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Nina Riley kletterte, eine Hand über die andere, wie eine bewegliche Spinne das rostrote Netz des Gitterwerks an der Forth Bridge hoch, bis sie sich endlich schweißgebadet auf die Gleise hochziehen konnte. Sie hatte keine Ahnung, wo Bertie war. Vielleicht war er in die grauen Wasser zu Tode gestürzt. Sein Schicksal ließ sie bemerkenswert kalt. Er war ein so langweiliger Kerl gewesen, so servil. (Miss Nina, Sie sind Spitze, wirklich.) Er brauchte eine kräftige Dosis Sozialismus oder einen kräftigen Tritt in den Hintern.
Sie blickte die Gleise entlang, kein Zug weit und breit. Keine Spur des Grafen von Morybory oder wie immer er hieß, ihr sogenannter Erzfeind. Keine Spur der Zirkusclowns, die sie seit Tagen verfolgten. Ein leiser Schrei riss sie aus ihren Gedanken. Es klang wie Bertie. Rief er um Hilfe? Sie horchte konzentriert. Ein schwaches Helfen Sie mir, Miss Riley schwebte auf einer steifen Meeresbrise zu ihr. Sie ignorierte es. Dann ein weit entferntes ratterndes Geräusch. Ein Zug. Es war Zeit. Sie legte sich auf die Schienen, vorsichtig – sie wollte ihren neuen cremefarbenen Trenchcoat nicht beschmutzen, obwohl er natürlich sowieso versaut würde.
Sie legte sich lang gestreckt und gerade wie ein Schienenschläfer auf das Gleis. Wenn man etwas tun wollte, sollte man es richtig tun. Es war schade, dass niemand da war, der sie mit einem Seil an den Schienen festbinden konnte. Ein Hollywood-Ende wäre schön. Oder vielleicht auch nicht, das war nicht ihr Stil, und sie war kein Fräulein in Not, sie war eine moderne Frau, die das Vernünftige tat. Das Heldenhafte.
Der Zug war jetzt lauter. Näher.
Ein Opfer. Das sich selbst opferte, um genau zu sein. Sie tat es für Martin. Sie würde ihn für immer von sich befreien. Sie würde Alex Blake mit sich nehmen, und Martin wäre frei. Er könnte neu anfangen, endlich etwas Gutes schreiben statt dieses Unsinns. Natürlich bedauerte sie so manches. Sie hatte nie Sex gehabt – Martin hatte es nicht zugelassen. Und sie war nie in Wales gewesen, sie hätte es gern gesehen, jetzt war es zu spät.
Etwas, was sie nie zuvor gefühlt hatte, flackerte über ihr Gesicht. Sie dachte, dass es vielleicht Angst war. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Das war sie. Die Nanosekunde, die alles verändern würde. Er kam. Er war da.
Sie ging in die Schwärze ein, in der es keine Worte gibt. Es werde Dunkelheit.
»Und er sitzt nur da und sagt nichts?«
»Mhm. Mehr oder weniger. Die Polizei sagt, als sie eintrafen, hat er nur was davon gefaselt, dass er Mönch werden will.«
»Gefaselt? Ist das ein klinischer Ausdruck?«
»Sehr witzig. Ich habe noch keine offizielle Diagnose gestellt, aber ich würde sagen, dass er sich in einem Zustand posttraumatischer Katatonie befindet, in einem Fugue-Zustand. Er hat jemanden erschossen, umgebracht. Keiner von uns weiß, wie wir unter diesen Umständen reagieren würden.«
»Meinen Sie, dass er simuliert? Er ist schließlich Schriftsteller, oder?«
»Ja.«
»Was schreibt er?«