Vierunddreißig

Imlann wendete und floh, jedenfalls tat er so. Er ließ Orma so nahe an sich herankommen, dass der ihn beinahe zu fassen bekommen hätte, ehe er sich blitzschnell umdrehte und Orma packte. Sie verkeilten ihre Flügel ineinander und sackten gemeinsam in die Tiefe, erst kurz bevor sie die Bäume streiften, lösten sie sich aus der Umklammerung. Sie schraubten sich in die Höhe und jeder suchte eine gute Angriffsstellung zu erlangen. Imlann spuckte Flammen, Orma bemerkenswerterweise nicht.

Er hatte nämlich Abdo erspäht und wollte ihn nicht verletzen. Die Menschlichkeit dieser Handlungsweise verschlug mir den Atem, die ungeheure Dummheit aber, die darin lag, ließ mich verzweifeln.

Abdo, der sich immer noch an Imlanns Hals klammerte, hinderte Orma nicht nur daran, sein Feuer zu benutzen, sondern auch, Imlann einfach den Kopf abzubeißen. Ormas einzige Hoffnung bestand darin, seinen Vater auf die Erde zu schleudern, aber der war um ein Viertel größer als er. Es würde schwierig werden und Abdo könnte dabei immer noch sterben.

Über der Stadt erhob sich etwas sehr Großes, Dunkles in den Himmel und näherte sich schnell den beiden Kontrahenten. Es war ein dritter Drache. Er kreiste in sicherer Entfernung um die beiden kreischenden Gegner, ergriff aber für keinen von beiden Partei. Er sah zu und wartete ab.

Hinter mir fragte Kiggs Glisselda leise: »Bist du verletzt?«

»Ich fürchte, ich habe mir eine Rippe gebrochen, Lucian, aber – ist der Ardmagar wirklich tot?«

»Das war nur eine Finte. Das hat Serafina schon öfter gemacht. Sie hat dafür wirklich eine besondere Begabung.«

»Geh und hol sie, bitte. Mit ihren leichten Ballschuhen holt sie sich im Schnee den Tod.«

Bis zu diesem Moment hatte ich noch gar nicht darauf geachtet, wie kalt es war. Kiggs kam zu mir, aber ich brachte es nicht fertig, mich von dem Kampf am Himmel loszureißen. Bei jeder Runde, die er flog, driftete Imlann ein Stückchen weiter nach Osten ab, bald würden sie direkt über der Stadt kämpfen. Wenn Orma schon das Leben eines kleinen Jungen nicht aufs Spiel setzen wollte, wie konnte er dann Imlanns Sturz auf Häuser riskieren, die voller Menschen waren? Mein Herz wurde immer schwerer.

Die Glocken der Kathedrale begannen zu dröhnen, es war ein Geläut, das man seit vierzig Jahren nicht mehr gehört hatte: der Arde-Ruf. Drachen! Geht in Deckung!

»Fina«, bat mich Kiggs, »komm herein.«

Von dort würde ich die Drachen nicht beobachten können, sie waren von der Höhle aus nicht mehr zu sehen. Statt mit Kiggs zurückzugehen, stapfte ich noch tiefer in den Schnee. Er folgte mir und legte seine Hand auf meinen Arm, um mich wegzuziehen, aber sein Blick war genau wie meiner gebannt zum Himmel gerichtet, den langsam die Morgendämmerung überzog. »Wer ist der dritte Drache?«

Ich glaubte es zu wissen, aber ich hatte nicht die Kraft, es ihm jetzt zu erklären.

»Er fliegt völlig ziellos umher«, wunderte sich Kiggs. »Wenn es ein Drache der Botschaft ist, dann würde man doch meinen, dass er deinem Lehrer zu Hilfe kommt.«

Das er von Orma als »Lehrer« sprach, riss mich aus meiner Starre. Warum nannte er ihn nicht frei heraus »deinen Onkel«? Ich hatte ihm die Wahrheit ins Gesicht gesagt, aber er konnte sie nicht, er wollte sie nicht glauben. Er hielt mir ein Hintertürchen offen, durch das ich ohne Schwierigkeiten in meine gewohnte Welt zurückkehren könnte. Es wäre das Einfachste auf der Welt, ihn in diesem Glauben zu lassen und sein Angebot einfach anzunehmen. Es wäre wunderbar einfach und bequem.

Aber ich hatte ihn geküsst, ich hatte ihm die Wahrheit gesagt, ich war eine andere geworden.

»Er ist mein Onkel«, sagte ich so laut, dass es auch Glisselda hören musste.

Kiggs ließ meinen Arm nicht los, aber sein Griff wurde starr wie Holz. Er sah kurz zu Glisselda hinüber, deren Miene ich nicht erkennen konnte, und sagte dann: »Fina, mach keine Scherze. Du hast uns gerettet. Jetzt ist alles vorbei.«

Ich sah ihn an, bis er meinem Blick nicht länger auswich. »Wenn Ihr von mir schon die Wahrheit hören wollt, dann könntet Ihr wenigstens die Güte haben, sie anzuerkennen.«

»Das kann nicht wahr sein. So etwas gibt es nicht.« Seine Stimme versagte. Er war bis über beide Ohren rot geworden. »Ich weiß natürlich, dass es … dass Tante Dionne vorgehabt hat mit dem Ardmagar … Ich gebe zu, dass so etwas passiert. Vielleicht, bisweilen.«

Als er das sagte, fiel mir ein, dass auch dies erst auf Lady Corongis Worte hin seinen Lauf genommen hatte.

»Aber Kreuzungen zwischen Drachen und Menschen sind völlig ausgeschlossen«, beharrte Kiggs starrköpfig. »Sie sind doch wie Katze und Hund zueinander, sagt man.«

»Wie Pferd und Esel«, erwiderte ich, und der kalte Wind trieb mir die Tränen ins Gesicht. »So etwas gibt es.«

»Was hast du gerade über meine Mutter gesagt, Lucian?«, fragte Glisselda mit belegter Stimme.

Kiggs gab ihr keine Antwort. Er ließ meinen Arm los, blieb aber neben mir stehen. Ich folgte seinem Blick – und sah gerade noch, wie Orma seinen Sturzflug in letzer Sekunde abfing und mit dem Schwanz einen Schornstein und das Dach einer Kneipe wegfegte. Und fast im selben Moment hörten wir ein lautes Krachen und die Schreckensschreie der Bewohner.

»Alle Heiligen im Himmel!«, rief Glisselda, die näher gekommen war und sich die schmerzende Seite hielt. »Warum hilft ihm der da nicht?«

Und in der Tat, der da flog immer noch untätig hin und her. Jetzt kam er auf uns zu, wurde größer und größer und landete schließlich etwas tiefer am Berghang; ein Stoß Schwefelluft zwang uns ein paar Schritte zurück. Er reckte seinen schlangenhaften Hals und tat dann das Gegenteil von dem, was Imlann gemacht hatte; er sank in sich zusammen, wurde kühler und schrumpfte zu einem Menschen zusammen. Vor uns stand Basind splitternackt im Schnee und rieb sich die Hände.

»Saar Basind!«, blaffte ich ihn an, obwohl ich wusste, wie sinnlos es war, auf ihn wütend zu sein. »Du lässt es zu, dass Orma getötet wird! Verwandle dich sofort wieder in einen Drachen!«

Basind drehte sich um. Ich stutzte. Sein Blick war scharf, seine Bewegungen geschmeidig und flink, als er durch den Schnee auf mich zukam. Mit einer raschen Kopfbewegung strich er die strähnigen Haare aus dem Gesicht und sagte: »Dieser Kampf geht mich nichts an, Serafina. Ich habe die einschlägigen Informationen über deinen Onkel gesammelt und nun muss ich wieder nach Hause.«

»Du bist … du bist einer von den …«, stammelte ich fassungslos.

»Zensoren, genau. Wir überprüfen deinen Onkel regelmäßig, aber es ist schwierig. Für gewöhnlich merkt er es, wenn er geprüft wird, und überlistet uns. Aber diesmal sind starke Gefühle von verschiedenen Seiten auf ihn eingestürmt, da konnte er nicht mehr so wachsam sein wie sonst. Der Ardmagar hat Ormas Exzision bereits befohlen, ich muss mir also nicht die Mühe machen, den Fall zur Anklage zu bringen.«

»Was hat Orma denn angestellt?«, fragte Glisselda hinter mir. Ich drehte mich um. Sie stand auf einer Felsplatte in gebieterischer Haltung, während der Himmel hinter ihr immer roter und goldener wurde.

»Er hat seine Nichte, die halb Mensch, halb Drache ist, zum wiederholten Mal seinem eigenen Volk vorgezogen«, antwortete Basind gelangweilt. »Er hat gewisse Gefühle gezeigt, die so stark waren, dass sie die erlaubten Grenzen bei Weitem überschritten; dazu gehörten Liebe, Hass und Kummer. Auch jetzt ist er drauf und dran, einen Kampf zu verlieren, den er mit Leichtigkeit gewinnen könnte, und zwar aus Sorge um einen Menschenjungen, den er nicht einmal kennt.«

Während Basind noch redete, krachte Orma mit dem Rücken gegen den Turm der Kathedrale und zerstörte den Glockenstuhl. Steine und Holzsplitter prasselten gegen die Glocken und mischten zusätzliche Misstöne in den Arde-Ruf, der immer noch von allen Türmen der Stadt erscholl.

»Ich biete ihm Asyl an«, sagte Glisselda und verschränkte die Arme vor der Brust.

Basind zog die Augenbrauen hoch. »Er verwüstet gerade eure Stadt.«

»Er kämpft gegen einen ganz besonderen Verräter. Imlann hat versucht, den Ardmagar zu töten!«

Basind zuckte mit seinen knochigen Schultern. »Tja, das interessiert mich alles nicht sonderlich.«

»Ist es denn egal, ob der Frieden bestehen bleibt oder nicht?«

»Wir Zensoren sind älter als der Frieden; auch wenn er längst brüchig geworden ist, wird es uns geben.« Er blickte an sich hinab und schien erst jetzt zu bemerken, dass er nackt war. Er machte Anstalten in die Höhle zu gehen, aber Kiggs stellte sich ihm in den Weg. Basind verdrehte die Augen. »Dieser dumme Körper ist kalt. Auf dem Fußboden liegen Kleider. Gib sie mir.«

Kiggs kam der Aufforderung nach. Mich überraschte seine Eilfertigkeit, aber dann fiel mein Blick auf Lady Corongis Kleid und ich verstand. Basind zog es an, murmelte mürrisch, dass es zu eng sei, aber sonst hatte er nichts daran auszusetzen. Er drehte sich um und schlenderte ungehindert in Richtung Ausfalltor davon.

»Lucian!«, rief Glisselda. »Lass ihn nicht weggehen. Ich glaube nicht, dass er uns freundlich gesonnen ist.«

»Die Tunnel sind alle gesperrt. Man wird ihn ergreifen, bevor er Schaden anrichten kann.«

Ich wünschte, er hätte recht damit, aber es war zu spät. Wieder blickte ich zum Himmel, wo mein Onkel in großer Bedrängnis war. Falls er den Kampf überlebte, würde man ihn anschließend nach Tanamoot zurückschicken, um ihm seine Erinnerungen und Gefühle zurechtzustutzen. Das könnte ich nicht ertragen.

Imlann stieß auf ihn herab, doch diesmal kam Orma nicht so schnell wieder zu Kräften. Er fing an zu brennen, sackte in die Tiefe, prallte gegen die Wolfstoot-Brücke, brachte sie halb zum Einsturz und landete unsanft im Fluss. Eine Dampfwolke stieg von der Absturzstelle auf.

Entsetzt schlug ich die Hand vor den Mund. Imlann sauste über den Himmel, schrie und spuckte triumphierend Feuer, der Schein der aufgegangenen Sonne ließ seine Haut schimmern.

Die Nacht des großen Fests war vorüber. Meist begrüßten wir Goreddis an diesem Tag das neue Morgenlicht mit dem Ruf: »Die Drachenkriege sind vorbei für alle Zeiten!« In diesem Jahr aber waren alle auf die Straße gelaufen, um den beiden Drachen zuzusehen, die über unseren Köpfen kämpften.

Ich hörte Schreie, aber diesmal waren es nicht die Stadtbewohner; es klang ganz anders und kam von oben. Die dunklen Punkte am südlichen Himmel, die ich für einen Vogelschwarm gehalten hatte, kamen schneller näher als jeder Vogel es vermocht hätte.

Eskar und die Kleine Arde kehrten zurück.

Imlann, mein Großvater mütterlicherseits, machte keine Anstalten zu fliehen und biss sich auch nicht in den Schwanz, zum Zeichen seiner Kapitulation. Nein, er flog direkt auf die Schar zu, spuckte Flammen und brüllte. Er wusste, er war dem sicheren Tode geweiht.

Er war abtrünnig gewesen, rücksichtslos und berechnend, so wie Lady Corongi. Er hatte die königliche Familie auslöschen wollen und seinen Ardmagar. Vielleicht war ihm soeben auch sein Sohn zum Opfer gefallen. Doch was er nun vorhatte, kam einem Selbstmord gleich. Als ich ihn in seiner ungezügelten Kampfeswut beobachtete und sah, wie er um sich schlug und schnappte, als wollte er den Himmel zerfetzen, spürte ich eine schreckliche Trauer in mir aufsteigen. Er war der Vater meiner Mutter. Mit ihrer Heirat hatte sie Imlanns Leben und auch ihr eigenes zugrunde gerichtet, aber war ihre Starrköpfigkeit von damals nicht vergleichbar mit seinem verzweifelten Angriff jetzt? Waren ihre Chancen nicht auch gleich null gewesen?

Eskar alleine konnte ihn nicht zu Fall bringen, erst mit vereinten Kräften steckten die Drachen ihn schließlich in Brand, aber auch dann noch hielt er sich länger in der Luft, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Als ihn Eskar schließlich enthauptete, war es eher ein Gnadentod als ein Sieg über ihn. Ich sah, wie der Körper meines Großvaters nach unten trudelte, hell wie eine Sternschnuppe, und ich weinte.

Als Rauch in der südlichen Stadt aufstieg, veränderte sich das Geläute, jetzt warnten die Glocken vor dem Feuer. Noch im Tod richtete Imlann großen Schaden an.

Ich kehrte zur Höhle zurück, meine Augen brannten, meine Hände und Füße waren schrecklich kalt und in meiner Brust verspürte ich eine entsetzliche Leere. Kiggs und Glisselda standen beisammen, beide beobachteten mich angespannt, auch wenn sie es nicht allzu deutlich zeigen wollten. Im Halbdunkel hinter ihnen stand Lars, den ich in der Aufregung ganz vergessen hatte. Er umklammerte seine Pfeifen so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.

»Fina«, fragte er, als ich ihn anblickte, »wo ist Abdo?«

Ich konnte ihm keine Hoffnung machen. Der Drache, an den sich Abdo festgeklammert hatte, war verbrannt und enthauptet worden. »Ich kann ihn jetzt nicht suchen, Lars«, sagte ich. Die Vorstellung, dass ich in meinen Gedanken die Hand nach Abdo ausstreckte und ins Leere griff, schreckte mich bis ins Mark.

»Kannst nikt oder willst nikt?«

»Ich will nicht!«

Lars funkelte mich finster an. »Du wirst! Das bist du ihm schuldik. Er hat mit Freuden alles für dik getan! Er hat es die Schlossmauer hinuntergeschafft, hat sik auf den Drachen geworfen, er hat alles getan, worum du ihn gebeten hast, und noch viel mehr. Suche ihn.«

»Was, wenn er nicht mehr da ist?«

»Dann musst du ihn im Himmel suchen. Finde ihn, egal wo.«

Ich nickte und stieg durch den Schnee zu Lars. Kiggs und Glisselda traten zur Seite, damit ich an ihnen vorbeigehen konnte. Ihre Augen waren riesengroß. »Hältst du mich?«, fragte ich Lars, woraufhin er wortlos den freien Arm um mich legte. In der anderen Hand hielt er den Dudelsack. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust, schloss die Augen und machte mich in Gedanken auf die Suche.

Ich hatte Abdo schnell gefunden. Bei Bewusstsein, wachen Geistes und so gut wie unverletzt kauerte er auf etwas, das ich zuerst für eine Insel mitten im Fluss hielt. Um ihn etwas besser in Augenschein nehmen zu können, holte ihn mein inneres Auge näher heran. Abdo winkte mir zu und lächelte unter Tränen. Und jetzt erkannte ich auch, worauf er saß.

Es war Orma.

Abdo, lebt dieser Drache oder ist er tot?, rief ich, aber der Junge gab keine Antwort. Vielleicht wusste er es selbst nicht. Ich verharrte über den beiden und wartete. Ormas Brust hob und senkte sich – waren es Atemzüge? Eine Schar Neugieriger hatte sich am Ufer versammelt, sie riefen und schwenkten Fackeln, trauten sich aber nicht näher heran. Ein Schatten glitt über sie hinweg; die Leute fingen an zu schreien und stoben davon. Der Schatten war Eskar. Sie landete am Ufer und beugte ihren langen Hals zu meinem Onkel herunter.

Mit unglaublicher Anstrengung hob er den Kopf aus dem Wasser und berührte ihre Nase mit der seinen.

»Abdo ist am Leben«, sagte ich heiser und kehrte mit meinen Gedanken wieder zur Höhle zurück. »Er ist zusammen mit Onkel Orma am Fluss. Er muss mitten im Flug von einem Drachen auf den anderen gesprungen sein.«

Lars drückte mich und gab mir im Gefühlsüberschwang einen Kuss auf die Stirn. »Und dein Onkel?«

»Er bewegt sich, aber es geht ihm nicht gut. Eskar ist bei ihm, sie wird sich darum kümmern, dass er versorgt wird.« Das hoffte ich jedenfalls. Gehörte sie wirklich nicht mehr zu den Zensoren? Immerhin hatte sie Basind in die Obhut meines Onkels gegeben. Wissend, wer er war? Erschöpft lehnte ich mich an Lars’ Brust und weinte seine Weste nass.

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Prinzessin Glisselda reichte mir ihr Taschentuch. »Sind das deine bemerkenswerten Geisteskräfte?«, fragte sie freundlich. »Du kannst in Gedanken Verbindung zu deinen Freunden aufnehmen? Hast du mich auf diese Weise gefunden?«

»Sie kann nur andere Halbdrachen sehen«, sagte Lars mit einschüchternd finsterem Blick.

»Gibt es denn noch mehr Halbdrachen?«, flüsterte Glisselda. Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen.

»Mise«, antwortete Lars in seiner Muttersprache. »Ik selbst.«

Die Prinzessin runzelte nachdenklich die Stirn und nickte. »Und was ist mit diesem kleinen Jungen aus Porphyrien? Von ihm habt ihr doch gerade gesprochen, nicht wahr?«

Kiggs stapfte im Kreis herum und schüttelte immer wieder den Kopf. »Ich könnte ja noch glauben, dass es einen Halbdrachen auf der Welt gibt, aber gleich drei?«

»Vier, wenn man Dame Okra mitzählt«, sagte ich matt. Jetzt konnten wir ebensogut gleich alles zur Sprache bringen, auch wenn Dame Okra vermutlich nicht sonderlich erfreut darüber sein würde, dass ich ihr Geheimnis preisgab. »Wenn ich alle zusammenzähle, dann sind es siebzehn oder achtzehn.«

Achtzehn, wenn Jannoula irgendwann wieder auftauchen würde.

Glisselda kam aus dem Staunen nicht heraus, während Kiggs’ Miene verriet, dass er mir kein Wort glaubte.

»Ihr habt doch gehört, wie Basind Orma meinen Onkel genannt hat«, sagte ich zu ihm. »Erinnert Euch, wie Ihr mir vorgeworfen habt, ich würde ihn lieben? Hier habt Ihr nun endlich die Erklärung dafür.«

Kiggs schüttelte störrisch den Kopf. »Ich kann es einfach nicht … Das Blut, das durch deine Adern fließt, ist rot. Du lachst und weinst wie alle anderen auch …«

Lars schien förmlich zu wachsen, als er sich drohend aufrichtete und schützend neben mich stellte. Ich legte die Hand auf seinen Arm und sagte in Gedanken: Es ist an der Zeit. Ich schaffe das.

Verblüfft sahen der Prinz und die Prinzessin zu, wie viele Ärmel ich hochschieben und wie viele Knoten ich lösen musste. Dann streckte ich ihnen meinen entblößten Arm hin; die Spirale aus Silberschuppen blitzte im frühen Morgenlicht.

Ein eisiger Wind blies. Keiner sagte ein Wort.

Kiggs und Glisselda rührten sich nicht vom Fleck. Ich blickte sie nicht an, ich wollte gar nicht wissen, wie viel Abscheu ich darin lesen konnte. Ich zog den Ärmel wieder über das Handgelenk, räusperte mich, damit der riesige Klumpen in meiner Kehle verschwand, und sagte heiser: »Wir sollten ins Schloss zurückgehen und nachschauen, wer noch lebt.«

Das brachte Bewegung in die beiden; es war, als würden sie aus einem furchtbaren Traum erwachen. Sie rannten zurück in die Höhle, vor mir her und zugleich davon. Lars legte den Arm um meine Schultern. Ich stützte mich auf ihn, bis wir im Schloss angekommen waren, und meine Tränen galten Orma – und auch mir selbst.