumenkästen voller Hängegeranien im Sommer und frischem weißem Schnee auf dem Dach im Winter. Und einem Korb Kätzchen, die neben einem Holzofen schliefen.
Es gab viel zu tun. Sie würde durch die Welt ziehen und Unrecht wiedergutmachen. Legionen von Kätzchen, Pferden, Sittichen, verstümmelten Jungen, ermordeten Mädchen, sie alle riefen sie. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.
Die Bösen würde sie das Fürchten lehren. Sie wäre schon zu ihren Lebzeiten eine Legende. Sie wäre kosmische Gerechtigkeit. Das sollte definitiv mit Großbuchstaben gesagt werden. KOSMISCHE GERECHTIGKEIT. Unbestreitbar und unbestritten: Kosmische Gerechtigkeit war eine gute Sache.