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Der Aufbruch
Tom hatte das Maultier mit dem Gepäck beladen, und die Pferde warteten schon. Lord John umarmte Lady Dunsany und – ganz sanft – Isobel und schüttelte Lord Dunsany zum Abschied die Hand. Die Hände des alten Mannes waren kalt, und die Knochen, die er umfasste, so zerbrechlich wie trockene Zweige. Es versetzte ihm einen Stich, denn er fragte sich, ob er Dunsany wohl noch lebend antreffen würde, wenn er das nächste Mal kam – und einen noch tieferen Stich der Sorge, als ihm klar wurde, was der Tod des Alten über den Tod eines guten alten Freundes hinaus für ihn bedeuten konnte.
Nun … er würde diese Hürde nehmen, wenn es so weit war, und mochte Gott geben, dass das noch eine Weile dauerte.
Draußen verschlechterte sich das Wetter, und die ersten Regentropfen landeten schon als nasse Flecken auf dem Pflaster. Die Pferde zuckten lebhaft mit den Ohren; ihnen machte der Regen nichts aus, und sie konnten den Aufbruch kaum erwarten.
Jamie hielt Greys Wallach an der Hand. Er neigte respektvoll den Kopf und trat zurück, um Grey aufsteigen zu lassen. Als Grey die Hand auf den Widerrist des Pferdes legte, hörte er, wie ihm eine schottische Stimme leise zuflüsterte:
»Königsturm auf D8. Schach.«
Grey lachte laut auf, und der Heiterkeitsausbruch verdrängte seine Beunruhigung.
»Ha«, sagte er, ohne jedoch die Stimme zu erheben. »Dameläufer auf G4. Schach. Und Matt, Mr … MacKenzie.«
DIESMAL KONNTE JAMIE Keren nicht um Hilfe bitten. Stattdessen bat er Peggy, das Kindermädchen, eine Notiz für Betty mitzunehmen, als sie Willie zum Essen holte. Peggy konnte nicht lesen, und es war zwar möglich, dass sie jemandem erzählte, dass er sich mit Betty traf, doch sie konnte ja nicht wissen, wo. Er wollte vor allem nicht, dass jemand ihr Gespräch mit anhörte.
Betty erwartete ihn hinter dem Heuschuppen und betrachtete den Misthaufen mit spöttisch verzogenem Mund. Dieselbe Miene richtete sie jetzt auch auf ihn und zog fragend die Augenbraue hoch.
»Ich habe eine Kleinigkeit für dich, Betty«, sagte er ohne Umschweife.
»Das wurde ja langsam Zeit«, sagte sie, und ihre Miene schmolz zu einem koketten Lächeln dahin. »So klein aber auch wieder nicht, hoffe ich. Außerdem hoffe ich auch, dass dir ein besserer Ort dafür einfällt«, fügte sie mit einem Blick auf den Mist hinzu. Es war zu spät im Jahr für Fliegen, und Jamie mochte den Geruch, doch er konnte sehen, dass sie diese Meinung nicht teilte.
»Es geht auch hier«, sagte er. »Gib mir deine Hand, Kleine.«
Das tat sie und sah ihn dabei erwartungsvoll an. Ihr Blick verwandelte sich in Erstaunen, als er ihr den kleinen Geldbeutel in die Hand legte.
»Was ist denn das?«, fragte sie, doch das Klingeln der Münzen, als sie das Beutelchen in der Hand wog, reichte als Antwort aus.
»Das ist deine Mitgift, Kleine«, sagte er lächelnd.
Sie sah ihn argwöhnisch an, denn sie wusste eindeutig nicht, ob das ein Witz war oder etwas anderes.
»Eine Frau wie du sollte verheiratet sein«, sagte er. »Doch ich bin nicht der, den du heiraten solltest.«
»Sagt wer?«, fragte sie und musterte ihn stirnrunzelnd.
»Ich«, erwiderte er gleichmütig. »Genau wie der böse Mr Wilberforce … habe ich schon eine Frau, Kleine.«
Sie kniff die Augen zusammen.
»Ach ja? Wo denn?«
Tja, in der Tat, wo?
»Sie konnte mich nicht begleiten, als ich nach der Schlacht von Culloden in Gefangenschaft geraten bin. Aber sie lebt noch.«
Herr, lass sie gerettet sein …
»Doch es gibt einen Mann, der dich begehrt, Kleine, das weißt du genau. George Roberts ist ein anständiger Mann, und mit dieser kleinen Gabe«, er wies kopfnickend auf den Geldbeutel in ihrer Hand, »könnt ihr zwei euch ja vielleicht in einer kleinen Kate niederlassen.«
Sie sagte nichts, sondern spitzte die Lippen, und er konnte sehen, wie sie sich das vorstellte.
»Du solltest deinen eigenen Herd haben, Kleine – und davor eine Wiege mit deinem Kind darin.«
Sie schluckte, und zum ersten Mal, seit er sie kannte, sah sie verunsichert aus.
»Ich – aber – warum?« Sie hielt ihm die Geldbörse zögernd entgegen, fast so, als wollte sie sie zurückgeben. »Du kannst das doch sicher selbst brauchen?«
»Glaube mir, Kleine. Es gibt nichts, was ich lieber damit tun möchte. Nimm es; du hast meinen Segen – und wenn du möchtest, kannst du deinen Erstgeborenen ja Jamie nennen.« Er lächelte sie an und spürte, wie ihm die Wärme aus der Brust hinter die Augen kroch.
Sie stieß ein unzusammenhängendes Geräusch aus und trat einen Schritt auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund.
Ein erstickter Keuchlaut ließ sie auseinanderfahren, und als Jamie sich umdrehte, sah er, wie Crusoe sie um die Ecke des Schuppens herum anstarrte.
»Was zum Teufel glotzt du so?«, fuhr ihn Betty an.
»W-wegen nichts, gar nichts, Miss«, versicherte ihr Crusoe und schlug sich die kräftige Hand vor den Mund.