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Gerechtigkeit

Das Kriegsgerichtsverfahren gegen Major Gerald Siverly (verstorben) war gut besucht. Vom Herzog von Cumberland (der versucht hatte, sich in das Richtergremium wählen zu lassen, jedoch von Hal daran gehindert worden war) bis hin zum letzten Fleet-Street-Schreiber strömte alles in die Guildhall, die der größte verfügbare Raum war.

Lord John Grey war zwar bleich, und er humpelte noch, doch weder sein Blick noch seine Stimme zitterten, als er vor dem Gremium – das aus fünf Offizieren unterschiedlicher Regimenter bestand, Siverlys Regiment war nicht darunter – und dem Disziplinaradvokaten aussagte. Die Papiere, die dem Gericht vorlagen, habe er in Kanada von Hauptmann Charles Carruthers erhalten, wo Carruthers unter Siverly gedient habe und damit Zeuge der darin beschriebenen Handlungen geworden sei. Er berichtete weiter, dass er, Grey, von Carruthers persönlich noch weitere Schilderungen gehört habe, die ihn geneigt machten, den vorliegenden Beweismitteln Glauben zu schenken.

Kriegsgerichte folgten keinem festgelegten Protokoll; es gab keine Anklagebank, keine Bibel, keine Anwälte, keine Regeln der Beweisführung. Jeder, der dies wünschte, konnte als Zeuge aussagen oder Fragen stellen, was auch eine ganze Reihe von Leuten taten – einschließlich des Herzogs von Cumberland, der seinen massigen Leib nach vorn schob, bevor sich Grey wieder setzen konnte, und auf ihn zutrat, bis er ihm aus einem Abstand von fünfzehn Zentimetern ins Gesicht funkelte.

»Ist es wahr, Mylord«, fragte Cumberland triefend vor Sarkasmus, »dass Euch Major Siverly bei der Belagerung von Quebec das Leben gerettet hat?«

»So ist es, Eure Durchlaucht.«

»Und kennt Ihr denn gar keine Scham, Eure Schuld gegenüber einem Waffenbruder so zu verraten?«

»Nein«, erwiderte Grey ruhig, obwohl sein Herzschlag unstet war. »Major Siverlys Verhalten auf dem Schlachtfeld war ehrenhaft und ritterlich – doch er hätte dasselbe auch für jeden anderen Soldaten getan, genau wie ich auch. Aber wenn ich die Hinweise auf seine Korruption und seine Unterschlagungen abseits dieses Feldes für mich behalten hätte, wäre dies dem Verrat an der gesamten Armee gleichgekommen, in der zu dienen ich die Ehre habe, und dem Verrat an allen Kameraden, an deren Seite ich im Lauf der Jahre gekämpft habe.«

»Hört! Hört!«, rief eine Stimme aus dem hinteren Teil des Saales, die er für Harry Quarrys hielt. Allgemeines Beifallsgemurmel erfüllte den Saal, und Cumberland zog sich – nach wie vor böse mit den Augen funkelnd – zurück.

Die Vernehmung der Zeugen dauerte den ganzen Tag, und eine ganze Reihe von Offizieren aus Siverlys Regiment meldeten sich zu Wort. Einige von ihnen hatten nur Gutes über den Charakter des Toten zu sagen, doch andere – viele andere – berichteten von Vorfällen, die Carruthers’ Bericht stützten. Regimentsloyalität zählte zwar viel, dachte Grey – doch die Regimentsehre zählte mehr, und dieser Gedanke erfreute ihn.

Allmählich verschwamm der Tag zu einem Gewimmel von Gesichtern, Stimmen, Uniformen, harten Stühlen, Zwischenrufen, die von den gigantischen Deckenbalken widerhallten, der einen oder anderen Rangelei, die von den Wachtposten beendet wurde … und am Ende fand er sich draußen auf der Straße wieder, abseits der aufgewühlten Menge, die aus der Guildhall geströmt war.

Hal, der der ranghöchste Offizier des Gerichtes gewesen war, stand auf der anderen Straßenseite und redete eindringlich auf den Disziplinaradvokaten ein, der mit dem Kopf nickte. Es war später Nachmittag, und die Schornsteine Londons spuckten kräftig Rauch, weil jetzt die Kaminfeuer für den Abend angezündet wurden. Dankbar sog Grey die verqualmte Luft tief in seine Lungen, denn sie war frisch im Vergleich mit der stickigen Atmosphäre im Inneren der Guildhall, die zu gleichen Teilen aus Schweiß, zertrampeltem Essen, Tabak und dem Gestank der Wut bestand – und der Angst. Es war ihm nicht entgangen, dieses leise Kribbeln inmitten der Menge, die Gesichter, die in aller Stille verschwanden, je weiter die Vernehmung fortschritt.

Hal hatte sorgsam auf jede Erwähnung der Irischen Brigaden, der Wilden Jagd oder der Pläne zur Ergreifung des Königs verzichtet; zu viele Verschwörer waren noch auf freiem Fuß, und zudem war es nicht nötig, die Öffentlichkeit a priori zu alarmieren. Edward Twelvetrees hingegen und seine Rolle als Vertrauter und Mitverschwörer Siverlys hatte er erwähnt – und Grey erschauerte plötzlich, weil er sich an den Ausdruck in Reginald Twelvetrees’ Gesicht erinnerte. Der alte Oberst hatte wie versteinert im vorderen Teil des Saales gesessen, die brennenden Augen reglos auf Hal gerichtet, während die vernichtenden Worte fielen, eins nach dem anderen, eine überwältigende Flut.

Nur Reginald Twelvetrees hatte kein einziges Wort gesagt. Was konnte er schließlich auch sagen? Er war kurz vor dem Urteilsspruch gegangen – der natürlich in allen Punkten der Anklage auf schuldig lautete.

Eigentlich ging Grey davon aus, dass er in Siegerlaune sein sollte oder zumindest Genugtuung empfinden sollte. Er hatte sein Versprechen Charlie gegenüber eingehalten, hatte die Wahrheit herausgefunden – und zwar einiges mehr davon, als er erwartet oder sich gewünscht hatte – und letztlich wohl Gerechtigkeit erreicht.

Wenn man es so nennen konnte, dachte er dumpf, als er beobachtete, wie sich drei oder vier Zeitungsschreiber gegenseitig aus dem Weg schubsten, um mit Eldon Garlock zu sprechen, dem Fähnrich, der das jüngste Mitglied des Gremiums gewesen war und daher sein Urteil als Erster verkündet hatte.

Der Himmel wusste, was sie schreiben würden. Er hoffte nur, dass es nichts über ihn sein würde; er hatte die Aufmerksamkeit der Presse schon zuvor genossen, wenn auch nur auf vorteilhafte Weise. Nachdem er erlebt hatte, wie es war, in der Gunst der Journaille zu stehen, konnte er nur hoffen, dass Gott denen gnadete, denen diese nicht grün war.

Er hatte sich von der Menge entfernt, jedoch ohne konkretes Ziel; er wollte einfach nur Abstand zu diesem Tag gewinnen. Ganz in Gedanken – wenigstens hatte man Jamie Fraser nicht als Zeugen vorgeladen, das war immerhin etwas – nahm er eine ganze Weile nicht wahr, dass er nicht allein war. Dann jedoch fühlte er sich durch einen geänderten Rhythmus gestört, ein Echo seiner eigenen Schritte, und er blickte zur Seite, um zu sehen, wodurch dies verursacht wurde.

Er erstarrte, und Hubert Bowles, der einen halben Schritt hinter ihm gegangen war, schloss zu ihm auf, blieb stehen und verneigte sich.

»Mylord«, sagte er höflich. »Wie geht es Euch?«

»Nicht besonders«, sagte er. »Ich muss Euch bitten, mich zu entschuldigen, Mr Bowles.« Er wandte sich zum Gehen, doch Bowles hielt ihn zurück, indem er ihm die Hand auf den Arm legte. Brüskiert über diese Vertraulichkeit fuhr Grey zurück.

»Ich muss Euch um etwas Geduld bitten, Mylord«, sagte Bowles mit einem schwachen Lispeln. Sein Ton war nachsichtig, jedoch von einer Autorität erfüllt, die keine Widerrede duldete. »Ich habe etwas zu sagen, das Ihr hören müsst.«

Hubert Bowles war ein gedrungener, formloser Mann mit einem runden Kopf und einem gebeugten Rücken, und mit seiner schäbigen Perücke und seinem abgetragenen Rock wäre er niemandem aufgefallen. Selbst sein Gesicht war so farblos wie ein Pudding, in dem kleine schwarze Beerenäuglein steckten. Dennoch neigte Grey langsam den Kopf, um seine Worte unwillig zur Kenntnis zu nehmen.

»Wollen wir Kaffee trinken?«, sagte er und wies kopfnickend auf das nächste Kaffeehaus. Er hatte nicht vor, eine Kreatur wie Bowles auch nur in irgendeinen der Clubs einzuladen, denen er angehörte. Er wusste nicht das Geringste über das Vorleben des Mannes, doch seine Anwesenheit weckte in Grey den Wunsch, sich zu waschen.

Bowles schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir einfach weitergehen«, sagte er und ließ seinen Worten Taten folgen. Er berührte Grey am Ellbogen, um ihn zum Mitgehen zu bewegen.

»Ich bin sehr verärgert über Euch, Mylord«, sagte er im Konversationston, während sie langsam in die Gresham Street einbogen.

»Ist das so«, sagte Grey knapp. »Es bestürzt mich, das zu hören.«

»Das sollte es auch. Ihr habt einen meiner geschätztesten Agenten umgebracht.«

»Euren – was?«

Er blieb stehen und starrte auf Bowles hinunter, doch sein Gesprächspartner winkte ihn weiter.

»Edward Twelvetrees war seit einigen Jahren mit der Zerschlagung jakobitischer Verschwörungen befasst.« Verärgerung huschte über Bowles’ Gesicht, während seine Lippen mit dem Wort kämpften, doch Grey war zu bestürzt über das, was Bowles gesagt hatte, um sich daran zu ergötzen.

»Was, Ihr meint, er hat für Euch gearbeitet?« Er versuchte erst gar nicht zu verhindern, dass es rüde klang, doch Bowles reagierte nicht auf seinen Ton.

»Genau das meine ich, Mylord. Es hat ihn sehr viel Zeit und Mühe gekostet, sich bei Major Siverly einzuschmeicheln, nachdem wir zu der Erkenntnis gelangt waren, dass Siverly diesbezüglich von Interesse war. Sein Vater zählte zu den Wildgänsen, die aus Limerick flüchteten, wusstet Ihr das?«

»Ja«, sagte Grey. Seine Lippen fühlten sich steif an. »Das wusste ich.«

»Es ist sehr lästig«, sagte Bowles tadelnd, »wenn jemand auf eigene Faust Ermittlungen anstellt, statt dies denjenigen zu überlassen, deren Beruf es ist.«

»Bedaure, Euch zur Last gefallen zu sein«, sagte Grey, der allmählich wütend wurde. »Wollt Ihr mir damit sagen, dass Edward Twelvetrees kein Verräter war?«

»Ganz im Gegenteil, Mylord. Er hat seinem Land auf das Nobelste gedient und unter dem Siegel der Verschwiegenheit und unter großer Gefahr dafür gearbeitet, unsere Feinde zu besiegen.« Ausnahmsweise klang ein Hauch von Wärme in dieser tonlosen Stimme mit, und ein weiterer Blick auf seinen unwillkommenen Begleiter verriet Grey, dass auch Bowles wütend war – extrem wütend.

»Warum zum Teufel hat er mich denn nicht unter vier Augen angesprochen?«

»Warum hätte er Euch denn trauen sollen, Mylord?«, gab Bowles schlagfertig zurück. »Ihr entstammt einer Familie, auf deren Vergangenheit der Schatten des Hochverrats liegt!«

»Das tut er nicht!«

»In Wirklichkeit vielleicht nicht, wohl aber im Licht der öffentlichen Wahrnehmung«, pflichtete Bowles ihm nickend bei. »Es war gut, dass Ihr Bernard Adams und seine Mitverschwörer zur Strecke gebracht habt, doch selbst die Rehabilitation Eures Vaters wird den Schandfleck nicht auslöschen – das kann nur die Zeit. Die Zeit und Eure Taten und die Eures Bruders.«

»Was zum Teufel wollt Ihr damit sagen, verdammt?«

Bowles zuckte mit der Schulter, verzichtete aber auf eine direkte Antwort.

»Mit irgendjemandem – ganz gleich, mit wem – über seine Tätigkeit zu sprechen hätte bedeutet, dass Edward Twelvetrees Gefahr lief, seine – unsere – gesamte Arbeit zu zerstören. Natürlich war Major Siverly tot, aber …«

»Halt. Wenn das, was Ihr mir sagt, die Wahrheit ist, warum hat Edward Twelvetrees Siverly dann umgebracht?«

»Oh, das hat er nicht«, sagte Bowles, als sei dies nicht von Bedeutung.

»Was? Wer war es dann? Ich nicht, das versichere ich Euch.«

Bowles musste tatsächlich lachen, ein leises Krächzen, bei dem sich sein Rücken noch weiter krümmte.

»Natürlich nicht, Mylord. Edward hat mir erzählt, dass es ein Ire war – ein hagerer Geselle mit lockigem Haar –, der Gerald Siverly erschlagen hat. Er hat Stimmen gehört, und als er nach dem Grund sehen wollte, hat er mit angehört, wie eine irische Stimme Major Siverly leidenschaftlich beschuldigte und sagte, er wisse, dass Siverly das Geld gestohlen habe. Jedenfalls gab es Streit, dann die Geräusche eines Handgemenges. Twelvetrees wollte sich nicht zu erkennen geben, näherte sich jedoch vorsichtig dem Gartenhäuschen, woraufhin er sah, wie ein blutüberströmter Mann über das Geländer sprang und in den Wald rannte. Er ist dem Mann gefolgt, konnte ihn jedoch nicht aufhalten. Kurz darauf sah er Euch vorbeilaufen und versteckte sich im Wald, bis Ihr fort wart. Dann machte er sich im Stillen davon. Er hatte den Iren jedoch noch nie gesehen und konnte auch niemanden in der Gegend ausfindig machen, der ihn kannte. Unter den Umständen wollte er lieber nicht zu viele Fragen stellen.« Er blickte fragend zu Grey auf. »Ihr wisst nicht zufällig, wer das war?«

»Sein Name ist Tobias Quinn«, sagte Grey knapp. »Und wenn ich ihm ein Motiv unterstellen müsste, so wäre es wohl das, dass er selbst mit Leib und Seele Jakobit ist und dachte, dass Siverly vorhätte, sich mit dem Geld davonzumachen, das er für die Stuarts zusammengetragen hatte.«

»Ah«, sagte Bowles erfreut. »Aha. Seht Ihr, Mylord, das ist es, was ich in Bezug auf Euch und Euren Bruder gemeint habe. Ihr seid in der Lage, an viele nützliche Informationen zu gelangen. Hauptmann Twelvetrees hatte mich in der Tat darüber informiert, dass er glaubte, Siverly sei im Begriff, sich mit dem Geld nach Schweden abzusetzen; wir hatten vor, dies zuzulassen, da es die Pläne der Iren unwiderruflich zum Scheitern verdammt hätte. Ich kann nicht sagen, wie die irischen Jakobiten davon erfahren haben, doch sie haben es eindeutig gewusst.«

Es folgte eine kurze Pause, während Bowles ein sauberes Taschentuch hervorzog – aus Seide mit einer Spitzenbordüre – und sich geziert die Nase putzte.

»Wisst Ihr, wo sich Mr Quinn gegenwärtig befindet, Mylord? Oder falls nicht, könntet Ihr diskrete Erkundigungen bei Euren irischen Bekannten einziehen?«

Grey baute sich wütend vor ihm auf.

»Ihr bittet mich, für Euch zu spionieren, Sir?«

»Gewiss doch.« Greys geballte Fäuste schienen Bowles nicht aus der Fassung zu bringen. »Um jedoch noch einmal auf Edward Twelvetrees zurückzukommen – Ihr müsst mir verzeihen, wenn es den Anschein hat, als würde ich darauf herumreiten, doch er war wirklich ein sehr wertvoller Mann –, er konnte nichts über seine Tätigkeit sagen, nicht einmal unter vier Augen, weil er fürchten musste, dass diese Tätigkeit bekannt wurde, bevor wir unsere Planung vollenden konnten.«

Allmählich dämmerte es Grey durch den Schleier aus Schrecken und Wut, und ihm wurde übel, während ihm der Schweiß im Gesicht ausbrach.

»Was denn für eine … Planung?«

»Nun, die Verhaftung der Offiziere der Irischen Brigaden, die in die Verschwörung verwickelt waren. Ihr wisst davon, wie ich glaube?«

»Ja, das tue ich. Woher wisst Ihr denn davon?«

»Edward Twelvetrees. Er hat mich mit den Grundzügen des Plans vertraut gemacht, doch er besaß noch keine vollständige Liste der Beteiligten. Sie nannten sich ›Die Wilde Jagd‹ – sehr poetisch, aber was soll man von den Iren anderes erwarten? Edwards verfrühter Tod …«, Mr Bowles’ Stimme hatte einen leisen Unterton der Ironie, »hat verhindert, dass wir die Namen aller Beteiligten erfahren konnten. Und der gut gemeinte Versuch Eures Bruders, die Verschwörer festzunehmen, hat zwar erfolgreich dazu geführt, dass ein Teil der Bande nagelfest gemacht wurde, doch er hat auch viele andere alarmiert, die entweder aus dem Land geflohen sind, um anderswo Unruhe zu stiften, oder sich in den Untergrund zurückgezogen haben.«

Grey öffnete den Mund, wusste aber nichts zu sagen. Die Wunde in seiner Brust pochte heftig im Rhythmus seines Herzschlags. Doch was noch schlimmer war, was ihm vor dem inneren Auge brannte, war das Bild von Reginald Twelvetrees, das Gesicht so reglos wie Granit, während er mit ansah, wie der Name seines Bruders vernichtet wurde.

»Ich dachte, Ihr solltet das wissen«, sagte Bowles beinahe gütig. »Guten Tag, Mylord.«

ER HATTE EINMAL ZUGESEHEN, wie Minnies Köchin mit einem geschärften Löffel kleine Kugeln aus dem Fleisch einer Melone schnitt. Er fühlte sich, als sei jedes einzelne Wort, das Bowles gesagt hatte, ein Stoß mit diesem Löffel gewesen, der ihm ebenmäßig geformte Stücke aus dem Herzen und den Eingeweiden schabte, bis nur noch die Rinde übrig war.

Er erinnerte sich nicht mehr an den Rückweg nach Argus House. Fand sich nur plötzlich an der Tür wieder, wo ihn Nasonby bestürzt anblinzelte. Der Mann sagte irgendetwas; er tat es mit einer vagen Handbewegung ab und schritt in die Bibliothek – Gott sei Dank, Hal ist nicht da; ich muss es ihm erzählen, aber, Gott, nicht jetzt! – und wieder hinaus durch die Glastür in den Garten. Seine Gedanken drehten sich einzig darum, Zuflucht zu finden, obwohl er wusste, dass es keine geben konnte.

Hinter dem Schuppen setzte er sich vorsichtig auf den umgekehrten Eimer, stützte sich mit den Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf in seine Hände sinken.

Er konnte hören, wie die Uhr in seiner Tasche tickte und jeder der leisen Schläge ewig zu dauern schien, in endloser Folge. Wie unglaublich lange sollte es denn noch dauern, bis er starb, denn das allein konnte das Echo von Bowles’ Worten zum Verstummen bringen, die ihm durch die Schädelhöhle hallten.

Er hatte keine Ahnung, wie lange er dort saß und dem tadelnden Schlag seines eigenen Herzens lauschte. Er machte sich nicht die Mühe, die Augen zu öffnen, als Schritte vor ihm zum Halten kamen und ihm die Kühle eines Schattens über das heiße Gesicht fiel.

Ein kurzer Seufzer, dann fassten ihn kräftige Hände bei den Armen und zogen ihn hoch.

»Kommt mit mir«, sagte Fraser leise. »Gehen wir ein Stück. Im Gehen wird es Euch leichter fallen zu erzählen, was geschehen ist.«

Er öffnete den Mund, um Widerspruch einzulegen, hatte jedoch nicht die Kraft, sich zu wehren. Fraser nahm seinen Arm und schob ihn entschlossen durch die Gartenpforte. Dahinter befand sich eine schmale Gasse, gerade breit genug für Schubkarren und die Wagen der Händler, doch um diese Tageszeit – es war schon spät, dachte er dumpf, die ganze Gasse lag im Schatten – hielten sich nur ein paar Dienstmädchen bei den Pforten auf, um zu tratschen oder auf ihren Spaziergang mit einem jungen Mann zu warten. Zwar warfen sie den beiden Männern kurze Seitenblicke zu, doch dann wandten sie die Köpfe wieder ab und setzten ihre Gespräche fort. Er wünschte sich leidenschaftlich, eine dieser Frauen zu sein, ein Anrecht darauf zu haben, am normalen Alltag teilzunehmen.

Er hatte einen Kloß im Hals, so fest und rund wie eine Walnuss. Er hatte keine Ahnung, wie jemals Worte daran vorbeikommen sollten. Doch Fraser ließ seinen Arm nicht los und führte ihn hinaus auf die Straße und in den Hyde Park.

Es war schon fast dunkel, abgesehen von den spärlich gesäten Lagerfeuern der Vagabunden und Zigeuner, die nachts in den Park kamen. An der Ecke, an der sonst die Pamphletverteiler, die Wahlkämpfer und die Meinungsmacher standen und ihre Reden hielten, brannte ein größeres Feuer unbeaufsichtigt nieder, und es roch nach verkohltem Papier. Daneben hing eine Figur an einem Ast, eine Strohpuppe, die jemand anzuzünden versucht hatte, doch das Feuer war ausgegangen, und die schwarze Puppe stank. Das Stück Papier, das an ihrer Brust heftete, war in der Dunkelheit nicht zu lesen.

Sie hatten den Park schon fast zur Hälfte umrundet, bevor er die ersten Worte fand. Fraser ging geduldig neben ihm her, ohne seinen Arm zu halten, und die Berührung fehlte ihm. Aber schließlich kamen die Worte, anfangs unzusammenhängend, zögerlich, und dann in einem Schwall wie eine Musketensalve. Er war überrascht, dass es sich so kurz fassen ließ.

Fraser stieß ein Geräusch aus, eine Art leises Grunzen, als hätte ihn jemand in den Bauch geboxt, doch dann hörte er schweigend zu. Auch als Grey fertig war, gingen sie noch eine Weile weiter.

»Kyrie eleison«, sagte Fraser schließlich sehr leise. Herr, erbarme dich.

»Schön für Euch«, sagte Grey ohne jede Bitterkeit. »Es muss helfen, wenn man glaubt, dass alles letztlich einen Sinn ergibt.«

Fraser wandte den Kopf und sah ihn neugierig an.

»Glaubt Ihr das denn nicht? Ob man es nun die ultimative Ursache nennt – oder auch die ultimative Wirkung –, Gott oder einfach nur Räson? Ich habe Euch doch selbst schon voller Bewunderung über Logik und Vernunft sprechen hören.«

»Wo ist denn hier die Logik?«, entfuhr es Grey, und er fuchtelte mit den Händen durch die Luft.

»Das wisst Ihr genauso gut wie ich«, sagte Fraser scharf. »Die Logik der Pflicht und das, was jeder von uns – Ihr, ich und Edward Twelvetrees – dafür gehalten hat.«

»Ich …« Grey hielt inne, weil er seine Gedanken nicht zusammenhängend formulieren konnte; es waren einfach zu viele.

»Aye, wir tragen die Schuld am Tod dieses Mannes – wir beide, und glaubt nicht, dass ich das aus Güte sage. Ich weiß genau, was Ihr meint – und was Ihr empfindet.« Fraser blieb stehen und wandte sich Grey zu. Sein Blick war durchdringend. Sie standen vor dem Haus des Grafen von Prestwick; die Laternen brannten schon, und das Licht fiel in Streifen durch das schmiedeeiserne Zaungitter auf sie.

»Ich habe ihn in aller Öffentlichkeit des Verrats bezichtigt, um zu verhindern, dass er etwas tat, was meinen Kameraden geschadet hätte. Er hat mich zum Duell herausgefordert, um zu verhindern, dass der Verdacht an ihm haften blieb, damit er mit der Ausführung seiner Pläne fortfahren konnte, auch wenn es nicht die Pläne waren, die ich – wir – vermuteten. Dann habt Ihr ihn ebenfalls herausgefordert, um …« Er blieb plötzlich stehen und sah Grey scharf an. »Nach außen hin«, sagte er, langsamer jetzt, »habt Ihr ihn herausgefordert, um Eure Ehre zu retten und den Vorwurf der Sodomie abzuwenden.« Er presste den Mund fest zusammen.

»Nach außen hin«, wiederholte Grey. »Warum zum Teufel soll ich es denn sonst getan haben?«

Fraser sah ihn forschend an. Grey spürte seinen Blick wie eine Berührung, ein seltsames Gefühl, doch er ließ sich nichts anmerken. Zumindest hoffte er das.

»Ihre Durchlaucht sagt, Ihr habt es aus Freundschaft zu mir getan«, sagte Fraser schließlich leise. »Und ich bin geneigt zu glauben, dass sie recht hat.«

»Ihre Durchlaucht sollte sich um ihre eigenen verflixten Angelegenheiten kümmern.« Grey wandte sich abrupt ab und setzte sich wieder in Bewegung. Fraser holte ihn innerhalb weniger Meter ein, seine Schritte gedämpft auf dem sandigen Weg. Vor den großen Häusern huschten kleine Gestalten durch die Lichtkegel der Laternen: zum Großteil Kinder, die die Pferdeäpfel auf dem Reitweg einsammelten.

Grey war der feine Unterschied nicht entgangen: »Aus Freundschaft zu mir« statt des simpleren – und weitaus bedrohlicheren – »für mich«. Er wusste nicht, ob es Minnie gewesen war oder Fraser, der diesen Unterschied formuliert hatte, doch es war wohl auch nicht wichtig. Beides war wahr, und wenn Fraser die distanziertere Wortwahl vorzog, konnte er das gern tun.

»Wir sind beide schuld an seinem Tod«, wiederholte Fraser hartnäckig. »Doch für ihn selbst gilt das ebenso.«

»Inwiefern? Er konnte doch Eure Vorwürfe nicht einfach auf sich beruhen lassen. Und er hätte Euch nicht einmal unter vier Augen sagen können, wo er tatsächlich stand.«

»Doch, das hätte er«, verbesserte ihn Fraser, »nur, dass er es als seine Pflicht betrachtete, es nicht zu tun.«

Grey sah ihn ausdruckslos an. »Natürlich.«

Fraser wandte den Kopf ab, doch Grey glaubte, im Schatten den Hauch eines Lächelns zu entdecken. »Ihr seid doch Engländer«, sagte Fraser trocken. »Und er war es auch. Und wenn er am Ende nicht versucht hätte, Euch umzubringen …«

»Das musste er doch«, unterbrach ihn Grey. »Sonst hätte er mich nur auffordern können, mich zu ergeben – und er wusste verdammt genau, dass ich das nicht tun würde.«

Fraser nickte zustimmend. »Habe ich nicht gesagt, dass das alles ganz logisch ist?«

»Doch, das habt Ihr. Aber …« Er verstummte. Überwältigt von seiner eigenen Reue war es ihm gar nicht in den Sinn gekommen, dass das, was Fraser gesagt hatte, die Wahrheit war: auch Fraser trug eine Mitschuld an Twelvetrees’ Tod – und er teilte seine Reue.

»Aye, aber«, sagte Fraser und seufzte. »Ich hätte es genauso gemacht. Doch ihr habt schon öfter Menschen getötet, und zwar wahrscheinlich bessere Menschen als Twelvetrees.«

»Das ist gut möglich. Doch ich habe sie – als Feinde getötet. Weil es meine Pflicht war.« Wäre das alles genauso gekommen, wenn Esmé und Nathaniel nicht gewesen wären? Ja, wahrscheinlich schon.

»Ihn habt Ihr doch auch als Feind getötet, oder nicht? Die Tatsache, dass er in Wahrheit keiner war, ist ja nicht Eure Schuld.«

»Das ist eine sehr fadenscheinige Argumentation.«

»Das heißt aber nicht, dass es nicht stimmt.«

»Glaubt Ihr etwa, Ihr könnt meine Schuld wegdiskutieren? Das Grauen, die Bedrückung?«, wollte Grey verärgert wissen.

»Genau das glaube ich, aye. Es ist nämlich nicht möglich, zur selben Zeit drängende Emotionen zu hegen und ein rationales Gespräch zu führen.«

»O doch, das ist es«, begann Grey erhitzt, doch da es jenes unglückselige Gespräch im Stall von Helwater war, das sein bestes Beispiel gewesen wäre, wechselte er den Kurs. »Glaubt Ihr wirklich, dass alle leidenschaftlichen Worte unlogisch sind? Was ist dann mit der verdammten Deklaration von Arbroath?«

»Möglich, dass einem die Idee zu einer Rede im Bann der Leidenschaft kommt«, räumte Fraser ein, »doch die Rede selbst wird zum Großteil kaltblütig verfasst. Die Deklaration wurde von mehreren Männern geschrieben – oder zumindest unterzeichnet. Sie können nicht alle rasend vor Leidenschaft gewesen sein, als sie es taten.«

Grey musste lachen, wenn auch nur kurz, dann schüttelte er den Kopf.

»Ihr wollt mich nur vom Thema ablenken.«

»Nein«, sagte Fraser nachdenklich. »Ich glaube, ich will Euch auf das eigentliche Thema bringen – nämlich: Wie sehr man sich auch bemühen mag, das Richtige zu tun, es kommt nicht immer das dabei heraus, was man vorhersieht oder sich wünscht. Und das ist Grund zum Bedauern – manchmal sehr großem Bedauern«, fügte er etwas sanfter hinzu, »nicht aber für lebenslange Schuld. Und genau hier müssen wir uns der Gnade Gottes anvertrauen und hoffen, dass sie uns zuteilwird.«

»Ihr sprecht da wohl aus Erfahrung.« Eigentlich hatte Grey seine Worte gar nicht herausfordernd gemeint, aber sie klangen so, und Fraser atmete heftig durch die Nase aus.

»Ja«, sagte er nach kurzem Schweigen. Er seufzte. »Als ich noch Herr von Lallybroch war, hat mich einmal eine Pächtersfrau um Hilfe gebeten. Es war eine alte Frau, die sich Sorgen um einen ihrer Enkelsöhne machte. Er würde von seinem Vater geschlagen, sagte sie, und sie hatte Angst, dass er den Jungen noch umbringen würde. Ob ich ihn nicht als Stalljungen zu mir ins Haus holen könnte. Ich habe ja gesagt. Doch als ich mit dem Vater gesprochen habe, wollte er nichts davon hören und hat mich beschuldigt, ihm seinen Sohn wegnehmen zu wollen.« Er seufzte erneut.

»Ich war jung und töricht. Ich habe ihn geschlagen. Ich habe ihn … verprügelt, und er hat nachgegeben. Ich habe den Jungen mitgenommen. Rabbie hieß er; Rabbie MacNab.«

Grey fuhr kaum merklich auf, sagte aber nichts.

»Nun. Ronald – so hieß sein Vater; Ronald MacNab – hat mich an die Wachtpatrouille verraten, und man hat mich festgenommen und in ein englisches Gefängnis gebracht. Ich … bin entkommen …« Er zögerte, als überlegte er, ob er noch mehr sagen sollte, entschied sich jedoch dagegen und fuhr fort. »Als ich später in den Anfangstagen des Aufstandes nach Lallybroch zurückkam, war Ronalds Hütte niedergebrannt, und er selbst war in seinem eigenen Kamin in Rauch und Asche aufgegangen.«

»Ich vermute, das war kein Unfall?«

Fraser schüttelte den Kopf, eine Bewegung, die nur schwach zu sehen war, da sie jetzt unter den großen Ulmen an der Ostseite des Parks entlangschritten.

»Nein«, sagte er leise. »Es sind meine anderen Pächter gewesen, denn sie wussten genau, wer mich verraten hatte. Sie haben getan, was ihnen richtig erschien – ihre Pflicht mir gegenüber –, genauso wie ich das getan hatte, was mir richtig erschien, meine Pflicht als Gutsherr – mit tödlichem Ausgang und völlig anders, als ich es beabsichtigt hatte.«

Sie gingen jetzt so langsam, dass sie fast schlurften.

»Ich verstehe«, sagte Grey schließlich leise. »Was ist denn aus dem Jungen geworden? Aus Rabbie?«

Jamie zog leicht die Schultern hoch.

»Er hat während des Aufstands in meinem Haus gelebt – er und seine Mutter. Danach … Meine Schwester hat gesagt, er hätte sich entschlossen, in den Süden zu gehen und sich dort Arbeit zu suchen, denn in den Highlands gab es für einen jungen Mann nichts mehr außer der Armee, und das wollte er nicht.«

Todesmutig fasste Grey Jamie sacht am Arm.

»Ihr habt gesagt, ein Mann kann den Ausgang seiner Handlungen nicht voraussehen, und das stimmt. In diesem Fall kann ich Euch aber sagen, welchen Ausgang Eure Handlungsweise hatte.«

»Was?«, sagte Fraser scharf, vielleicht auf Greys Berührung, vielleicht auf seine Worte hin, doch er riss sich nicht los.

»Rabbie MacNab. Ich weiß, was aus ihm geworden ist. Er ist – zumindest war er das, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe – als Sänftenträger in London und überlegte zu heiraten.« Er verzichtete lieber darauf, Fraser zu sagen, dass Rabs Auserwählte seine Bekannte Nessie war, weil er nicht wusste, ob ein schottischer Katholik ähnliche Ansichten über Prostitution hegen würde wie die schottischen Presbyterianer, die Greys Erfahrung nach der Fleischeslust äußerst rigide und streng gegenüberzustehen pflegten.

Frasers Hand schloss sich um seinen Unterarm, was Grey sehr erschreckte.

»Ihr wisst, wo er ist?« Frasers Stimme konnte seine Erregung nicht verbergen. »Könnt Ihr mir womöglich sagen, wo ich ihn finde?«

Grey kramte hastig in seinen versprengten Gedanken umher und versuchte, sich zu erinnern, was Agnes gesagt hatte: Mein neues Haus … am Ende der Brydges Street … Mrs Donoghue …

»Ja«, sagte er und spürte, wie sich seine Stimmung ein wenig hob. »Ich bin mir sicher, dass ich ihn für Euch finden kann.«

»Ich – danke, Mylord«, sagte Jamie abrupt.

»Nennt mich nicht so.« John fühlte sich jetzt ein wenig besser, doch plötzlich war er unaussprechlich müde. »Wenn wir schon gemeinsam die Blutschuld und die Reue für das tragen, was wir diesem Mistkerl Twelvetrees angetan haben, könnt Ihr mich doch wohl in Gottes Namen auch bei meinem Vornamen rufen, oder?«

Fraser schritt eine Weile schweigend vor sich hin und überlegte.

»Das könnte ich tun«, sagte er langsam. »Vorerst. Doch ich werde ja an meinen – meinen Platz zurückkehren, und dort geht es nicht. Es … es würde mir widerstreben, mir eine solche Vertraulichkeit anzugewöhnen und dann …« Er winkte mit einer kleinen Geste ab.

»Ihr braucht ja nicht zurückzukehren«, sagte Grey waghalsig. Er besaß zwar keinerlei Macht, Frasers Strafmaß zu ändern oder ihn zu begnadigen, und keinerlei Recht, so etwas auch nur anzudeuten – nicht ohne Hals Zustimmung. Doch er glaubte, dass es möglich war.

Er sah, dass er den Schotten schockiert hatte; Fraser ging im Weitergehen ein wenig auf Abstand.

»Ich … danke Eurer Lordschaft sehr, dass Ihr darüber nachdenkt«, sagte er schließlich. »Ich … Selbst wenn es möglich wäre … Ich – ich möchte Helwater nicht verlassen.«

Im ersten Moment verstand Grey ihn falsch und wollte ihn beruhigen. »Ich meine ja nicht, dass man Euch wieder einkerkern würde oder Euch in London lassen würde. Ich meine, angesichts des großen Dienstes, den Ihr der – der Regierung erwiesen habt, ließe sich möglicherweise eine Begnadigung erwirken. Ihr könntet … frei sein.«

Das Wort hing zwischen ihnen in der Luft, knapp und beinahe greifbar. Fraser holte bebend Luft, doch als er dann sprach, klangen seine Worte fest.

»Ich weiß, was Ihr meint, Mylord. Und ich danke Euch. Doch es gibt – ich habe … jemanden … in Helwater. Jemanden, um dessentwillen ich zurückkehren muss.«

»Wen denn?«, fragte Grey ausgesprochen verblüfft.

»Ihr Name ist Betty Mitchell. Eine der Kammerzofen.«

»Wirklich«, sagte Grey ausdruckslos, und als er dann begriff, dass dies sehr unhöflich klang, verbesserte er sich hastig. »Ich – ich gratuliere Euch.«

»Aye, nun ja, dazu ist es noch zu früh«, sagte Fraser. »Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen – offiziell, meine ich. Aber wir … wir verstehen uns.«

Grey fühlte sich, als sei er auf einen Gartenrechen getreten, der aufgefahren und ihm gegen die Nase geprallt war. Dies war das Letzte, was er erwartet hätte – nicht nur angesichts des Standesunterschiedes, der doch zwischen einer Kammerzofe und einem Gutsherrn bestehen musste (obwohl Hal und Minnie in seinem Hinterkopf auftauchen, gemeinsam mit einem Bild ihres angesengten Kaminläufers), ganz gleich, wie tief der Gutsherr auch gesunken sein mochte, sondern auch angesichts dessen, was Grey stets für Frasers große Sehnsucht nach seiner Frau gehalten hatte.

Er kannte die Zofe flüchtig von seinen Besuchen in Helwater. Sie war zwar eine hübsche junge Frau, doch sie war auch ausgesprochen … nun, gewöhnlich. Frasers erste Frau war ausgesprochen ungewöhnlich gewesen.

»Gott, Sassenach. Ich brauche dich

Er war schockiert – und empfand große Missbilligung. Noch mehr schockierte es ihn, als ihm beides klar wurde, und er gab sich die größte Mühe, das Gefühl wieder abzustellen; er hatte kein Recht darauf, schockiert zu sein, und selbst wenn … nun, der Tod von Frasers Frau war lange her, und er war ein Mann. Und zwar ein Ehrenmann. Besser zu heiraten, als zu brennen, dachte er zynisch. Was weiß ich schon davon.

»Ich wünsche Euch Glück«, sagte er sehr förmlich. Sie waren in der Nähe der Alexandrapforte zum Stehen gekommen. Die sanfte Nachtluft roch nach Harz und Kaminrauch und entfernt nach dem Gestank der Stadt. Etwas weniger schockiert begriff er, dass er großen Hunger hatte – und mit einer Mischung aus Scham und Resignation, dass er froh war, am Leben zu sein.

Sie kamen mehr als zu spät zum Abendessen.

»Am besten lasst Ihr Euch ein Tablett bringen«, sagte Grey, während sie die marmorne Eingangstreppe emporstiegen. »Ich muss Hal sagen, was Bowles gesagt hat, doch Ihr braucht Euch nicht weiter damit zu befassen. Mit alldem.«

»Nicht?« Fraser sah ihn an, ernst im Licht der Laterne vor der Tür. »Ihr werdet doch mit Reginald Twelvetrees sprechen, nicht?«

»O ja.« Er hatte den Gedanken an diese Notwendigkeit zwar kurzfristig in den Hintergrund gedrängt, ihn aber nicht vergessen; er hing über ihm wie ein Gewicht an einem Spinnennetz. Damoklesschwert. »Morgen.«

»Ich gehe mit«, sagte der Schotte leise, aber entschlossen.

Grey seufzte tief und schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich danke Euch … Mr Fraser«, sagte er und versuchte, die Förmlichkeit mit einem Lächeln zu begleiten. »Diesmal wird mein Bruder mein Sekundant sein.«