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Tauchunterricht

Als ich erwachte, war eine Mulde in dem Kissen neben mir. Ich rollte zur Seite und sog den Geruch von Sandelholz und Wasserfall in mich ein. Ich streckte die Hand nach dem Kissen aus, um es an mich zu drücken, da berührten meine Finger ein Blatt Papier.

Mond und Meer

Von Ella Wheeler Wilcox

Du bist der Mond, mein Herz, und ich das Meer:

Die Hoffnungsflut schwillt hoch mit aller Macht

Verbirgt Gestein, drängt über jedes Wehr.

Wenn nur dein Blick mich sanft anlacht.

Doch wenn du wendest ab dein lieb’ Gesicht

Setzt ein die Ebbe und mein Herz wird schwer

Die Küste ist verdunkelt, gelöscht ein jedes Licht.

Du bist der Mond, mein Herz, und ich das Meer

Lächelnd las ich das Gedicht noch ein paarmal. Vielleicht war es ein Zeichen. Ich hatte Phet gesagt, ich sei der Mond. Vielleicht versuchte mir das Universum zu zeigen, dass ich zu Ren gehörte. Es war ein treffender Vergleich. Es war das Schicksal von Mond und Meer, dass sie einander beeinflussten, sich jedoch nie berühren konnten. Ich seufzte und bemerkte, dass es längst dämmerte. Ich zog meinen Tankini an, Shorts und ein T-Shirt, ließ das Frühstück ausfallen und rannte zu unserem Treffpunkt am Pool.

Wes war damit beschäftigt, eine Taucherausrüstung vor sich auszubreiten.

»Guten Morgen. Brauchst du Hilfe?«, fragte ich.

»Hi!« Er lächelte. »Dir auch einen guten Morgen. Danke fürs Fragen, aber ich bin fertig. Bist du bereit für deine erste Stunde?«

»Ja. Hast du über Nacht deinen Akzent verloren?«

»Nein. Er ist nur äußerst praktisch, wenn ich überfürsorgliche Väter oder eifersüchtige Freunde beschwichtigen will. Außerdem hat er mir eine Menge Dates und bessere Noten im College eingebracht. Leider hast du beides, überfürsorgliche und eifersüchtige Freunde. Es überrascht mich, dass sie sich noch nicht gegenseitig an die Kehle gegangen sind.«

Ich lachte. »Glaub mir, das haben sie schon versucht, und jetzt hast du ihnen ein neues Feindbild geliefert, auf das sie sich stürzen können.«

Wes zuckte grinsend mit den Schultern, und ein süßes Grübchen tauchte auf seiner rechten Wange auf. »Das ist schon in Ordnung. Macht die Sache spannend. Und wenn man vom Teufel spricht … Tritt zurück und genieß die Show.« Er wandte sich an Ren und Kishan und sagte in breitestem Texanisch: »Nun, einen recht schönen guten Morgen, meine Freunde. Sieht so aus, als hätte Kelsey den Preis fürs Frühaufstehen gewonnen. Und sieht sie nicht zauberhaft aus, frisch wie aus dem Ei gepellt?«

Ren ignorierte Wes, beugte sich zu mir und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Hast du etwas gegessen?«

»Nein. Keine Zeit.«

Er öffnete die Tasche. »Hab dir einen Apfel mitgebracht.« Ren zwinkerte mir zu und setzte sich auf die andere Seite von Kishan.

»Also schön. Lasst uns anfangen! Und das Wichtigste zuerst. Es gibt zwei Hindernisse, die den Menschen vom Tauchen abhalten. Nummer eins, wir besitzen keine Kiemen. Und falls ihr jemals einen Menschen mit Kiemen sehen solltet, fress ich einen Besen, das versprech ich euch. Nummer zwei, das Wasser übt einen mächtigen Druck auf eure Brust und eure Lungen aus, was eure Lungen irgendwann zum Kollabieren bringt. Ihr könnt Gift drauf nehmen, die würden platzen wie Würstchen, die zu lang auf dem Grill brutzeln.«

Während Wes in Fahrt kam, fiel allmählich sein Akzent von ihm ab.

»Ohne eure Ausrüstung hätten eure Lungen nicht die Kraft, sich zu füllen, selbst wenn ihr Luft bekämt. Eure Druckluftflasche versorgt euch nicht nur mit Sauerstoff, sondern misst auch den Druck, der in Pascal oder Bar angegeben wird, und gleicht ihn aus. Scuba ist ein Akronym für self-contained underwater breathing apparatus, also ein unabhängiges Unterwasseratemgerät. Wir werden mit normalen Presslufttauchgeräten sowie Kreislauftauchgeräten arbeiten.«

Mr. Kadam gesellte sich zu uns. Wes nickte und fuhr fort: »Mr. Kadam möchte, dass ihr mit beiden Arten vertraut seid, da er noch unentschlossen ist, welche ihr beim Tauchen eher gebrauchen könnt. Wir beginnen mit der klassischen Druckluftflasche und erarbeiten uns dann den Weg zu den Kreislauftauchgeräten.

Bei unserer heutigen Stunde werden wir die Namen und Funktionsweisen unserer Ausrüstung erlernen. Wir beginnen mit den einfachsten.« Er reichte uns verschiedene Geräte, damit wir sie genau unter die Lupe nehmen konnten. »Tauchstiefel, Tiefenmesser, Unterwasserkompass, Tauchermesser und eine BCD oder Buoyancy Control Device, also eine Tarierweste, die wie eine normale Jacke getragen wird. Wir tragen Schwimmflossen, beim Tauchen in kaltem Wasser eine Schwimmhaube und haben eine Unterwassertafel bei uns. Es gibt zwei Arten, eine mit den verbreitetsten Fischbildern, auf die man deuten kann. Die andere ist leer und kann mit einem besonderen Stift beschrieben werden. Normalerweise sind sie an der BCD befestigt, und was ist die BCD, Kishan?«

»Die Tarierweste.«

»Und wofür steht die Abkürzung, Ren?«

»Buoyancy Control Device.«

»Gut. Jetzt fehlen uns noch fünf weitere Ausrüstungsgegenstände. Das ist euer Atemregler erster Stufe, der euch mit Luft versorgt. Und das ist der Oktopus – der Ersatzregler zweiter Stufe. Wenn euer normaler Atemregler ausfällt oder falls ihr euren Tauchpartner mit Luft versorgen müsst, wird dieser benutzt. Normalerweise ist er neonfarben, und man findet ihn auf der rechten Seite zwischen eurem Kinn und dem Brustkorb. Wir haben einen Schnorchel zum Atmen, wenn man knapp unter der Wasseroberfläche schwimmt, den Atemregler, auch Lungenautomat oder kurz Automat genannt, samt Druckanzeiger, der euch angibt, wie viel Luft sich noch in der Flasche befindet, und dann natürlich die Druckluftflasche an sich, die normalerweise zwölf Liter enthält.«

»Wie lange reicht das?«, fragte ich.

»Das kommt darauf an. Nervöse, unerfahrene Taucher verbrauchen doppelt so viel Sauerstoff wie Profis, zart gebaute Menschen weniger als große.« Rasch blickte er zu Kishan und Ren. »Und je tiefer man taucht, desto mehr Luft benötigt man. Der Durchschnitt liegt bei einer Tauchtiefe von zwanzig Metern bei einer Stunde. Erfahrenere Taucher können bis zu zwei Stunden unter Wasser bleiben.«

Ich nickte als Antwort, Kishan reichte mir eine Flasche Wasser. Ich lächelte ihn an, formte mit dem Mund ein »Danke« und schraubte die Flasche auf.

»Die anderen beiden Dinge, die ihr lernen müsst, sind der Umgang mit dem Auftrieb und dem Neoprenanzug. Neoprenanzüge halten euch unter Wasser warm. Wir werden ein paar Tauchgänge mit und ohne Neoprenanzüge durchführen.«

»Ist der Neoprenanzug … äh … bissfest?« Ich lächelte Mr. Kadam verunsichert an, der mich aufmunternd ansah.

»Der Neoprenanzug schützt deine Haut vor Schnitten und Kratzern, kann aber reißen. Die Antwort auf deine Frage lautet also Nein, er ist nicht bissfest, außer die Fische sind sehr klein.«

Ich verzog das Gesicht, während Kishan hastig hinzufügte: »Sie hat Angst vor Haien.«

»Haiangriffe auf Taucher gibt es vereinzelt, sie sind aber nicht so häufig, wie man annehmen möchte. Ich bin schon unzählige Male getaucht und habe Haie gefüttert und fand das Erlebnis unbeschreiblich. Vielleicht bekommen wir ein paar Haie zu Gesicht, doch ich bezweifle, dass sie uns Ärger machen werden. Wenn du willst, können wir eine Extrastunde darauf verwenden, was bei einem Haiangriff zu tun ist.«

»Das ist eine tolle Idee. Vielen Dank«, sagte ich rasch.

»Der andere Punkt, den wir heute besprechen werden, sind die Gewichte. Die meisten Menschen benötigen Gewichte, damit sie im Wasser versinken. Wir werden heute mit Tauchgurten und integrierten Gewichten üben.«

Wes beschrieb die Ausrüstung bis ins kleinste Detail und bat uns dann, ins tiefe Ende des Pools zu kommen. Mr. Kadam und ich waren fertig, während Ren, Kishan und Wes sich noch aus ihren Hemden schälten. Oh là là, es ist fast, als wäre man bei einem Fotoshooting für GQ. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Jennifer bei diesem Anblick hyperventiliert hätte. Ich schnaubte. Wäre sie an meiner Stelle, würde sie wahrscheinlich glatt in Ohnmacht fallen und ertrinken. Ich war an bronzefarbene muskulöse Oberkörper gewöhnt, aber selbst mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren. Wenn ich jemals mit einem von ihnen den Strand entlangspazieren sollte, müsste ich sie wohl vorwarnen, dass ihnen reihenweise Mädchen vor die Füße fallen würden. Hm, zumindest lernen wir später, wie eine Reanimation funktioniert.

Wes ließ uns mit verschiedenen Gewichten trainieren, damit wir ein Gefühl dafür bekamen, wie sie uns nach unten zogen. Das größte Gewicht war zu schwer für mich. Ich konnte damit nicht wieder auftauchen und ließ es für Kishan am Boden zurück. Als Wes mit unseren Fortschritten zufrieden war, ließ er uns noch eine halbe Stunde Bahnen schwimmen. Anschließend meinte er, wir sollten uns am Nachmittag für den Erste-Hilfe-Kurs im Multimedia-Raum einfinden.

Als er uns endlich zum Mittagessen entließ, stand ich kurz vor dem Verhungern und aß ein riesiges Sandwich. Dann duschte ich, zog mich um und traf unsere Gruppe im Medienzimmer. Ich hatte schon einmal einen Erste-Hilfe-Kurs belegt und wusste theoretisch, wie eine Reanimation durchgeführt wurde, aber für Kishan und Ren war alles neu. Sie hörten gebannt zu und lernten rasch. Bei Übungen nahm ich Mr. Kadam als Partner, um keinen noch größeren Keil zwischen die Brüder zu treiben. Er verpasste mir eine Schlinge um den Arm, während ich an ihm den Heimlich-Griff übte.

Ren war nicht glücklich, so weit von mir entfernt zu sitzen, aber er hatte den größten Teil des Tages in meiner Nähe verbracht, und der Effekt stellte sich schon bald ein. Während einer kurzen Pause fragte ich ihn, wie es ihm ginge. Er lächelte matt und sagte: »Kopfschmerzen.« Ich machte noch einen Schritt zur Seite, auch wenn Wes immer wieder versuchte, mich zurück in den Kreis zu bringen.

Ren verschwand nach dem Unterricht und ließ das Abendessen entweder ausfallen oder aß in seiner Kabine. Kishan setzte sich neben mich, sodass Wes keine andere Wahl blieb, als den Platz uns gegenüber einzunehmen.

Wes und ich plauderten wieder angeregt, doch das störte Kishan nicht so sehr wie am Tag zuvor. Ganz im Gegenteil, er schien überraschend zufrieden damit zu sein, still dazusitzen und unserer Unterhaltung zu lauschen.

Eines der Dinge, die Wes am meisten an Texas vermisste, war das Barbecue. »Es gibt einfach nichts auf dieser Welt, das mit langsam gegrilltem Rind und saftigem, in köstlicher Marinade eingelegtem Schweinefleisch mit Krautsalat und Bohnen zu vergleichen ist. Das ist meine Vorstellung von Himmel. Ich bin sicher, könnten die Engel davon kosten, hätten sie alle fettige Finger und mit würziger Soße beschmierte Gesichter.«

Ich lachte. »Mir geht es so mit Cheeseburgern.«

»Es ist jetzt schon, o mein Gott, drei Jahre her, seit ich ein gutes Barbecue hatte. Drei lange Jahre mit Reis und Curry.«

»Ich bin auch kein Curry-Fan. Vielleicht können wir den Koch bitten, dir etwas Besonderes zuzubereiten.«

»Mannomann, du bist süß wie Honig. Das würde ich wahrlich begrüßen, Ma’am.« Er zwinkerte mir zu. »Würde es dir gefallen, mit mir einen kleinen Spaziergang auf diesem wunderbaren Schiff zu machen und den Sonnenuntergang zu betrachten? Ich brauche ein hilfsbereites Mädchen, das einen Arm um die Schultern eines einsamen Cowboys legt und ihm hilft, seetüchtig zu werden.«

Ich hob eine Augenbraue und versuchte mich ebenfalls an einem Südstaatenakzent: »Nun, ich glaube, du nimmst mich auf den Arm, mein lieber Texaner. Du warst schon seetüchtig, da lag ich noch in den Windeln.«

Wes rieb sich über die Stoppeln an seinem Kinn. »Da magst du womöglich recht haben. Nun, wie wäre es, wenn du mir Gesellschaft leistest, um mich warmzuhalten?«

»Wir haben sechsundzwanzig Grad.«

»Mist, du bist ein cleveres Mädchen. Wie wäre es dann damit: Ein Kerl kann ganz schön einsam sein in einem fremden Land, und er fände es sehr schön, etwas mehr Zeit mit dir zu verbringen?«

Wes bot mir mit einem charmanten Grinsen seinen Arm. Ich wollte ihn gerade nehmen, als sich Kishan zwischen uns drängte und Wes derart grimmig ansah, dass dieser den Blick abwendete.

»Wenn Kelsey auf dem Deck spazieren gehen möchte, werde ich sie begleiten. Warum verziehst du dich nicht in deine miefige Koje?«

Wes hatte sich schnell gefangen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Einem Mann zu sagen, er soll sich verziehen, und dafür zu sorgen, dass er sich verzieht, sind zwei Paar Stiefel.«

»Ich sage es dir gerne und wäre noch erfreuter, auch dafür zu sorgen. Deine Wahl.«

»Kishan, reiß dich zusammen. Ich mache morgen Abend einen Spaziergang mit dir. Wes ist unser Gast, und er wird nicht sehr lange hier sein«, wetterte ich und wandte mich dann Wes zu: »Du weißt dich hoffentlich zu benehmen?«

»Natürlich, Ma’am. Ich bin der perfekte Südstaatengentleman. Ich habe noch nie ein Mädchen unzüchtig berührt, wenn es das nicht wollte, auch wenn ich bisher sehr selten einen Korb bekommen habe.« Er grinste verschmitzt.

Wes’ Worte ließen Kishan nur noch grimmiger dreinblicken.

»Da, siehst du, Kishan? Wes wird der perfekte Gentleman sein, und du weißt ganz genau, dass ich mich durchaus selbst verteidigen kann.« Ich hob die Augenbrauen, damit er meine unterschwellige Botschaft verstand. Dann drehte ich mich zu Wes um und sagte: »Ich würde liebend gerne mit dir den Sonnenuntergang betrachten.«

Wir ließen Kishan stehen und schlenderten zur Reling am Bug des Schiffs. Ich stieß einen Seufzer aus.

»Wie lange hast du noch vor, auf beiden Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen?«

»Keine Ahnung.« Ich strahlte ihn an. »Du bist ganz schön scharfsinnig für einen tölpelhaften Hinterwäldler.«

»Ein Hinterwäldler mag ich sein, aber kein Tölpel«, sagte er mit einem Lächeln. »Aber mal im Ernst, du wirkst in die Enge getrieben wie ein Ferkel am Schlachttag. Willst du darüber reden?«

»Sie haben sich vor langer Zeit um ein Mädchen gestritten, und sie hatte einen tödlichen Unfall. Sie haben sich gegenseitig die Schuld gegeben, bis sie das Unglück endlich überwunden haben. Die beiden haben mit der Vergangenheit abgeschlossen und einander vergeben.«

»Und jetzt wiederholt sich die Geschichte … aber diesmal mit dir.«

»Ja.«

»Wie fühlst du dich dabei?«

»Ich liebe beide und will keinem von ihnen wehtun. Ren war immer derjenige, den ich gewollt habe, aber es ist gut möglich, dass wir nicht zusammen sein können.«

»Warum nicht?«

»Es ist … hm … kompliziert. Unsere Beziehung hatte ihre Höhen und Tiefen. Und Kishan ist ein weiterer Stolperstein.«

»Es gab nie ein Pferd, das nicht zugeritten, keinen Reiter, der nie abgeworfen wurde.«

Ich lachte. »Was soll das bedeuten?«

»Ist eine Cowboy-Weisheit. Es bedeutet, dass es keine unüberwindlichen Hindernisse gibt. Wenn du – mir fällt keine bessere Umschreibung ein – das Pferd zureiten willst, dann tu es. Vielleicht wirst du abgeworfen, aber zumindest hast du es versucht. Es ist die blauen Flecken am Hintern wert, wenn es das ist, was du wirklich willst. Denn wenn du die Gelegenheit an dir vorbeiziehen lässt, wirst du dich immer fragen, was wäre gewesen, wenn.«

Ich blieb bei Wes sitzen, bis der Mond aufgegangen war. Kurz nachdem ich ins Bett geklettert war, hörte ich ein leises Kratzen an der Verbindungstür. Ich öffnete sie und schlang die Arme um den Hals des weißen Tigers.

»Ich liebe dich«, murmelte ich und schlüpfte zurück ins Bett. Er sprang neben mich auf die Matratze und schmiegte sich an meinen Rücken.

Am nächsten Tag ließ uns Wes den ganzen Morgen über Tauchvideos ansehen. Wir lernten alles über Tauchsicherheit, Techniken, die Wartung der Ausrüstung, die Planung eines Tauchgangs und wie das Tauchen den Körper beeinflusst. Er listete uns ebenfalls die gängigsten Gefahren auf und erzählte uns von sämtlichen Anfängerfehlern, die Taucher so begehen konnten.

»Ein Dekompressionsunfall, auch Taucherkrankheit genannt, tritt auf, wenn man zu schnell wieder aufsteigt. Winzige Gasblasen bilden sich in eurem Körper, wenn ihr in tiefen Gewässern taucht, und sie brauchen Zeit, sich aufzulösen. Wenn man die Regeln des Auftauchens befolgt, minimiert man das Risiko ungemein.

Hyperkapnie oder CO2-Narkose kommt viel häufiger vor, und es ist schwer vorherzusagen, bei welcher Tiefe sie eintritt. Der Schlüssel liegt darin, nach Symptomen Ausschau zu halten und gegebenenfalls in seichteres Gewässer aufzusteigen, wenn man die ersten Anzeichen verspürt. Diese ähneln denen einer Alkoholvergiftung. Am Anfang befällt einen ein Gefühl von Gelassenheit und leichter Euphorie. Später folgen eine verlangsamte Reaktionszeit, eine Bewusstseinsänderung, Verwirrtheit, Benommenheit und Halluzinationen. Man kann es mit der Höhenkrankheit vergleichen. Ich habe von Sportlern gehört, die zu tief getaucht sind, eine CO2-Narkose hatten, ihren Atemregler abnahmen und ihn an vorbeischwimmende Fische weiterreichten, vermutlich weil die Fische ebenfalls Luft brauchten. Das ist einer der Gründe, weshalb wir immer mit einem Partner tauchen.«

»Ich werde leicht höhenkrank. Bedeutet das, dass ich anfälliger für Hyperkapnie bin?«, fragte ich.

»Hm, vielleicht. Bei den ersten Tauchgängen werden wir gut auf dich aufpassen.«

Den Rest des Vormittags drillte er uns, die Ausrüstung zusammenzubauen und dann wieder auseinanderzumontieren. Nach dem Mittagessen waren wir wieder im Pool, aber diesmal mit unserer Ausrüstung.

Die Deschen legte am Nachmittag an einem Ort mit dem Namen Betul Beach an, und Mr. Kadam gab der Crew den Abend frei. Wir erklärten dem Koch, dass wir uns das Abendessen liefern lassen würden. Als niemand in der Nähe war, benutzten wir die Goldene Frucht, um ein texanisches Barbecue-Büfett vorzubereiten.

Als die drei Männer später zum Abendessen erschienen, grinsten Mr. Kadam und ich vor Vorfreude und hoben die Servierhauben mit schwungvoller Geste hoch. Ein verzücktes Lächeln breitete sich auf Wes’ Gesicht aus, als ihn der Geruch von texanischem Barbecue in die Nase stieg. Er packte mich, küsste mich fest auf die Lippen und wirbelte mich herum.

»Lass … sie … los!«, drohte Ren.

»Verdammt, tut mir leid, dass ich deine Freundin geküsst habe, aber das ist das Netteste, was jemand für mich getan hat, seit Miss Louellen Leighton, die Zweitplatzierte im Schönheitswettbewerb für die Miss Austin, Texas, tausend Dollar bei der jährlichen Highschool-Football-Fundraising-Aktion bezahlt hat, um ein Date mit mir zu gewinnen.«

Ich lachte. »Das muss ja ein tolles Date gewesen sein!«

»Ein Südstaatengentleman genießt und schweigt«, sagte der Cowboy ernst.

Wes häufte sich gebratene Okra, gegartes Schweinefleisch, saftige Spareribs und Hühnchen, geräuchertes Rindfleisch, Knoblauchbrot und Maiskolben auf. Dann schnappte er sich einen zweiten Teller für seine Barbecue-Bohnen, den frischen Krautsalat, warme Brötchen, gemischten Salat und in Butter geschwenkte grüne Bohnen mit Zwiebeln und Speck. Mr. Kadam hielt sich ans Hühnchen und das Gemüse, während Ren und Kishan sich von fast allem nahmen.

»Verdammt noch mal! Das schmeckt nach Heimat.«

Als Ren und Kishan ihren zweiten Teller mit Essen holten, hielt Wes einen Moment inne und sah ihnen zu. »Ihr beide seid irgendwie anders, nicht wahr?«

Jeder am Tisch erstarrte. Nervös nippte ich an meinem Zitronenwasser, während sich eine angespannte Stille ausbreitete. »Was meinst du damit, Wes?«

Wes fuchtelte mit der Gabel in der Luft. »Die meisten Inder würden ein Barbecue mit ebenso großem Enthusiasmus essen wie eine Klapperschlange. Sie würden sich wie Mr. Kadam dort an das Hühnchen und das Gemüse halten.«

Ren und Kishan tauschten einen raschen Blick aus.

Dann antwortete Kishan bedächtig, während er Fleisch von einer Rippe zupfte. »Ich habe Wildschweine und Büffel gejagt. Vom Geschmack her ähneln sie Schweinefleisch. Auch wenn das hier ein bisschen länger gebraten wurde.«

Wes lehnte sich vor. »Du bist Jäger? Welches Gewehr besitzt du?«

»Ich besitze keines.«

»Wie hast du dann ohne Gewehr gejagt?«

»Ren und ich jagen eher … auf primitive Art.«

Wes nickte, als würde er verstehen. »Ah, mit Pfeil und Bogen. Das wollte ich auch schon immer mal ausprobieren. Meine Cousins jagen so Rotwild und Pekaris. Es ist viel gefährlicher und erfordert mehr Geschick.«

Kishan nickte und aß weiter.

»Mann, wer hätte das gedacht!«, fuhr Wes fort. »Dass ich zwei Raubtieren in Indien das Tauchen beibringe?«

Bei der Bemerkung musste ich husten und hätte mich fast an meinem Wasser verschluckt. Kishan versuchte mir zu helfen, indem er mir auf den Rücken klopfte.

»Wenn uns die Zeit bleibt, könnte ich euch die Unterwasserjagd beibringen«, bot Wes an.

»Die Unterwasserjagd?«, fragte ich.

»Ja. Speerfischen. Mit Harpunen.«

»Das Speerfischen würde uns beide sehr interessieren«, sagte Ren hastig und sah Kishan fest an.

»Ja. Ich hätte auch nichts dagegen, das zu erlernen«, fügte ich hinzu.

»Wirklich? Du steckst voller Überraschungen, Kelsey!«

Ich lachte, und die beiden Brüder tauten endlich auf. Sie verbrachten zwei Stunden damit, übers Speerfischen zu reden und stellten unzählige Fragen über die gebräuchlichen Arten von Waffen und wie sie unter Wasser funktionierten.

Den nächsten Tag verbrachten wir wieder am Pool, um uns für unser Training auf offener See vorzubereiten, das Wes für den folgenden Morgen angesetzt hatte. Wir übten verschiedene Arten, ins Wasser zu kommen: mit einem riesigen Schritt, sitzend vom Beckenrand und mit der Rückwärtsrolle. Wir tauchten abwechselnd mit Atemregler und Schnorchel, trainierten, unsere Taucherbekleidung unter Wasser auszuziehen und zu wechseln und uns kräftesparend treiben zu lassen. Dann übten wir, einen verletzten oder bewusstlosen Taucher abzuschleppen. Für Kishan reichten ein paar rasche Züge, und er hatte mich auf der andern Poolseite, während ich mich dreimal so hart abkämpfen musste, um ihn in Sicherheit zu bringen.

Nachdem wir uns abgetrocknet und unsere Ausrüstung verstaut hatten, verkündete Wes, dass wir am nächsten Morgen am Strand schnorcheln würden und anschließend in die Tiefe tauchen. Augenblicklich stieg Panik in mir auf.

»Moment mal, Wes. Sind wir denn wirklich schon bereit? Ich meine, haben wir genug gelernt? Ich denke, ich brauche noch ein paar Tauchstunden.«

»Die wirst du auch bekommen, allerdings draußen im Wasser.«

»Okay. Aber ich glaube, ich brauche noch ein paar hier im Pool.«

»Tut mir leid, Süße, doch das, was ich euch im Pool beibringen kann, hat seine Grenzen. Es ist an der Zeit, sich den Tiefen des Salzwassers zu stellen.«

Mir wurde übel.

Während Ren mich betrachtete, sagte Kishan: »Wir sind bei dir, Kells. Mit uns kann dir nichts passieren.«

Und Wes fügte hinzu: »Wenn jemand die Angst vor dem Meer überwinden kann, dann du, kleine Lady. Wie John Wayne so schön sagte: Mut bedeutet, zu Tode verängstigt zu sein und sich dennoch in den Sattel zu schwingen.«

Ich nickte und konnte den restlichen Tag über an nichts anderes denken. Meine Nerven brannten mir ein Loch in den Magen, weshalb ich das Abendessen ausfallen ließ. Am nächsten Morgen schlüpfte ich in meinen Tauchanzug und folgte Mr. Kadam bedrückt zum Unterdeck, um unsere Ausrüstung in das Sieben-Meter-Boot zu verfrachten. Er drückte auf mehrere Knöpfe, und die Seitenluke öffnete sich, während hydraulische Kabel das Schiff ins Wasser ließen. Kishan sprang als Erster ins Boot, gefolgt von Mr. Kadam und Wes. Dann nahm Ren meinen Arm, gab mir einen Kuss auf den Scheitel und hob mich zu Kishan hinab, der mich an der Taille umfasste.

Ren folgte mir, seufzte und setzte sich ans andere Ende vom Boot. Dann fuhr Mr. Kadam das Schiff nahe an die Stelle am Strand, wo Wes uns üben lassen wollte. Wir sollten uns in Zweiergruppen aufteilen, und ich nahm wieder Kishan als Partner. Wir gingen ins Wasser, glichen den Druck im Ohr aus, setzten die Masken auf und zogen unsere Flossen über.

Wir trainierten das vertikale Tauchen, das Schwimmen unter Wasser und das Säubern unserer Schnorchel. Nach einer Weile begann ich, mich zu entspannen und die Zeit zu genießen. Das Wasser war kristallklar und ruhig, und ich konnte fünf bis zehn Meter in alle Richtungen sehen. Wes drillte uns mit Navigationsübungen, bei denen wir mithilfe unseres Kompasses in einer geraden Linie schwimmen mussten. Anschließend durften wir die Unterwasserwelt erkunden.

Wir entdeckten wunderschöne Muscheln und faszinierende Korallenfelder. Hunderte von Fischen huschten an uns vorbei. Die meisten waren mir fremd, aber ich erkannte Kaiserfische und Zackenbarsche. Glücklicherweise sah ich keinen einzigen Hai, doch eine Wasserschildkröte und eine Art Rochen schwammen gemächlich an uns vorbei. Ich blickte hinab und bemerkte, dass Ren zu mir hochsah. Um seine Augen bildeten sich Lachfältchen, gerade als ein Schwarm bunter Fische an ihm vorbeischoss. Da begriff ich mit einem Schlag, dass dies einer meiner Träume in Shangri-La gewesen war.

Damals hatte ich geträumt, mit Ren im Ozean zu schwimmen – und so war es nun tatsächlich passiert. Er zeigte mit dem Daumen nach oben, was in der Tauchersprache bedeutete, dass wir an die Oberfläche sollten. Ich tauchte neben ihm auf.

»Wie findest du es?«, wollte er wissen.

»Es gefällt mir wirklich gut. Solange keine Haie in Sicht sind, ist alles in Ordnung.«

»Schön.«

»Wolltest du mich etwas fragen?«

»Nein. Ich wollte dir nur rasch sagen, dass du wunderschön bist.« Er zwinkerte mir zu, grinste und tauchte wieder unter Wasser.

Nachdem wir zur Jacht zurückgekehrt waren und zu Mittag gegessen hatten, waren wir bereit für unsere nächste Lehrstunde. Dieses Mal gingen wir direkt von der Jacht ins Wasser. Ich folgte Kishans Beispiel und machte einen gewaltigen Schritt von der Schiffsrampe. Wir entfernten uns ein wenig vom Boot und gingen die Technik des CESA durch, des kontrollierten Notfall-Schwimm-Ausstiegs – ein Verfahren, das laut Wes angewendet wird, wenn einem Taucher die Luft ausgeht und er mit einem einzigen Atemzug auftauchen muss, während er die ganze Zeit über langsam ausatmet.

Dann wiederholten wir die fünf Punkte des kontrollierten Auf- und Abtauchens. Akribisch genau beobachtete ich mein Messgerät und meine Luftblasen. Wes hatte uns eingebläut, dass wir niemals schneller als unsere langsamste Luftblase auftauchen dürften. Sobald wir über Wasser waren und das Gleichgewicht gefunden hatten, drehten wir uns im Kreis, suchten nach Gefahren und sollten dem Boot ein Zeichen geben.

Wes war überzeugt, dass wir nun gewappnet waren für einen gemeinsamen kurzen Tauchtrip. Er teilte Ren und Kishan als Tauchpartner ein und wollte selbst mit Mr. Kadam und mir arbeiten. Wir sollten alle zusammenbleiben und trainieren, Tauchpartner zu werden, Buddys. Diesmal sah ich einen Barrakuda und einen Feuerfisch. Ich berührte eine Hirnkoralle, einen Seestern und eine riesige Trompetenmuschel. Ein großer Krebs huschte in Sicht, und ich folgte ihm eine Weile über den felsigen Meeresboden.

Das Meer war voller Farben, Bewegungen und sogar Geräuschen. Seegras wiegte sich hin und her. Fische schossen umher, stoben auseinander und glitten an uns vorbei. Ich hörte das Zischen der Gasbläschen und spürte die Vibrationen der Strömung, die an mir zerrte. Versunken in meine Umgebung bemerkte ich erst sehr spät, dass ich mich weit von Wes entfernt hatte, weshalb ich mich beeilte, ihn einzuholen.

Ich folgte Wes und tauchte zwischen einem kleinen Steinwall und einem Felsenriff hindurch. Genau in dem Moment huschte ein Aal aus der Felszunge und glitt über meinen Arm. Ich trat, so fest ich konnte, um mich, schrie und verlor meinen Atemregler. In Panik tastete ich nach meinem Oktopus-Notfallregler und rammte den Felsrücken hinter mir. Der Ersatzregler funktionierte einwandfrei, aber ich hatte alles vergessen, was ich im Training gelernt hatte, und tauchte hektisch und ohne auf meine Umgebung zu achten, von der Felszunge auf.

Ich schoss einen Meter in die Höhe und knallte mit dem Kopf gegen einen Felsvorsprung über mir. Ich konnte gerade noch die anderen ausmachen, die hastig auf mich zugeschwommen kamen, bevor ich das Bewusstsein verlor.