18
Wiedergutmachung
Kishan und ich suchten mit den Augen das Deck ab, konnten aber nichts sehen.
Die Stimme in der Nacht wiederholte den Befehl: »Ich sagte: Lass. Sie. Los!« Ein dunkler Schatten glitt ins Licht, stand an der Brüstung über uns.
Ich keuchte auf und flüsterte: »Ren?«
Kishan trat einen Schritt zurück und zog mich an sich. Ren knurrte wild, sprang geschmeidig vom Oberdeck nach unten – ganz in Weiß, barfuß, mit lodernden blauen Augen – und landete in der Hocke. Er erhob sich langsam und pirschte auf uns zu wie ein Racheengel, erfüllt vom Zorn Gottes.
Eiskalt und erbarmungslos sagte er: »Ich will mich nicht wiederholen müssen.«
Seine Blicke ruhten unverwandt auf Kishan. Sein unerbittlicher Gesichtsausdruck war furchteinflößend.
»Ren?«, sagte Kishan. »Was ist los? Beruhige dich. Du bist nicht du selbst.« Ohne den Blick von Ren zu lösen, machte er einen Schritt zurück, verlagerte leicht das Gewicht und flüsterte: »Kells? Stell dich hinter mich. Langsam.«
Ich schluckte trocken, schob mich hinter ihn und nahm zaghaft meine Hand von Kishans Arm. Ren beobachtete uns, wie eine Katze eine in die Enge getriebene Maus beobachtet. Er blinzelte und neigte den Kopf, betrachtete mit kühler Berechnung jede unserer Bewegungen. Kishan begann, mit tiefer, leiser Stimme auf ihn einzureden, während wir zwei uns Schritt für Schritt rückwärts bewegten.
Kishan gab mir leise Anweisungen: »Wenn sich Ren auf uns stürzt, lauf los. Ich kümmere mich um ihn, während du Kadam holst.«
Ich nickte gegen seinen Rücken.
Ren machte einen Satz nach vorne. »Geh weg von ihr, Kishan. Sofort!«
Kishan schüttelte den Kopf. »Ich lasse nicht zu, dass du ihr wehtust.«
»Ihr wehtun? Ich werde ihr kein Härchen krümmen. Dich allerdings werde ich wie eine Fliege zermalmen.«
Kishan hielt eine Hand hoch. »Ren, ich weiß nicht, was in dich gefahren ist. Vielleicht ist es das Krakengift. Beruhige dich einfach.«
»Vishshva!«, fauchte Ren. Dann schrie er Kishan auf Hindi an und redete so schnell, dass ich kein einziges Wort verstehen konnte. Ich wusste nicht, was er sagte, aber Kishan brodelte vor Wut und straffte sich. Ein warnendes Grollen erscholl in seiner Brust.
Durch zusammengepresste Zähne sagte Kishan leise: »Kelsey? Zeit zu gehen. Lauf.«
Ich hatte mich gerade umgedreht, als ich einen schrecklichen Schmerzensschrei hörte und ein Geräusch, als knallte etwas Schweres auf das Deck. Ich wirbelte herum und sah Kishan, der über einem ausgestreckt daliegenden Ren stand.
»Was hast du getan?«
»Nichts. Er hat sich an den Kopf gefasst und ist gefallen.«
Ren kniete nun, den Kopf vornübergebeugt, sodass sein Kopf das Deck berührte. Seine Hände krallten sich in sein Haar, und er drehte und zog an den Strähnen, während er qualvoll stöhnte. Plötzlich warf er den Kopf nach hinten und drückte die Brust vor. Mit geballten Fäusten schrie er vor Schmerz auf – die Art Todesschrei, die jedem einen Schauder den Rücken hinablaufen lässt, der ihn hört. Es war ein Schrei der schlimmsten Höllenqualen, und darin hörte ich den Widerhall von Lokeshs Lachen, während er Ren Schmerzen zufügte, das Leiden der monatelangen Folter, das unsägliche Gefühlschaos, nichts zu haben, wofür es sich zu leben lohnte.
Ich musste zu ihm. Er brauchte mich. Seine Qualen sickerten in meinen Körper, bis sie ein eigenständiges Dasein zu führen schienen. Ich musste sie bezwingen. Ein solches Leiden konnte ich nicht zulassen, durfte nicht erlauben, dass er derart unerträgliche Schmerzen litt. Irgendwie wusste ich, dass ich diese Dunkelheit besiegen konnte, diese Finsternis, die sein Bewusstsein, seine Seele überschattete.
Das war der Moment, als ich es spürte. Unter der Qual, unter der Verzweiflung war etwas Unzerstörbares, etwas Starkes, Unerschütterliches. Es war zurück. Die Brücke zwischen Ren und mir war wiederaufgebaut. Sie war unter Wellen des Schmerzes begraben gewesen. Sie war überflutet, aber sie war da, solide und standhaft. Ich machte ein paar Schritte auf ihn zu, doch Kishan hielt mich zurück.
Ren sackte wieder nach vorne, stützte sich auf zitternden Armen ab, keuchte. Mein Herz schlug heftig, fast als würde es im Gleichklang mit seinem pochen. Ich spürte, wie meine Beine bebten, ein Spiegelbild seines eigenen Zitterns. Schließlich trat Kishan einen Schritt vor und streckte die Hand aus. Ren holte mehrmals tief Atem und umklammerte dann die Hand seines Bruders. Langsam stand er auf und hob den Kopf, aber er blickte nicht zu Kishan. Er sah nur mich an.
Ich erstarrte. Meine Haut kribbelte überall. Mein Puls hämmerte durch meine Adern.
»Ist bei dir … alles in Ordnung?«, fragte Kishan.
Ren antwortete, ohne die Augen von mir zu lassen. »Ja, endlich wieder.«
»Was war los?«, fuhr Kishan fort.
Ren seufzte schwer und sah widerstrebend zu seinem Bruder. »Der Schleier des Vergessens ist gelüftet.«
»Ein Schleier? Welcher Schleier?«
»Der Schleier in meinem Kopf. Der Schleier, den Durga dort aufgehängt hat.«
»Durga?«
»Ja«, erwiderte er flüsternd. »Ich erinnere mich jetzt.« Sein Blick huschte wieder zu mir. »Ich erinnere mich an … alles.«
Ich keuchte leise auf. Die Nachtluft hing nun schwer um uns, warm und schwül, wo sie zuvor noch kühl und frisch gewesen war. Ein vibrierendes Summen in meinem Körper wärmte meine Muskeln, massierte sie, schüttelte den Stress ab, der sie noch vor wenigen Sekunden verkrampft hatte, und mein Bewusstsein konzentrierte sich auf eine einzige Sache: den Mann, der mich mit seinen strahlend blauen Augen inbrünstig ansah. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Starre verharrten. Niemals hätte ich geglaubt, dass irgendetwas diese Verbindung trennen könnte, doch dann trat Kishan vor mich und baute sich vor seinem Bruder auf.
»Bleib hier«, sagte er zu Ren. »Wir gehen nur kurz hinunter, um Kadam zu holen, und dann kommen wir sofort zurück. Hörst du mir zu? Ren?«
Ren antwortete, ohne die Augen von mir zu nehmen. »Ja. Ich bleibe hier und warte.«
»Gut«, schnaubte Kishan. »Komm, Kells.« Er nahm meine Hand und begann, mich von Ren wegzuführen. Ich folgte ihm ruhig, ließ meine Schritte von ihm leiten, während mein Verstand über das nachdachte, was eben vorgefallen war.
Gerade als wir um die Ecke bogen, hörte ich Rens flehende Stimme, kaum mehr als ein Flüstern in der nächtlichen Brise. »Geh nicht, Iadala. Bleib bei mir.«
Ich sog scharf die Luft ein und drehte mich um, konnte ihn jedoch nicht mehr sehen. Kishan drückte meine Hand und zog mich hinter sich her. Als wir an Mr. Kadams Tür ankamen, klopfte Kishan sanft. Die Tür öffnete sich erst einen Spalt und dann vollends, um uns Eintritt zu gewähren.
Mr. Kadam trug den Morgenrock eines Gentleman, die Art von Nachtwäsche, die Männer vor hundert Jahren getragen hätten, kurz bevor sie zu Bett gingen. Kishan erklärte rasch die Situation. Sie wollten beide, dass ich an Ort und Stelle blieb, während sie mit Ren redeten. Sie waren unnachgiebig, und ich stand zu sehr unter Schock, um mich zu weigern. Ich setzte mich in Mr. Kadams Sessel und zog einen schweren Folianten auf meinen Schoß.
Ich klappte das Buch auf, vermochte jedoch nicht zu lesen. Mein Verstand war wie ausgeschaltet. Mein Körper war allein mit meinen Gefühlen beschäftigt, und im Moment konnte ich mich auf nichts konzentrieren als auf das starke Band in meinem Innersten. Das Loch, das fehlende Glied, der abgeschlagene, klaffende Teil von mir, der seit Shangri-La verschwunden war, war zurück, und ich spürte das andere Ende. Ich war wieder mit Ren verbunden. Ich war allein gewesen. Der harschen Welt schutzlos ausgeliefert. Und jetzt … war ich es nicht mehr.
Selbst hier, viele Decks entfernt von ihm, konnte ich die Wärme seiner Gegenwart spüren, als wäre eine weiche Decke um meine Seele gelegt worden, um mein Herz. Sie gab mir Halt und beschützte mich. Ich war ein Küchensieb gewesen, eine löchrige Schüssel, die nur die groben Dinge auffing, während die kostbaren Tropfen unserer emotionalen Verbundenheit unaufhaltsam aus mir hinausgelaufen waren.
Jetzt waren diese Löcher geschlossen, und ich füllte mich von innen. Barst mit etwas, das mich weinerlich und zitternd zurückließ. Er erinnert sich. Immer und immer wieder sagte ich mir diese Worte vor. Ich fühlte mich wie benommen, als hätte ich einen Hitzschlag erlitten. Ich leckte mir die Lippen, war aber zu schwach, um aufzustehen und mir ein Glas Wasser zu holen.
Da kehrten Kishan und Mr. Kadam zurück. Kishan kniete sich neben mich und nahm meine Hand. Zärtlich streichelte er meinen Handrücken, doch ich spürte seine sanfte Berührung kaum.
»Wie es scheint«, sagte Mr. Kadam leise, »hat Ren sein Gedächtnis zurückerlangt, Miss Kelsey. Er wünscht Sie zu sehen. Fühlen Sie sich dem gewachsen, oder möchten Sie lieber bis morgen warten?«
Ich zögerte und antwortete mehrere Sekunden nicht.
»Miss Kelsey? Geht es Ihnen gut?«
»Mir geht es gut. Ich gehe jetzt zu ihm.«
Mr. Kadam nickte. »Er wartet in der Lounge auf Sie.«
Ich ging einen wackeligen Schritt und blieb schließlich stehen. »Wirst du mich begleiten, Kishan?«
Er küsste mir die Stirn. »Natürlich.«
Wir ließen einen besorgten Mr. Kadam zurück, der uns versprach, die Wache auf der Brücke zu übernehmen, während wir anderweitig beschäftigt waren. Zuerst wollte ich mich noch umziehen. Ich wusch mir das Make-up vom Gesicht und schälte mich aus dem ausgefallenen Kleid. Dann schlüpfte ich in eine Jeans und zog mir ein T-Shirt über den Kopf. Ich entfernte die Blume und bürstete mir das Haar, bevor ich ein Paar Sneakers überstreifte. Kishan wartete vor meiner Tür auf mich, immer noch in seinem Seidenhemd und der Krawatte.
Ich nahm seine Hand, und wir gingen schweigend zur Lounge mit ihren bequemen Sofas. Der Raum war dunkel, und nur das Mondlicht, das durch die Fenster fiel, erhellte unsere Schritte. Eine schattenhafte Gestalt, die sich als Silhouette gegen den Mond abzeichnete, erhob sich. Ich blieb stehen.
Kishan umarmte mich und flüsterte: »Alles wird gut. Du gehst hinein, und falls du mich brauchst, rufst du nach mir.«
»Aber …«
»Nun geh schon!«
Kishans tröstliche Gegenwart war verschwunden, noch bevor ich ein weiteres Mal protestieren konnte. Ich zwang mich, einen Schritt zu gehen und dann noch einen. Ich hatte Angst, wusste jedoch nicht, wovor ich mich fürchtete. Schließlich erreichte ich Ren. Er beobachtete jede meiner Bewegungen mit einer Intensität, die mich nervös machte. Er musste meine Furcht gespürt haben, denn er senkte seinen eindringlichen Blick und zeigte auf eines der Sofas. Angespannt setzte ich mich ihm gegenüber und verschränkte die Hände im Schoß.
Nach einem langen Moment des Schweigens sagte ich: »Du … wolltest mit mir reden?«
Ren lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete mich ruhig.
»Was … willst du … mir sagen?«, stammelte ich.
Er legte den Kopf schief. »Du hast Angst. Das ist völlig unnötig«, sagte er leise.
Ich blickte konzentriert auf meine Hände.
»Du verhältst dich«, fuhr er fort, »wie damals, als ich mich dir in Phets Haus offenbart habe.«
»Ich kann nichts dagegen tun.«
»Ich will nicht, dass du dich vor mir fürchtest, Prija, niemals.«
Meine Augen trafen seine, und ich holte tief Atem. »Du hast gesagt, du erinnerst dich wieder. Ist das wahr?«
»Ja. Ich hatte einen … Trigger.«
Erschrocken fragte ich: »Was war das für ein Trigger? Was hat nach all der Zeit dein Gedächtnis zurückgebracht?«
Er blickte weg. »Das spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass es vorüber ist. Ich erinnere mich an dich. An uns. Kishkindha. Oregon. Ich erinnere mich, gefangen genommen worden zu sein, dich an Kishan übergeben zu haben, den Valentinstanz, den Kampf mit Li, unseren ersten Kuss … An einfach alles.«
Ich stand auf und ging zum Fenster, drehte ihm den Rücken zu und legte meine Hand auf das kühle Glas.
Ren fuhr fort: »Phet hatte recht. Ich habe mir das selbst angetan.«
Ich ballte die Faust und berührte mit der Stirn die Scheibe. Mein Atem ließ das Fenster leicht beschlagen. »Warum?« Meine Stimme brach. »Warum hast du das nur getan?«
Er erhob sich und stellte sich neben mich – nah genug, dass seine Nähe mich aufwühlte. Ren berührte eine meiner Haarsträhnen, und seine Finger strichen sanft über meinen Hals. Ich zuckte zusammen, blieb jedoch, wo ich war.
»Durga hat angeboten, mir dabei zu helfen, dich auszublenden, und sie hat sogar eine unterbewusste Abneigung gegen dich in mir eingepflanzt. So konnte mich Lokesh nicht benutzen, um dich zu finden. Er hat mich Dinge sagen lassen, die ich ihm niemals verraten wollte. Durch irgendeinen Zaubertrick hat er mich halluzinieren lassen. Er war besessen davon, dich aufzuspüren. Dich zu vergessen, war die einzige Möglichkeit, dich zu beschützen. Der einzige Weg, dich zu retten.«
Eine Träne rollte mir die Wange hinab. Weitere folgten, und ich schniefte verhalten.
Er kam einen Schritt näher und legte eine Hand neben meine auf die Scheibe. Dann beugte er sich vor und sagte leise: »Es tut mir so leid, Iadala. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, als du mich gebraucht hast. Mir tun all die Dinge leid, die ich dir gesagt habe. Dein Geburtstag tut mir leid, und am meisten tut es mir leid, dass ich dir das Gefühl gegeben habe, ich würde dich nicht mehr wollen. Das war nie der Fall. Niemals. Selbst als ich mich nicht an dich erinnern konnte.«
Ich lachte und weinte gleichzeitig. »Selbst als Randi hier war?«
»Ich konnte Randi nicht ausstehen.«
»Du hast mich ganz schön an der Nase herumgeführt.«
»Wenn man scheitern will und tatsächlich scheitert, ist das dann ein Erfolg? Ich habe dich absichtlich von mir weggestoßen. Als Kishan dir die Mund-zu-Mund-Beatmung gegeben hat und ich es nicht konnte, wusste ich, dass du jemanden brauchst, der auf dich aufpassen und für dich da sein kann. Ich war nicht der, den du gebraucht hast.
Kelsey, ich erinnere mich an jeden einzelnen Moment, den wir zusammen verbracht haben. Ich erinnere mich an das erste Mal, als du mich in Tigergestalt berührt hast. Ich erinnere mich an unseren Streit in Kishkindha. Ich erinnere mich an die Angst, die mich zerfressen hat, nachdem du von einem Kappa gebissen wurdest. Ich erinnere mich an das Kerzenlicht, das sich bei unserem Valentinstanz in deinen Augen gespiegelt hat. Ich erinnere mich an das erste Mal, als du mir deine Liebe gestanden hast, kurz bevor du aus Indien geflohen bist, und ich erinnere mich, wie ich dich in Oregon an Kishan übergeben habe und dich habe gehen lassen. Damals glaubte ich, das wäre die schlimmste Entscheidung, die ich je zu treffen habe, aber dann hat Durga mir die Möglichkeit geboten, dich zu retten. Ich hätte es fast nicht getan.
Nachdem sie mir meine Erinnerungen genommen hatte, klaffte ein Loch in meinem Herzen. Ich spürte, wie sie aus mir herausgesogen wurden, und ich hätte nichts tun können, um sie festzuhalten. Verzweifelt klammerte ich mich an jeder einzelnen Erinnerung fest, während sie sich auflösten, aus meinem Bewusstsein schwanden. Das Letzte, was ich vergessen habe, war dein Gesicht. Dieses letzte Bild von dir war so real, dass ich versucht habe, es mit meinen Händen zu umfassen und mich daran festzuhalten. Ich weigerte mich, dich loszulassen, doch auch dieses Bild von dir hat sich aufgelöst, bis ich nichts mehr hatte. Mein Herz war gebrochen, und ich konnte mich an den Grund nicht erinnern. Ein solches Leben war schrecklich. Ich wollte, dass Lokesh mich umbringt. Um ehrlich zu sein, freute ich mich geradezu auf die Folter. Sie war zumindest eine Ablenkung von der seelischen Pein.«
Er lehnte den Kopf und die Schulter gegen das Glas, damit er mein Gesicht sehen konnte.
»Dann, eines Tages, seid ihr drei gekommen und habt mich gerettet. Ich wusste nicht, wer ihr wart. Ich hatte das Gefühl, ich müsste dich kennen, aber als Mensch konnte ich nicht in deiner Nähe sein, ohne große Schmerzen zu erleiden. Allerdings füllte sich die Leere in mir, wenn du bei mir warst. Das war die körperlichen Qualen wert. Ich denke nicht, dass Durga das erwartet hat. Dass unser Band stärker ist als die Schmerzen. Und so kamen wir wieder zusammen. Ich habe mich erneut in dich verliebt.
Als ich dann mit dir Schluss gemacht habe, wollte ich dir und mir beweisen, dass ich dich nicht brauche. Ich bin dir aus dem Weg gegangen. Ich habe dich verletzt. Ich habe andere Frauen vorgeführt, damit du mir glaubst, dass ich dich nicht mehr wollte. Aber das war eine Lüge. Zehn Frauen umgaben mich, und dennoch konnte ich an nichts anderes denken, als dass dieser Cowboy seine Hände auf dir hatte. Ich sah nichts weiter als den Schmerz, den ich dir zugefügt hatte. Doch ich war fest davon überzeugt, dass es zu deinem Besten war. Dass du ohne mich glücklicher wärst und ein normales Leben führen könntest. Selbstsüchtig, wie ich bin, habe ich dich in Kishans Arme getrieben, weil ich wusste, dass ich zumindest von Zeit zu Zeit deine Nähe genießen könnte, wenn du mit ihm zusammen wärst.«
»Und du wusstest, er könnte mich beschützen.«
»Ja.«
Ich drehte den Kopf zur Seite, um ihn anzusehen. »Und jetzt?«
»Und jetzt?« Er lachte traurig und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Und jetzt bin ich schlimmer dran als zuvor. Vorher hatte ich zumindest nicht die Erinnerung, wie ich dich in der Küche bei einer Schokoladen-Erdnussbutter-Cookies-Schlacht geküsst habe. Ich erinnerte mich nicht, wie es sich anfühlt, mit dir zu tanzen. Ich erinnerte mich nicht, wie du in deiner blauen Sharara ausgesehen hast. Ich erinnerte mich nicht, wie ich um dich gekämpft oder mit dir gebalgt habe. Mit dir ein Date gehabt oder dich zu Weihnachten zum ersten Mal wiedergesehen und mich … ganz gefühlt zu haben.«
Er seufzte. »Ich weiß, ich habe dir schrecklich wehgetan. Ich weiß, ich habe dich verletzt. Ich weiß, ich habe dein Vertrauen zerstört, deinen Glauben an mich. Sag mir einfach, was ich tun soll. Sag mir, wie ich das hier in Ordnung bringen kann. Wie ich es richten kann. Wie ich dich wieder zurückgewinnen kann. Wenn ich all den Schmerz, den ich dir bereitet habe, auf mich nehmen könnte, würde ich das tun. Du bist mir das Wichtigste auf der Welt, und ich würde alles, einfach alles, opfern, um dich glücklich und in Sicherheit zu wissen. Bitte glaub mir das.«
Ich schniefte und schob mich vor ihn, schlang die Arme um seine Hüfte und hielt ihn fest umklammert. »Ich glaube dir.«
Er drückte mich an seine Brust und streichelte mir schweigend das Haar. So verharrten wir eine lange Weile. Er schien zufrieden zu sein, mich einfach zu halten. Schließlich nahm ich all meine Kraft zusammen und trat einen Schritt zurück.
Ich tätschelte ihm den Arm und sagte: »Wir können morgen reden, Ren. Es ist jetzt weit nach Mitternacht, und ich bin müde. Gute Nacht.«
»Gute Nacht?«, fragte er überrascht.
»Ja. Gute Nacht.« Ich trat noch einen Schritt von ihm fort und spürte seine Hand auf meinem Arm.
»Warte. Ich begleite dich.«
Ich wandte den Blick rasch von seinem verwirrten Gesicht ab und zögerte, bevor ich meine Worte wählte: »Lieber nicht. Kishan … wartet auf mich.«
Sein Gesicht verfinsterte sich. »Du willst immer noch mit ihm zusammen sein?«
Ich seufzte. »Ja.«
»Aber hat nichts von dem, was ich gesagt habe, etwas geändert? Kelsey …« Er packte meine Hand und umschloss sie mit seiner. »Ich kann wieder mit dir zusammen sein. Ich kann dich berühren.« Er brachte meine Hand an seine Wange und presste sie auf sein Gesicht. »Ich kann dich halten. Ich kann in deiner Nähe sein.« Er zog meine Handinnenfläche an seine Lippen und schloss die Augen, als er sie küsste. Ganz langsam öffnete er die Augen wieder, und ich schluckte hart. »Ich weiß, Ren, aber … das spielt keine Rolle. Ich … gehe jetzt mit Kishan.«
Er ließ meine Hand los, und seine blauen Augen gefroren zu Eis. »Was meinst du damit, du gehst jetzt mit Kishan?«
»Kishan und ich sind zusammen. Daran erinnerst du dich doch, oder? Wir reden morgen darüber, okay?« Ich drehte mich um.
Er schnitt mir den Weg ab und sagte mit mühsam beherrschter Stimme: »Ich will nicht morgen darüber reden, Kells. Ich will jetzt darüber reden.«
»Ren, ich habe nicht die Kraft, mich jetzt mit dir zu streiten. Ich brauche Zeit, um all das hier zu verarbeiten. Ich muss ins Bett. Wir sehen uns morgen.«
Er schnappte sich meine Hand und zupfte mich sanft zu sich. Dann zog er mich immer näher, bis meine Nase nur noch wenige Zentimeter von seiner entfernt war und ich den Rücken nach hinten durchdrücken musste, um etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Er lehnte sich vor, und ich kam nicht umhin, seinen Mund anzustarren. Bei dem Gedanken, dass er mich küssen würde, überkam mich Panik, doch er drückte nur die Lippen gegen meine Wange und sagte: »Na schön. Schlaf jetzt, aber sei dir eines eingedenk. Ich werde dich nicht noch einmal aufgeben, meri Aadoo.«
»Was bedeutet das?«
Er lächelte und flüsterte: »Das bedeutet … ›mein Pfirsich‹.«
Er richtete sich auf und ließ mich los. Ich drehte mich um und eilte hastig zur Tür. Kishan wartete neben der Trainingsausrüstung auf mich, und als ich näher kam, streckte er mir die Hand entgegen. Mit einem Lächeln nahm ich sie, während er über meinen Kopf hinwegstarrte. Ich wandte mich um und sah Ren, der lässig im Türrahmen lehnte und uns beobachtete.
Zurück in meiner Kabine, ging ich ins Badezimmer, um mir meinen Pyjama anzuziehen. Kishan wartete in einem Sessel auf mich. Ich schlüpfte ins Bett und setzte mich im Schneidersitz hin.
»Ist bei dir alles okay?«, fragte er.
»Ja. Mir geht’s gut. Ich würde jetzt gerne schlafen und später darüber reden, falls das in Ordnung ist.«
»Natürlich. Ich werde heute Nacht Mr. Kadam helfen. Wir sehen uns morgen.« Er erhob sich und breitete die Decke über mich, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und schloss sanft die Tür hinter sich.
Ich schaltete das Licht aus und drehte und wand mich, bis ich die schwere Decke abgeschüttelt und mich stattdessen in meine Steppdecke eingewickelt hatte. Mit einem Mal fiel mir ein, dass Ren wusste, wie man mich zudeckte, und Kishan nicht. Wütend schleuderte ich Großmutters Plaid auf den Sessel und zog mir die schwere Decke bis ans Kinn, fest entschlossen, so einzuschlafen, wie Kishan mich gebettet hatte. Erst sehr spät fand ich in den Schlaf und warf mich die ganze Nacht unruhig hin und her.
Als ich erwachte, waren meine Füße am Kopfende des Betts und mein Arm baumelte über den Rand. Ich zerrte meinen erschöpften Körper zur Dusche und starrte meine matten, müden Augen im Spiegel an.
Was soll ich nur tun? Ren will einfach dort anknüpfen, wo wir aufgehört haben. Kann ich das? Kann ich Kishan derart verletzen? Bin ich diese Sorte Mensch? Was empfinde ich für Kishan? Auf jeden Fall mehr als Freundschaft. Er ist zuverlässig, sicher, angenehm. Oje! Ich höre mich an, als würde ich ein altes Auto beschreiben. Was bedeutet das? Ist er der Ford Pinto und Ren die Corvette? Nein. So ist das auch wieder nicht. Vermutlich lautet die eigentliche Frage, was genau ich für Ren empfinde.
Mein Herz hämmerte laut, als ich mir erlaubte, ihn mir vorzustellen. Wie ich mich gefühlt hatte, als er mich hielt. Wie mein Herz einen Schlag ausgesetzt hatte, als er mein Handgelenk berührte. Wie ich gebebt hatte, als er mich ansah. Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu konzentrieren. Meine Gefühle von meinem Verstand abzutrennen und die Situation rein logisch zu analysieren.
Nein. Ich bin nicht die Sorte Mensch, die Kishan so etwas antun würde. Ich habe ihm versprochen, dass er nicht mehr allein ist. Ren wusste, was er tat, auch wenn er damals keine Erinnerung hatte. Er hatte seine Chance und hat sie ungenutzt verstreichen lassen. Kishan verdient ebenfalls seine Chance. Na also. Ich habe meine Wahl getroffen. Ich werde bei Kishan bleiben.
Da ich endlich zu einer Entscheidung gekommen war, drehte ich den Schlüssel zu meinem Herzen um. Ich schloss meine Gefühle für Ren tief in mir ein und ließ nur den Teil meines Herzens offen, der Kishan gehörte. Ich fühlte mich beengt und unwohl, doch da war genug von meinem Herzen übrig, um zu funktionieren. Zumindest mehr als ein kleines Stückchen. Was machte es schon, wenn der andere Teil meines Herzens schlug, als hätte man ihm einen Druckverband angelegt? Was machte es schon, wenn es kurz davor stand zu platzen und mich zugrunde zu richten? Was machte es schon, wenn ich mich eingesperrt fühlte und glaubte zu ersticken? Ich könnte lernen, mich daran zu gewöhnen, wie chinesische Mädchen lernen, mit eingeschnürten Füßen zu gehen. Sicher, anfangs wäre es schmerzhaft, aber im Laufe der Zeit würde ich mich damit abfinden.
Ich zog mich an und machte mich widerstrebend auf den Weg zur Brücke. Ich blieb vor Kishans Tür stehen und stieß sie einen winzigen Spalt auf. Er schlief, die Decke um seine Taille gebauscht. Ich ging zum Bett und strich Kishan das Haar aus dem Gesicht. Er lächelte im Schlaf und drehte sich um. Dann marschierte ich zum Aufzug.
Als ich die Glastür erreichte, fand ich dort eine blaue Seidenrose, an der ein Briefchen heftete. Ich zog den Umschlag ab und öffnete ihn. Darin lagen ein Paar Perlenohrringe und ein Gedicht.
Weißt du vielleicht, wie dieses arme, schnörkellose Wesen –
Die Auster – ihren flachen, von Mondlicht beschienenen Kelch mit Edelsteinen füllt?
Wo die Schale ihn verdrießt oder der Meersand ihn grämt,
Bedeckt er seinen Kummer mit diesem wundervollen Prunk.
– Sir Edwin Arnold
Lass mich meine Perle behalten.
Ren
Ich zerknüllte die Notiz und stopfte sie zusammen mit den Ohrringen in meine Tasche. Dann fuhr ich mit dem Aufzug nach oben und ging zur Brücke, wo ich Mr. Kadam vorfand, der fieberhaft über seinen Unterlagen brütete.
»Womit sind Sie beschäftigt?«, fragte ich.
»Kishan und ich haben die Zeichen auf der Himmelsscheibe entschlüsselt.«
»Oh? Und was bedeuten sie?«
»Kishan glaubt, es sind die Hindernisse, die zwischen uns und den weiteren Pagoden liegen. Und aufgemalt ist der Weg, wie man sie sicher umschiffen kann. Wir testen diese Theorie gerade aus. In etwa einer Stunde werden wir die erste Markierung erreichen. Aus diesem Grund habe ich Kishan ins Bett geschickt.«
»Ich verstehe.« Ich bestellte mir von der Goldenen Frucht ein paar Waffeln und setzte mich neben Mr. Kadam, der ungerührt weiterarbeitete.
»Geht es Ihnen besser, Miss Kelsey?«
»Ich … habe nicht besonders gut geschlafen. Ren und ich haben geredet, und er scheint sich wirklich an alles zu erinnern. Aber das macht die Sache nur noch komplizierter.«
»Ja. Ich habe mich heute Morgen eingehend mit ihm unterhalten.«
Ich lenkte meine gesamte Aufmerksamkeit auf den Teller und tauchte die fein säuberlich geschnittenen Waffelstücke in den Sirup. »Ich … würde im Moment lieber nicht darüber reden, wenn das für Sie in Ordnung ist.«
»Natürlich. Sie können sich jederzeit an mich wenden oder auch überhaupt nicht. Ich habe immer ein offenes Ohr für Sie.«
»Vielen Dank für Ihr Verständnis.«
»Immer gerne.«
Eine Stunde später erschien Kishan mit meiner Jacke auf dem Arm, legte sie mir über die Schultern und wandte sich dann den Karten zu, über denen Mr. Kadam gebrütet hatte. Etwas knisterte in meiner Jackentasche. Meine Hand glitt hinein und ich zog ein Blatt Papier heraus. Es war ein Sonett. Genau genommen das Sonett 116, das normalerweise eines meiner Lieblingsgedichte war.
Nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern,
Die wahrhaft gleichgestimmt. Lieb’ ist nicht Liebe,
Die Trennung oder Wechsel könnte mindern,
Die nicht unwandelbar im Wandel bliebe.
O nein! Sie ist ein ewig festes Ziel,
Das unerschüttert bleibt in Sturm und Wogen,
Ein Stern für jeder irren Barke Kiel –
Kein Höhenmaß hat seinen Werth erwogen.
Lieb’ ist kein Narr der Zeit, ob Rosenmunde
Und Wangen auch verblühn im Lauf der Zeit –
Sie aber wechselt nicht mit Tag und Stunde,
Ihr Ziel ist endlos, wie die Ewigkeit.
Wenn dies bei mir als Irrthum sich ergiebt,
So schrieb ich nie, hat nie ein Mann geliebt.
»Was ist los?«, fragte Kishan.
Ich schob den Zettel zurück in die Tasche und errötete schrecklich. »Nichts. Ich … äh … bin gleich zurück. Okay?«
»Okay. Aber beeil dich. Wir sind bald da.«
»Versprochen.«
Ich rannte die Treppe hinunter und stürzte in Rens Zimmer, gerade als er sich ein T-Shirt über den Kopf zog. »Was genau tust du da?«, schrie ich.
Er erstarrte und warf mir dann ein entwaffnendes Lächeln zu, bevor er sich das T-Shirt über die Brust streifte. »Mich anziehen. Und dir auch einen guten Morgen. Was soll das Geschrei?«
»Ich weiß nicht, wie es dir gelungen ist, mir das in die Jacke zu stecken, aber das muss aufhören.«
»Was genau habe ich denn in deine Jacke gesteckt?«
Ich drückte ihm den zerknüllten Zettel in die Hand. »Das!«
Er setzte sich aufs Bett, öffnete langsam das Blatt Papier und strich es auf seiner Jeans glatt. Unwillkürlich quietschte ich auf, als ich bemerkte, dass mich seine sanfte Bewegung in ihren Bann zog.
»Sieht für mich nach einem Shakespeare-Gedicht aus, Kells. Du magst Shakespeare, also was ist das Problem?«
»Das Problem ist, dass ich keine Gedichte mehr von dir will.«
Er lehnte sich zurück und ließ mit dreister Langsamkeit den Blick über mich gleiten. Dann grinste er und sagte: »›Ward je in dieser Laun’ ein Weib gefreit? Ward je in dieser Laun’ ein Weib gewonnen?‹«
»Halt die Luft an, Shakespeare. Ich bin keine widerspenstige Maid, die es zu zähmen gilt. Wie ich dir schon gestern Abend gesagt habe, ich bin jetzt mit Kishan zusammen.«
»Wirklich?« Er stand auf und pirschte sich an mich heran.
Mit einem Schlag konnte ich nicht mehr atmen. Ich wich zurück, bis ich gegen die Wand knallte. Ren drückte die Hände auf beide Seiten meines Kopfes und beugte sich zu mir herunter. Störrisch reckte ich das Kinn, weigerte mich standhaft, von ihm eingeschüchtert zu sein.
»Ja. Das bin ich. Und es ist gut, dass ich hergekommen bin, um mit dir darüber zu reden. Ich will nicht, dass du … die Dinge«, ich schluckte hart, »kompliziert machst.«
Ren lachte aus voller Kehle und drängte sich noch weiter an mich, bis sein Mund mein Ohr berührte. »Du magst es … kompliziert.«
»Nein.« Ich stöhnte, als er mir ins Ohrläppchen biss. »Ich will, dass mein Leben einfach und angenehm ist. Und mit Kishan ist es das.«
»Du willst nicht wirklich etwas Einfaches, nicht wahr, Kelsey?« Seine Lippen pressten sich auf die weiche Haut hinter meinem Ohr, und ich bebte. »Komplikationen«, sagte er und hauchte langsame, neckende Küsse meinen Hals hinab, »machen das Leben erst«, er umfasste meinen Nacken und glitt mit der Hand in mein Haar, »aufregend.«
Ich drehte das Gesicht weg, doch er nutzte die Gelegenheit, um meinen freigelegten Hals zu erkunden.
»Liebe ist kompliziert, Iadala. Hm, du schmeckst köstlich. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gut es sich anfühlt, dich wieder ohne Schmerzen berühren zu können. Dich küssen zu können.« Er drückte mir kitzelnde Küsse auf die Wange und flüsterte: »Ich will in dem Glück baden, dir wieder nahe sein zu können.«
Ich riss die Augen auf, packte seine Schultern, sah ihm fest ins Gesicht und setzte all meine Kraft ein, um ihn wegzustoßen, doch er wich nur ein paar Zentimeter zurück.
»Schluss jetzt, Ren. Ich meine es ernst. Lies … von meinen … Lippen. Ich will Kishan. Nicht dich.«
Seine Augen wurden zu gefährlichen Schlitzen, aber dann funkelte der Schalk darin. »Ich dachte schon, du würdest mich niemals bitten.« Unvermittelt riss er mich in seine Arme. Eine Hand legte sich fest auf meinen Rücken, die andere glitt in meine Haare. Im nächsten Moment presste er seinen Mund auf meinen. Unsere Körper zogen einander an wie zwei Magnete. Eine pulsierende Hitzewelle überspülte mich. Ich hätte schwören können, dass ich ertrank. Ich klammerte mich verzweifelt an ihn, wollte ein Teil von ihm werden. Seine Berührung war vertraut und dennoch neu. Er war wie der Ozean, so riesig, so voller Leben, so unendlich wichtig für die Welt. So unendlich wichtig für meine Welt.
Meine Arme glitten um seinen Hals, während seine Hände meinen Rücken streichelten und mich näher an ihn pressten. Er küsste mich ungestüm, überwältigte mich wie eine riesige Welle. Schon bald versank ich in dem stürmischen Wirbel seiner Umarmung, und dennoch … fühlte ich mich unendlich geborgen.
Ich wurde von diesem dunklen Poseidon geliebt, und obwohl er mich spielend leicht zermalmen, mich in die purpurnen Tiefen seines Sogs reißen konnte, hielt er mich über Wasser, zärtlich und bestimmt. Sein leidenschaftlicher Kuss veränderte sich, wurde sanft und liebevoll und eindringlich. Gemeinsam trieben wir auf einen sicheren Hafen zu. Der Gott des Meeres setzte mich wohlbehalten auf einem Sandstrand ab und stützte mich, als ich zitterte.
Ein perlendes Prickeln schoss durch meine Arme und Beine, versetzte mich mit sanftem Kitzeln in Entzücken, wie sandige Zehen, die von schäumenden Wellen liebkost werden. Schließlich wichen die Wellen zurück, und ich spürte, wie mich mein Poseidon aus der Ferne betrachtete. Wir sahen einander in die Augen und wussten, dass uns dieses berauschende Erlebnis auf ewig verändern würde. Wir wussten beide, dass ich immer dem Meer gehören würde und dass ich mich nie von ihm trennen und dabei ganz bleiben könnte.
Er strich mir mit dem Daumen über die Wange, eine hauchzarte, kaum spürbare Berührung. Ein Teil von mir schrie, dass ich ihn brauchte, dass ich zu ihm gehörte, dass ich dies nie leugnen könnte. Doch der andere Teil fühlte sich schuldig, erinnerte sich, dass es einen anderen gab, der mich liebte, der sich etwas aus mir machte, der verletzt wäre. Und ich hatte ihm ein Versprechen gegeben. Ich trat einen Schritt aus Rens alles verzehrendem Bann. Es funktionierte nicht, aber zumindest holte ich tief Luft, entschlossen, mich nicht von meinem Kurs abbringen zu lassen.
»Hm.« Sein Finger zog eine warme Linie von meiner Schläfe hinab zu meiner Wange und zu meinen Lippen, die er sanft berührte. »Das ist interessant.«
Mit einem Seufzen fragte ich: »Was ist interessant?«
»Trotz deiner Beteuerungen würde ich behaupten, dass deine Lippen mich … definitiv … wollen.«
Ich schob ihn beiseite und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund.
»Kelsey.«
»Nicht.« Ich hielt eine Hand hoch. »Nicht, Ren … nicht. Ich kann das nicht. Ich bin nicht diese Art Mensch. Ich kann so nicht mehr mit dir zusammen sein.«
»Kelsey, bitte …«
»Nein!« Ich rannte aus seinem Zimmer, obwohl er mich zurückrief.
In diesem Augenblick erschütterte etwas das Schiff. Ren raste aus seiner Kabine hinter mir her, packte meine Hand und riss mich den ganzen Weg bis zur Brücke. Wir betraten sie gleichzeitig und blieben im Türrahmen stecken. Ren hielt es für eine wundervolle Gelegenheit, seine Arme um mich zu legen, während ich ihn anschrie. Als ich mich schließlich an ihm vorbeizwängte und auf Kishan zusteuerte, runzelte der die Stirn, und Ren feixte. Das Schiff geriet erneut ins Schlingern, und ich knallte gegen das Bücherregal und schlug mir den Kopf an.
»Kannst du zumindest dafür sorgen, dass sie sich nicht verletzt?«, brüllte Ren.
»Er beschützt mich ganz ausgezeichnet!«, schrie ich zurück.
Kishan zog mich in seine Arme und rieb über die Beule an meinem Kopf. »Lass dich nicht von ihm ärgern, Kells. Er will dich nur provozieren.«
»Vielleicht könntet ihr drei diese Konversation fortführen, wenn das Schiff nicht angegriffen wird?«, sagte Mr. Kadam. »Nilima! Nimm den Helm!«
Ren schnappte sich seinen Dreizack und hastete zu der Treppe, die zum Dach der Brücke führte. Kishan packte seine Chakram und rannte zum Bug der Jacht. Ich übernahm das Heck.
»Ich kann es sehen!«, rief Ren laut. »Es ist eine Art großer Fisch.«
Ich starrte ins Wasser und keuchte auf, als ich eine riesige Schwanzflosse ausmachte. »Es steuert genau auf dich zu, Kishan!«
Der gigantische Körper drückte sich gegen das Boot, bis es sich gefährlich zur Seite neigte. Als die Jacht mit einem Klatschen wieder in die Horizontale schlitterte, rannte ich zu Kishans Seite. Da die Chakram nicht durch Wasser schneiden konnte, versetzte ich dem Geschöpf einen Blitzschlag, und es tauchte unter. Für ein paar schreckliche Minuten war alles totenstill, und dann erhob sich eine mächtige Gestalt hinter Ren aus dem Wasser.
Ich riss vor Erstaunen den Mund auf. Es war ein riesiger Monsterfisch. Sein Unterkiefer stand einen knappen Meter weiter heraus als sein Oberkiefer. Sein Maul klaffte auf. Riesige Vampirzähne ragten hinter dicken grauen Lippen hervor, und ein gigantisches Auge fixierte Ren. Zwei mächtige Flossen surrten in der Luft wie Kolibris, und lange schwarze Streifen liefen von seinem Kopf bis zu seinem Schwanz. Unvermittelt schnappte das Fischmaul zu.
»Ren! Hinter dir!«
Er wirbelte herum und stieß dem Fisch den Dreizack mehrmals in den Bauch. Schwarzes Blut ergoss sich aus den kreisrunden Löchern. Der Fisch neigte den Körper zur Seite und landete mit dem Kopf auf dem Dach des Steuerhauses. Ren fiel über Bord und rutschte an dem glitschigen Körper des Ungetüms hinab in das aufgewühlte Meer.
»Ren! Kishan, hilf ihm!«
Kishan sprang ihm auf der Stelle ins Wasser nach.
Ich schrie den Männern im Meer zu: »Wie soll das hilfreich sein?«, und rannte zur Kommandobrücke. Der Fisch umkreiste das Gebiet und versuchte, sich die zwei Brüder zu schnappen, die neben dem Boot trieben. Ren benutzte den Dreizack, jedoch ohne Erfolg. Es war von Vorteil, dass der Unterkiefer des Fisches zu groß war, um nah genug für einen Biss an sie heranzukommen, weshalb er stattdessen mit voller Wucht gegen das Schiff knallte. Ich packte das Göttliche Tuch und lief zurück zur Bootsseite. Mittlerweile hatte der Fisch aufgegeben, die Brüder beißen zu wollen und versuchte, sie an der Jacht zu zerdrücken.
Ich murmelte: »Du willst aus meinen indischen Prinzen Pfannkuchen machen? Nicht mit mir!«
Ich schleuderte den mächtigsten Blitzschlag, den ich aufbieten konnte, und traf den Fisch an mehreren Stellen. Er wand sich wütend im Wasser, versuchte, aus meiner Reichweite zu entkommen. Gleichzeitig bat ich das Tuch um eine Strickleiter, ließ sie von der Längsseite der Jacht zum Meer herabhängen, und rief den Brüdern zu, sie sollten sich daran festhalten. Mit Blitzschlägen hielt ich ihnen den Fisch lange genug vom Hals, dass sie hinaufklettern konnten.
Als sie an Bord waren, tropfend und erschöpft, schrie ich Nilima zu: »Bringen Sie uns von hier weg!«
Ich beschoss den Fisch mit zuckenden Blitzen, bis wir weit genug entfernt waren und er schließlich aufgab. Als wir außer Gefahr waren, funkelte ich die beiden Brüder finster an und stampfte ins Steuerhaus.
Ich steckte den Kopf durch die Tür und sagte: »Nun, Kishans Theorie wäre damit wohl bewiesen. Ich schlage vor, wir wählen einen Kurs zwischen all den Punkten aus.« Dann ging ich in meine Kabine. Ich versperrte beide Türen und ließ Wasser in den Whirlpool laufen.
Nach dem Bad ging ich zurück zur Brücke. Alles war ruhig. Die Sonne war untergegangen, und weder Ren noch Kishan waren zu sehen. Nilima steuerte die Jacht. Ich schnappte mir eine Decke und kuschelte mich in einen der Sessel. Nilima warf mir von Zeit zu Zeit einen raschen Blick zu, doch ich war völlig in meine Gedanken versunken.
»Sie fragen sich, was Sie nun tun sollen, nicht wahr?«
Ich seufzte. »Ja. Ich denke darüber nach, wie ich Ren verständlich machen soll, dass wir nicht mehr zusammen sein können.«
»Oh?« Sie verlagerte das Gewicht und sah mich an. »Wirklich, darüber denken Sie nach? Ich nahm an, Sie fragen sich, wer von den beiden Sie glücklich macht.«
»Nein. Daran habe ich gar keinen Gedanken verschwendet.«
»Ich verstehe. Sie sind also fest entschlossen, bei Kishan zu bleiben?«
»Ich habe es ihm versprochen. Es ist meine Pflicht.«
»Haben Sie Ren nicht dasselbe Versprechen gegeben?«
Ich verzog das Gesicht. »Ja. Aber das ist schon lange her.«
»Vielleicht kommt ihm das nicht so vor.« Nilima starrte in die Finsternis.
»Vielleicht.« Ich betrachtete meine Hände in meinem Schoß. »Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«, fragte ich.
Sie rekelte sich geschmeidig und kehrte dann in ihre Ausgangsposition zurück. »Sie schreiben doch gerne Tagebuch, nicht wahr?«
»Ja.«
»Dann schlage ich vor, dass Sie über beide schreiben. Notieren Sie ihre Stärken und Schwächen. Listen Sie auf, was Sie an ihnen lieben. Schreiben Sie auf, was anders sein sollte, wenn es nur nach Ihren Wünschen ginge. Womöglich hilft es Ihnen, wenn Sie Ihre Gedanken schwarz auf weiß sehen.«
»Das ist eine gute Idee. Vielen Dank, Nilima.«
Ich verbrachte die folgenden Tage damit, meine Gedanken über die beiden Brüder niederzuschreiben, und musste erkennen, dass ich viel Gutes und Schlechtes über Ren zu sagen hatte. Kishans Liste hingegen war durchwegs positiv, wenn auch sehr kurz. Mich beschlich das Gefühl, ihm nicht gerecht zu werden, weshalb ich mir vornahm, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Ich stellte ihm Hunderte von Fragen und notierte jede Antwort akribisch genau in mein Tagebuch.
Ich küsste ihn mehrmals, allerdings auf eine distanziert-nüchterne Art, wobei ich versuchte, meine Reaktion auf ihn zu messen. Er schien meine »Tests« nicht zu bemerken und genoss meine Aufmerksamkeit und die Liebkosungen. Kein einziges Mal entlockte mir einer seiner Küsse dieselbe Reaktion, die ich bei Ren empfunden hatte. Trotz all meiner Anstrengungen musste ich mir eingestehen, dass ich die Gefühle nicht reproduzieren konnte, die mich in jener ersten Nacht durchströmt hatten, bei diesem ersten Kuss mit Kishan, als Ren sein Gedächtnis zurückbekommen hatte. Allmählich bezweifelte ich, ob meine Reaktion überhaupt etwas mit Kishan zu tun gehabt hatte.
Eines Abends ging ich mit Kishan an Deck spazieren und hatte eine Idee für einen weiteren Test. »Kishan? Ich würde gerne etwas ausprobieren. Könntest du mir helfen?«
»Sicher. Was soll ich tun?«
»Stell dich einfach hier hin. Nein, hinter mich. Gut. Und jetzt bleib so.«
Ich zielte mit meinem Blitz aufs Wasser. Ein weißes Licht schoss aus meiner Handinnenfläche und traf das Meer. Eine Dampfwolke stieg auf. »Okay, und jetzt zieh mich an deine Brust.«
»So?«
»Ja. Gut. Lehn den Kopf an meine Schulter und nimm meine Arme. Leg sie auf meine.«
Er strich mit den Händen über meine Arme. Ich konzentrierte mich und gab meine gesamte Energie frei, doch das Licht veränderte sich nicht. Es gab keinen intensiven goldenen Feuerstrahl. Ich spürte keine überwältigende Verbindung zwischen uns. Meine Energie verpuffte und erstarb. Ich starrte fest ins Wasser.
»Was ist los?«, fragte Kishan. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Mit einem falschen Lächeln drehte ich mich zu ihm um. Nachdem ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen gedrückt hatte, sagte ich: »Nein. Alles in Ordnung. War nur eine dumme Idee von mir. Keine große Sache.«
Über uns hörte ich ein Geräusch und sah Ren, der gegen einen Pfeiler lehnte und wissend feixte. Ich funkelte ihn an und küsste Kishan leidenschaftlich. Kishan schlang mir einen Arm um die Taille und küsste mich ebenso heftig zurück. Als ich wieder nach oben blickte, sah mich Ren stirnrunzelnd an.
Später an diesem Abend lag ich in einem Liegestuhl und starrte zu den Sternen, während Kishan trainierte. Ich spürte einen warmen Hauch, ein vertrautes Ziehen an meinem Herzen und wusste, dass er in der Nähe war.
Eine tiefe, hypnotisierende Stimme fragte: »Darf ich mich setzen?«
»Nein.«
»Ich will mit dir reden.«
»Rede, so viel du willst, denn ich verschwinde. Ich glaube, ich habe zu viel Sonne abbekommen.«
»Die Sonne ist längst untergegangen. Bleib sitzen und rühr dich nicht vom Fleck.«
Ren zog einen Liegestuhl neben meinen und machte es sich mit den Händen hinter dem Kopf darauf bequem.
»Wie lange wirst du diese Farce noch aufrechterhalten, Kelsey?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Wirklich? Ich habe gesehen, wie du Kishan vorhin getestet hast. Du hast nicht dieselben Gefühle für ihn wie für mich. Bei ihm fühlst du nicht wie bei mir.«
»Da liegst du falsch. Mit Kishan zusammen zu sein, ist … himmlisch.«
»›Die Liebe des Himmels macht einen himmlisch.‹«
»Ganz genau, unsere Liebe ist himmlisch.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Das ist aber das, was ich hineininterpretiere.«
»Schön. Dann solltest du auch mit dieser Interpretation keine Probleme haben: ›Oh, dass der Liebe Frühling, immer wechselnd, gleich des Apriltags Herrlichkeit uns funkelt: Er zeigt die Sonn in ihrer vollen Pracht, bis plötzlich eine Wolk ihr Licht verdunkelt!‹«
»Nicht eine Wolke hat unsere Liebe verdunkelt, das warst du. Ich habe dich gewarnt und dir die Konsequenzen aufgezeigt, und du hast gesagt, und ich zitiere: ›Ich brauche keine zweite Chance. Ich werde mich nie mehr in dich verlieben.‹ Hast du das nicht wortwörtlich so gesagt, Ren?«
Er zuckte zusammen. »Ja. Aber …«
»Nein. Kein aber. Hier führt kein Weg zurück, Ren.«
»Aber Kelsey. Ich habe das für dich getan. Nicht weil ich es wollte, sondern weil ich dich schützen wollte.«
»Das verstehe ich, doch was getan ist, ist getan. Ich werde Kishan nicht verletzen, nur weil du deine Meinung geändert hast. Du wirst mit deiner Entscheidung leben müssen, so wie auch ich damit leben muss.«
Er stand auf und kniete sich neben meinen Liegestuhl. Dann nahm er meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. »Du vergisst etwas, Iadala. Liebe ist keine Entscheidung. Liebe kann man sich nicht aussuchen. Liebe ist ein unstillbarer Durst – ein Verlangen, so lebensnotwendig für die Seele wie Wasser für den Körper. Liebe ist ein kostbarer Schluck, der nicht nur eine ausgetrocknete Kehle befeuchtet, sondern einen Mann belebt. Sie verleiht ihm solche Kraft, dass er für die Frau, die er anbetet, Drachen töten würde. Beraube mich dieses Schlucks Liebe, und ich werde zu Staub zerfallen. Einem Verdurstenden das Wasser wegzureißen und es einem anderen zu geben, während er zusehen muss, wie sich dieser nährt, kommt einer Grausamkeit gleich, derer ich dich nie für fähig gehalten hätte.«
Ich schnaubte und seufzte.
»›Du bist für mich eine köstliche Qual‹, Kelsey.«
»Findest du nicht, dass du ein bisschen theatralisch bist?« Ich hielt die Hand hoch und kniff Daumen und Zeigefinger zusammen. »Nur ein klitzekleines bisschen?«
»Vielleicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Feigling bin. Shakespeare meinte: ›Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt, die Tapfern kosten einmal nur den Tod.‹«
»Und weshalb macht dich das zu einem Feigling?«
»Weil ich schon mehrere Tode gestorben bin, meistens deinetwegen, und immer noch am Leben bin. Mit dir eine Beziehung einzugehen, kommt der Aufgabe gleich, jemanden aus dem Hades zu retten. Nur ein Narr würde zurückkehren, um eine Frau zu holen, die sich ihm bei jedem Schritt in den Weg stellt.«
»Nun, dann macht dich das zu einem Narren, nicht zu einem Feigling.«
Er runzelte die Stirn und sagte: »Vielleicht bin ich ja beides.« Er betrachtete mein Gesicht und fragte leise: »War es zu viel von dir verlangt, auf mich zu warten? Mir zu vertrauen? Weißt du denn nicht, wie sehr ich dich liebe?«
Ich wand mich unter seinem Blick.
»Jedes Mal, wenn wir getrennt werden«, fuhr er fort, »sterbe ich einen kleinen Tod, Kelsey.«
Ich schluckte die Schuldgefühle hinunter und ließ meinem Stolz freie Bahn. »Du hast Glück, Katzen haben neun Leben. Ich hingegen habe nur das eine und auch nur ein Herz, und es wurde so sehr an ihm herumgezogen, ich bin überrascht, dass es überhaupt noch schlägt.«
»Es würde helfen, wenn du aufhörst, dein Herz jedem x-beliebigen Mann zu schenken, der dir über den Weg läuft«, schlug er trocken vor.
»Ich verliebe mich nicht in jeden x-beliebigen Mann, der mir über den Weg läuft, Mr. Übertreibung.« Ich bohrte ihm einen Finger in die Brust. »Zumindest führe ich nicht leicht bekleidete Verehrerinnen mit Silikonbrüsten vor. Außerdem hast du mich verlassen, nicht andersherum. Es ist deine eigene Schuld.«
»Nun, wie sollte ich wissen, dass du dich sofort dem Nächstbesten an den Hals wirfst? Ich dachte, dies wäre ein kleines Schiff. Aber nein, lass Kelsey fünf Minuten allein, und es bildet sich sofort eine Schlange an Verehrern. Jeder Mann an Bord scheint dir recht zu sein, oder?«
Ich funkelte ihn zornig an. »Du hast gesagt, Kishan und ich sollen …«
Wutentbrannt fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. »Ich weiß, was ich gesagt habe. Damals hat es Sinn gemacht. Und dennoch hat ein Teil von mir geglaubt, dass du es nicht tun würdest. Ich hatte nicht gedacht, ich könnte dich so leicht überzeugen, dass ich dich nicht mehr liebe. Es war eine schlechte Entscheidung mit offensichtlich negativen Auswirkungen. Ich habe einen Fehler begangen. Einen riesigen. Aber jetzt sind wir quitt. Du hast mich verlassen, ich habe dich verlassen. Schluss damit. Wir sollten einen Strich drunter machen und einfach nach vorne schauen.«
»Nein, können wir nicht. Diesmal sind wir nicht die Einzigen, die es betrifft.«
»Es wird immer jemanden betreffen. Ich muss unsere Beziehung, uns beide, immer wieder vom Rand des Abgrunds retten, und allmählich werde ich zum Experten darin, dich aus den Armen eines anderen Mannes zu reißen. Wie viele waren es jetzt? Zehn? Zwanzig?«
»Du übertreibst schamlos.«
Ren wurde wütend. »Vielleicht. Aber weißt du was? Das ist okay. O-K-A-Y, okay. Du machst einfach schön weiter und baust deinen Fanclub aus, denn ich werde immer da sein, um jeden einzelnen deiner Verehrer in die Flucht zu schlagen.«
Eine Träne rann mir das Gesicht herab, und nach einem Moment der Stille sagte ich. »Ren, du hast mich verlassen. Du hast mich in die Arme eines anderen getrieben. Dachtest du wirklich, du könntest einfach mit den Fingern schnipsen, und ich würde zu dir zurückkommen? Dass ich sein Herz brechen und dabei nicht selbst zugrundegehen würde?«
»Ich weiß, was ich getan habe, hat dich verletzt, hat uns verletzt, und ich weiß auch, dass es Kishan verletzt hat. Wäre ich ein edlerer Mensch, würde ich die Dinge so lassen, wie sie sind, aber das kann ich nicht. Du hast mich gefragt, warum ich ein Feigling bin. Ich bin ein Feigling, weil ich mich weigere, ohne dich zu sein. Ich kann mir kein glückliches Dasein ausmalen, wenn du nicht an meiner Seite bist. Ich werde nicht aufhören zu versuchen, dich zurückzuerobern. Wenn es ein Kampf um dein Herz wird, Iadala, dann bin ich bereit. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass du diejenige bist, gegen die ich kämpfen muss.«
»Kannst du dich meiner Entscheidung nicht einfach beugen?«
»Nein! Du bist ebenso in mich verliebt wie ich in dich, und wenn es sein muss, werde ich dir das in deinen verdammten Dickkopf prügeln.«
»So viel zur Poesie, ja?«
Er seufzte, umschloss mein Kinn mit seiner Hand, und drehte dann mein Gesicht zu sich. »Ich brauche keine Poesie, Prema. Ich muss nur nah genug sein, um dich zu berühren.« Seine Finger glitten sanft an meinem Hals hinab und über meine Schulter.
Mein Puls hämmerte, und meine Lippen bebten, als ich zitternd Luft holte.
»Dein Herz weiß es. Deine Seele erinnert sich.« Er beugte sich vor und begann, meinen Hals zu liebkosen, wobei er meine empfindliche Haut kaum mit den Lippen berührte. »Das ist etwas, das du nicht leugnen kannst. Du gehörst zu mir. Du bist mein«, flüsterte er mir leise gegen die Kehle. »›Ich ward geboren, dich zu zähmen, Käthchen, dich aus ’nem wilden Kätzchen zu ’nem Käthchen zu wandeln …‹«
Ich erstarrte und schob ihn weg. »Nicht. Ren, hör auf! Wage ja nicht, den Vers zu beenden!«
»Kelsey.«
»Nein.« Ich stand auf und hastete fort, ließ mein Buch neben seinen Füßen an Deck zurück.
Während ich wegging, hörte ich ihn drohen: »Die Fronten sind geklärt, Priyatama. Je eindrucksvoller der Feind, desto süßer der Sieg.«
Über die Schulter erwiderte ich: »Nimm deinen Sieg und schieb ihn dir in deine Schnauze, Tiger!« Begleitet von seinem leisen Gelächter eilte ich zu meiner Kabine.
Am nächsten Morgen klopfte Kishan an meiner Tür, während ich gerade von einem weißen Tiger träumte, der mich jagte. Schlaftrunken setzte ich mich im Bett auf, da öffnete Kishan die Tür. »Ich bin keine Gazelle«, rief ich.
Kishan lachte. »Ich weiß, dass du keine Gazelle bist. Auch wenn deine Beine fast genauso lang sind. Hmm. Es wäre allerdings nett, dich zu jagen und dabei deine Beine anzuschauen.«
Ich warf ihm ein Kissen an den Kopf. »Warum hast du mich aufgeweckt?«
»Nummer eins – es ist schon neun. Nummer zwei – wir haben die Insel des grünen Drachen erreicht. Also steh auf und zieh dich an, Kells.«