Fünfundzwanzig
Zu meiner großen Verwunderung stand ich ausgerechnet Lady Corongi gegenüber. Ich hatte die beiden Spitzen ihrer Flügelhaube mit Hörnern verwechselt.
»Bist du das, Maid Dombegh?«, fragte sie und kniff die Augen zusammen, als wäre das Licht zu grell für sie. »Du scheinst dich verlaufen zu haben, armes Ding.«
Ich lachte erleichtert auf und machte einen Knicks, zögerte jedoch zuzugeben, dass ich mich hier unten mit der Prinzessin treffen sollte. »Ich war gerade auf dem Weg, um Glisselda Musikunterricht zu geben.«
»Da hast du aber einen ungewöhnlichen Weg gewählt.« Sie warf einen Blick auf die schmutzigen Höhlenbewohner hinter mir und rümpfte angewidert die gepuderte Nase. »Komm mit, ich werde dir den Rückweg zeigen.« Sie streckte den linken Ellbogen vor wie einen Hühnerflügel. Ich nahm an, ich sollte ihren Arm nehmen.
»So«, sagte sie, als wir gemeinsam den engen Korridor entlanggingen. »Es ist schon länger her, seit wir uns unterhalten haben.«
»Ähm, ja«, erwiderte ich vage.
Sie lächelte freudlos hinter ihrem Schleier. »Wie ich höre, ist aus dir seitdem eine tapfere Abenteurerin geworden. Du scherzt mit Rittern, reizt Drachen, küsst den Verlobten der zweiten Thronfolgerin.«
Mich überlief es eiskalt. Worauf wollte sie hinaus? Hatte Viridius das gemeint, als er sagte, Gerüchte entwickelten ein Eigenleben, bis man sich ihrer nicht mehr erwehren konnte? »Mylady«, entgegnete ich unsicher, »jemand muss Euch Lügen über mich erzählt haben.«
Ihre Hand auf meinem Arm hielt mich jetzt wie eine Klaue umfangen. »Du glaubst, du wüsstest viel«, sagte sie mit falscher Freundlichkeit. »Aber man hat dich überlistet, Kleine. Weißt du, was Sankt Ogdo über die Überheblichkeit sagt? Sie ist mit Blindheit geschlagen und ihre Klugheit ist in Wahrheit Narretei. Seid geduldig, auch die hellsten Flammen verlöschen irgendwann von selbst.«
»Da hat er von Drachen gesprochen«, sagte ich. »Was habe ich getan, dass Ihr mich für überheblich haltet? Ist es, weil ich Euren Erziehungsstil kritisiert habe?«
»Dem Aufrechten wird alles offenbar werden«, sagte sie und zog mich hinter sich her. Wir wandten uns nach Westen und kamen in eine Wäscherei.
Die zweite Wäscherei.
Die Kessel waren alle umgestülpt und die Wäscherinnen essen gegangen, aber die Feuer loderten immer noch. Bettdecken hingen von Gestellen an der Decke herab, ihre Säume streiften den Fußboden, sie wehten wie Kleider in einem Geistertanz. Bizarre Schatten huschten über diese bleichen Leinwände, sie wuchsen und vergingen mit dem Flackern des Feuers.
Aber ein Schatten bewegte sich absichtsvoll. Außer uns war noch jemand hier.
Lady Corongi führte mich durch das Labyrinth trocknender Tücher in eine Ecke des Raums, wo Prinzessin Dionne auf uns wartete. Sie ging auf und ab wie eine Löwin im Käfig. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich wollte stehen bleiben, aber Lady Corongi zerrte mich weiter. Die Prinzessin sagte gehässig: »Ich bin großmütig und gebe dir daher die Gelegenheit, dich selbst zu erklären, Maid Dombegh.«
Der Raum hatte keinen anderen Ausgang und nur winzige Fenster hoch oben an der Wand, die vom Dampf beschlagen waren. Es war so heiß, dass ich anfing zu schwitzen. Ich wusste nicht, was die Prinzessin von mir hören wollte. Weshalb ich mich vor der Blutentnahme gedrückt hatte? Dass ich ein Drache war? Oder ging es um die anderen Beschuldigungen, die Lady Corongi erhoben hatte? Oder um alles zusammen? Ich wagte nicht, aufs Geratewohl etwas zu sagen, daher fragte ich: »Erklärt mir bitte, was Ihr hören wollt, Hoheit.«
Sie zog einen Dolch aus ihrem Mieder. »So, ich denke, damit haben wir genug Großmut bewiesen, und jetzt, Clarissa, halte sie fest.«
Für eine so zierliche und vornehme Frau war Lady Corongi erstaunlich kräftig. Sie packte mich wie ein Ringkämpfer, Gürtelschloss sagt man wohl zu dem Griff, auch wenn dabei eher Schultern und Nacken eingeklemmt werden. Prinzessin Dionne machte Anstalten, meinen linken Arm zu fassen, aber ich streckte schnell den rechten hin. Sie nickte und schnaubte dann zufrieden, weil ich mich gar nicht erst wehrte. Ich nahm an, sie würde mir in den Finger stechen, aber stattdessen schob sie meinen Ärmel zurück, drehte mir den Arm um und zog das Messer schnell übers Handgelenk.
Ich schrie auf. Mein Puls raste wie ein galoppierendes Pferd. Ich riss mich los, ein roter Regen sprühte über die Leinentücher und verwandelte sie in das Gemälde eines Mohnfelds oder in eine grässliche Parodie eines Brautnachtlakens.
»Wie das?«, sagte die Prinzessin verärgert.
»Nein!«, rief Lady Corongi. »Das ist eine Täuschung. Ich weiß es aus sicherer Quelle, dass sie nach Saar riecht!«
»Deine sichere Quelle irrt.« Prinzessin Dionne rümpfte die Nase. »Ich rieche nichts und du auch nicht. Man sollte Gerüchten keinen Glauben schenken. Vielleicht handelt es sich um eine Verwechslung. Diese Leute aus dem Volk sehen doch alle gleich aus.«
Lady Corongi ließ mich los und ich sackte kraftlos zu Boden. Mit abgespreiztem kleinen Finger hob sie geziert den Saum ihres Kleides und versetzte mir mit ihren spitzen Schuhen einen Tritt. »Wie hast du das gemacht, du Ungeheuer? Wie hast du uns über die Farbe deines Bluts getäuscht?«
»Sie ist keine Saarantras«, sagte ruhig eine Frauenstimme hinter dem Wald aus Leinentüchern. Jemand kam quer durch den Raum auf uns zu, jemand, der sich von dem Wäschelabyrinth nicht abhalten ließ, der die Tücher einfach wegschob und auf direktem Wege herbeieilte. »Hör auf, sie zu treten, du dürre Hexe«, sagte Dame Okra Carmine und trat durch die blutbespritzten Tücher wie durch einen Vorhang.
Prinzessin Dionne und Lady Corongi starrten sie an, als wäre die stämmige Frau noch viel geisterhafter als sämtliche wehenden Tücher um uns herum. »Ich hörte jemanden schreien«, sagte Dame Okra. »Ich wollte die Wachen rufen, aber dann beschloss ich, selbst nachzusehen, was los ist. Vielleicht, so dachte ich bei mir, hat jemand eine Ratte gesehen.« Sie warf Lady Corongi einen scharfen Blick zu. »Womit ich nicht ganz falsch lag.«
Lady Corongi versetzte mir einen letzten Tritt, wie um zu beweisen, dass sie sich von Dame Okra nicht beeindrucken ließ. Prinzessin Dionne wischte ihren Dolch an einem Taschentuch ab und warf es in den nächstbesten Wäschekorb. Dann ging sie hocherhobenen Hauptes um mich herum, während ich am Boden kauerte. Sie blieb kurz stehen und blickte auf mich herab. »Glaub ja nicht, dass du meine Achtung wieder gewonnen hättest, nur weil du ein Mensch bist. Meine Tochter mag eine Närrin sein, ich bin es nicht, Dirne.«
Sie nahm Lady Corongis Arm und beide entfernten sich mit jener hochmütigen Haltung vornehmer Damen, die glauben, sich für nichts schämen zu müssen.
Dame Okra schwieg, bis beide verschwunden waren, dann eilte sie mir zu Hilfe. »Du warst eine Närrin, dass du ihnen in eine leere Waschküche gefolgt bist«, sagte sie tadelnd. »Dachtest du, sie wollten dir einen schönen Bettbezug zeigen?«
»Natürlich nicht.« Ich umklammerte mein Handgelenk, das beängstigend stark blutete.
Dame Okra fischte das Taschentuch der Prinzessin wieder aus dem Korb und band es um mein Handgelenk. »Du riechst tatsächlich nach Saar«, sagte sie leise. »Ein Hauch Parfum würde das überdecken. So mache ich es jedenfalls. So eine Kleinigkeit wie unsere Abstammung soll schließlich kein Hindernis sein, nicht wahr?«
Sie half mir aufzustehen. Ich erklärte ihr, dass ich in den Südflügel gehen würde, aber sie schob mit ihren dicken Fingern die Brille zurecht und blickte mich finster an, als ob ich den Verstand verloren hätte. »Du brauchst Hilfe, und zwar in mehr als einer Hinsicht«, sagte sie. »Mein Bauch schickt mich in zwei verschiedene Richtungen, und das ist höchst beunruhigend. Ich weiß nicht, wohin ich zuerst gehen soll.«
Wir stiegen eine Treppe hinauf und befanden uns danach in der Nähe des Blauen Salons. Dame Okra hob warnend die Hand; ich wartete, während sie um die Ecke spähte. Ich vernahm Stimmen und Schritte, es waren Millie und Prinzessin Glisselda, die vom Südflügel kamen, wo sie vergeblich auf eine Musikstunde gewartet hatten.
Dame Okra drückte meinen Ellenbogen und raunte: »Was immer ihre Mutter auch behaupten mag, Glisselda ist keine Närrin.«
»Ich weiß«, antwortete ich und musste schlucken.
»Dann sei du es auch nicht.«
Dame Okra zog mich um die Ecke, direkt vor die beiden Mädchen. Prinzessin Glisselda stieß einen leisen Schrei aus. »Serafina! Alle Heiligen im Himmel, was hast du dir angetan?«
»Sie scheint eine gute Entschuldigung für ihr Zuspätkommen zu haben«, sagte Millie. »Du schuldest mir –«
»Ja, ja, sei still. Wo habt Ihr sie gefunden, Botschafterin?«
»Wir haben jetzt keine Zeit für Erklärungen«, sagte Dame Okra. »Bringt sie an einen sicheren Ort, Infanta. Möglicherweise ist jemand hinter ihr her. Und kümmert Euch um ihren Arm. Ich muss noch eine Angelegenheit erledigen, dann komme ich nach.«
Das Taschentuch war blutdurchtränkt und auf meinem Kleid verlief eine Blutspur. Mir wurde schwarz vor Augen, aber rechts und links von mir waren zwei junge Frauen, die mich am Arm packten, mir weiterhalfen und dabei immerzu schwatzten. Sie brachten mich in ein Zimmer, in dem vermutlich Millie wohnte. »… du hast fast dieselbe Größe«, schnatterte Glisselda aufgeregt. »Endlich wirst du mal richtig hübsch aussehen!«
»Eines nach dem anderen, Prinzessin«, wandte Millie ein. »Lasst uns zuerst nach dem Arm sehen.«
Die Wunde musste genäht werden. Sie riefen den Leibarzt der Königin. Er reichte mir ein Glas mit Pflaumenschnaps, dann noch eines. Aber auch als ich das dritte Glas hinuntergestürzt hatte, trat die erwartete einlullende Wirkung nicht ein; er gab es auf und begann mit dem Nähen. Wenn ich weinte, schnalzte er mit der Zunge und wünschte sich lauthals, dass ich betrunkener wäre. Ich nahm an, die Mädchen würden wegschauen, aber das taten sie nicht. Sie sahen mit weit aufgerissenen Augen zu, klammerten sich aneinander und verfolgten jeden Nadelstich und jede Fadenschlinge.
»Darf man fragen, wie um alles in der Welt du dir das selbst zugefügt hast, Musikmamsell?«, fragte der Arzt, ein alter kahlköpfiger Kerl, den nichts mehr aus der Ruhe bringen konnte.
»Sie ist hingefallen«, antwortete Glisselda für mich. »Auf einen … scharfen Gegenstand.«
»Im Keller«, fügte Millie hinzu, was sicher ungemein zur Glaubwürdigkeit der ganzen Geschichte beitrug. Der Arzt verdrehte die Augen, machte sich jedoch nicht die Mühe nachzufragen.
Kaum hatten die Mädchen ihn wieder hinauskomplimentiert, sagte Glisselda ernst: »Wie ist das passiert?«
Der Alkohol war mir anscheinend doch zu Kopf gestiegen; Schnaps, Blutverlust und der Mangel an Essen ließen alles um mich herum schwanken. So gerne ich auch gelogen hätte – denn wie sollte ich Glisselda beibringen, dass mich ihre eigene Mutter so zugerichtet hatte –, mir fiel keine einleuchtende Ausrede ein. Ich wollte wenigstens Prinzessin Dionne aus dem Spiel lassen, daher sagte ich: »Ihr habt sicher von dem Gerücht gehört, dass ich ein … ein Saar bin?«
Der Himmel bewahre mich davor, dass sie auch von dem anderen Gerücht gehört hatte.
»Ja, es war widerlich«, sagte die Prinzessin, »und augenscheinlich unbegründet.«
»Man hatte mein Blut noch nicht geprüft. Einige übereifrige und, ähm, sehr wachsame Personen beschlossen, das nachzuholen …«
Glisselda sprang wütend auf. »Das wollten wir ja gerade vermeiden.«
»Genau«, stimmte Millie zu und stellte einen Wasserkessel auf.
»Serafina, ich bin entsetzt, dass es so weit gekommen ist«, sagte die Prinzessin. »Meine ursprüngliche Idee –«
»Und die Lucians«, ergänzte Millie, die es sich offenbar erlauben durfte, die zweite Thronfolgerin zu unterbrechen.
Glisselda warf ihr einen gereizten Blick zu. »Ja, und einer dieser porphyrischen Philosophen hat auch noch seinen Teil dazu beigetragen, wenn du unbedingt so pingelig sein willst. Meine Idee war es, dass wir uns alle stechen lassen sollten, angefangen von Großmutter bis hin zum untersten Küchenjungen, vornehme und gewöhnliche Leute, Menschen und Drachen. Das wäre anständig gewesen.
Aber einige der vornehmen Herrschaften und Würdenträger wehrten sich mit Händen und Füßen. Man muss für uns eine Ausnahme machen! Wir sind Leute von Rang! Letztlich mussten sich nur Höflinge, die noch keine zwei Jahre am Hof sind, dem Test unterziehen sowie alle normalen Bürger. Und wozu hat es geführt? Zu rücksichtsloser Selbstjustiz! Und dieser Bastard von Apsig kommt wieder einmal ungeschoren davon.«
Glisselda schimpfte weiter, aber ich konnte mich nicht mehr darauf konzentrieren, was sie sagte. Das Zimmer schwankte wie ein Schiff auf hoher See. Jetzt war ich ganz sicher betrunken. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf könne jeden Moment herunterfallen, weil er viel zu schwer war. Jemand sprach, es dauerte Minuten, bis mir die Worte ins Bewusstsein drangen: »… wir sollten ihr zumindest dieses blutige Gewand ausziehen, ehe Dame Okra zurückkommt.«
Nein, nein, sagte ich, jedenfalls hatte ich es vor. Ich konnte auf eine merkwürdige Art nicht mehr unterscheiden, was ich wollte und was ich tat; meine Urteilskraft schien sich für den Rest der Nacht vollends verabschiedet zu haben. In Millies Zimmer stand eine große spanische Wand, die mit Trauerweiden und Wasserlilien bemalt war. Ich ließ mich überreden, dahinter zu verschwinden. »Gut, aber ich will nur das Oberkleid wechseln …« Meine Worte blubberten über den Paravent wie inhaltsleere Luftblasen.
»Du hast entsetzlich geblutet«, rief Millie. »Sicher ist alles voller Flecken.«
»Niemand darf sehen, was drunter ist …«, murmelte ich undeutlich.
Glisselda streckte den Kopf um die Ecke des lackierten Schirms; ich schnappte erschrocken nach Luft und wäre beinahe umgekippt, obwohl ich noch völlig angezogen war. »Ich werde es gleich wissen«, zwitscherte sie. »Millie, Ober- und Unterkleider.«
Millie brachte ein Unterhemd aus dem weichsten, weißesten Leinen, das man sich vorstellen kann. Der Wunsch, es auf der Haut zu spüren, nebelte meinen Verstand ein. Ich begann mich auszuziehen. Auf der anderen Seite des Zimmers stritten sich die Mädchen wegen der Farbe meines Oberkleids; sie meiner Gesichts- und Haarfarbe anzupassen, erforderte anscheinend Kenntnisse in höherer Mathematik. Ich kicherte und erklärte ihnen, wie man eine quadratische Hautfarbengleichung löste, obwohl ich selbst nicht wusste, was das war.
Ich hatte gerade alle meine Kleider ausgezogen und meinen klaren Verstand zusammen mit ihnen abgestreift, als Glisselda um die Ecke spähte und sagte: »Halte mal dieses scharlachfarbene Kleid vor dich und lass uns sehen – oh!«
Ihr Schrei katapultierte mich in die raue Wirklichkeit zurück. Ich drehte mich schnell um und hielt Millies Unterkleid wie einen Schild vor mich, aber sie war schon wieder weg. Das Zimmer fing an sich zu drehen. Sie hatte das silberne Schuppenband auf meinem Rücken gesehen. Ich schlug die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.
Sie flüsterten miteinander, Glisseldas Stimme überschlug sich vor Aufregung, Millies Stimme war ruhig und bestimmt. Ich zog Millies Unterhemd über den Kopf. In meiner Hast zerriss ich beinahe eine Naht an der Schulter, ich wusste nicht mehr, wo meine Gliedmaßen waren und wie ich sie bewegen sollte. Ich kauerte mich auf den Fußboden, knüllte meine eigenen Kleidungsstücke zusammen und presste sie vor den Mund, weil ich so heftig atmen musste. Ängstlich wartete ich darauf, dass eine von beiden etwas sagte.
»Fina?«, fragte Prinzessin Glisselda endlich und rüttelte an der Trennwand wie an einer Tür. »Was ist los? Hast du ein Gelübde abgelegt?«
Mein umnebeltes Hirn konnte sich auf diese Frage keinen Reim machen. Was war ein Gelübde? Ich wollte schon Nein sagen, konnte mich jedoch gerade noch beherrschen. Sie bot mir eine Ausrede an, jetzt musste ich nur noch herausfinden, welche.
Wie durch ein Wunder brachte ich es fertig, still zu sein. Die Tränen, die über meine Wangen rollten, konnte sie ja nicht hören. Ich holte tief Luft, dann sagte ich zittrig: »Wieso ein Gelübde?«
»Dieser silberne Gürtel – trägst du ihn, weil du ein Gelübde abgelegt hast?«
Ich dankte allen Heiligen und ihren Hunden. Glisselda hatte offenbar ihren eigenen Augen nicht getraut. Man konnte ja auch nicht ernsthaft annehmen, dass Drachenschuppen aus einem Menschenleib wuchsen, nein, ganz gewiss gab es eine andere Erklärung dafür.
Ich räusperte mich, damit man nicht hörte, dass ich geweint hatte, und sagte so beiläufig wie möglich: »Ach das, ja. Ein Gelübde, das ich für eine Heilige abgelegt habe.«
»Und für welche?«
Welche Heilige … welche Heilige … Mir fiel keine einzige Heilige ein.
Zum Glück kam mir Millie zu Hilfe. »Meine Tante hat ein eisernes Fußband zu Ehren von Sankt Vitt getragen. Und es hat funktioniert: sie ist von allen Zweifeln verschont geblieben.«
Ich kniff die Augen zu. Wenn ich nichts sah, was mich ablenkte, war es einfacher, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich beschloss, ein Körnchen Wahrheit hinzuzufügen. »Am Tag, an dem ich gesegnet wurde, war die Heilige Yirtrudis meine Patronin.«
»Die Häretikerin?« Die zwei Mädchen hielten bestürzt den Atem an. Keine von beiden schien zu wissen, worin Sankt Yirtrudis’ Irrlehre eigentlich bestand, aber das kümmerte sie nicht weiter. Allein die Vorstellung, dass sie eine Häretikerin war, reichte schon.
»Der Priester meinte, der Himmel habe Sankt Capiti als meine Patin vorgesehen«, fuhr ich fort. »Seit diesem Tag trage ich einen silbernen Gürtel, um, ähm, keiner Irrlehre zu verfallen.«
Sie waren davon hinreichend beeindruckt, um von mir abzulassen. Nur das scharlachrote Kleid, das aus ihrem Streit als Sieger hervorgegangen war, nötigten sie mir noch auf. Sie frisierten meine Haare und riefen ein ums andere Mal, wie hübsch ich doch wäre, wenn ich mir nur ein bisschen Mühe gäbe. »Behalte das Kleid«, bat Millie. »Ziehe es am Abend der Friedensfeiern an.«
»Du bist die Großmut in Person, liebste Millie!«, sagte Glisselda und kniff Millie stolz ins Ohr, als wäre sie ihre eigene Erfindung.
Es klopfte an der Tür. Dame Okra trat ein und stellte sich auf die Zehenspitzen, damit sie Millie über die Schulter schauen konnte. »Ist sie wieder zusammengeflickt? Ich habe gerade jemanden getroffen, der sie unverzüglich in Sicherheit bringen kann – danach muss ich ein Wort mit Euch sprechen, Infanta.«
Millie und die Prinzessin halfen mir aufzustehen. »Es tut mir so leid«, flüsterte mir Glisselda mitleidig ins Ohr. Ich schaute sie an. Die drei Gläser Schnaps, die ich getrunken hatte, ließen zwar alles leicht verschwommen erscheinen, aber das Glitzern in ihren Augenwinkeln war keine Täuschung.
Dame Okra schob mich zur Tür hinaus, wo mein Vater auf mich wartete.