Siebzehn
Die Spiegelhymne ging reibungslos über die Bühne. Die Zuhörer hinter mir erhoben sich, manche sangen mit. Ich blieb einigermaßen im Takt, obwohl ich nicht so bei der Sache war, wie ich es hätte sein sollen. Immer wieder kamen mir die Augenblicke mit Lars in den Sinn – als er Schwester zu mir gesagt hatte, und die Unterhaltung, die wir danach geführt hatten.
»In welcher Beziehung stehst du zu Josef?«, hatte ich ihn gefragt. »Was geht hier eigentlich vor und wie kann ich dir helfen?«
»Ik weiß nicht, was du meinst«, sagte er und sein Blick war plötzlich kalt. »Ik habe nikts gegen Josef gesagt.«
»Natürlich nicht, jedenfalls nicht zu mir.« Ich war entschlossen, nicht lockerzulassen. »Aber du kannst doch nicht abstreiten –«
»Ik kann und ik tue es. Sprik nikt wieder von ihm, Grausleine.«
Nach diesen Worten war er davongerannt.
Die Musik hüllte mich ein, während ich dirigierte, sie beglückte mich und machte, dass ich wieder ich selbst war. Der Chor schmetterte die letzte Strophe: Unverdient wird Gnade uns zuteil, als Spiegelbild des Himmels erwartet uns das Heil. Ich lächelte meinen Sängern herzlich zu und sie dankten es mir fünfzigfach.
Dann verließ der Chor die Bühne und das kleine Orchester nahm Platz. Meine Arbeit war getan, nun konnte ich so oft tanzen, wie ich wollte, das heißt: genau ein Mal. Es war nett von Kiggs, dass er die Pavane ausgewählt hatte, denn dabei musste man immer nur im Kreise schreiten, eine Aufgabe, die ich meistern konnte.
Diener huschten durch den Saal und stellten die Stühle und Bänke an die Wand, bestückten die Kandelaber mit neuen Kerzen und brachten den Gästen Erfrischungen. Ich verging fast vor Durst; auf der Bühne war ich richtig ausgetrocknet. Ich steuerte den Tisch mit den Getränken auf der gegenüberliegenden Seite des Saals an und stand plötzlich direkt hinter dem Ardmagar. Er sagte gerade prahlerisch zu einem Diener: »Natürlich trinken unsere Gelehrten und Diplomaten nichts, was berauscht. Aber das ist kein Gesetz, eher eine Empfehlung, ein Zugeständnis an euer Volk, das bei dem Gedanken an einen Drachen, der die Selbstbeherrschung verliert, wahnsinnig wird vor Angst. Wie die Menschen vertragen manche Drachen viel, andere wenig. Wenn jemand Wein so vernünftig trinkt wie ich, dann kann nichts Schlimmes passieren.«
Seine Augen glänzten, als er den Becher nahm, den man ihm reichte; er sah sich im Raum um, als wäre er aus purem Gold. Andere Gäste, aufgeputzt wie leuchtend rote Mohnblumen, stellten sich paarweise für den nächsten Tanz auf. Das Orchester hatte seine Instrumente gestimmt und spielte eine heitere Melodie.
»Seit vierzig Jahren habe ich die menschliche Gestalt nicht mehr angenommen«, sagte der Ardmagar. Ich begriff nicht sofort, dass er mit mir gesprochen hatte. Er drehte den Becher zwischen den Fingern und blickte mich schief von der Seite an. »Ich hatte vergessen, wie das ist und wie sehr sich unsere Sinne von den euren unterscheiden. Seh- und Riechvermögen sind beklagenswert schlecht, aber die anderen Sinne machen das wieder wett.«
Ich machte einen Knicks; ich wollte mich nicht auf eine Unterhaltung mit ihm einlassen. Vielleicht würden dann noch mehr Erinnerungen meiner Mutter auf mich einstürzen. Im Moment war die Blechschatulle ruhig.
Aber der Ardmagar ließ nicht locker. »Für uns riecht und schmeckt alles wie Asche, und durch unsere Schuppen hindurch spüren wir kaum, wenn man uns berührt. Wir hören sehr gut, aber bei euch erwecken Töne auch Gefühle. Alle eure Sinne lösen seltsamerweise Gefühle aus, aber ganz besonders das Gehör … das ist der Grund, weshalb ihr musiziert, nicht wahr? Um diesen Teil eures Gehirns zu reizen?«
Aus Ormas Mund konnte ich diese Art von Unverständnis gerade noch ertragen, aber bei dem eingebildeten, alten Saar ärgerte es mich. »Unsere Gründe sind sehr viel komplizierter«, sagte ich.
Er winkte ab und blies die Wangen verächtlich auf. »Wir haben die Künste aus jedem erdenklichen Blickwinkel untersucht. Sie haben nichts mit Vernunft zu tun. Sie sind letztlich nichts anderes als eine Art Selbstbelohnung.«
Er kippte seinen Wein hinunter und wandte sich dann den Tänzern zu, um sie zu beobachten. Wie ein Kind staunte er über das Spektakel, berauscht von dem Fest der Sinne, das man ihm bereitete: süße Düfte und gewürzter Wein, das Klappern der Tanzschuhe, das Kratzen der Bögen auf den Saiten. Als eine Gräfin an ihm vorbeiging, streckte er die Hand aus und berührte ihr grünes Seidenkleid. Zum Glück bemerkte sie es nicht.
Paare stellten sich zu einem Schreittanz auf. Comonot betrachtete sie entzückt, als wären sie duftende Kirschblüten. Sein Blick wurde so sanft, wie man es sonst von einem Drachen in Menschengestalt nicht kannte, und ich fragte mich, wie viele Gläser Wein er wohl schon getrunken hatte. Es wunderte mich, dass er hier stehen und den Empfindsamen spielen konnte, während Orma, wenn er mit mir sprach, sich immer vor den Zensoren in Acht nehmen musste.
»Ist dieser Tanz schwierig?«, fragte er und beugte sich zu mir.
Ich wich einen Schritt zurück. Wahrscheinlich konnte er meine Schuppen nicht riechen, so betrunken, wie er war, aber warum sollte ich ein unnötiges Risiko eingehen?
»Dieser Tanz interessiert mich«, sagte er. »Ich möchte alles ausprobieren. Vielleicht dauert es ja wieder vierzig Jahre, bis ich erneut diese Gestalt annehme.«
Hatte er mich jetzt zum Tanz aufgefordert? Nein, er wollte, dass ich ihn aufforderte. Ich wusste nicht, ob ich geschmeichelt oder verärgert sein sollte. Gleichmütig sagte ich: »Ich habe ihn noch nie getanzt. Aber wenn Ihr die Tänzer aufmerksam beobachtet und auf ihre Schritte achtet, werdet Ihr bemerken, dass sich die Schrittfolge immer von Neuem wiederholt, was, wie ich vermute, daran liegt, dass sich auch die Melodien wiederholen.«
Der Ardmagar starrte mich an. Seine Augen traten etwas hervor, sie erinnerten mich auf eine unangenehme Art an Basind. Er fuhr sich mit der Zunge über seine dicken Lippen und sagte: »Genauso würde ein Drache an das Problem herangehen. Du siehst, unsere beiden Völker sind gar nicht so verschieden voneinander.«
Ehe er weitersprechen konnte, sagte eine Frauenstimme hinter uns: »Ardmagar, würdet Ihr gerne einen unserer Tänze aus Goredd wagen?«
Es war Glisseldas Mutter, Prinzessin Dionne, die ein auffallend gelbes Seidenkleid trug, dazu ein schlichtes Diadem und einen zarten Schleier über dem mit einem zarten Netz kunstvoll hochgesteckten Haar. Sie strahlte wie ein goldener Phoenix aus Ziziba. Im Vergleich dazu wirkte ich in meinem kastanienbraunen Gewand wie eine schmucklose Henne. Ich machte für sie Platz, erleichtert, dass sie die ganze Aufmerksamkeit des Ardmagar auf sich ziehen wollte, aber Comonot, der alte Fuchs, deutete auf mich. »Ich habe eben mit dieser interessanten jungen Dame über das Tanzen gesprochen.«
Die Prinzessin reckte die elegant geschwungene Nase und warf mir von oben herab einen kühlen Blick zu. »Das ist nur eine Musikmamsell. Sie hat Viridius dabei geholfen, das Konzert heute Abend zu gestalten.«
Anscheinend hatte ich nicht einmal einen Namen. Aber mir war das gerade recht. Ich machte einen Knicks und ging, so schnell es die Höflichkeit zuließ.
Ein rosafarbener Satinstoff klatschte mir an den Kopf. Verdutzt blickte ich auf, gerade noch rechtzeitig, um den weiten Ärmel von Prinzessin Glisseldas Kleid ein weiteres Mal ins Gesicht zu kriegen. Sie lachte und wirbelte davon. Ihr Partner, Graf von Apsig, verstand sich aufs Tanzen. Bei seinem Anblick wurde mir ein wenig mulmig, aber er beachtete mich nicht. Wenn er gerade niemanden bedrohte, war er ein eleganter Tänzer und ein hübscher Galan. Sein düsteres Schwarz stand in reizvollem Kontrast zu Glisseldas rosenfarbenem Gewand, sie zogen die Blicke des ganzen Saales auf sich. Er tanzte so mit ihr, dass sie mir den Rücken zudrehen musste. Ich duckte mich diesmal vor ihren weiten Ärmeln weg, aber sie rief mir zu: »Hat Lucian schon mit dir geredet? Ich habe dich gar nicht tanzen gesehen!«
Kiggs hatte ihr alles über Imlann erzählt. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht alles gedankenlos beim Grafen ausplauderte. »Wir warten auf die Pavane«, sagte ich, als sie wieder an mir vorbeitanzte.
»Feiglinge! Das mit dem Tanzen war meine Idee. Auf diese Weise kann man nicht so leicht belau–« Und schon wirbelte Josef mit ihr wieder davon.
Ich hatte das Ende des Satzes nicht verstanden, aber ich wusste genau, was er meinte.
Der zweite Tanz ging zu Ende und fast ohne jede Pause begannen die Musiker mit einer Sarabande. Ich beobachtete die Tanzpaare, die an mir vorbeischritten. Comonot war nicht der Einzige, der hingerissen war von all dem Pomp. Glisselda tanzte immer noch mit Josef, was ihm spitze Blicke von ihrer Mutter eintrug. Der Graf von Apsig war zwar nicht irgendwer, aber die Zweite in der Thronfolge tanzte auch nicht zum Spaß. Auf dem Parkett wurde hohe Politik gemacht.
Kiggs tanzte die Galliarde mit Amerta, der Tochter des Grafen Pesavolta von Ninys, die Gavotte mit Regina von Samsam, und nun wirbelte er bei der Sarabande mit einer Gräfin, die ich nicht kannte, durch den Saal. Er tanzte gut, wenn auch nicht so auffallend wie Josef, und es schien ihm Spaß zu machen. Er lächelte die Gräfin an, es war ein wunderbares, heiteres, unbefangenes Lächeln, und einen Moment lang konnte ich bis tief in sein Innerstes blicken. Das war schon beim Begräbnis so gewesen, wurde mir plötzlich klar. Er trug das Herz nicht auf der Zunge, aber er trug es an einem Ort, an dem ich es sehen konnte.
Die Sarabande zog sich hin. Nach jedem dritten Tanz stand ein Teil des Orchesters auf und machte eine »Pastetenpause«, wie die Musiker es dezent nannten. Die anderen Musiker spielten währenddessen etwas Belangloses, das sich so lange wiederholte, bis alle wieder da waren. Es war eine nette Gepflogenheit, bei der die Tänzer verschnaufen konnten und vor allem die Älteren – nicht zuletzt auch die Königin – nicht völlig außer Puste kamen.
Neben mir standen Prinzessin Dionne und Lady Corongi und aßen ausgerechnet Pastete. »Pastetenpause« war natürlich nur eine Umschreibung, aber sich diese beiden hochwohlgeborenen Damen dabei vorzustellen, ging mir dann doch etwas zu weit.
»Ich muss gestehen, ich bin entsetzt über den Ardmagar«, sagte Lady Corongi und tupfte die Mundwinkel vorsichtig mit einem Taschentüchlein ab, um das Rouge auf ihren Lippen nicht zu verschmieren.
»Es war nicht seine Schuld«, sagte die Prinzessin. »Er ist klein und er ist gestolpert. Mein Dekolleté war einfach nur im Weg.«
Ich versuchte mir auszumalen, was geschehen war, und bereute es gleich wieder.
»Er ist ein Narr«, sagte Lady Corongi mit verkniffenem Gesicht. Sie blickte sich verschlagen um, ehe sie hinzufügte: »Wie es wohl sein mag, mit so jemandem das Bett zu teilen?«
»Clarissa!« Prinzessin Dionnes Lachen erinnerte mich an Glisselda. »Ich bin entsetzt, du keckes Frauenzimmer. Du kannst Drachen doch nicht ausstehen!«
Lady Corongi lächelte anzüglich. »Ich habe ja auch nicht davon geredet, ihn zu heiraten. Aber man hört so einiges …«
Ich hatte keine Lust, dieses Gespräch länger zu belauschen, deshalb ging ich zu dem Tisch mit den Getränken. Dort stand ausgerechnet Graf von Apsig und beschwerte sich lautstark. »Wir Samsamesen – jedenfalls die, die es mit ihren Überzeugungen ernst nehmen – trinken dieses Teufelszeug nicht«, schnauzte er einen bemitleidenswerten jungen Diener an. »Sankt Abaster hat es auch nie getan. Sollte ich etwa das Vorbild dieses heiligen Mannes mit Füßen treten?«
Ich verdrehte die Augen. Ich war selbst kein großer Freund des Weins, aber man konnte auch freundlicher um eine Tasse Tee bitten. Ich tauchte wieder in der Menge unter und bahnte mir einen Weg durch ein Dickicht aus hauchzarten Schleiern und hermelinbesetzten Schleppenkleidern, bis ich den Saal beinahe einmal umrundet hatte. Das Orchester war gerade dabei, die Wiederholungen zu beenden und die Anfangstakte der Pavane zu intonieren. Ich ging auf das Tanzparkett, aber nirgendwo sah ich ein rotes Wams.
»Du siehst hübsch aus!«, flüsterte mir Kiggs plötzlich ins Ohr.
Ich blinzelte verlegen. Für gewöhnlich erwiderte man Komplimente und jeder normale Mensch antwortete instinktiv darauf, aber mir klopfte das Herz bis zum Hals und mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Schließlich stieß ich hervor: »Nein, das stimmt nicht.«
Er grinste, wahrscheinlich, weil ich mich einfach lächerlich benahm. Dann bot er mir seinen Arm und führte mich mitten unter die anderen Pavanetänzer. Ich wusste nicht, wohin ich mich stellen sollte, aber er zog mich einfach zu sich und wir legten die Handflächen auf Schulterhöhe gegeneinander. Das war die Eröffnungsposition.
»Dein Dudelsackpfeifer hat recht gut gespielt«, sagte er, als die Promenade begann.
»Er ist nicht mein Dudelsackpfeifer«, erwiderte ich gereizter als nötig, weil mir Guntards vorherige Anspielung noch im Kopf herumspukte. »Es ist Viridius’ Dudelsackspieler.«
Wir machten eine Drehung nach links, dann nach rechts. Kiggs sagte: »Ich weiß ganz genau, was er für Viridius bedeutet. Du brauchst deswegen gar nicht so empfindlich zu sein. Es ist offensichtlich, dass du einen anderen liebst.«
»Was meint Ihr damit?«, fragte ich verdattert.
Er tippte sich mit der freien Hand an die Schläfe. »Hab’s herausgefunden. Hab keine Angst, ich verurteile dich nicht.«
Er verurteilte mich nicht? In wen um alles in der Welt war ich seiner Meinung nach verliebt? Ich wollte es zwar wissen, aber doch nicht so sehr, um in Kauf zu nehmen, dass sich das Gesprächsthema mir zuwandte. Also fragte ich ihn: »Wie lange kennt Ihr Graf von Apsig schon?«
Kiggs zog die Augenbrauen hoch, während wir uns an den Händen fassten, die Arme hochstreckten und einander langsam umkreisten. »Seit ungefähr zwei Jahren ist er hier.« Er sah mich an. »Warum fragst du?«
Ich zeigte auf die anderen Tänzer, die mit uns im Kreis schritten. Josefs schwarzes Wams stach hervor, nur zwei Paare von uns entfernt. »Er macht Viridius’ Dudelsackspieler das Leben schwer. Ich habe ihn erwischt, wie er gegen den armen Kerl handgreiflich geworden ist.«
»Als er hierher an den Hof kam, habe ich ihn natürlich genauer unter die Lupe genommen«, sagte Kiggs, während wir uns in einem Pas de Segosh drehten und in entgegengesetzter Richtung schritten. »Seit drei Generationen ist er der erste Apsig, der sich wieder aus den Bergen hervorgewagt hat. Seine Familie galt schon als ausgestorben, deshalb war ich neugierig.«
»Ihr und neugierig?«, sagte ich. »Das kann ich mir kaum vorstellen.«
Er antwortete auf meine Dreistigkeit mit einem Lächeln. »Allem Anschein nach war seine Großmutter die Letzte dieses Namens und er hat den Namen wieder neu angenommen. Es kursieren auch Gerüchte in Samsam, dass er einen unehelichen Halbbruder hat. Vielleicht ist Lars mehr als nur ein einfacher Diener.«
Ich runzelte die Stirn. Wenn Lars nicht ein Halbdrache war, sondern die Schande der Familie, dann würde dies Josefs Feindschaft erklären. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass alles noch viel komplizierter war.
Kiggs hatte weitergeredet und ich hörte ihm jetzt wieder zu. »In Samsam geht man mit unehelichen Kindern sehr hart um. Hier ist es meistens nur für den armen Bastard unangenehm, dort ist die Ehre der ganzen Familie beschmutzt. Die Samsamesen sind sehr große Verehrer von Sankt Vitt.«
»Deine Sünden lodern hell zurück in die Vergangenheit?«, sagte ich aufs Geratewohl.
»Und in die Zukunft aller deiner Söhne – ja. Gut zitiert!« Wir drehten uns wieder, seine Augen funkelten und erinnerten mich an Prinz Rufus. Kiggs beugte sich zu mir und fügte ernst hinzu: »Ich weiß ja, dass du Nachforschungen zu diesem Thema anstellst, aber ich würde dir nicht empfehlen, Lars zu fragen, wie es ist, ein Bastard zu sein.«
Ich blickte ihn erschrocken an. Er lachte leise vor sich hin. Dann mussten wir beide lachen und etwas zwischen uns veränderte sich. Es war, als hätte ich die Welt bisher durch geöltes Pergament oder durch rußgeschwärztes Glas betrachtet, das mit einem Mal beiseitegezogen wurde. Alles war mit einem Mal sehr klar und hell, die Musik spielte majestätisch auf, wir standen da und der Saal drehte sich um uns, und inmitten von all dem war Kiggs und lachte.
»Ich muss mich wohl damit zufriedengeben, Euch zu befragen«, stammelte ich und wurde rot.
Mit einer weit ausholenden Geste wies er in den Saal. »Das ist es. So ist es wirklich, wenn man ein Bastard ist. Den Bösewichtern gönnt man keine Rast. Einen Tanz nach dem anderen müssen sie absolvieren, bis ihnen beinahe die Füße abfallen.«
Die Tanzenden drehten sich ein letztes Mal in die andere Richtung, und wir beide riefen uns ins Gedächtnis, weshalb wir hier waren. »Lass uns zur Sache kommen«, sagte er. »Meine Großmutter denkt vielleicht, dass es draußen im Land nichts mehr zu entdecken gibt, aber Selda und ich sind anderer Meinung.« Er beugte sich zu mir. »Mach ruhig so weiter wie geplant. Allerdings sind Selda und ich zu dem Schluss gekommen, dass wir dich nicht alleine gehen lassen können.«
Überrascht wich ich einen Schritt zurück. »Wohin könnt Ihr mich nicht alleine gehen lassen?«
»Auf die Suche nach Sir James Peascod. Das ist gefährlich«, sagte er stirnrunzelnd. »Ich vermute, du weißt nicht einmal genau, wo man ihn suchen soll. Du hast diesen beiden alten Knaben nur etwas vorgemacht, mit deiner Behauptung, du wüsstest, wo sich ihr Lager befindet, stimmt’s?«
Mein Mund klappte auf, aber mein träges Gehirn hatte sich noch keine Worte überlegt, die herauskommen sollten. Als ich ihm geschrieben hatte, man sollte eine Reise zu den Rittern ins Auge fassen, hatte ich ihn selbst damit gemeint. Von mir war nie die Rede gewesen!
Kiggs fasste mich für die letzte Promenade um die Taille. Ich fühlte seinen Atem warm an meinem Ohr. »Ich komme mit dir. Das ist mein letztes Wort. Morgen wird man uns nicht vermissen. Du musst keine Aufführungen leiten und all die wichtigen Leute werden den ganzen Tag lang mit ihren Besprechungen vollauf beschäftigt sein – sogar Selda, zu ihrem großen Verdruss. Ich schlage vor, dass wir beim Morgengrauen wegreiten, den Rittern einen Besuch abstatten und dann, je nachdem wie spät es ist …«
Ich hörte nichts mehr. In meinen Ohren rauschte es.
Wie konnte jemand auch nur im Entferntesten auf den Gedanken kommen, dass ich über Land reiten wollte – allein oder mit wem auch immer? Es war mein eigener, dummer Fehler, dass ich mir den Zugang zu den alten Rittern erschwindelt hatte. Seither hatte es mir nichts als Ärger eingebracht. Alle hegten nun eine völlig falsche Meinung von mir; sie hielten mich für waghalsig und furchtlos.
Aber wenn ich in die dunklen Augen von Kiggs blickte, dann kam ich mir wirklich ein bisschen wagemutig vor.
Besser gesagt, ein bisschen atemlos.
»Du zögerst«, sagte er. »Und ich weiß auch, warum.« Ich bezweifelte, dass er das wusste. Er lächelte, der ganze Saal um ihn her schien zu funkeln. »Du machst dir Sorgen, dass es nicht schicklich ist, wenn wir beide allein ohne Begleitung wegreiten. Ich sehe da keine Schwierigkeiten. Wenn wir zu mehreren wären, würden die Ritter sofort auf der Hut sein und wir bräuchten gar nicht erst hinzugehen. Und was das Schickliche angeht: Meine Verlobte stört sich nicht daran und meine Großmutter wird es nicht bemerken; Lady Corongi ist morgen nicht da, weil sie die nächsten paar Tage ihre kranke Cousine besucht, und sonst gibt es niemand, der wichtig genug wäre, dass wir uns nach seinem Urteil richten müssten.«
Er hatte leicht reden, er war ja schließlich ein Prinz. Was mich betraf, lag die Sache anders. Über mich würde man sich das Maul zerreißen, allen voran Lady Corongi. Dass sie nicht da war, würde sie nicht daran hindern.
Wir drehten uns noch einmal im letzten Pas de Segosh umeinander. Kiggs sagte: »Dein Galan scheint mir nicht gerade einer von den Eifersüchtigen zu sein. Unsere Chancen, einem Skandal aus dem Weg zu gehen, stehen also nicht schlecht.«
Nicht einer von den Eifersüchtigen? Von wem redete er? Ich brachte die richtigen Fragen wieder nicht über die Lippen und dann war es auch schon zu spät. Die Pavane war vorbei, die Leute klatschten Beifall.
»Beim Morgengrauen«, flüsterte er. »Wir treffen uns vor dem Studierzimmer der Königin. Dann verschwinden wir durch eine Geheimtür.«
Er ließ mich gehen. Dort, wo sein Arm gelegen hatte, fühlte sich meine Taille plötzlich sehr kalt an.