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Das also waren Ermittlungen in einem Mordfall. Leute, die fleißig, fleißig, fleißig waren. Leute mit einer echten Leiche und wie zum Beweis an die Wand gepinnten Tatortfotos. Ein Raum, in dem das Leben brummte, weil jemand tot war. Louise betrachtete die Farbfotos von Richard Moats Leiche im Einsatzraum von St. Leonard’s. Das Revier in Howdenhall war zu klein für etwas so Großes. Als sie noch Uniform getragen hatte, hatte Louise hier gearbeitet. Es war, als wäre sie in ihre alte Schule zurückgekehrt. Alles war vertraut und fremd zugleich.
»Hässlicher Schlag auf den Kopf«, sagte jemand hinter ihr, und sie zuckte zusammen. Sie drehte sich um und sah Colin Sutherland hinter sich stehen und für Schottland lächeln. Würde er in The Bill mitspielen, würde er wahrscheinlich »der schmunzelnde Sutherland« genannt, aber da es das wirkliche Leben war, kannte man ihn als »diesen Wichser Sutherland«.
»Wollten Sie zu mir?«, fragte er hoffnungsvoll.
Louise lächelte ihn an und sagte beiläufig: »Wie ist dieser Canning? Wird er verdächtigt?«
»Nee«, sagte Campbell. »Er ist ein komischer kleiner Kerl, hat was von einer alten Frau, wenn Sie mich fragen, aber ich bezweifle, dass er in die Kategorie Mörder fällt.«
»Einbruchdiebstahl?«, fragte Louise. »Fehlt etwas aus dem Haus?«
»Sein Handy, glauben wir.«
»Sonst nichts?
»Nicht dass wir wüssten.«
Sie konnte nicht offen sein und sagen: Keine Computerfestplatte, oder so? Wäre ihnen eine fehlende CD-ROM aufgefallen? Wahrscheinlich nicht, aber Martin Canning würde es merken, oder?
»Wo ist er? Canning?«
»In einem Hotel, Four Clans, glaube ich.«
Louise wollte sagen: Sie glauben also nicht, dass zwei Vierzehnjährige eingebrochen sind und das Opfer erschlagen haben? Sie starrte auf ein Foto von Richard Moat, er war eine sehr unschöne Leiche. Konnte ihr Sohn dafür verantwortlich sein? Nein, eindeutig nein. Hamish vielleicht, aber nicht ihr Baby.
»Sie sind sehr interessiert an dem Fall, Louise. Soll ich Sie in unserem Team unterbringen? Wir haben ein paar Leute an die Grippe verloren. Wir könnten Sie von Corstorphine herholen, wenn Sie dort nicht allzu viel zu tun haben.« Er trat einen Schritt näher, und sie trat einen Schritt zurück. Perfekter Rhythmus, als Nächstes würden sie Foxtrott tanzen.
»Nein, nein, reine Neugier, Boss.«
Lügen kamen ihr leichter über die Lippen als die Wahrheit. Sie kramte einen Namen aus der Vergangenheit aus. »Eigentlich wollte ich zu Bob Carstairs.«
»Ist vor ein paar Monaten nach oben gezogen, Louise, wussten Sie das nicht?«
»Nach oben?«
»Zum großen Boss.«
Der Mann war ein wandelndes Rätsel.
»Tot. Herzinfarkt«, sagte Sutherland mit einem breiten Grinsen. »In der einen Minute noch da, in der nächsten weg.« Er schnippte mit den Fingern wie ein Zauberer. »Einfach so.«
Wieder in Corstorphine, machte sie sich auf die Suche nach Jeff Lennon und fand ihn in einer Ecke des Großraumbüros an seinem Schreibtisch, wo er einen Schokoladenriegel aß. Louise sah ihn vor sich, wenn er in Rente wäre, fett und gelangweilt. Wahrscheinlicher noch, auf dem Weg nach oben zum »großen Boss«.
»Haben Sie den Besitzer des Hondas überprüft, Jeff?«
Jeff atmete tief durch die Nase ein, als wäre er in einem Yogakurs. Louise hatte es mit Yoga versucht, aber sie hatte beständig das Bedürfnis unterdrückt, die Lehrerin anzuschreien, sie solle einen Zahn zulegen. Jetzt wollte sie am liebsten Jeff Lennon anschreien. »Klar habe ich«, sagte er schließlich. »Wollte gerade zu Ihnen.«
Er wirkte nicht wie ein Mann, der vorhatte, irgendetwas in Eile zu tun.
»Es ist eine Firma namens Providence Holdings.«
»Also nicht Terence Smith?« Was bedeutete das? Dass Jackson Brodie sich geirrt (oder gelogen) hatte, als er behauptete, Honda-Mann sei in den Verkehrsunfall verwickelt? Oder fuhr Honda-Mann den Wagen von jemand anderem, für den er zum Beispiel arbeitete? »Nie davon gehört«, sagte sie. »Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nein, aber ich habe Ihnen den Gefallen getan und nachgeforscht.«
»Und?«
»Der Direktor ist ein gewisser Graham Hatter.«
»Der Graham Hatter?«
»Höchstpersönlich«, sagte Jeff.
»Honda-Mann – ich meine Terence Smith – arbeitet also für Graham Hatter?« Und Jackson hatte heute Morgen nach »reellen Häusern für reelle Menschen« gefragt. Zog überall verdammte »Verbindungen«. Was wusste er? Was verschwieg er ihr? Er hielt Beweise zurück, das war ein Delikt, verdammt noch mal. Was stimmte mit dem Mann nicht?
»Ich habe die Informationen an das Team weitergegeben, das den Unfall bearbeitet«, sagte Jeff Lennon.
»Es ist ein Team?«
»Also, nein, zwei kleine Mädchen.« Aha, Sexismus, dein Name ist Jeff Lennon.
»Sie sind ein Held, Jeff. Ich bin Ihnen was schuldig.«
»So ist es«, sagte er frohgemut. »Wie geht’s Ihrem Sohn? Andy?«
»Archie. Es geht ihm gut, danke.«