6

Das Sternenfest

Nilima hat das Schiff in Mumbai generalüberholen lassen«, erklärte Mr. Kadam. »Wir segeln um Indien herum und machen einen Zwischenstopp in Goa, wo wir unseren Tauchlehrer abholen. Er wird an Bord bleiben, bis wir ihn in Trivandrum wieder absetzen. Ihr werdet den Großteil der Reise damit verbringen, das Tauchen zu erlernen, und Zeit ist von entscheidender Bedeutung.«

»Sie wollen also gleich aufbrechen? Einfach so? Sollten wir vorher nicht noch ein wenig Recherche betreiben?«, fragte ich.

»Wir werden sehr langsam reisen, und ich habe vor, die Schiffsbibliothek mit allem zu bestücken, was wir benötigen, damit wir auch auf hoher See weiterarbeiten können. Auf dem Weg müssen wir zahlreiche Zwischenstopps einlegen, etwa für den Durga-Tempel, und außerdem möchte ich, dass Ihnen genügend Zeit zur Verfügung steht, um Tauchgänge zu absolvieren, bevor wir die Stadt der Sieben Pagoden erreichen.«

Ich rutschte nervös hin und her. »Und wann werden wir aufbrechen?«

»Nach dem Sternenfest nächste Woche«, erklärte Mr. Kadam so gelassen wie immer.

Ren setzte sich auf. »Das wird hier immer noch gefeiert?«

Mr. Kadam lächelte. »Ja, auch wenn sich die Traditionen im Laufe der Jahre ein wenig verändert haben.«

»Was ist das Sternenfest?«, unterbrach ich sie.

Ren wandte sich zu mir um und erklärte: »Das ist die chinesische Entsprechung des Valentinstags.«

»Und in Indien gibt es ein Fest dafür?«

Mr. Kadam erläuterte näher: »Die Festivität, die hier stattfindet, ist das Relikt eines Feiertags, der von Rens und Kishans Familie begründet wurde.«

Kishan fügte hinzu: »Meine Mutter liebte diesen Feiertag und wollte ihn auch in Indien begehen, weshalb mein Vater ihn in seinem Königreich einführte. Allem Anschein nach hat sich der Brauch bis heute gehalten.«

»Was geschieht während des Sternenfests? Was sind die Traditionen?«

Mr. Kadam stand auf. »Das zu erklären, werde ich wohl Ren und Kishan überlassen. Gute Nacht, Miss Kelsey.«

»Gute Nacht.«

Ich blickte von Ren zu Kishan und wartete neugierig, dass einer von ihnen das Wort ergriff. Sie starrten einander schweigend an. Da stieß ich Kishan den Ellbogen in die Seite. »Nun? Erzähl schon.«

»Vergiss nicht, dass ich den Feierlichkeiten seit ein paar Jahrhunderten nicht mehr beigewohnt habe, aber wenn ich mich recht entsinne, findet in der Stadt ein großes Fest mit einem Feuerwerk, kulinarischen Köstlichkeiten und Laternen statt. Die Mädchen ziehen sich alle schick an. Es gibt Tanz und Musik.«

»Oh. Es ist also kein Abklatsch des amerikanischen Valentinstags? Geht es überhaupt um Liebe? Gibt es Schokolade, Blumen, Karten?«

»Nun, es gibt Blumen und Karten, aber keine gekauften.«

Ren unterbrach seinen Bruder. »Dieses Fest gibt den Menschen die Gelegenheit, den Wunsch zu äußern, wen sie heiraten wollen.«

»Aber ich dachte, die meisten Ehen in Indien wären arrangiert.«

»Das stimmt«, sagte Kishan. »Es ist lediglich ein harmloser Zeitvertreib für Mädchen, ihre Gefühle auszudrücken. Ich bin gespannt, wie sich die Bräuche seit unserer Zeit verändert haben. Ich bin sicher, dir wird das Fest gefallen, Bilauta.« Er drückte meine Hand und zwinkerte mir zu.

Ren räusperte sich. »In China heißt das Fest Die Nacht der Sieben und wird am siebten Tag des siebten Monats des Mondkalenders gefeiert, doch das Datum ist weniger wichtig als die Sternenkonstellation. Das Fest findet statt, sobald sich die Sterne Orihime und Hikoboshi am Himmel treffen, und wenn man einen Wunsch niederschreibt, schickt man ihn an diese Sterne. Allerdings kenne ich ihre englischen Namen nicht. Da müsstest du Mr. Kadam fragen.«

»Was soll ich anziehen?«

»Vertraust du mir?«

Ich seufzte. »Ja. Dein Kleidergeschmack schlägt meinen um Längen.«

»Gut. Ich werde dir etwas Passendes besorgen. Wenn die Feierlichkeiten den Traditionen treu geblieben sind, hält sich ein Mädchen in der Nähe ihrer Eltern auf und darf gewissen Aktivitäten oder Spielen nur mit Zustimmung ihres Vaters beiwohnen. Dem Brauch nach müsstet du und Nilima in Begleitung von Kadam aufs Fest gehen. Weil du jedoch keine Inderin bist, spielt es wohl keine große Rolle. Du kannst dich natürlich völlig frei bewegen.«

»Da bin ich aber froh.«

Jede Sekunde der folgenden Woche war mit geschäftigem Treiben erfüllt. Mr. Kadam und ich gingen jedes Buch der Bibliothek durch und packten alles ein, von dem wir auch nur im Entferntesten annahmen, es könnte uns auf dem Schiff nützlich sein. Ich recherchierte stundenlang im Internet nach den Drachen der fünf Ozeane. Außerdem verbrachte ich viel Zeit mit Kishan und Ren, wenn auch etwas mehr mit Letzterem.

Allmählich schien Ren wieder ganz der Alte zu sein. Wenn wir zusammen waren, lasen wir viel. Er war gerne mit mir im selben Zimmer, allerdings hielt er sich in sicherer Entfernung auf. Immer öfter bat er mich, ihm Gesellschaft zu leisten, während er musizierte oder Gedichte verfasste, und fragte mich bei gewissen Wendungen oder Liedtexten nach meiner Meinung.

Er neckte mich und scherzte mit mir und versuchte, meine Hand zu halten, doch trotz all seiner Bemühungen schien er keine Widerstandsfähigkeit aufbauen zu können. Jede Berührung tat ihm weh, und ihm wurde übel. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber das entging mir natürlich nicht.

Ich war mir nicht hundertprozentig sicher, was er fühlte oder dachte. Es machte auf mich den Anschein, als würde er sich trotz der Nebenwirkungen große Mühe geben, Zeit mit mir zu verbringen. Wir redeten nicht mehr über unsere Gefühle, aber er schien fest entschlossen, in meiner Nähe zu sein, mir näherzukommen. Er versuchte alles Mögliche, um den Trigger zu finden, der den Schalter in seinem Gedächtnis wieder umlegte, und er begann, mir im Laufe des Tages Blumen und Gedichte an den unterschiedlichsten Orten zu hinterlassen, ganz so, wie er es in Oregon getan hatte. Es war fast genug.

Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken an das Fest, bis Ren eines frühen Nachmittags auf die Veranda kam, wo ich eifrig am Schreiben war.

»Ich bringe dir dein Kleid für das Fest.«

»Oh, danke«, sagte ich zerstreut. »Könntest du es mir aufs Bett legen? Ich hänge es dann später in den Schrank.«

»Es in den Schrank hängen? Das Fest ist heute Abend, Kells. Und was zum Teufel schreibst du da?«

»Was? Wie kann eine Woche so schnell vorbeigehen?« Ich presste das Buch an meine Brust, als Ren versuchte, mir über die Schulter zu spähen. »Wenn du es unbedingt wissen willst, Mr. Neugierig, ich schreibe ein Gedicht.«

Er grinste. »Ich dachte, du schreibst nur Tagebuch. Darf ich mal?«

»Ich feile noch an ein paar Worten herum. Außerdem ist es nicht so gut, wie deine sind. Du würdest mich auslachen.«

Ren setzte sich mir gegenüber. »Kelsey. Das würde ich niemals. Bitte? Wovon handelt es denn?«

»Liebe.« Ich seufzte. »Du wirst hier sitzen bleiben und mir so lange keine Ruhe lassen, bis ich es dir zeige, nicht wahr?«

»Gut möglich. Ich platze vor Neugier.«

»Na schön. Aber es ist mein erstes Gedicht, sei also nicht zu kritisch.«

Ren senkte den Kopf. »Natürlich, Strimani. Ich bin stets der perfekte Gentleman.«

Meine Mundwinkel kräuselten sich spöttisch, aber ich reichte ihm dennoch das Buch. Während er das Gedicht einmal schweigend durchlas, saß ich da und kaute angespannt an den Nägeln. Dann las er es laut vor:

Liebe ist Pflege

Liebe ist Pflege

Sie beginnt mit …

Süß duftender Lotion auf rauer Haut

Eau de Cologne auf frisch rasierten Wangen

Leuchtenden Gesichtern, gestärkten Hemden, kurzen Röcken

Bemalten Lippen, rosa Wangen und frisierten Haaren.

Wir glänzen

Wir sind gezupft, geschmückt, parfümiert und gepudert

Wir kaufen Blumen, Schokolade, Kerzen und Schmuck.

Es ist nicht echt

Echte Liebe ist farblos, rau, stoppelig

Mütter, die Windeln wechseln

Zehennägel schneiden, Nase putzen, der Atem am Morgen

Sneakers und Pantoffeln statt Stöckelschuhen

Mausgraue Mähne

Stumpfe Strähnen

Liebe ist rissige Lippen, Ohrenschmalz, Stoppelbart

und ungepflegte Nägel

Liebe ist kratz-mir-den-Rücken, haarige Beine, du hast was zwischen den Zähnen, mein Liebling

Echte Liebe

Ist dem Ehemann ein Haar am Rücken zupfen

Großvaters Bettpfanne leeren

Am Freitagabend eine Jogginghose tragen

Geld sparen, nicht ausgeben

Fiebrige Gesichter mit feuchten Tüchern abtupfen

Löwinnen lecken ihre Jungen sauber

Affen zupfen einander Käfer aus dem Fell

Menschen waschen der verstorbenen Mutter noch einmal das Haar

Liebe ist Pflege

Ren saß eine Weile schweigend da und starrte auf das Papier. Mein Fuß klopfte nervös auf den Boden.

»Nun? Raus mit der Sprache.«

»Es ist ein wenig … düster. Aber es gefällt mir. Auch wenn Affen streng genommen ihren Artgenossen nicht aus Liebe die Käfer aus dem Fell zupfen. Es ist ihr Nachmittagssnack.«

Ich entriss ihm mein Notizbuch. »Und diese Art von Hingabe für einen Snack ist Liebe, eine hingebungsvolle Liebe für den Snack.«

Er musterte mich durch seine langen kohlrabenschwarzen Wimpern. »Du hast ein großes Herz und bist verletzt worden. Es tut mir leid, dass ich den Schmerz noch vergrößert habe.«

»Mach dir keine Gedanken.«

Ren berührte kurz meine Hand. »Ich kann an nichts anderes denken. Dann bis heute Abend.« Er drehte sich um, bevor er lächelnd auf den Korridor trat. »Halt einen Tanz für mich frei.«

Nachdem er fort war, trat ich an mein Bett und schlug das Seidenpapier zurück. In der Schachtel lag ein umwerfendes chinesisches Seidenkleid. Vorsichtig hielt ich es mir an. Das Kleid war in Rens Lieblingsfarbe gehalten, verschiedenen Farbschattierungen von Blau. Vom Hals bis zur Brust begann es in einem weichen Navy-Ton und wandelte sich dann in ein dunkles Graublau – der Farbe des Nachthimmels.

Auf das Kleid waren mit goldenen und silbernen Fäden Sterne, Monde, Planeten und wilde Drachen gestickt. Dazwischen kräuselten sich Reben und stilisierte Blumen, ebenfalls in Silber und Gold. Der hohe Kragen war typisch Mandarin, mit einem kleinen runden Ausschnitt und einem silbernen Posamentenverschluss. Das Kleid reichte mir bis zur Wade, und ich betrachtete gerade mit hochgezogener Augenbraue den unerhört langen Seitenschlitz, als ich das Etikett bemerkte.

Ren hat es gekauft. Er hat es nicht einfach mit dem Göttlichen Tuch gefertigt.

Genau in dem Moment klopfte Mr. Kadam an der Tür und brachte mir zwei weitere Schachteln. »Das Kleid ist reizend, Miss Kelsey. Hier haben wir noch die Schuhe und die Haarspangen, die eben angekommen sind. Nilima lässt ausrichten, dass sie in einer Stunde bei Ihnen sein wird, um Ihnen mit Ihrem Haar behilflich zu sein.«

»Ich habe noch nie ein so wunderschönes Kleid gesehen. Warum hat er es gekauft? Er hätte es doch mit dem Tuch fertigen können.«

Mr. Kadam zuckte mit den Schultern. »Das Kleid wird Qipao genannt. In der chinesischen Kultur ist es weit verbreitet. Rens Mutter trug es häufig. Womöglich werden Sie ein paar hier auf dem Fest in Indien sehen. Dennoch werden Sie wohl herausstechen, was meiner Ansicht nach der Grund ist, weshalb er es gekauft hat.«

»Oh. Danke. Dann sehen wir uns in zwei Stunden.«

»Ich freue mich schon auf die Festlichkeit.«

Wie versprochen klopfte Nilima eine Stunde später an meiner Badezimmertür, während ich gerade mein Haar glättete.

»Ah, perfekt. Ich habe eine besondere Frisur im Sinn, und für die ist glattes Haar vonnöten.«

Ich setzte mich auf einen Polsterstuhl vor dem breiten Spiegel und blickte Nilima an. Sie trug bereits eine knallorange Lehenga mit einer Bluse aus Samt, auf die seidene Applikationen genäht waren. Kristalle, Perlen, Pailletten und Tropfen aus geschliffenem Glas zierten ihren Rock und die Dupatta. Das lange dunkle Haar der schlanken Frau war gelockt und fiel ihr anmutig den Rücken hinab. An den Seiten wurde es locker von goldenen und orangefarbenen Schmetterlingsspangen gehalten, und schwere Goldohrringe und Armreifen vervollständigten das Bild.

»Sie sehen wunderschön aus, Nilima.«

»Vielen Dank. Das werden Sie auch.«

»Nun, wenn meine Frisur auch nur ansatzweise so schön sein wird wie Ihre, bin ich sicher, dass ich als passabel durchgehen werde.«

Sie lachte, während sie mein Haar in verschiedene Partien unterteilte. Ich versuchte, genau aufzupassen, aber ihre Hände bewegten sich zu schnell. Geschickt schob sie mein Haar auf die Seite, begann es mit kräftigen Bürstenstrichen zu kämmen und zwirbelte es dann zu einem eleganten Dutt am Hinterkopf. Als sie zufrieden war, holte sie eine Auswahl verschiedener Haarkämme aus einer der Schachteln, die Mr. Kadam eben gebracht hatte. Die mit Saphiren und Diamanten besetzten Kämme hatten die Form von Sternen, Monden und Blumen.

Ein Paar Ohrhänger war ebenfalls beigelegt. Um einen glitzernden ovalen Stein in Königsblau waren dunkelblaue Juwelen mondsichelförmig angeordnet. Auf dem mittleren Stein war ein diamantener Stern befestigt, und kleine tröpfchenförmige Glasperlen in Königsblau, Dunkelblau, Gold und Silber hingen davon herab.

Nilima steckte mir die Kämme in die aufwendige Frisur und verkündete, ich wäre nun präsentabel. Kleinlaut bat ich sie um Hilfe, damit ich mich in das enge Kleid zwängen konnte.

Nilima erklärte, das Kleid sähe wunderbar aus, aber ich war sicher, ich würde den ganzen Abend an dem Stoff ziehen und zupfen, um mein Bein bedeckt zu wissen. In der anderen Box, die Mr. Kadam gebracht hatte, lag ein Paar Schuhe – silberne High Heels mit goldenen Applikationen.

Ich stellte mich vor den Ganzkörperspiegel des Wandschranks und betrachtete mich von Kopf bis Fuß. Ich war geschockt, dass das Mädchen im Spiegel tatsächlich ich war. Ich sah exotisch aus. Ein langes, nacktes Bein spähte aus dem Schlitz des Kleides, und die hohen Absätze ließen mich ungewöhnlich groß aussehen.

Von all dem Training mit Kishan war mein Körper straffer geworden. Meine Taille war schmaler, meine Arme muskulöser. Meine Hüften waren immer noch genauso breit, was mich kurviger aussehen ließ. Nilima hatte meine Augen mit dunkelblauem Eyeliner betont und meine Lider mit glitzerndem goldenem Puder bestäubt. Ich sah aus wie eine Frau, nicht mehr wie ein Mädchen. Ich fühlte mich … begehrenswert. Ich hörte auf, an meinem Kleid zu zupfen, ließ die Hände an den Seiten herabhängen und lächelte.

Das Wort schön wäre mir in Bezug auf mich selbst nie in den Sinn gekommen. Bequemlichkeit war mir immer wichtiger gewesen als Stil. Aber heute Abend stellte mich mein Spiegelbild derart zufrieden, dass ich glaubte, sogar neben Ren und Kishan bestehen zu können. Mit diesem beglückenden Gedanken hob ich den goldbemalten Fächer auf, der in der Schachtel mit den Haarkämmen gelegen hatte, schlang mir die Kordel ums Handgelenk und schritt selbstsicher die Treppe hinab.

Am unteren Absatz warteten bereits Nilima und Mr. Kadam, der in seinem einfachen weißen Anzug und dem liliengrünen Seidenhemd sehr schick aussah.

»Oh, Mr. Kadam! Sie sehen toll aus. Aber wo sind Ren und Kishan?«, fragte ich.

»Sie sind schon vorausgefahren. Wir treffen sie am Springbrunnen in der Stadt.« Mr. Kadam bot uns beiden den Arm und fuhr fort: »Vielen Dank für das Kompliment, aber niemand kann den Damen an meiner Seite das Wasser reichen. Ich werde von jedem Mann auf dem Fest beneidet werden.«

Mr. Kadam half uns in den Rolls-Royce und beklagte sich kurz, dass wir nicht den McLaren benutzen konnten, da dieser leider nur ein Zweisitzer sei. Im Handumdrehen erreichten wir das Sternenfest, und ich fühlte mich wie Aschenputtel auf dem königlichen Ball.

Die Stadt war hell erleuchtet, und Menschen in farbenprächtiger Kleidung flanierten durch die Straßen. Schnüre mit Papierlaternen in allen nur erdenklichen Farben spannten sich zwischen den Gebäuden. Riesige mit Luftschlangen behängte Kugeln aus Pappmaché hingen über dem Torbogen, hinter dem, von Girlanden aus Blumen und Lichterketten umrankt, der Tanzplatz lag.

Nilima und ich nahmen Mr. Kadam in die Mitte und hakten uns bei ihm unter. Mit der Miene eines stolzen Vaters führte er uns zu dem Wunschbaum, suchte zwei farbige Papierstreifen aus und reichte uns je einen.

»Schreiben Sie Ihren Wunsch auf und binden Sie das Papier an den Baum«, erklärte er. »Wenn Sie sich hier etwas wünschen und fest an die Sterne glauben, geht Ihr Wunsch noch in diesem Jahr in Erfüllung.«

Ich schrieb meinen Wunsch nieder und folgte Nilima zu dem Baum, der mit Tausenden farbenfroher Papierstreifen geschmückt war. Wir fanden eine gute Stelle, um unsere zu befestigen. Dann war es an der Zeit, die Brüder zu treffen und uns etwas zu essen zu holen.

Wir spazierten an unzähligen Menschengruppen vorbei, in Richtung des großen Springbrunnens im Zentrum der Stadt, aus dem in hohem Bogen Wasserfontänen schossen, angestrahlt von rotierenden farbigen Lichtkegeln. Es sah wunderschön aus. Mr. Kadam teilte höflich die Menschenmenge, damit Nilima und ich ihm folgen konnten.

Kishan begrüßte Mr. Kadam und Nilima und wandte sich dann mir zu. »Du siehst … göttlich aus«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schön ist.«

Er trug eine dunkelblaue Hose und ein langärmeliges burgunderrotes Hemd mit dünnen, vertikalen marineblauen Streifen. Sein dunkles, leicht zerzaustes Haar und seine glitzernden goldenen Augen waren wie Magnete und hatten längst die Aufmerksamkeit mehrerer junger Frauen auf sich gezogen.

Kishan neigte den Kopf und bot mir den Arm. »Darf ich bitten?«

Ich lachte. »Ich wäre entzückt, von einem so gut aussehenden, jungen Mann begleitet zu werden, aber du musst zuerst noch Daddy fragen.«

Mr. Kadam lächelte. »Natürlich. Solange du sie vor der Laternenfeier zurückbringst.«

Während Kishan mich fortzog, fragte ich: »Und … wo ist Ren?«

»Der hat sich aus dem Staub gemacht, nachdem wir hier angekommen sind. Meinte, er müsste etwas erledigen.«

»Oh.« Trotz meiner umwerfenden Begleitung stieg ein Hauch von Enttäuschung in mir auf.

»Lass uns etwas zu essen holen«, sagte er.

Wir gingen an einem Stand nach dem anderen mit köstlichem Essen vorbei. Eine Frau verkaufte nichts weiter als Zuckerstangen in Rosenform. Viele der Händler boten kleine Appetithäppchen an, und wir suchten uns an verschiedenen Ständen ein paar Leckereien aus: scharf gewürztes Pfirsich-Chutney auf Kräckern, Samosas und ein kleines Schälchen Baigan Bharta, was sich als über der offenen Flamme gegrillte Aubergine herausstellte, die geschält und mit Joghurt und Gewürzen vermischt war. Außerdem gab es eine Unmenge an chinesischen Vorspeisen, Frühlingsrollen, Wan Tan und Dim Sum. Ich sah sogar Curry-Popcorn – lehnte aber dankend ab.

Kishan lachte, als ich die Nase rümpfte. »Wie kannst du Indien lieben, wenn du Curry hasst?«

»Hier gibt es viele andere Gewürze und Speisen, die mir gut schmecken, ich mag bloß kein Curry.«

»Okay, aber das schränkt die Auswahl an Essen für dich ziemlich ein.«

»Was wahrscheinlich eine gute Idee ist. Dann sprenge ich zumindest nicht die Nähte meines Kleids.«

»Hm.« Kishan musterte mich frech von oben bis unten und sagte lachend: »Vielleicht solltest du doch noch eine Portion essen.«

Kurz darauf liefen wir Mr. Kadam und Nilima über den Weg. Von Ren hingegen fehlte immer noch jede Spur.

Da nahm Nilima meinen Arm. »Lassen Sie uns gemeinsam zur Laternen-Zeremonie gehen.«

»Was wird da passieren?«

»Das werden Sie schon sehen«, sagte Nilima lachend. »Kommen Sie.«

Eine Menschentraube hatte sich bereits bei der Brücke eingefunden. Die Organisatoren des Fests standen auf einer erhöhten Tribüne und begrüßten die Zuschauer. Mr. Kadam übersetzte.

»Sie heißen uns willkommen und hoffen, dass wir das Fest genießen. Jetzt redet der Sprecher von der bedeutsamen Geschichte unserer Stadt und den Erfolgen, die sie dieses Jahr vorzuweisen haben. Ah …!« Mr. Kadam klatschte begeistert in die Hände. »Jetzt sollen die Väter mit heiratsfähigen Töchtern vortreten und eine Laterne aussuchen. Bleiben Sie hier. Ich bin sofort zurück.«

Schachteln mit Laternen in Blumenform wurden geöffnet und an die Väter mit unverheirateten Töchtern verteilt. Mr. Kadam brachte zwei Laternen zurück, reichte eine pinkfarbene Nilima und eine weiße mir.

»Was tue ich jetzt damit?«

»Sie beschreiben den Mann, den Sie heiraten wollen«, erklärte Mr. Kadam.

Erschrocken stotterte ich: »L…Laut?«

»Nein, auf dem Papier oder in Gedanken, wie Sie möchten. Dann tritt ein Mädchen nach dem anderen vor und legt die Laterne entweder ins Feuer, wenn sie denkt, dass sich der Mann ihrer Träume in der Nähe befindet, oder ins Wasser, wenn sie das Gefühl hat, er ist in weiter Ferne.«

Ich blickte zu Kishan, der mir bedeutungsvoll zuzwinkerte.

»Oh.« Ich schluckte schwer.

Nilima drehte sich zu mir. »Sind Sie bereit, Miss Kelsey?«

»Ja.«

»Gut. Denn der Sprecher hat gerade alle unverheirateten Frauen gebeten, vorzutreten.«

Nilima nahm meinen Arm, und wir gingen gemeinsam nach vorne, wo auch schon die anderen Mädchen warteten. Beim Läuten einer Glocke entzündete jede ihre Laterne mit einer winzigen Kerze. Als die Glocke ein zweites Mal bimmelte, bewegte sich der Zug an kichernden Frauen vorwärts, und jede traf vor der johlenden Menschenmenge ihre Wahl.

Neben dem Feuer war ein hölzerner Aquädukt erbaut worden, auf dessen schwacher Strömung die Laternen zum nahegelegenen Fluss getragen wurden. Nilima meinte, der Aquädukt wäre erst kürzlich errichtet worden, damit die teuren, eleganten Schuhe der Frauen nicht schmutzig wurden. Außerdem verlieh es der Feierlichkeit mehr Dramatik, da die Umstehenden erst in allerletzter Sekunde wüssten, ob das Feuer oder das Wasser gewählt wurde.

Ich stellte mich hinten in die Schlange und suchte die Menschenmenge nach Ren ab, konnte ihn aber immer noch nirgends entdecken. Kishan hingegen grinste übers ganze Gesicht. Nilima war vor mir an der Reihe und gab ihre Laterne ins Wasser. Ich beobachtete, wie sie im Kanal davongetrieben wurde, trat dann vor, warf meine Laterne ins Feuer und hörte, wie Mr. Kadam und Kishan jubelten.

Nach der Zeremonie forderte mich Kishan zum Tanz auf, und Mr. Kadam und Nilima schlossen sich uns an. Mit Kishan zu tanzen, war nun völlig anders als damals, als er gerade erst in die Zivilisation zurückgekehrt war. Auch wenn er bei schnelleren Liedern immer noch ein wenig unsicher war, hatte er sich zu einem äußerst geübten Tänzer gemausert, was langsame Tänze anbetraf. Er drückte mich fest an sich, hielt mich besitzergreifend in seinen Armen und wiegte mich sanft zur Musik. Ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren als ihn und fand es schwer, dem gut aussehenden Mann und der funkelnden Einladung in seinen Augen zu widerstehen.

Kishan blickte mürrisch drein, als der Tanz zu Ende war, und erklärte, es sei Tradition, nur ein einziges Lied mit ein- und demselben Mädchen zu tanzen und sie dann zurück zu ihrem Vater zu bringen. Anschließend müsste man sich wieder hinten anstellen, um anderen möglichen Werbern die Möglichkeit zu geben, die Eltern des Mädchens zu beeindrucken. Nilima war von einer Gruppe von Männern umzingelt, die alle um ihre Aufmerksamkeit heischten, und zu meiner großen Überraschung gab es auch eine Handvoll junger Männer, die für mich Schlange standen. Das passte Kishan ganz und gar nicht.

Mr. Kadam schien in seinem Element zu sein und stellte mich entzückt mehreren Männern vor, wobei er, wenn nötig, übersetzte, was jedoch nicht häufig der Fall war. Der Großteil meiner »Werber« sprach fließend Englisch. Kishan tanzte so oft wie möglich mit mir und verbrachte die restliche Zeit damit, die anderen Bewerber einzuschüchtern.

Es machte nicht den Anschein, als würde Ren rechtzeitig zurückkommen. Ich fand mich mit dem Gedanken ab und beschloss, mich auch ohne ihn zu amüsieren.

Kishan brachte mich nach unserem vierten Lied zurück und bat dann Nilima um den Tanz. Als mir Mr. Kadam etwas zu trinken holte, rutschte mir mein goldener Fächer vom Handgelenk. Verärgert blickte ich zu Boden. Mit dem engen Kleid wäre es mir unmöglich, mich zu bücken und ihn aufzuheben.

Eine warme Stimme hinter mir gurrte seidig weich: »Lass mich.«

»Ren!« Mit einem Lächeln auf dem Gesicht wirbelte ich herum und sog überrascht die Luft ein. Er trug eine weiße Hose und ein eng geschnittenes, blaues Nadelstreifenhemd, dessen oberste Knöpfe am Hals offen standen. Das Hemd war blau wie der Nachthimmel, hatte genau die Farbe meines Kleides. Er lächelte, und mein Herz begann, laut zu pochen.

Er kam ein paar Schritte auf mich zu und kauerte sich nieder, um meinen Fächer aufzuheben – wo er wie festgefroren verharrte. Seine Augen folgten dem Schlitz in meinem Kleid. Obwohl er mich nicht berührte, spürte ich, wie sein Blick mich liebkoste, mein nacktes Bein langsam und genüsslich von meinem Knöchel bis zu meiner Hüfte hinaufglitt. Ich taumelte, war wie benommen. Was Kishan schaffte, indem er mich fest in seinen Armen hielt, gelang Ren allein mit der Kraft seiner Blicke. Er erhob sich gemächlich und bewunderte unverhohlen den Rest meiner Aufmachung, bevor er mir schließlich ins Gesicht sah.

»Dieses Kleid … war eine sehr, sehr gute Entscheidung. Ich könnte ein ganzes Gedicht allein den Vorzügen deiner Beine widmen. Du bist ein Festmahl für die Sinne.«

Ich lächelte sanft. »Wohl kaum ein Festmahl. Höchstens ein Hors d’œuvre.«

Ren legte meine Hand auf seinen Arm. »Kein Hors d’œuvre. Der Nachtisch. Und ich habe vor, mir den Bauch vollzuschlagen.«

Er zog mich fort, als Mr. Kadam wieder auftauchte, redete leise mit ihm und drehte sich dann rasch zu mir um.

»Was hast du ihm gesagt?«

»Dass ich dich den restlichen Abend in Beschlag nehme. Wir fahren mit dem Jeep zurück.«

»Kishan wird das nicht sonderlich gefallen.«

Ren knurrte sanft. »Kishan hatte dich mehr als die Hälfte des Abends für sich. Der Rest der Nacht gehört mir. Komm schon.«

Wir machten uns aus dem Staub, da hörte ich Kishan laut rufen. Ich drehte mich um, zuckte mit den Schultern und lächelte. Er wollte uns nachlaufen, aber Mr. Kadam legte ihm die Hand auf den Arm. Ren zog mich mit Elan fort. »Weg von hier!«

Er schlängelte sich durch die Menschentrauben und wurde immer schneller. In meinen Stöckelschuhen musste ich regelrecht laufen, um überhaupt Schritt halten zu können. Ich lachte, während er mich hinter sich herzog. Meine Hand ruhte weiterhin auf seinem Arm.

»Wohin gehen wir?«

»Das wirst du schon sehen. Es ist eine Überraschung.«

Wir duckten uns unter einer Blumengirlande hindurch und huschten an mehreren Grüppchen vorbei, die uns mit offenem Mund hinterherstarrten, bevor wir durch ein Tor den Park betraten. Während wir uns der grasbewachsenen Mitte der Grünanlage näherten, bat mich Ren, die Augen zu schließen.

Als ich sie wieder öffnen durfte, stand ich neben einer Holzbank. Papierlaternen warfen ihr weiches gelbes Licht von den umstehenden Bäumen, und inmitten eines steinernen Patios wuchs ein alter Mangobaum. Kleine, farbenfrohe Wunschzettelchen hingen überall am Baum, flatterten in der sanften Brise. Ren reichte mir einen Fliederzweig, steckte mir ein paar Blumen ins Haar und strich mir über die Wange.

»Du bist eine atemberaubende Frau, Kelsey«, flüsterte er grinsend. »Insbesondere, wenn du errötest wie gerade eben.«

»Vielen Dank.« Ich lächelte zurück. Abgelenkt von dem Papierrascheln sagte ich: »Der Baum ist wunderschön! Da müssen Hunderte von Wünschen hängen.«

»Ja. Ich habe immer noch einen Krampf in der Hand.«

Ich lachte. »Du hast das getan? Weshalb um alles in der Welt?«

»Kelsey … hat dir Mr. Kadam sonst noch etwas über das Sternenfest erzählt? Ich meine, über seinen Ursprung?«

»Nein. Warum erzählst du mir nicht mehr?«

Ren schob mich auf die Bank, setzte sich neben mich und legte den Arm hinter meine Rückenlehne. Mit den Augen suchte er den Himmel ab und zeigte hinauf. »Dort. Siehst du den Stern?«

Ich nickte.

»Das ist Wega und der daneben Altair. Die chinesische Version der Geschichte lautet, dass Wega und Altair Geliebte waren, die vom Himmelskönig getrennt wurden. Er erschuf einen mächtigen Fluss, die Milchstraße, um sie für immer zu entzweien. Aber Wega weinte so bitterlich um ihren Geliebten, dass der Himmelskönig Mitleid hatte und ihnen erlaubte, sich einmal im Jahr zu treffen.«

»Am siebten Tag des siebten Monats.«

»Ja. Wenn sich die beiden Sterne treffen, feiern wir ihr romantisches Zusammenkommen, indem wir unsere Wünsche an einen Baum hängen und hoffen, dass Wega und Altair in ihrer Glückseligkeit auf uns herabblicken und uns unsere Wünsche erfüllen.«

»Das ist eine schöne Geschichte.«

Er drehte sich zu mir und berührte leicht mein Haar. »Ich habe den Baum mit meinen Wünschen behängt, die allesamt Variationen desselben Themas sind.«

»Was ist dein Wunsch?«, fragte ich leise.

Ren verschränkte die Finger mit meinen, obwohl ich wusste, dass ihn die Berührung verbrannte. »Ich wünsche mir, dass ich einen Weg finde, um den Fluss zu überqueren und wieder bei dir zu sein.« Er hob meine Hand an seine Wange.

Behutsam schob ich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. »Das ist auch mein Wunsch.«

Ren schlang mir den Arm um die Hüfte und zog mich näher zu sich her.

»Ich will dir nicht wehtun«, flüsterte ich.

»Denk einfach nicht daran«, erwiderte er. Er umschloss mein Gesicht mit beiden Händen und küsste mich zärtlich – hauchte seine Lippen fast unmerklich gegen meine –, aber ich spürte, wie seine Arme zitterten, und schob ihn weg. »Dir wird schlecht. Du kannst länger bei mir sein, wenn du ein wenig zur Seite rückst.«

»Willst du nicht, dass ich dich küsse?«

»Doch. Mehr als alles andere auf der Welt, aber wenn ich wählen muss, dann habe ich dich lieber länger in meiner Nähe, als dass du mich kurz küsst und dann verschwindest.«

Er seufzte. »Okay.«

»Du wirst mich wohl mit Worten anstatt mit Küssen umwerben müssen.«

Ren lachte trocken. »›Du möchtest eh’ mit Schnee ein Feuer zünden, als Liebesglut durch Worte löschen wollen.‹«

»Aber falls es jemandem gelingen sollte, mein Shakespeare, dann dir. Darf ich ein paar deiner Wünsche lesen?«

Ren lächelte. »Wenn du das tust, werden sie nicht in Erfüllung gehen.«

Ich stand auf, schritt zum Baum und zupfte ein Blatt ab. »Shakespeare hat ebenfalls gesagt: ›Der Mensch ist manchmal seines Schicksals Meister, nicht durch die Schuld der Sterne, durch eigne Schuld nur sind wir Schwächlinge.‹ Wir bestimmen selbst unser Schicksal. Wir schmieden unser Leben so, wie es uns gefällt. Ich will dich in meinem Leben. Ich habe dich schon einmal gewählt, und ich wähle dich wieder. Wir werden die körperlichen Hindernisse einfach überwinden müssen. Lieber habe ich dich so um mich als gar nicht.«

Er kam zu mir und schlang die Arme um den Stoff meines Kleides. Ich legte den Kopf an sein Seidenhemd.

»Das magst du im Moment glauben, Kelsey, aber am Ende wirst du dich anders entscheiden. Du wirst eine Familie wollen, Kinder. Wenn ich das hier nicht schaffe, können wir nie auf diese Art zusammen sein.«

»Und was ist mit dir?«, murmelte ich in seine Brust. »Du könntest mit einer anderen Frau zusammen sein und all das haben. Willst du das denn nicht?«

Er schwieg eine lange Minute. »Ich weiß, dass ich mit dir zusammen sein will. Kishan hatte recht, als er meinte, du seist die perfekte Frau für mich. Die Wahrheit ist, dass wir uns alles wünschen können, was wir wollen, Strimani, aber in diesem Leben gibt es keine Garantien. Ich will nicht, dass du auf all diese Dinge verzichten, dein Glück opfern musst, um bei mir zu sein.«

»Ich würde mein Glück opfern, wenn ich dich verlieren würde. Lass uns nicht heute Abend darüber reden.«

»Irgendwann müssen wir darüber reden.«

»Aber du weißt doch gar nicht, was geschehen wird. Du könntest dein Gedächtnis zurückerlangen, sobald wir den nächsten Gegenstand finden oder die vier Aufgaben bewältigt haben. Ich bin gerne bereit, so lange zu warten. Du nicht?«

»Es geht hier nicht um mich. Es geht um dich und was für dich das Beste ist.«

»Du bist das Beste für mich.«

»Das war ich vielleicht einmal.«

»Das bist du immer noch.«

Ren seufzte. »Sollen wir zurückgehen?«

»Nein. Du hast mir einen Tanz versprochen.«

»Das stimmt.« Er streckte die Hand aus und fragte höflich: »Darf ich bitten?«

Ich nickte, und er schlang mir die Hände um die Taille und küsste mich auf den Scheitel. Ich schmiegte mich an ihn, und wir wiegten uns zur Musik.

Als das Feuerwerk begann, setzten wir uns auf die Bank und sahen dem hell leuchtenden Farbenspiel zu, das sich grell gegen den dunklen Himmel abzeichnete. Ren umarmte mich weiterhin, war jedoch darauf bedacht, meine Haut nicht zu berühren. Nachdem das Feuerwerk beendet war, sagte ich: »Vielen Dank für den Baum und die Blumen.«

Ren nickte und strich sanft über die Blüten in meinem Haar. »Das ist Flieder. Wenn ein Mann einer Frau Flieder schenkt, stellt er ihr gleichzeitig eine Frage: Liebst du mich immer noch?«

»Die Antwort kennst du.«

»Ich würde sie gerne noch mal hören.«

»Ja. Ich liebe dich immer noch.« Ich pflückte eine Blüte von dem Zweig, den er mir geschenkt hatte, und reichte sie ihm.

Er nahm sie entgegen und zwirbelte sie nachdenklich zwischen den Fingern. »Was mich betrifft … Ich denke nicht, dass ich jemals aufgehört habe.« Er berührte meine Wange und strich mit den Fingern an meinem Kiefer entlang. »Ja, ich liebe dich, Kelsey. Ich bin froh, dass wir uns wiedergefunden haben.«

»Das ist alles, was ich wissen muss.«

Er sah mich an und lächelte traurig. »Komm, Kelsey. Fahren wir nach Hause.«

»Warte. Ich nehme ein paar deiner Wünsche mit.«

Ren nickte, als ich fünf Zettel vom Baum holte und mich dann bei ihm unterhakte. Während der Heimfahrt waren wir beide schweigsam. Er half mir aus dem Wagen, begleitete mich zu meiner Zimmertür und drückte mir einen warmen Kuss aufs Haar, bevor er mir eine gute Nacht wünschte.

Nachdem ich meinen Pyjama angezogen und ins Bett geklettert war, knipste ich meine Nachttischlampe an und las Rens fünf Wünsche:

Ich will ihr das Beste der Welt zu Füßen legen.

Ich will sie glücklich machen.

Ich will mich an sie erinnern.

Ich will sie berühren.

Ich will sie lieben.