Dreißig

Durch den schillernden Schwarm der Höflinge hindurch hatte Glisselda uns sofort erspäht. Sie lächelte, aber als sie unsere ernsten Mienen sah, wurde ihr Blick fragend. »Ich muss mich kurz zurückziehen«, sagte sie zu den Edelleuten, die sich um sie geschart hatten. »Wichtige Staatsgeschäfte und so weiter.«

Glisselda erhob sich majestätisch und führte uns rasch in einen kleinen Nebenraum, in dem nur ein porphyrisches Sofa stand. Sie schloss die Tür hinter sich und ließ uns setzen. »Was gibt’s Neues aus der Stadt?«, fragte sie.

»Ausgangssperre. Die Stadt ist abgeriegelt«, sagte Kiggs und ließ sich so ungelenk auf das Sofa nieder wie ein schmerzgeplagter alter Mann. »Mir graut schon vor morgen, wenn es sich herumspricht, dass Comonot einen Bürger in der Kathedrale getötet hat – egal, ob aus Notwehr oder nicht.«

»Könnt Ihr diese Information nicht zurückhalten?«, fragte ich von meinem Platz neben der Tür aus, weil ich mich nicht neben ihn setzen wollte, kam mir aber auch dort fehl am Platz vor.

»Wir versuchen es«, sagte er unwirsch. »Aber die Sache mit Imlann und der Kleinen Arde hat sich rasend schnell herumgesprochen. Offensichtlich wimmelt es im Palast nur so von undichten Stellen.«

Ich hatte einen Verdacht, wer eine solche undichte Stelle sein könnte. »Ich muss der Prinzessin und Euch etwas mitteilen.«

Glisselda nahm mich am Arm und nötigte mich, zwischen ihr und Kiggs auf dem Sofa Platz zu nehmen. Dabei lächelte sie, als wären wir die netteste und heimeligste Gesellschaft, die man sich vorstellen konnte. »Schieß los, Fina.«

Ich holte tief Luft. »Bevor Comonot angegriffen wurde, sah ich, wie Graf von Apsig sich mit einem Priester unterhielt, der eine Kapuze trug. Ich glaube, dieser Priester war Thomas Broadwick«, fing ich an.

»Du glaubst es nur«, erwiderte Kiggs skeptisch und rutschte auf dem Sofa hin und her. »Das heißt, du bist dir nicht ganz sicher. Oder hast du etwa gehört, worüber sie geredet haben?«

»Ich habe Josef zuvor in der Stadt gesehen, als er zusammen mit einigen Söhnen den Fluch Sankt Ogdos gesprochen hat«, redete ich weiter.

»Wenn er sich wirklich den Söhnen angeschlossen hat, dann ist das eine ernste Angelegenheit«, sagte Kiggs. »Aber da gibt es einen Widerspruch. Entweder ist er einer der Söhne von Sankt Ogdo oder er ist ein Drache. Beides zugleich kann nicht sein.«

Nach meinem Gespräch mit Comonot war ich auf diesen Einwand gefasst. Ich erklärte ihm, wie teuflisch schlau es war, die Söhne in die Intrige hineinzuziehen, und fügte hinzu: »Orma sagte, Imlann wäre da, wo wir ihn am wenigsten vermuten. Und wo würden wir ihn weniger vermuten als bei den Söhnen?«

»Ich verstehe immer noch nicht, wie ein Drache es bewerkstelligen könnte, hier am Hof zu leben – und dies schon seit Jahren –, ohne dass ihn andere Drachen am Geruch erkannt hätten«, sagte Kiggs.

»Indem er so tut, als würde er alle Drachen verachten, und deshalb sofort den Raum verlässt, wann immer ein Saarantras ihn betritt«, überlegte Glisselda.

»Er könnte seinen Geruch leicht mit Parfüm überdecken«, sagte ich und fühlte mich ganz elend dabei. Da saß ich in all meiner Abscheulichkeit, eingezwängt zwischen den beiden, und sie hatten nicht die leiseste Ahnung. Ich presste die Hände zwischen die Knie, damit ich nicht anfing, meine Handgelenke zu betasten. »Aber das ist noch nicht alles«, fuhr ich fort.

Ich erläuterte ihnen meinen Verdacht gegen Imlann. Was ich aus den Erinnerungen meiner Mutter wusste, verschwieg ich allerdings: nämlich dass Imlann hier war, um herauszufinden, wie geschwächt die Dracomachie in Wirklichkeit war, und dass die Verschwörung das Ziel hatte, Comonot zu töten. »Vielleicht ist es jetzt vorüber, vielleicht war der Angriff zugleich ihr letzter, aber ich bezweifle es. Ich glaube, sie werden es erneut versuchen.«

»Wer sind sie?«, fragte Kiggs. »Wer steckt hinter diesem Anschlag, den du uns wie aus heiterem Himmel präsentierst? Die Söhne? Oder ein Imlann in Mehrzahl?«

»Lucian, sei nicht so besserwisserisch«, sagte Glisselda und legte ihren Arm um mich.

Ich kam ins Stottern. »Vieles von dem, was ich gesagt habe, vermute ich nur, aber … aber es wäre unklug, diese Möglichkeiten außer Acht zu lassen …«

»Und worauf stützt du deine Vermutungen?«, fragte Kiggs. Glisselda langte an mir vorbei und gab ihm einen Klaps auf den Kopf. »Aber wieso denn?«, protestierte Kiggs. »Das ist eine wichtige Frage! Woher stammen diese Hinweise und wie glaubhaft sind sie?«

Die Prinzessin reckte stolz das Kinn. »Die Hinweise kommen von Fina, und was Fina sagt, glaube ich.«

Er verzichtete auf jeden weiteren Einwand, aber man merkte, wie schwer ihm das fiel.

»Wenn ich könnte, würde ich es Euch verraten«, sagte ich beschwörend. »Aber ich muss Rücksichten nehmen und –«

»Das Erste, worauf ich Rücksicht nehmen muss, ist die Wahrheit«, erwiderte Kiggs bitter. »Und zwar immer.«

Glisselda setzte sich gerade hin und rückte ein kleines Stückchen von mir ab. Ich begriff sofort, dass sie mich nicht weiter verteidigen würde. Natürlich musste sie meine Treue zu ihr in Zweifel ziehen, wenn ich von irgendwelchen eigenen Rücksichtnahmen sprach. Trotzdem sagte sie gleichmütig: »Ob es diese Verschwörung nun gibt oder nicht, Tatsache ist, jemand wollte den Ardmagar töten, und es ist ihm nicht gelungen. Für einen zweiten Versuch bleibt ihnen nicht mehr viel Zeit.«

Kiggs atmete hörbar aus. Sorgenvoll fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. »Du hast recht, Selda. Wir können es uns nicht leisten, die Hände in den Schoß zu legen. Besser, wir sind übervorsichtig als unvorsichtig.«

Wir verzichteten auf weitere Haarspaltereien und steckten die Köpfe zusammen, um uns einen Plan auszudenken, der die Königin und Comonot aus dem Spiel ließ. Es lag jetzt ganz allein an uns, den Frieden zu bewahren. Wir mussten nur dafür sorgen, dass der Ardmagar eine weitere Nacht unbeschadet überstand, damit die Friedensfeierlichkeiten ohne weitere Tote über die Bühne gehen konnten. Dann würde Comonot ohnehin nach Hause zurückkehren. Wenn es das Komplott tatsächlich gab und die Verschwörer ihn in Tanamoot töten wollten, konnten wir es ohnehin nicht verhindern.

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Kiggs beschloss, die Sicherheitsvorkehrungen im Palast zu verstärken, obwohl das kaum noch möglich war, es sei denn, man zwänge die ausländischen Würdenträger, auf dem Ball mit den Wachen zu tanzen. Er setzte zudem Botschafter Fulda davon in Kenntnis, dass im Palast womöglich eine ernste Gefahr auf Comonot lauere, und bat darum, Eskar und die Kleine Arde zurückzuberufen, damit sie hier aushelfen könnten. Berichten zufolge waren sie schon viele Meilen weit weg, und es war nicht sicher, ob sie rechtzeitig wieder hier sein würden. Glisselda fiel die Aufgabe zu, sich so oft wie möglich in der Nähe des Ardmagar aufzuhalten. Sie beklagte sich zwar, dass sie dann keine Gelegenheit mehr hätte, den Tertius vor dem Konzert zu üben, aber das Funkeln in ihren Augen verriet, dass sie dieses Komplott viel mehr interessierte als ihre Musik.

Ich hatte meine eigenen Pflichten. Ich würde Viridius zur Seite stehen und für die Unterhaltung sorgen. Darauf musste ich mich bis zum Ball konzentrieren, danach konnte ich für den Ardmagar das Kindermädchen spielen.

Insgeheim hatte ich mir noch einiges mehr vorgenommen. Ich wollte, dass meine drei Artgenossen an dem Ball teilnahmen. Wir würden jede Hilfe brauchen, die wir haben konnten.

Sobald ich wieder in meinem Zimmer war, ging ich zu Abdo in den Garten der Grotesken. Er hing kopfüber in seinem Feigenbaum, aber als ich näher kam, sprang er herunter und bot mir ein paar Kolanüsse an.

»Ich habe deine Tanztruppe heute aus der Ferne gesehen«, sagte ich und setzte mich mit übergeschlagenen Beinen neben ihn auf den Boden. »Ich hätte gerne mit euch gesprochen. Es ist mir nämlich unangenehm, dich um Hilfe zu bitten, wo ich dich ja noch nie persönlich getroffen habe.«

»Sag so etwas nicht, Madamina! Natürlich werde ich dir helfen, wenn ich kann.«

Ich berichtete ihm, was im Gange war. »Bring deine ganze Truppe mit. Ich werde euch auf den Spielplan setzen. Zieht etwas an, das ähm … «

»Wir wissen, was sich am Hofe von Goredd schickt.«

»Natürlich wisst ihr das. Entschuldige. Es werden noch andere von unserer Art da sein, andere … wie hieß das porphyrische Wort, das du gebraucht hast?«

»Ityasaari?«

»Ja. Kennst du den Lauten Lauser und Madame Pingelig? Sie leben auch hier im Garten.«

»Natürlich«, antwortete er. »Ich sehe alles, was du mir zu sehen erlaubst.«

Nur mit Mühe konnte ich ein Schaudern unterdrücken. Ich fragte mich, ob er meine Gefühle im Wind riechen konnte, so wie Jannoula. »Ich möchte, dass ihr einander beisteht und helft, genauso wie du mir hilfst.«

»Dein Wille ist mir Befehl, Madamina. Du sagst, was getan wird. Und ich werde warten und bereit sein.«

Ich lächelte ihn dankbar an, dann stand ich auf und klopfte den Staub aus meinen Kleidern.

»Heißt Madamina auf Porphyrisch Mädchen, so wie Grausleine auf Samsamesisch?«

Er riss die Augen auf. »Um Himmels willen, nein. Es heißt General.«

»Warum nennst du mich so?«

»Warum nennst du mich Flederchen? Ich musste dir doch irgendeinen Namen geben. Außerdem kommst du jeden Tag hierher und inspizierst uns wie ein General seine Truppen.« Mit einem verlegenen Lächeln fügte er hinzu: »Vor langer Zeit hast du jemandem deinen Namen genannt – dem Mädchen mit den schönen grünen Augen, das du später weggeschickt hast. Damals hast du den Namen laut ausgesprochen, aber ich habe ihn nicht richtig verstanden.«

Um uns herum blies der Wind des Erstaunens und hüllte uns ein.

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Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wo Lars in der vergangenen Nacht geschlafen hatte. Aber es gab so mancherlei Hinweise, die mich im Stillen fürchten ließen, dass ich womöglich bald weit mehr von Viridius sehen würde, als mir lieb war.

Ich wartete bis zum Morgen und machte mir eine kräftige Tasse Tee; danach betrat ich sofort meinen Garten. Ich nahm den Lauten Lauser bei der Hand und ließ mich gemeinsam mit ihm auf eine Vision ein. Zu meinem Erstaunen lag plötzlich die ganze Welt unter mir ausgebreitet: die Stadt, rot schimmernd im Morgengrauen, das blitzende Band des Flusses, in der Ferne die Hügel mit den Wiesen und Äckern. Lars stand auf den Zinnen des Wachturms, mit jedem Fuß auf einer anderen Zinne, spielte seinen Dudelsack, um die Stadt und den Morgen zu begrüßen, er ließ sich von meiner ätherischen Erscheinung dabei nicht stören. Ich wartete, bis er fertig war, und genoss insgeheim das Gefühl, über die Stadt zu fliegen und von seiner Musik getragen zu werden. Es war aufregend, in solcher Höhe zu schweben, ohne Angst haben zu müssen, dass man hinunterfällt.

»Bist du das, Serafina?«, fragte er schließlich.

Ich bin’s. Ich brauche deine Hilfe.

Ich sagte ihm, dass ich Angst hätte um den Ardmagar und womöglich blitzschnell seinen Beistand bräuchte. Andere unserer Art namens Abdo und Dame Okra würden auch da sein, um zu helfen, und ich beschrieb, woran er sie erkennen könnte. Falls Lars erstaunt war, dass es außer ihm noch andere Halbdrachen gab, ließ er sich das mit seinem samsamesischen Gleichmut nicht anmerken. Er fragte: »Aber von wo kommt die Gefahr, Serafina? Ein Angriff auf das Schloss? Ein Verräter innerhalb der eigenen Mauern?«

Ich wusste nicht, wie ich ihm beibringen sollte, wen ich im Verdacht hatte. Vorsichtig sagte ich: Ich weiß, dass du nicht gerne über Josef sprichst, aber –

Er schnitt mir das Wort ab. »Nein. Über ihn habe ik niks zu sagen.«

Vielleicht hat er etwas damit zu tun. Womöglich ist er sogar der eigentliche Drahtzieher.

Lars machte ein langes Gesicht, aber sein Entschluss stand fest. »Wenn es so ist, werde ik mik gegen ihn stellen und dir helfen. Aber ik habe geschworen, nikt zu sagen, was er ist.« Geistesabwesend fingerte er an seinem Dudelsack herum. »Vielleikt«, sagte er schließlich, »komme ich bewaffnet.«

Ich glaube nicht, dass Kiggs irgendjemand außer den Palastwachen erlaubt, Waffen zu tragen.

»Ik habe immer meine Fäuste und meine Dudelsackpfeifen bei mir.«

Ähm, ja, so ist es recht, Lars.

Es würde ein denkwürdiger Abend werden, so viel stand fest.

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Ich war schlau genug, auf einen Gedankenbesuch bei Dame Okra zu verzichten. Am Abend des Friedensfestes wollte ich nicht mit schwarz und blau geschlagener Nase auftauchen.

Den ganzen Vormittag über verrichtete ich zügig, wenn auch etwas lustlos meine Arbeit. Ich überwachte das Aufhängen der Girlanden, das Aufstellen der Kerzenleuchter und der Tischchen, das Heranschaffen des Cembalos – das aussah wie ein Sarg, als es ohne seine Beine von vier Männern durch die Tür getragen wurde –, und zahllose andere Kleinigkeiten, die im letzten Augenblick erledigt werden mussten. Währenddessen versuchte ich immer wieder, die Aufmerksamkeit von Dame Okra auf mich zu lenken, ohne sie direkt anzugehen. Meine Bemühungen, sie zum Erscheinen zu bewegen, mein vorgetäuschtes Grämen – ich seufzte und murmelte ein ums andere Mal: »Jetzt könnte ich die Hilfe von Dame Okra wirklich brauchen« – war nie von Erfolg gekrönt.

Zum Schluss blieb mir kaum noch genug Zeit, in mein Zimmer zu eilen und mich zum Abendessen umzuziehen. Ich hatte mir bereits das scharlachrote Kleid zurechtgelegt, das Millie mir geschenkt hatte, damit ich nicht lange überlegen und nur die Überkleider wechseln musste. Auf diese Weise brauchte ich mich nicht der Gefahr auszusetzen, von jemandem nackt gesehen zu werden. Jeden Moment konnte eine Magd auftauchen, die mir die Haare richten sollte. Glisselda hatte darauf bestanden, sie war sogar so weit gegangen, mir anzudrohen, dass Millie mich frisieren würde, wenn ich es nicht selbst tat.

Das Mädchen kam und bändigte mein Haar. Als ich in den Spiegel blickte, war ich zuerst entsetzt, wie lang mein Hals war. Sonst fiel mein Haar darüber, aber jetzt, wo es hochgesteckt war, hatte ich eine unverkennbare Ähnlichkeit mit einer Mischung aus Kamel und Giraffe. Auch der tiefe Ausschnitt von Millies Kleid half da nichts. Puh.

Ormas Ohrring baumelte an einer goldenen Kette um meinen Hals – nicht so sehr, weil ich damit rechnete, ihn auch tatsächlich einzusetzen, sondern als etwas Liebgewonnenes, das man braucht, um die Nerven zu beruhigen. Niemand konnte wissen, wo Orma war oder ob er überhaupt einen solchen Hilferuf hörte. Als Schmuckanhänger war der Ohrring jedoch außergewöhnlich. Ich hatte keine Angst mehr, dass der Ardmagar ihn erkennen würde. Falls er auch nur ein Wort gegen Orma sagte, nur ein einziges Wort, würde er sich eine gehörige Portion Ärger einhandeln.

Und es sollte mir nur ja keiner kommen und es auf den Ardmagar abgesehen haben, während ich ihm so richtig die Meinung sagte.

Ich war noch nie zuvor auf einem so prachtvollen Fest gewesen. Zwar hatte man mich ganz weit weg vom Herrschaftstisch platziert, aber ich konnte trotzdem alles bestens sehen. Der Ardmagar thronte zwischen der Königin und Prinzessin Dionne, Kiggs und Glisselda saßen auf der anderen Seite der Königin und schauten sich im Saal um. Zuerst dachte ich, sie wären nur besonders wachsam, aber dann erblickte mich Glisselda. Sie winkte fröhlich und machte ihren Cousin auf mich aufmerksam. Der brauchte einen Moment, bis er mich erkannte, denn ich sah ganz anders aus als sonst.

Nachdem sich seine Verblüffung gelegt hatte, begann er zu lächeln.

Es wurden so viele verschiedene Speisen gereicht, dass ich sie kaum alle aufzählen könnte. Es gab Wildschwein, Reh und Geflügel aller Art, eine Pfauenpastete, die mit dem großen Pfauenschwanz geschmückt war, Salat, frisches Weißbrot, Mandelpudding, Fisch, Feigen und Datteln aus Ziziba. Meine Tischgenossen, entfernte Verwandte irgendwelcher Fürsten und Grafen, die am vornehmen Ende der Tafel saßen, lachten nachsichtig über meinen Ehrgeiz, alle Köstlichkeiten zu probieren. »Das ist unmöglich«, sagte ein älterer Mann mit Ziegenbärtchen. »Jedenfalls, wenn du aus eigener Kraft wieder von hier weggehen willst.«

Das Festessen endete mit einer hohen flambierten sechsstöckigen Torte, die, aus welchem Grund auch immer, den Leuchtturm von Ziziba darstellen sollte. Aber ich war zu satt – und inzwischen auch schon zu aufgeregt –, um mir davon zu nehmen.

Dem Himmel sei Dank konnte ich mich auf meine Musiker verlassen, denn ausgerechnet jetzt steckte ich mitten im Gedränge fest, weil alle Gäste sich in den Großen Saal aufmachten. Ich hätte es niemals geschafft, rechtzeitig da zu sein und allen Anweisungen zu geben.

Als ich mich dann endlich bis zu ihnen durchgekämpft hatte, fidelte das Orchester bereits die Ouvertüre, eines dieser typischen Rondo-Stücke, die man so lange hintereinander spielen konnte, bis die königliche Familie eingetroffen war und der erste Tanz beginnen konnte.

Irgendjemand packte mich am rechten Oberarm und flüsterte mir ins Ohr: »Bist du bereit?«

»So bereit, wie man für das Unbekannte nur sein kann«, antwortete ich, wagte es aber nicht, den Fragesteller anzublicken. Er roch nach Mandeln und Marzipantorte.

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er nickte. »Selda hat eine Flasche mit Kaffee aus Ziziba irgendwo für dich auf die Bühne gestellt, falls du schläfrig wirst.« Kiggs tippte mir auf die Schulter und sagte: »Reserviere die Pavane für mich.«

Dann verschwand er in der Menge.

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