13

Lady Seidenraupe

Nachdem wir wieder auf hoher See waren, ging ich zur Kommandobrücke hinauf, um dem Kapitän einen Besuch abzustatten.

»Oh, hallo, Misse Kelsey. Und wie geht ese Ihnen heute Abend, hä?«

»Hallo, Kapitän Dixon.«

»Nennen Sie mich einfach Dix«, trällerte er in seinem jamaikanischen Akzent.

Ich lachte. »Okay, Dix, Mr. Kadam hat mich gebeten, Ihnen das Essen hochzubringen, weil Sie heute Abend keine Zeit hatten, herunterzukommen.«

Er lächelte mich an, dann richtete er den Blick wieder aus dem Fenster. »Stellen Sie ese einfach dort ab, Misse.«

Ich stellte das Tablett ab, lehnte die Hüfte gegen das Armaturenbrett und beobachtete ihn still bei der Arbeit.

Verstohlen schaute er mich aus dem Augenwinkel an. »Sie scheinen entspannter zu sein alse noch vor kurze Zeit, wenn ich dase sagen darf.«

Ich nickte. »Mir geht es schon viel besser. Kishan kümmert sich rührend um mich, und wir haben endlich Ruhe vor dem schrecklichen Seeweib.«

»Und gesegnet ware die Stunde, alse sie von meine Boot gegangen ist.«

Ich lachte. »Mir ist zu Ohren gekommen, Sie haben die Kommandobrücke verbarrikadiert.«

»Sie ise Tag und Nacht gekommen und hat mich gestört.« Er drückte ein paar Knöpfe und holte sich dann sein Tablett. »Würden Sie eine alten Seebären Gesellschaft leisten, während er seine Abendessen isst, hm?«

»Sicher.«

Er sank in den Kapitänssessel und seufzte. »Jedes Mal, wenn ich ese mir mit meine alten Knochen in eine Sessel bequem mache, wird ese ein klitzekleines bisschen schwerer, mich wieder hinauszuhieven.«

Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihn. »Meine Mutter hat immer gesagt: Ein guter Stuhl ist sein Gewicht in Gold wert.«

Er lachte aus voller Kehle. »Dase ist richtig. Viele alte Männer würden sich lieber in eine bequeme Sessel setzen, alse reich su sein.«

»Wie lange dauert es bis zu unserem nächsten Halt?«

Er kaute und schluckte dann. »Ich hoffe, keine weiteren Halt zu machen. Zumindest nicht, um Passagiere an Bord su nehmen. Mein Plan ise, ohne Umweg zum Ufertempel su fahren. Wir wären dann ungefähr eine Woche auf See.«

Wir plauderten ein wenig, bis er sein Essenstablett wieder abstellte. Dann überprüfte er die Instrumente und sagte: »Wollen wir heute wieder etwase Seegarn spinnen, Misse Kelsey?«

»Haben Sie denn noch eine Geschichte auf Lager?«

»Der Tag, an dem diese Kapitän die Geschichten ausgehen, ise der Tag, an dem ich meine Mütze an den Nagel hänge.«

Ich grinste, schlug die Beine übereinander und machte es mir bequem. »Schießen Sie los. Ich bin bereit.«

Er schob seine Mütze zurück und kratzte sich die Stirn. »Beobachten Sie manchmal die Seevögel, wenn sie hinause auf die Meer fliegen?«

»Gelegentlich.«

»Wenn Sie ganze genau zuschauen, können Sie sehen, dase sie Zweige und Äste und manchmal Steine im Schnabel tragen. Sie lassen sie in die Wasser fallen.«

»Warum tun sie das?«

»Hören Sie zu, und Sie werden es erfahren. Ese war einmal eine wunderschöne Maid namens Jingwei, die dase Meer liebte. Sie hatte eine kleine Boot und verbrachte viele Stunden auf die Wasser. Sie ruderte morgens hinause und kehrte erst bei Anbruch der Nacht zurück. Viele Jahre war der Ozean damit einverstanden, aber da ware ein charmanter Kapitän, ein gut aussehender Mann, faste so schön wie ich.«

Er wackelte mit den Augenbrauen, was mich zum Kichern brachte.

»Jingwei verliebte sich in die Kapitän und wollte mit ihm auf den Wellen reiten. Doch er wollte, dase sie zu Hause blieb und seine Kinder aufzog. ›Dase Wasser ise kein Ort für eine Frau‹, sagte er.«

»Was hat sie getan?«, fragte ich.

»Sie sagte ihm, dase wenn sie nicht auf dem Wasser sein darf, dann dürfe er ese auch nicht. Sie ließen sich in der Nähe des Strands nieder, aber beide sehnten sich nach die Meer. Eines Tages erklärte Jingwei, dase sie ein Kind bekommen würde. Eine Weile waren beide glücklich. Doch wenn keiner von ihnen zusah, starrten sie beide zu die Wasser. Der Kapitän, er denkt, wenne seine Frau ein Kind hat, wird sie dase ans Haus binden. Und so geht er eines Morgens fischen. Aber dase Meer, dase hat nur darauf gewartet. Sie müssen wissen, dase Meer, dase ise eine eifersüchtige Geliebte und war sehr wütend auf sie.

Die Ozean hat sich aufgebäumt und dase Boot verschluckt. Jingwei, die hochschwanger war, hat den ganze Tag auf ihre Mann gewartet, aber er ise nie zurückgekehrt. Später hat sie erfahren, dase er ertrunken ise. Sie hat ihr kleines Bötchen geholt und ise aufs Wasser gerudert. Dort hat sie der See mit der Faust gedroht und gefragt, warum sie ihr den Mann weggenommen hat.«

»Was ist dann passiert?«

»Die See, die hat gelacht und Jingwei erklärt, dase alle gut aussehende Kapitäne ihr gehören. Sie hätte ihn der See nicht stehlen dürfen.«

»Huch … Hört sich nach Randi an.«

Dixon lachte laut. »Ah, dase stimmt. Jingwei hat mit ihr gestritten und versucht, die Ozean einzuschüchtern, aber die Ozean hat ein lachendes Blubbern an die Ufer schwappen lassen. Als die See überdrüssig wurde von Jingweis Gerede, hat sie große Wellen geschickt, um Jingwei su ertränken, aber Jingwei ise halb magisch und hat sich in einen Meeresvogel verwandelt. Dase ise der Grund, warum die Meeresvögel am Ufer so laut kreischen. Sie schimpfen immer noch die Ozean aus. Sie lassen Steine und Stöcke in die Wasser fallen, um es aufzufüllen, damit keine andere Mann ertrinken kann. Aber die See? Die lacht. Wenn Sie gut zuhören, können Sie sie kichern hören. Dase ise die Geschichte von Jingwei und die hohe See.«

»Ach, hier bist du«. Kishan lehnte am Türrahmen und lächelte.

»Hi!« Ich stand auf und legte ihm den Arm um die Taille. »Wollte nur noch rasch eine Geschichte hören.«

»Gut. Die möchte ich später auch hören.« Er blickte Dixon mit gespieltem Ernst an. »Ist es in Ordnung, wenn ich Ihnen Kelsey für den Rest des Abends entführe, Kapitän?«

»Sicher. Passe nur auf, dase du sie heute Abend von die Wasser fernhältst. Die See, sie lauscht. Ise auf der Suche nach junge Liebespaaren, die sie in die Tiefen ziehen will.«

Ich lachte. »Gute Nacht, Dix.«

»Gute Nacht, Misse Kelsey.«

Die Kulisse an Deck war romantisch. Der Vollmond war gerade aufgegangen, und das schwarze Wasser war glatt wie Seide. Sanft schlug es gegen die Jacht und raunte ihr Geheimnisse zu, während sie vorwärtspreschte und in seine kalte Umarmung tauchte. Tausende glitzernde Sterne hingen am Nachthimmel, der schier endlos zu sein schien. Ich malte mir aus, es wären Laternen, die gut aussehenden Kapitänen den Weg nach Hause zu ihren Frauen wiesen, die sie liebten. Einige der Sterne verblassten im Laufe der Zeit, andere glänzten hell, wollten unbedingt gesehen werden.

Es war kein Land in Sicht, nur das unendliche, vom Mondlicht beschienene Wasser, so weit das Auge reichte. Wir standen an der Reling, ließen den Blick schweifen. Als ich zu zittern begann, zog mich Kishan an seine Brust. Seine Umarmung spendete mir wohlige Wärme, und ich spürte, wie ich mich entspannte und schläfrig wurde.

»Das ist schön«, murmelte ich.

Er senkte den Kopf und sagte: »Mmm … das ist es.« Er rieb meine nackten Arme, bis sie warm wurden, und begann dann, behutsam meine Schultern zu massieren. Ich seufzte zufrieden und starrte mit leerem Blick zum Mond, während meine Gedanken wanderten. Mein Bewusstsein war derart von meiner Außenwelt abgelöst, ich bekam anfangs nicht einmal mit, dass Kishan meinen Hals küsste.

Eine seiner Hände streichelte meinen Arm, die andere lag auf meiner Taille. Er drückte mir sanfte Küsse auf die Schulter, dann arbeiteten sich seine Lippen betörend langsam zu meinem Nacken hinauf, wobei sie ein Kribbeln hinterließen, das nicht aufhören wollte. Als Kishan meinen Haaransatz berührte, griff er um meinen Körper und drehte mich zärtlich zu sich um.

Mein Herz begann zu klopfen. Er fuhr mit den Händen wieder meine Arme empor, umfasste mein Gesicht und glitt mit den Fingern in mein Haar. Er lächelte, und seine goldenen Augen funkelten im Licht der Sterne.

»Na also. Siehst du? Immer noch genügend Haare, damit ein Mann seine Hände darin vergraben kann.«

Ich lächelte nervös und zappelte leicht. Er drückte meinen Kopf nach hinten, trat näher und hauchte federleichte Küsse auf meinen Hals. »Weißt du eigentlich, wie lange ich dich schon so berühren wollte?«, murmelte er leise. Ich schüttelte den Kopf und spürte sein Lächeln, während seine Lippen mein Schlüsselbein liebkosten. »Es kommt mir wie Jahre vor. Und es ist noch besser als in meiner Vorstellung. Du riechst so gut. Du fühlst dich so gut an.«

Sein Mund zeichnete eine sanfte Spur von meinem Hals zu meiner Stirn. Ich schlang ihm die Arme um die Hüfte und schloss die Augen. Ich spürte das Grollen in seiner Brust. Mit warmen, weichen Lippen küsste er meine Augenlider, meine Nase, meine Wangen. Er gab mir das Gefühl, geliebt und geschätzt zu werden, und ich genoss seine Berührung.

Meine Haut kribbelte dort, wo seine Fingerspitzen gerade eben noch gewesen waren. Mein Herz pochte schneller, als Kishan meinen Namen flüsterte, und mein Körper reagierte auf ihn, drängte sich unwillkürlich an ihn. Ich wartete, dass sich seine Lippen auf meine senkten, doch stattdessen küsste er geduldig und unsäglich langsam jeden anderen Teil meines Gesichts, und seine Fingerspitzen glitten behutsam über meine Haut, schienen bei jeder süßen Liebkosung zu frohlocken. Seine Küsse waren zärtlich und köstlich und sanft und … falsch.

Ungebetene Gedanken brachen sich Bahn, die ich nicht beiseiteschieben konnte, egal wie sehr ich es versuchte. Trotz meiner verzweifelten Bemühungen, mir meine Gefühlswallungen nicht anmerken zu lassen – sie tief in meinem Innersten zu verbergen –, tauchten sie an der Oberfläche auf. Kishan hielt inne und hob den Kopf. Ich sah, wie sich seine Miene veränderte, von süßer Verehrung und Glückseligkeit zu Überraschung und schließlich zu Resignation und Enttäuschung. Er hatte die Hände um mein Gesicht gelegt, strich mir mit den Daumen die Tränen von den Wangen und fragte traurig: »Ist es so schwer, mich zu lieben, Kelsey?«

Ich senkte den Blick und schloss die Augen.

Er wich von mir zurück und lehnte sich wieder gegen die Reling, während ich mir wütend die Tränen aus dem Gesicht wischte. Ich war sauer auf mich selbst, weil ich diesen wunderbaren Moment zerstört und Kishan verletzt hatte. Reue erfüllte mich. Ich drehte mich zu ihm, glitt mit der Hand an seinem Rücken hinauf und schob meinen Arm unter seinen. Dann schmiegte ich den Kopf an seine Schulter. »Es tut mir leid. Es ist überhaupt nicht schwer, dich zu lieben.«

»Nein, mir tut es leid. Ich bin viel zu schnell vorgeprescht.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, es war in Ordnung. Ich weiß nicht, warum ich geweint habe.«

Er sah mich an, umfing meine Hand und spielte mit meinen Fingern. »Aber ich. Und ich will nicht, dass unser erster Kuss dich zum Weinen bringt.«

Ich lächelte schief, versuchte, ihn zu necken. »Das war nicht unser erster Kuss. Erinnerst du dich etwa nicht?«

»Ich meine, der erste Kuss, den ich nicht gestohlen habe.«

»Das stimmt.« Ich lachte leise. »Aber zumindest bist du der weltbeste Kuss-Dieb.« Ich stieß ihm die Schulter in die Seite und drückte ihm entschuldigend den Arm, doch sein Gesicht war weiterhin von Traurigkeit erfüllt.

Er krallte die Hände um die Reling. »Bist du dir denn immer noch sicher? Was mich anbelangt?«

Ich nickte gegen seine Schulter. »Du machst mich glücklich. Ja, ich bin mir sicher, was uns anbelangt. Willst du es noch mal mit mir probieren?« Ich versuchte, mich an ihn zu kuscheln.

Er schlang die Arme um mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Ein andermal. Komm jetzt. Ich habe Lust auf eine Geschichte.«

Hand in Hand stiegen wir die Treppe hinab.

Wir sahen Ren die ganze Woche über nicht. Laut dem GPS-Tracker versteckte er sich an den verschiedensten Orten im Unterdeck des Schiffs.

Kishan versuchte nicht mehr, mich zu küssen, zumindest nicht wie zuvor. Er streichelte mir übers Haar und nahm mich auch in die Arme, massierte mir die Schultern und verbrachte ganze Tage mit mir, aber wenn ich ihn umarmte, um ihm gute Nacht zu sagen, hielt er mich nur für ein paar Sekunden, bevor er mir einen Kuss auf die Stirn drückte. Er wollte mir mehr Zeit geben, was gleichzeitig eine Erleichterung und eine Belastung war.

Eine Woche später legten wir schließlich in Mahabalipuram, der Stadt der Sieben Pagoden, an. Wir befanden uns jetzt auf der anderen Seite von Indien, der Ostseite, trieben im Golf von Bengalen, vor der Küste des Indischen Ozeans.

Es war Zeit, unser drittes Abenteuer zu beginnen, und die Vorstellung, auf Drachen zu treffen, begeisterte und erschreckte mich zugleich. Außerdem hatte ich Lust, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Kishan bot sich an, mir auf seinem Motorrad die Stadt zu zeigen, und wir verbrachten den Tag damit, durch Läden zu bummeln. Er kaufte mir ein wunderschönes Armband, das mit Diamanten in Form von Lotosblüten geschmückt war. Als er es mir anlegte, sagte er: »Ich hatte einen Traum, in dem du Lotosblumen im Haar trugst.«

Ich lachte. »Wahrscheinlich hast du von Lotosblüten geträumt, weil du direkt neben dem Tisch geschlafen hast, wo ich Durgas Lotoskranz aufbewahrt habe.«

»Vielleicht«, sagte er mit einem Lächeln, »aber ein schöner Traum ist ein schöner Traum. Trag es bitte.«

»Okay. Allerdings nur, wenn ich dir dafür auch etwas kaufen darf.«

Kishan grinste. »Abgemacht.«

Ich setzte ihn draußen an den freien Tisch eines Straßencafés, während ich in einen Laden ging. Mehrere Minuten später ließ ich mich nervös neben ihm nieder. Er lehnte sich vor, um mir die Tüte aus der Hand zu reißen, doch ich zog sie fort.

»Einen Augenblick. Bevor ich dir dein Geschenk gebe, musst du mir versprechen, dass ich dir erklären darf, wofür es ist, und dass du nicht beleidigt bist.«

Kishan lachte und streckte die Hand nach der Tüte aus. »Es ist sehr schwer, mich zu beleidigen.«

Ungeduldig riss er mein Geschenk aus der Tüte, hielt es in die Luft und starrte es verdattert an, bevor er mich mit hochgezogener Augenbraue ansah. »Was soll das sein?«

»Das ist ein Halsband für einen sehr kleinen Hund.«

Er ließ das schwarze Lederband zwischen Daumen und Zeigefinger baumeln. »Hier am Rand ist Kishan in goldenen Buchstaben eingeprägt.« Er lachte. »Dachtest du etwa, es würde mir passen?«

Ich nahm ihm das Halsband aus der Hand und umschritt den Tisch. »Streck bitte den Arm aus.« Er betrachtete mich neugierig, während ich ihm das Halsband ums Handgelenk schnallte. Er schien nicht aufgebracht zu sein, nur verwirrt.

»Als sich Ren zum ersten Mal vor mir in einen Menschen verwandelt hat«, erklärte ich, »trug er ein Halsband. Er hielt es mir entgegen, um mir zu beweisen, dass er tatsächlich der Tiger war, mit dem ich die Reise angetreten hatte. Es war ihm ein großes Anliegen, das Halsband so schnell wie möglich loszuwerden. Für ihn war es die greifbare Erinnerung an seine Gefangenschaft.«

Kishan runzelte die Stirn. »Du schenkst mir etwas und redest dabei über Ren?«

»Warte, lass mich zu Ende erklären. Als ich dich zum ersten Mal getroffen habe, warst du ungezähmt und wild, ein echtes Geschöpf des Dschungels. Du hattest deine menschliche Seite viele Jahre vernachlässigt. Ich dachte, ein Halsband wäre für dich ein anderes Symbol, ein Symbol des Ankommens, ein Symbol, wieder zu unserer Welt zu gehören, ein Symbol der Zugehörigkeit. Es bedeutet, dass du nach Hause zurückgekehrt bist. Dass du ein Zuhause hast … mit mir.«

Ich ließ seine Hand los und trat nervös von einem Bein aufs andere, wartete auf seine Reaktion. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Kishan starrte mich ein paar Sekunden nachdenklich an. Unvermittelt nahm er meine Hand, zog mich auf seinen Schoß und brachte meine Finger an seine Lippen.

»Das ist ein Geschenk, das ich für immer in Ehren halten werde. Jedes Mal, wenn ich es ansehe, werde ich mich erinnern, dass ich dein bin.«

Ich lehnte meine Stirn an seine und seufzte erleichtert auf. »Gut. Ich hatte schon befürchtet, du würdest es hassen. Und jetzt, wo das geklärt ist – sollen wir nicht langsam zurück zum Boot? Mr. Kadam möchte, dass wir uns alle eine Stunde vor Sonnenuntergang treffen und uns gemeinsam zum Ufertempel aufmachen. Außer du möchtest, dass ich noch einmal zurückgehe und dir eine Leine kaufe. Womöglich läufst du mir sonst davon«, spaßte ich unbeschwert.

Mit ernstem Gebaren nahm er meine Hand. »Leine hin oder her, ich werde nie von deiner Seite weichen. Führe mich, wohin du willst, meine Herrin.« Er lächelte zufrieden, während er mir den Arm um die Schultern legte.

Mr. Kadam wartete bereits am Pier auf uns. Ren kroch kurz darauf aus seinem neuesten Versteck und kam die Rampe herab. Nachdem Kishan das Motorrad verstaut hatte, kletterten wir vier an Bord eines Motorboots.

Der pfeifende Fahrtwind blies mir das Haar aus dem Gesicht, und ich lächelte Kishan glückstrahlend an, als er sich nach mir umdrehte, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Mein Blick schweifte umher, und auf einmal bemerkte ich, dass ich in Rens blaue Augen starrte.

»Ein neues Armband?«, fragte er.

Lächelnd blickte ich zu den funkelnden Diamanten hinab. »Ja.«

»Es ist … hübsch. Steht dir.«

»Vielen Dank.«

»Ich freue mich für dich. Du scheinst … zufrieden zu sein.«

»Oh. Vermutlich bin ich das.«

Obwohl ich unsäglich glücklich war, mit Kishan zusammen zu sein, wusste ich, dass mein Herz leckte, irgendwo eine undichte Stelle hatte, die sich nicht schließen wollte. Aus ihr tröpfelte eine schmerzliche Enttäuschung, die meinen Körper überschwemmte, und die Nähe zu Ren war, als würde man Zitronensaft in das Loch schütten. Es brannte.

Ich nickte beiläufig und richtete den Blick zurück zum Wasser, streckte die Hand aus und ließ das kühle Nass gegen meine Finger klatschen. Ich spürte, dass Ren mich weiterhin beobachtete. Eine greifbare Verbundenheit flackerte zwischen uns auf, aber nur für einen kurzen Augenblick. Ein Funke, der in der einen Sekunde entfacht und in der nächsten schon wieder erloschen war.

Als wir das Ufer erreichten, war die Sonne untergegangen. Die Brüder sprangen aus dem Boot, zogen es an Land und banden es mit einem langen Seil an einem kräftigen Ast fest.

Ich betrachtete eingehend den Tempel, während wir darauf zugingen. Er war kegelförmig geschnitten, bestand jedoch aus zwei Bauwerken anstatt aus einem. Mr. Kadam ließ sich zurückfallen, um mir Gesellschaft zu leisten, während Kishan und Ren beherzt voranschritten. Beide trugen Waffen, nur für alle Fälle – Kishan die Chakram und Ren seinen neuen Dreizack.

»Mr. Kadam, warum hat dieser Tempel zwei Gebäudeteile?«

»Jeder von ihnen ist ein eigener Schrein. Dieser spezielle Tempel hat sogar drei, aber von hier können Sie den dritten nicht sehen. Er ist zwischen den anderen beiden eingebettet. Der höhere umfasst ungefähr fünf Stockwerke.«

»Wer wird dort angebetet?«

»Hauptsächlich Shiva, aber historisch gesehen wurde hier wohl auch anderen Gottheiten gehuldigt. Der Ufertempel ist der einzige der sieben Tempel, der nicht überflutet ist.« Er zeigte zur Mauer. »Sehen Sie die großen Statuen dort?«

»Die Kühe?«

»Genau genommen handelt es sich um Stiere. Sie verkörpern Nandi, den Diener Shivas.«

»Ich dachte, Nandi hat die Gestalt eines Hais angenommen.«

»Da haben Sie vollkommen recht, aber in vielen Überlieferungen nahm er ebenfalls die Gestalt eines Stiers an. Kommen Sie hier entlang. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

Wir spazierten unter einem Steinportal hindurch zu einer Statue – ein großer Tiger, der ein Püppchen in seinen Pfoten hielt.

»Das ist Durga mit ihrem Tiger.«

»Warum ist Durga so klein?«

Mr. Kadam lehnte sich vor und fuhr die Figur mit seinem Finger nach. »Da bin ich überfragt. Sehen Sie die Aushöhlung in der Brust des Tigers?«

Ich nickte.

»Wahrscheinlich wurde sie früher ebenfalls als Schrein benutzt.«

»Sollten wir hier eine Opfergabe niederlegen?«

»Ich bin nicht sicher. Lassen Sie uns erst den Tempel erforschen und sehen, was wir sonst noch finden.«

Wir betraten den Tempel durch ein Bogenportal. Mr. Kadam erklärte mir, dass der mit überbordendem Figurenschmuck versehene Eingang Gopuram genannt wurde. Sein Zweck war ähnlich dem der japanischen Geistertore. Menschen, die den Tempel betraten, sollten sich des Gefühls nicht erwehren können, dass sie die weltlichen Dinge hinter sich ließen und einen heiligen Ort aufsuchten.

Wir holten Ren und Kishan ein und gingen gemeinsam in den dunklen Tempel. Die graue Düsternis wurde noch von hervorstehenden Dachtraufen verdunkelt, die jegliches Mondlicht abhielten. Kishan schaltete seine Taschenlampe ein.

»Hier entlang«, sagte Mr. Kadam. »Das Sanktuarium liegt direkt unter der Hauptkuppel.« Zuerst erkundeten wir das kleinere der beiden Bauwerke und fanden nichts Außergewöhnliches. Mr. Kadam zeigte auf einen unbehauenen Stein, der mitten im Saal stand. »Das ist der Murti – die Altarfigur, die Ikone des Schreins.«

»Aber ohne Ornamente steht er für nichts.«

»Eine Ikone ohne Verzierungen kann ebenso viel darstellen wie eine mit Ornamenten. Dieser Raum ist der Garbhagriha oder Mutterschoß des Tempels.«

»Ich verstehe, warum man ihn so nennt. Hier drinnen ist es dunkel«, sagte ich.

Wir traten alle zu den Wänden, um die in Stein gemeißelten Figuren näher unter die Lupe zu nehmen. Wir waren erst ein paar Minuten damit beschäftigt, als ich etwas Weißes an der Tür aufblitzen sah. Ich drehte den Kopf, aber dort war nichts. Mr. Kadam sagte, es sei an der Zeit, zum nächsten Schrein überzugehen. Als wir an einem Bogengewölbe vorbeikamen, das nach draußen führte, fiel mein Blick auf den Ozean. Eine wunderschöne Frau ganz in Weiß, mit einem hauchzarten Schleier über dem Haar, stand am Ufer. Sie legte einen Finger an die Lippen, während sie zu mir heraufschaute und im nächsten Moment mit einem Maulbeerbaum verschmolz.

»Kishan? Mr. Kadam?«

»Was ist los?«, fragte Kishan.

»Ich habe etwas gesehen. Eine Frau, dort vorne. Sie war in Weiß gekleidet und sah indisch oder asiatisch aus. Jetzt ist sie verschwunden, indem sie irgendwie in den Maulbeerbaum hineinspaziert ist.«

Kishan lehnte sich vor und suchte mit den Augen die Umgebung ab. »Ich kann nichts erkennen, aber wir sollten lieber zusammenbleiben.«

»Okay.«

Er nahm meine Hand, als wir zum nächsten Schrein marschierten. Wir kamen an Ren vorbei, den wir in der undurchdringlichen Dunkelheit hinter uns nicht bemerkt hatten. Seine Arme waren vor der Brust verschränkt in einer seiner typischen Ich-beobachte-dich-Posen. Im nächsten Saal blieb ich in Kishans Nähe, während wir gemeinsam die eingemeißelten Figuren an den Wänden betrachteten. Mir fiel das Bild einer Frau auf, die an einem Webstuhl saß, und ich fuhr das Steinrelief mit dem Finger nach. Zu ihren Füßen stand ihr Korb mit dem Garn, und einer der Fäden hing heraus. Neugierig folgte ich der dünnen Linie über mehrere Bilder.

Der Faden wand sich um den Knöchel eines Bauern, und dann spielte eine Katze mit dem Garn. Es schlängelte sich durch ein Weizenfeld, wo ich es verlor, und ich musste mehrere Bilder absuchen, bis ich es wiederfand. Der Faden fügte sich zu einem Schal, der um den Hals einer Frau gewickelt war, und verwob sich mit einem dicken Seil, das in Flammen stand. Er wurde zu einem Fischernetz, umrankte einen hohen Baum, stellte einem Affen ein Bein, wurde in der Kralle eines Vogels gehalten, und dann … hörte er einfach auf. Er endete in einer Ecke des Saals, und obwohl ich die angrenzende Wand genau absuchte, war von dem Garn keine Spur mehr zu sehen.

Ich strich mit dem Daumen über die eingemeißelte Linie, um die Oberflächenstruktur zu erfühlen. Der Faden war so dünn, dass mein Finger ihn kaum ertastete. Als ich die Ecke mit dem Ende des Garns erreichte, geschah etwas Sonderbares. Mein Daumen glühte rot – nur mein Daumen –, und als ich einen Schritt von der Wand zurücktrat, sah ich einen Schmetterling aus einer Spalte kriechen. Er begann hastig, mit den Flügeln zu schlagen, flog jedoch nicht los. Ich besah ihn mir genauer und erkannte, dass es überhaupt kein Schmetterling war, sondern eine große weiße Motte.

Sie war haarig, fast pelzig, mit großen schwarzen Augen und federartigen braunen Fühlern. Als sie mit den Flügeln schlug, geschah etwas mit der Wand.

Dünne weiße Linien schlossen sich nahtlos an den gemeißelten Faden an, dem ich mit dem Finger gefolgt war, und begannen zu glühen. Sie leuchteten so hell, ich musste die Augen zusammenkneifen. Als ich den Arm ausstreckte, um eine zu berühren, sprang das Licht von der Wand auf meine Hand über. Im selben Moment verpuffte die weiße Linie und schillerte nun in allen Farben des Regenbogens. Phets Hennazeichnung auf meiner Hand pulsierte in weißem Licht.

Ich drehte mich zu Kishan um, aber hinter mir war nichts als Dunkelheit. Ich konnte nicht sprechen, konnte nichts tun, als die Wand anzustarren, während sich die Linien immer schneller und schneller ausbreiteten. Sie zeichneten etwas – eine Frau, die am Fenster saß und stickte. In der einen Sekunde stand ich neben der Wand, blickte zu dem Bild, und in der nächsten atmete die Frau, blinzelte, und ich war Teil der Zeichnung. Es war die Frau, die ich am Strand gesehen hatte. Sie trug ein weißes Seidenkleid und einen hauchzarten Schleier, der ihr Haar bedeckte.

Sie lächelte und zeigte auf den Stuhl, der ihr gegenüber stand. Als ich mich setzte, reichte sie mir einen runden Stickrahmen mit einem zauberhaften Abbild Durgas. Die Stiche waren so fein und zart, dass es einem Gemälde gleichkam. Die Frau hatte Blumen erschaffen, die täuschend echt aussahen, und Durgas Haar ergoss sich unter ihrer goldenen Haube in Wellen, die so weich wirkten, dass sich meine Finger unwillkürlich danach streckten. Die Frau gab mir eine Nadel und eine kleine Schachtel voller winziger Perlen.

»Was soll ich tun?«

»Durga braucht ihre Kette.«

»Ich habe noch nie mit Perlen gestickt.«

»Sieh her … Sie haben winzige Löcher. Ich zeige es dir mit den ersten beiden, und dann kannst du weitermachen.«

Geschickt fädelte sie die Nadel auf, machte einen klitzekleinen Stich, zog eine Saatperle auf die Nadel, band den Faden darum und tauchte die Nadel erneut in den Stoff. Ich beobachtete, wie sie genau denselben Vorgang wiederholte, bevor sie mir die Nadel reichte und die Schachtel mit den Perlen auf das Fensterbrett stellte.

Sie nahm ihren Rahmen zur Hand, wählte ein blaues Garn aus und fuhr mit der Arbeit fort. Nachdem ich zwei Perlen befestigt hatte und mit meinem Versuch zufrieden war, fragte ich: »Wer bist du?«

Ihre Augen ruhten beim Reden auf ihrer Handarbeit. »Ich habe viele Namen, doch der üblichste ist Lady Seidenraupe.«

»Durga hat mich zu dir geschickt. Sie meinte, du würdest uns helfen und uns auf unserer Reise führen.« Ich blinzelte. »Oh! Du tauchst in der Prophezeiung auf. Du bist die Lady, die die Seide spinnt.«

Sie lächelte, während sie sinnierend ihre Nadel betrachtete. »Ja. Ich webe und sticke mit Seide. Früher lebte ich allein dafür, aber nun ist es meine Buße.«

»Deine Buße?«

»Ja. Weil ich den Mann betrog, den ich liebte.«

Ich ließ den Rahmen auf meinen Schoß sinken und starrte sie an. Sie blickte auf und bedeutete mir mit einer Handbewegung weiterzuarbeiten.

»Soll ich dir erzählen, was geschehen ist?«, fragte sie. »Ich habe die Geschichte seit Jahren niemandem mehr anvertraut, und irgendetwas sagt mir, dass du mich verstehen wirst.«

Ich nickte stumm, und sie begann: »Vor vielen, vielen Jahren wurden Frauen für ihr Geschick bei der Handarbeit bewundert. Mädchen wurden in sehr jungen Jahren im Sticken unterrichtet, und jene, die am geschicktesten waren, durften für den Kaiser nähen. Einige, nur ein paar wenige, ehelichten sogar Adlige, und dank ihres Talents mangelte es ihren Familien an nichts.

Am Neujahrsfest wurden die jungen Mädchen ausgewählt, welche dieses Handwerk erlernen durften. Sie versammelten sich um eine Schüssel mit Wasser und tauchten ihre Finger am Rand hinein. Dann wurde eine Nadel auf die Wasseroberfläche gelegt und gedreht. Sobald sie anhielt, wurde das Mädchen, auf das die Nadel zeigte, zu einem besonderen Stick-Kurs gebracht.

Neugeborene Mädchen mit schlanken, langen Fingern wurden aufmerksam beobachtet in der Hoffnung, sie würden der Familie durch ihre Kunstfertigkeit Ruhm und Reichtum bringen. Ich war ein solches Kind. Mir wurde nachgesagt, niemand im ganzen Reich könne besser mit der Nadel umgehen als ich, und die Muster, die ich erschuf, waren begehrt und wurden von den reichsten Männern erstanden. Mein Vater erhielt fünfzig Heiratsanträge für mich, bevor ich auch nur das sechzehnte Lebensjahr erreichte, doch er wies sie alle ab. Er war ein stolzer Mann und glaubte, ich bekäme noch bessere Angebote, wenn ich mein Können perfektionierte.«

»Wie hast du dann denjenigen getroffen, in den du dich verliebt hast?«

Sie schnalzte mit der Zunge. »Einen Augenblick, meine Kleine. Etwas Wunderschönes zu erschaffen, erfordert Übung und viel Geduld.«

»Tut mir leid. Fahr bitte fort.«

Sie lehnte sich vor, um meine Arbeit zu überprüfen. »Du hast Talent mit der Nadel, aber du musst die letzten beiden Perlen auftrennen. Sie stehen ein bisschen zu weit auseinander.«

Ich starrte eindringlich auf den Stoff. Für mich sahen sie perfekt aus, aber es war ihr Projekt, weshalb ich die Perlen gehorsam löste und von vorne begann.

»Ein paar Jahre später, mit zwanzig, traf ich einen gut aussehenden jungen Mann, der in der Seidenfabrikation arbeitete. Seine Familie züchtete die Raupen, spann und färbte das Garn, und sie waren sehr gut, die besten im Land. Sobald ich das hauchzarte Garn in den Fingern hielt und die Vollkommenheit der Färbung sah, legte ich Wert darauf, nur noch bei ihnen zu bestellen.

Ich wurde beauftragt, die zukünftige Braut des Kaisers mit Kleidern auszustatten. Er hatte eine grandiose Zeremonie geplant, obschon er die Glückliche noch nicht ausgewählt hatte. Mein Vater wurde fürstlich entlohnt dafür, dass er meine Arbeitskraft zur Verfügung stellte. Ich sollte ein Jahr im Palast wohnen und prächtige Kleider und einen Brautschleier für die neue Frau des Kaisers nähen. Die Aussicht auf ein solches Unterfangen war aufregend für ein junges Mädchen wie mich. Mir wurden großzügige Zimmerfluchten in der Nähe des Kaisers zugewiesen, und es fehlte mir an nichts. Als meine Familie von Zeit zu Zeit zu Besuch kam, sah ich die Freude, die meine Anwesenheit im Palast ihnen bereitete.

Es gab nur zwei Probleme. Das erste bestand darin, dass der Kaiser sehr anspruchsvoll war und sich sein Geschmack täglich wandelte. Er stattete mir jede Woche einen Besuch ab, um meine Fortschritte zu kontrollieren. Gerade hatte ich ein Muster begonnen, da änderte er auch schon wieder seine Meinung. In der einen Woche wollte er Vögel, in der nächsten Blumen, in der einen Gold, dann Silber und Blau, Rot, ein hauchzartes Lavendel, ein sattes Violett und so weiter. Der Mann änderte öfter seine Meinung, als er sein Badewasser wechselte. Vielleicht war das der Grund, warum er so lange brauchte, um eine Braut auszusuchen.«

Ich lachte leise.

Sie runzelte die Stirn. »Das zweite Problem war, dass er mir bei seinen Besuchen schon bald eindeutige Avancen machte. Wenn ich seine Verlobte ansprach, lachte er und sagte: ›Ich bin sicher, sie wird nichts dagegen haben. Ich habe noch nicht einmal entschieden, welche Frau ich möchte, aber ich sollte bis Ende des Jahres verheiratet sein. Ein Kaiser braucht Nachkommen, denkt Ihr nicht? Derweil haben wir genügend Zeit, einander besser kennenzulernen, nicht wahr, mein Täubchen?‹ Ich nickte dann und erklärte, ich wäre beschäftigt, und normalerweise ließ er mich in Ruhe.

Da der Geschmack des Kaisers derart eigen war und er ständig seine Meinung änderte, wurde ich mit einem jungen Mann vertraut, der die Seide lieferte und mir ständig neue Garne und Material bringen musste. Manchmal setzte er sich zu mir, und wir unterhielten uns, während ich nähte. Schon bald sah ich seinen Besuchen mit Freude entgegen, und es dauerte nicht lange, bis ich mir immer neue Gründe einfallen ließ, ihn zu mir zu rufen. Ich ertappte mich häufig dabei, Tagträumen nachzuhängen, die von ihm handelten, worunter meine Arbeit litt.

Eines Tages starrte ich aus dem Fenster, als ich meinen jungen Mann im Innenhof vorbeigehen sah. Die Eingebung küsste mich, und ich war ganz aufgeregt, ein eigenes Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ich hatte noch nie etwas gefertigt, das nicht in Auftrag gegeben worden war. Seit ich ein junges Mädchen war, hatte ich nur für andere gearbeitet und keine Zeit für mich gehabt. Vor meinem geistigen Auge malte ich mir genau aus, was ich erschaffen wollte – ein Geschenk für meinen jungen Seidenmacher. Ich konnte nicht schlafen, so erfüllt war ich von meiner Aufgabe.

Tag und Nacht arbeitete ich ununterbrochen, wusste ich doch, dass er mich am Ende der folgenden Woche wieder besuchen würde. Endlich klopfte er an meiner Tür. Ich versteckte das Werk hinter meinem Rücken, als ich ihn hereinbat. Er grüßte mich mit einem warmen Lächeln und legte sein Paket ab. ›Ich habe etwas für Euch‹, sagte ich.

›Was ist es?‹

›Ein Geschenk. Etwas, das ich für Euch gemacht habe.‹

Seine Augen leuchteten vor Überraschung und Freude auf, als ich ihm das Geschenk überreichte, das in braunes Papier eingeschlagen war. Behutsam öffnete er es und hob den Schal hoch. Maulbeerbäume bedeckten den goldenen Stoff, und Seidenraupenkokons hingen von den Ästen. Weiße Motten saßen auf einigen der Blätter, und seidene Fäden in allen Farbschattierungen wanden sich an beiden Enden des Schals um ein Weberschiffchen. Er hielt ihn sanft in den Händen und berührte ein aufgesticktes Blatt. ›Er ist wunderschön‹, sagte er. ›Noch nie habe ich etwas so Feines mein Eigen genannt.‹

›Es ist nichts‹, stammelte ich.

›Nein. Ich weiß, wie viel Zeit es Euch gekostet haben muss. Ihr habt mir etwas sehr Wertvolles geschenkt.‹

Ich senkte die Augen und sagte zögerlich: ›Ich würde Euch mehr geben … würdet Ihr nur fragen.‹ Und dann berührte er mich. Er kam einfach einen Schritt auf mich zu und strich sanft mit dem Fingerknöchel über meine Wange. ›Ich kann … nicht mit Euch zusammen sein‹, sagte er.

›Oh‹, sagte ich enttäuscht und wich zurück.

›Ach, Ihr missversteht mich‹, erklärte er nachdrücklich. ›Wäre es mir möglich, Euch für mich zu gewinnen, würde ich nicht zögern. Aber ich bin kein reicher Mann. Sicherlich nicht reich genug für jemanden wie Euch. Doch stünde es in meiner Macht, ich würde Euch wählen.‹ Er umfasste meine Wangen mit seinen Händen. ›Bitte glaubt mir.‹

Ich nickte, und als er wieder ging, versuchte ich zu akzeptieren, dass wir nicht füreinander bestimmt waren. Dennoch sehnte ich mich Woche um Woche nach ihm, und während das Jahr verstrich, verliebten wir uns sehr ineinander. Obwohl es meiner Familie Schande und Enttäuschung brächte, erklärte ich ihm, dass meine Liebe für ihn zu stark sei, um sie zu leugnen. Wir schmiedeten Pläne, heimlich durchzubrennen und zu heiraten, sobald ich den Auftrag des Kaisers vollendet hatte. Wir wollten das gesamte Honorar meiner Familie geben und in die Ferne ziehen. Er wollte einige Seidenraupen mitnehmen, ich meine Kunstfertigkeit beisteuern, und gemeinsam wollten wir ein neues Leben in einer weit entfernten Provinz beginnen.

Als sich das Jahr dem Ende zuneigte, ließ mich der Kaiser endlich den Schleier abschließen. Es war eine schöne Arbeit. Nicht die allerschönste meines Lebens, denn die gehörte dem, den ich liebte, aber sie war hübsch. Der Schleier war zartrosa und am Rand mit dunkelroten Rosen bestickt. Als ich ihn dem Kaiser zeigte, legte er ihn mir über den Kopf und eröffnete, dass er nun bereit sei, seine Braut zu heiraten. Dann verkündete er, dass ich mich vorbereiten sollte.

›Worauf vorbereiten?‹, fragte ich.

›Auf die Hochzeit natürlich.‹

›Soll ich Eurer Braut mit dem Schleier behilflich sein?‹

›Nein, meine Liebe. Ihr seid meine Braut.‹

Frauen strömten in mein Zimmer, um mir bei den Vorbereitungen zu helfen. Ich geriet in Panik und flehte den Kaiser an, mir noch einen Tag Zeit zu gewähren. Ich erklärte, ich müsste mit meinem Vater reden. Er erwiderte, dass mein Vater der Heirat freudig zugestimmt habe und darauf warte, mich zum Altar zu geleiten. In meiner Verzweiflung stammelte ich, ihm ein Taschentuch mit bestickten Rosen fertigen zu wollen, das zu meinem Schleier passte. Er tätschelte mir die Wange und sagte, dass er sich mir großzügig erweisen und meiner Bitte nachkommen wolle. Er versprach mir einen weiteren Tag.

Augenblicklich ließ ich nach meinem jungen Mann schicken, damit mir unverzüglich das Rosengarn geliefert werde. Als er in mein Zimmer kam, schlang ich ihm die Arme um den Hals und hielt ihn fest. Er umarmte mich ebenfalls und fragte, was geschehen sei. Ich erklärte, dass der Kaiser den Plan gefasst hatte, mich zu heiraten, und dass mein Vater eingewilligt hatte. Ich flehte ihn an, mich rasch von hier fortzubringen, und zwar noch am selben Abend. Er sagte, eine Flucht aus dem Palast wäre bei all den Wachen unmöglich, doch er kannte jemanden, einen Zauberer, den er vielleicht bestechen konnte, damit er uns half. Ich sollte auf ihn warten. Jemand käme in der Nacht, um mich zu holen, und dieser jemand würde den Schal tragen, den ich ihm geschenkt hatte. Er bat mich, ihm zu vertrauen.«

»Was ist geschehen?«, fragte ich. »Ist jemand gekommen?«

»Ja. Ein banaler Ackergaul.«

»Ein Ackergaul?«

»Ja. Er kam zu meinem Fenster getrottet und wieherte leise. Er trug den Schal um den Hals.«

»Das Pferd trug den Schal? Wo war der junge Mann?«

»Das wusste ich nicht. Ich war verängstigt. Das Pferd stampfte mit den Hufen auf und wieherte lauter, doch ich blieb am Fenster, rang die Hände. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sollte ich aus dem Fenster klettern und mich auf den Rücken des Pferdes schwingen? Wohin würde ich reiten? Das Pferd wurde unruhig und machte eine Wache auf sich aufmerksam, die es zu verscheuchen versuchte. Männer wurden geschickt, um das Pferd zu den Ställen zu führen, doch es trat um sich und biss und wieherte laut. Schließlich kam einer der ranghöheren Wachhabenden heraus und befahl ihnen, das Pferd zum Schweigen zu bringen, bevor es den Kaiser weckte.

Nichts, was sie unternahmen, konnte das Tier beruhigen. Der Schal rutschte ihm vom Hals und fiel in den Dreck. Die Soldaten trampelten darüber und ruinierten das prächtige Geschenk. Ich weinte und fragte mich, wo mein junger Mann war. Ich verzweifelte bei dem Gedanken, er könnte auf dem Weg angeschossen oder ermordet worden sein. Schließlich gelang es ihnen, das Pferd wegzuführen. Mein junger Mann tauchte nicht auf. Ich hielt die ganze Nacht nach ihm Ausschau.

Am nächsten Morgen kam der Kaiser zu mir und ließ mich zu den Badegemächern eskortieren. Frauen badeten mich und zogen mir die wunderschönen Kleider an, die ich selbst gefertigt hatte, und kurz bevor ich in die große Halle geführt werden sollte, trat der Kaiser zu mir, schickte die Dienerschaft hinaus und schloss die Tür hinter sich. ›Ich habe ein Hochzeitsgeschenk für Euch, meine Liebe.‹ Er reichte mir den Schal, den ich dem jungen Mann geschenkt hatte. Er war gereinigt und gebügelt worden, doch einige der empfindlichen Stickereien waren zerrissen. Tränen rollten mir das Gesicht herab.

›Ein interessanter Vorfall hat sich in der vergangenen Nacht ereignet. Dem Anschein nach ist ein Ackergaul, der ebendiesen Schal trug, in den Palast eingedrungen. Er hat derart viel Lärm gemacht, dass die Wachen ihn weggeführt und in die Stallungen gesperrt haben. Am nächsten Morgen haben wir zu unserer großen Überraschung kein Pferd, sondern den Seidenmacher in dem Stall vorgefunden. Wir haben ihn gefragt, welche Magie er angewandt habe und weshalb er gekommen sei. Er wollte nicht antworten. Er weigerte sich, mir den Grund zu nennen, aus dem er sich mitten in der Nacht in meinen Palast geschlichen hat.‹

Er strich mit dem Schal zärtlich über mein Gesicht und sagte: ›Ich kann nur annehmen, dass er gekommen ist, um mich zu meucheln. Wie glücklich Ihr Euch schätzen könnt, dass Euer zukünftiger Gatte noch am Leben ist!‹

Bevor ich meine Zunge zügeln konnte, rief ich: ›Er ist nicht gekommen, um Euch zu ermorden!‹

Gedankenverloren neigte der Kaiser den Kopf. ›Ist er nicht? Seid Ihr sicher? Ihr kennt ihn besser als jeder andere hier. Vielleicht kam er aus einem ganz anderen Grund. Was denkt Ihr, warum er gekommen ist, meine Liebe?‹

›Ich … bin sicher, er wollte mir nur mehr Garn bringen. Vielleicht wurde er von einem Zauberer verhext und brauchte Hilfe.‹

›Hm … Welch eine interessante Idee. Aber warum sollte er sich an Euch wenden und nicht an seine Familie? Oder vielleicht an eine der Wachen?‹

›Ich … weiß nicht.‹

›Kommt mit mir‹, sagte er.

Er führte mich zu dem Fenster, das zum Innenhof hinausging. Mein Geliebter war an einen Pfahl gebunden, während ein Mann mit einer Peitsche neben ihm stand. Unvermittelt hob und senkte der Kaiser die Hand. Ich hörte das Knallen der Peitsche und wimmerte, als könnte ich ebenfalls das Brennen spüren, das den Rücken meines Geliebten blutig schlug. Der Kaiser flüsterte mit eisiger Stimme: ›Habt Ihr geglaubt, ich würde Eurer Hände Werk nicht erkennen, meine Liebe? Ihr habt diesem Mann Eure Gunst erwiesen.‹ Ich zuckte zusammen, als die Peitsche erneut surrend die Luft durchschnitt.

›Tut ihm bitte nicht weh‹, flehte ich.

›Ihr könnt seine Folter jederzeit beenden, wenn Ihr wünscht. Sagt mir einfach, dass ich mich irre und dieser junge Mann nicht Euretwegen gekommen ist. Dass all dies bloß ein Missverständnis ist. Und … sagt es laut, damit alle Euch hören können.‹

Ich vernahm das Stöhnen desjenigen, den ich liebte, und drehte mich zum Kaiser um. ›Dieser junge Mann …‹

›Lauter, bitte. Und stellt sicher, dass Euch auch jeder Einzelne im Hof hören kann.‹

›Dieser junge Mann kam nicht meinetwegen, und ich liebe ihn nicht! Ich möchte nicht, dass ihm Leid geschieht! Er ist nur ein einfacher und armer Seidenmacher. Ich würde mich niemals einem so gewöhnlichen und verarmten Mann hingeben. Lasst ihn bitte gehen!‹

Mein Geliebter sah zu mir hoch. Seine Augen brannten von dem Verrat. Ich sehnte mich danach, laut hinauszuschreien, dass es eine Lüge war. Dass ich ihn liebte. Dass ich nur mit ihm zusammen sein wollte, aber ich schwieg und hoffte inständig, sein Leben zu retten.

›Das ist alles, was ich hören musste‹, sagte der Kaiser und rief zu seinen Männern hinab: ›Befreit ihn aus seinem Elend.‹

Der Mann mit der Peitsche ging aus dem Weg, um einer Reihe von Soldaten Platz zu machen. Sie spannten ihre Bögen und füllten die Brust meines Geliebten mit Pfeilen. Er starb in dem Glauben, ich würde nichts für ihn empfinden, ihn nicht mehr lieben. Ich fiel verzweifelt auf den Boden, während der Kaiser drohte: ›Das soll Euch eine Lehre sein, mein kleines Vögelchen. Ich lasse mir keine Hörner aufsetzen. Und nun … bereitet Euch für die Hochzeit vor.‹

Als der Kaiser gegangen war, warf ich mich untröstlich zu Boden und weinte bitterlich. Hätte ich nur Vertrauen in das gehabt, was meinen Verstand überstieg. Wäre ich kein solcher Feigling gewesen, hätten mein Geliebter und ich womöglich fliehen und zusammen ein glückliches Leben führen können. Das Pferd war natürlich er gewesen. Die ganze Zeit über war er bei mir gewesen, in meiner Nähe, und ich hatte mich geweigert, ihn zu erkennen. Weil ich so kurzsichtig gewesen war, hatte ich alles verloren.

Später legte eine gütige Frau die Hand auf meine Schulter und trocknete meine Tränen mit ihren seidenen Taschentüchern. Sie sagte, sie liebe meine Arbeiten und dass meine Gabe immer noch nützlich sei, um anderen zu helfen. Diese Frau war Durga. Sie bot mir an, mich fortzubringen, mich aus den Fängen des Kaisers zu befreien, erklärte jedoch, dass ich meine sterbliche Hülle für immer ablegen müsse und nie mehr in mein damaliges Leben zurückkehren könne. Sie hob den goldenen Schal auf, den ich hatte fallen lassen, und sagte, dass mein Seidenmacher immer bei mir sei, denn ich hatte in jeden Stich Liebe eingenäht.

Und so sitze ich hier. Ich bin Lady Seidenraupe. Immer noch in meinen Kokon aus Kummer gehüllt. Sticken, nichts als sticken. Ich nähe, um andere zu vereinen, bleibe aber selbst allein. Ich verknüpfe Fäden, um meinem Dasein Bedeutung zu verleihen, um einen Sinn zu verfolgen. Es erfüllt mich mit einer gewissen Freude, zwei Leben miteinander zu verflechten.« Sie beugte sich vor. »Doch ich sage dir eines, meine junge Freundin, ohne Liebe – ist das Leben wertlos. Ohne deinen Geliebten bist du vollkommen allein.« Sie ließ den Rahmen sinken und umfasste meine Hände. »Mehr als alles andere bitte ich dich, demjenigen zu vertrauen, den du liebst.«

Sie nahm die Stickerei von meinem Schoß. »Na also. Siehst du? Du hast wunderbare Arbeit geleistet.« Sie lächelte. »Nun ist es an der Zeit, dass du zurückkehrst. Nimm dies.«

Behutsam löste sie das Tuch, das sie gerade mit Stickereien verziert hatte, aus dem Rahmen, faltete es und drückte es mir in die Hände.

»Aber ich …«

Sie brachte mich mit einem Blick zum Schweigen und führte mich zur Wand. Mit feingliedrigem Finger fuhr sie den eingemeißelten Faden nach. »Ich kann heute nicht weiter darüber reden. Die Traurigkeit ist zu groß. Es ist an der Zeit, dass du gehst. Folge der Seidenraupe, meine Kleine.«

Sie legte die hohle Hand auf die Mauer, und als sie sie wieder entfernte, hing eine weiße Seidenraupe an dem steinernen Faden. Während das Tierchen begann, die Linie entlangzugleiten, drehte ich mich um und wollte mich verabschieden, doch Lady Seidenraupe war verschwunden. Die Raupe bahnte sich einen Weg zu einem Spalt in der Wand und schlüpfte dann hinein. Zaghaft berührte ich denselben Riss. Zuerst tauchten meine Finger und dann meine ganze Hand in die Mauer ein. Ich holte tief Atem, trat einen Schritt vor und war im nächsten Moment von undurchdringlicher Dunkelheit umgeben.