33

Billets-Doux

»WENN DIR DER HIEB ZWISCHEN DIE RIPPEN gefahren wäre, wärst du tot, weißt du.«

Es war nicht das erste Mal, dass Grey das zu hören bekam – es war auch nicht das erste Mal, dass er es von Hal zu hören bekam –, doch es war das erste Mal, dass er die Kraft hatte, darauf zu antworten.

»Ich weiß.« Tatsächlich hatte ihn der Hieb – wie ihm zuerst Dr. Hunter, dann Dr. Maguire, der Hausarzt der Greys, und schließlich Dr. Latham, der Stabsarzt des Regimentes mitgeteilt hatten – an der dritten Rippe getroffen und war dann ein Stück zur Seite gerutscht, bevor die Säbelspitze in seinem Brustbein stecken geblieben war. Es hatte nicht geschmerzt; ihm war nur der gewaltige Ruck bewusst gewesen, der ihn durchfuhr.

»Tut es sehr weh?« Hal setzte sich zu ihm auf das Bett und betrachtete ihn genau.

»Ja. Fort mit dir.«

Hal bewegte sich nicht.

»Bist du noch bei Verstand?«

»Natürlich. Und du?« Grey fühlte sich extrem gereizt. Die Wunde schmerzte, vom langen Sitzen im Bett war ihm der Hintern taub geworden, und jetzt, da er kein Fieber mehr hatte, hatte er großen Hunger.

»Twelvetrees ist heute Morgen gestorben.«

»Oh.« Er schloss kurz die Augen, dann öffnete er sie wieder und empfand eine reumütige Dankbarkeit für den Hunger und die Schmerzen. »Gott schenke seiner Seele Frieden.«

Er hatte gewusst, dass Twelvetrees mit ziemlicher Sicherheit sterben würde; es war selten, dass sich jemand von einer schweren Bauchverletzung erholte, und er hatte gespürt, wie sein Schwert tief in Twelvetrees’ Innerem irgendwo auf einen Knochen getroffen war; er hatte ihm die gesamten Eingeweide durchbohrt. Wenn der Blutverlust und der Schock den Mann nicht erledigten, so würde es die Infektion tun. Dennoch hatte die Nachricht eine ernste Endgültigkeit an sich, die ihn erschütterte.

»Nun«, sagte er und räusperte sich. »Hat Reginald Twelvetrees schon öffentlich meinen Kopf gefordert? Oder zumindest meine Festnahme?«

Hal, der das gar nicht komisch fand, schüttelte den Kopf.

»Er kann kein Wort sagen, nicht, während alle Welt denkt – und sagt –, dass Edward ein Verräter war. Du wirst mehr oder weniger als Held gefeiert.«

Grey war völlig verdattert. »Was? Wieso das?«

Hal sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Nachdem du vor zwei Jahren bereits Bernard Adams als jakobitischen Verschwörer entlarvt hast? Und dann das, was Fraser im Beefsteak zu Twelvetrees gesagt hat? Jeder glaubt, dass du ihn wegen seines verräterischen Verhaltens herausgefordert hast – nicht, dass sie wüssten, worin das bestand, Gott sei Dank.«

»Aber das – ich habe doch gar nicht …«

»Nun, das weiß ich doch, du Esel«, sagte sein Bruder. »Aber da du keine Zeitungsanzeige aufgegeben hast, in der stand, dass er dich als Päderasten bezeichnet hat und du dir das verbeten hast – und er keine Anzeige aufgegeben hat, in der stand, dass er dich als Bedrohung für die öffentliche Sicherheit empfindet und er bereit sei, dies durch Waffengewalt zu unterstreichen … hat sich die Öffentlichkeit wie üblich ihre Meinung selbst gebildet.«

Grey trug den linken Arm in einer Schlinge, doch er rieb sich mit der rechten Hand fest über das stoppelige Gesicht. Er war verstört über diese Neuigkeit, doch er war sich nicht sicher, was er dagegen unternehmen sollte, falls es überhaupt etwas zu unternehmen gab, wenn erst …

»Oh, verflucht«, sagte er. »Die Zeitungen haben Wind davon bekommen.«

»O ja.« In Hals Mundwinkel zuckte ein Muskel. »Minnie hat einige der gelungeneren Artikel für dich aufbewahrt. Wenn du dich kräftig genug fühlst.«

Grey warf Hal einen vielsagenden Blick zu. »Wenn ich mich kräftig genug fühle«, sagte er, »habe ich ein Wörtchen mit deiner Frau zu reden.«

Hal lächelte breit. »Aber gerne doch«, sagte er. »Ich wünsche dir viel Glück dabei.« Er erhob sich und stieß dabei an Greys verletztes Bein. »Hast du Hunger? Die Köchin hat dir ekeligen Haferschleim gekocht. Und verbrannten Toast mit Kalbsfußsülze.«

»In Gottes Namen, Hal!« Die Mischung aus Entrüstung und Flehen in seinem Ton schien seinen Bruder zu rühren.

»Ich werde sehen, was ich tun kann.« Hal beugte sich vor und klopfte ihm sanft auf die unverletzte Schulter.

»Ich bin froh, dass du nicht tot bist. War mir anfangs nicht so sicher.«

Hal ging hinaus, bevor er antworten konnte. John stiegen die Tränen in die Augen, und er betupfte sie mit dem Ärmel seines Nachthemdes und murmelte gereizt vor sich hin, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass er gerührt war.

Ehe er es übertreiben konnte, wurde er auf Geräusche im Flur aufmerksam: die Art von Störung, die entsteht, wenn kleine Jungen versuchen, still zu sein, und dabei umso lauter flüstern und tuscheln, während sie sich gegenseitig vor die Wände schubsen.

»Kommt herein«, rief er, und die Tür öffnete sich. Ein kleiner Kopf lugte vorsichtig um die Ecke.

»Hallo, Ben. Was gibt es denn?«

Benjamins besorgtes Gesicht leuchtete augenblicklich vor Entzücken auf.

»Alles gut, Onkel John? Mama sagt, wenn das Schwert …«

»Ich weiß, dann wäre ich tot. Aber ich bin nicht tot, oder?«

Ben blinzelte ihn skeptisch an, beschloss aber, diese Frage wörtlich zu nehmen. Er machte kehrt, rannte zur Tür und zischte etwas in den Flur. Dann kam er zurückgesaust, gefolgt von seinen jüngeren Brüdern Adam und Henry. Sie hüpften alle drei auf das Bett, wobei Benjamin und Adam den kleinen Henry – der ja erst fünf war und es nicht besser wusste – daran hinderten, sich auf Greys Schoß zu setzen.

»Können wir die Stelle sehen, wo dich das Schwert getroffen hat, Onkel John?«

»Ich denke schon.« Die Wunde war zwar verbunden, doch der Arzt würde ohnehin gleich kommen, um den Verband zu wechseln, also würde es wohl nicht schaden, ihn zu lösen, dachte er. Mit einer Hand knöpfte er sich das Nachthemd auf und löste den Verband mit großer Vorsicht. Die ehrfürchtige Bewunderung seiner Neffen war ein mehr als adäquater Lohn für die Unannehmlichkeiten, die das mit sich brachte.

Nach dem ersten allgemeinen »Ooh!« beugte sich Ben vor, um sich die Stelle genauer zu betrachten. Es war eine ziemlich eindrucksvolle Wunde, wie auch Grey zugab, als er den Blick darauf senkte. Der Arzt, der ihn versorgt hatte – er wusste nicht, welcher der drei es gewesen war, weil er nicht bei Bewusstsein gewesen war –, hatte den ursprünglichen Schnitt verlängert, um die Fragmente seines Brustbeins zu entfernen, die durch Twelvetrees’ Säbelhieb abgesplittert waren, und die Fasern seines Hemdes, die in die Wunde gerammt worden waren. Der Ergebnis war eine fünfzehn Zentimeter lange klaffende Wunde, die sich oben über seine linke Brustseite zog, ein gemeines Dunkelrot, das von groben schwarzen Fäden durchkreuzt wurde.

»Tut das weh?«, fragte Ben ernst.

»Nicht sehr«, sagte Grey. »Das Jucken an meinem Bein ist schlimmer.«

»Lass sehen!« Henry begann, an der Bettdecke zu ziehen. Die folgende Rauferei zwischen den drei Brüdern hätte Grey fast aus dem Bett geworfen, doch es gelang ihm, seine Stimme so weit zu erheben, dass die Ordnung wiederhergestellt wurde, woraufhin er die Decke zurückschlug und sein Nachthemd hob, um den Jungen den Schnitt an seinem Oberschenkel zu zeigen.

Es war eine oberflächliche Verletzung, auch wenn sie beeindruckend lang war. Sie schmerzte zwar noch ein wenig, doch er hatte nicht gelogen, als er sagte, dass der Juckreiz schlimmer war. Dr. Maguire hatte einen Umschlag aus Magnesiumsulfat, Seife und Zucker empfohlen, um die Gifte aus der Wunde zu ziehen. Dr. Latham, der eine Stunde später eintraf, hatte den Umschlag wieder entfernt und gesagt, dies sei alles großer Unsinn, und Luft würde helfen, die Naht auszutrocknen.

Grey hatte während beider Visiten bewegungslos dagelegen, weil seine Kraft nur noch gereicht hatte, um dankbar zu sein, dass Doktor Hunter nicht auch noch gekommen war, um seine Meinung kundzutun. Der hätte wahrscheinlich seine Säge gezückt und sich mit dem Bein davongemacht, womit die Diskussion beendet gewesen wäre. Nach seiner erneuten Begegnung mit dem Arzt konnte er Tobias Quinn und seinen Horror davor, nach dem Tod seziert zu werden, deutlich besser verstehen.

»Du hast aber einen großen Schniedel, Onkel John«, stellte Adam fest.

»Das Übliche für einen Erwachsenen, glaube ich. Obwohl ich meinen möchte, dass er seinen Dienst bis jetzt zur allgemeinen Zufriedenheit erfüllt hat.«

Die drei Jungen kicherten, obwohl Grey davon ausging, dass nur Benjamin eine Vorstellung davon hatte, warum, und er fragte sich neugierig, wo Bens Tutor wohl mit ihm gewesen sein mochte. Adam und Henry waren zu jung, um aus dem Haus zu gehen, und verbrachten ihre Tage noch mit ihrem Kindermädchen. Doch für Ben hatte man einen jungen Mann namens Whibley engagiert, der ihm eigentlich die Grundlagen der lateinischen Sprache beibringen sollte. Minnie sagte zwar, dass Whibley sehr viel mehr Zeit damit verbrachte, der Hilfsköchin schöne Augen zu machen, als damit, Gallien in drei Teile zu unterteilen, aber immerhin nahm er Ben hin und wieder mit ins Theater, im Namen der Kultur.

»Mama sagt, du hast den anderen Mann getötet«, sagte Adam. »Wohin hast du ihn denn gestochen?«

»In den Bauch.«

»Oberst Quarry sagt, der andere Mann war ein skur-pel-loser Kerl«, sagte Benjamin, der jede Silbe sorgfältig aussprach.

»Skrupellos. Ja, ich glaube schon. Ich hoffe es.«

»Warum denn?«, fragte Adam.

»Wenn man jemanden umbringt, sollte man besser einen Grund dazu haben.«

Die drei Jungen nickten ernst wie eine Handvoll Eulen, doch dann wollten sie mehr von den Einzelheiten des Duells erfahren und brannten darauf zu hören, wie viel Blut dabei geflossen war, wie oft Onkel John den bösen Mann getroffen hatte und was die Gegner zueinander gesagt hatten.

»Hat er dich übel beschimpft und schlimme Flüche ausgestoßen?«, fragte Benjamin.

»Schimme Füche«, murmelte Henry fröhlich vor sich hin. »Schimme Füche, schimme Füche.«

»Eigentlich glaube ich gar nicht, dass wir etwas gesagt haben. Dazu hat man ja seinen Sekundanten. Der geht zum Sekundanten des anderen Mannes und spricht mit ihm, und sie versuchen gemeinsam herauszufinden, ob sich der Streit anders lösen lässt, so dass man nicht zu kämpfen braucht.«

Dies schien eine sehr seltsame Vorstellung für seine Zuhörer zu sein, und der Versuch, ihnen zu erklären, warum ein Kampf nicht immer das Beste war, erschöpfte ihn, so dass er das Eintreffen eines Dienstboten, der ihm ein Tablett brachte, mit Erleichterung begrüßte. Selbst wenn das Tablett nicht mehr enthielt als eine Schüssel mit grauem Brei, von dem er vermutete, dass es Haferschleim war, und eine weitere Schüssel mit Brot und Milch.

Die Jungen aßen das Brot mit Milch. Sie reichten die Schüssel kameradschaftlich auf dem Bett herum, so dass die Milch auf das Bettzeug tropfte, und übertrafen sich gegenseitig darin, ihm das Neueste aus dem Haushalt zu erzählen: Nasonby war die große Treppe hinuntergefallen und hatte einen verbundenen Knöchel; die Köchin hatte sich mit dem Fischhändler gestritten, der ihr Scholle statt Lachs gebracht hatte und sich jetzt weigerte, sie weiter zu beliefern. Also hatte es gestern Pfannkuchen zum Abendessen gegeben und sie hatten alle so getan, als sei Fastnachtsdienstag; ihr Spaniel Lucy hatte auf dem Boden des Wäscheschranks geworfen, und Mrs Weston, die Haushälterin, hatte einen Anfall gehabt …

»Ist sie mit Schaum vor dem Mund zu Boden gestürzt?«, fragte Grey neugierig.

»Wahrscheinlich«, sagte Benjamin fröhlich. »Wir durften nicht zusehen. Aber die Köchin hat ihr Sherry gegeben.«

Henry und Adam hatten sich jetzt rechts und links an ihn gekuschelt, und er empfand ihre Bewegungen, ihre Wärme und den Duft ihrer Körper als so tröstend, dass ihm, schwach wie er war, erneut die Tränen zu kommen drohten. Um das zu vermeiden, räusperte sich Grey und bat Ben, ihm etwas aufzusagen.

Ben runzelte nachdenklich die Stirn und sah dabei so sehr aus wie Hal, wenn er ein Kartendeck betrachtete, dass sich Greys Rührung abrupt in Belustigung verwandelte. Es gelang ihm, sich das Lachen zu verkneifen – seine Brust schmerzte, wenn er lachte –, und er entspannte sich, während er einer grauenvollen Darbietung von »The Twelve Days of Christmas« lauschte, die von Minnies Eintreten unterbrochen wurde, gefolgt von Pilcock mit einem zweiten Tablett, von dem es ihm appetitlich entgegenduftete.

»Was macht ihr denn da mit eurem armen Onkel John?«, wollte sie wissen. »Seht nur, was ihr mit seinem Bett gemacht habt! Los, fort mit euch!«

Nachdem sich das Schlafzimmer geleert hatte, sah sie John von oben herab an und schüttelte den Kopf. Sie trug ein winziges Spitzenhäubchen auf dem hochgesteckten Weizenhaar und sah hinreißend heimelig aus.

»Hal sagt, zum Teufel mit dem Arzt und mit der Köchin auch: Du sollst ein Steak und Eier bekommen und gegrilltes Gemüse. Also bekommst du dein Steak. Und wenn du davon stirbst oder platzt oder verrottest, ist es deine Schuld.«

Grey hatte bereits mit der Gabel in eine saftige Grilltomate gestochen und kaute selig.

»O Gott«, sagte er. »Danke. Danke, Hal. Danke der Köchin. Danke, danke.« Er schluckte und spießte einen Pilz auf.

Trotz ihres anfänglichen Missfallens sah Minnie zufrieden aus. Andere zu verpflegen war ihr ein Vergnügen. Sie winkte den Dienstboten aus dem Zimmer und setzte sich auf die Bettkante, um das Spektakel zu genießen.

»Hal sagte, du wolltest mich wegen irgendetwas ausschimpfen.« Die Aussicht schien sie nicht besonders nervös zu machen.

»Das habe ich nicht gesagt«, protestierte Grey und hielt inne, ein blutiges Stück Steak auf der Gabel. »Ich habe nur gesagt, ich würde gern ein Wörtchen mit dir reden.«

Sie faltete die Hände und sah ihn an, als wollte sie gleich mit den Augen klimpern.

»Nun, eigentlich wollte ich dich dafür zurechtweisen, dass du Mr Fraser deine Gedanken über meine Motive mitgeteilt hast, doch letztlich …«

»Letztlich hatte ich recht?«

Er zuckte mit den Schultern, denn er hatte zu viel Steak im Mund, um zu antworten.

»Natürlich hatte ich recht«, antwortete sie an seiner Stelle. »Und da Mr Fraser kein Dummkopf ist, glaube ich gar nicht, dass es nötig war, ihm das zu erzählen. Allerdings hat er mich gefragt, was ich glaubte, warum du Edward Twelvetrees herausgefordert hast. Also habe ich es ihm gesagt.«

»Wo … ähm … wo ist Mr Fraser denn jetzt?«, fragte er und schluckte, während er gleichzeitig seine Gabel mit Ei belud.

»Dort, wo er die letzten drei Tage auch verbracht hat, schätze ich: Er liest sich allmählich durch Hals Bibliothek. Und wo wir vom Lesen sprechen …« Sie hob einen kleinen Stapel Briefe – den er gar nicht bemerkt hatte, weil er sich so sehr auf das Essen konzentriert hatte – vom Tablett und legte sie ihm auf den Bauch.

Sie waren rosa oder blau gefärbt und rochen nach Parfum. Er sah Minnie an, die Augenbrauen fragend hochgezogen.

»Billets-doux«, sagte sie liebreizend. »Von deinen Verehrerinnen.«

»Was denn für Verehrerinnen?«, wollte er wissen und legte seine Gabel hin, um die Briefe an sich zu nehmen. »Und woher weißt du, was darin steht?«

»Ich habe sie gelesen«, sagte Minnie ohne den leisesten Hauch des Errötens. »Und was die Verfasserinnen angeht, so bezweifle ich bei den meisten der Damen, dass du sie kennst, obwohl du wahrscheinlich schon mit der einen oder anderen getanzt hast. Doch es gibt viele Frauen – vor allem junge, alberne Dinger –, die angesichts von Männern, die Duelle ausfechten, buchstäblich in Ohnmacht fallen. Jener, die überleben, natürlich«, fügte sie pragmatisch hinzu.

Er öffnete einen der Briefe mit dem Daumen und hielt ihn mit einer Hand fest, um ihn zu lesen, während er mit der anderen weiteraß. Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe.

»Ich bin dieser Frau noch nie begegnet. Und doch erklärt sie, sie sei verrückt nach mir – nun, sie ist in jedem Fall verrückt, das muss ich sagen – und verzehre sich vor Bewunderung für meine Tapferkeit, meine Courage, meinen … Oje.« Er spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg, und legte den Brief wieder hin. »Sind sie alle so?«

»Einige sind noch viel schlimmer«, versicherte ihm Minnie lachend. »Denkst du denn nie daran zu heiraten, John? Das ist die einzige Möglichkeit, dich vor dieser Art von Aufmerksamkeit zu retten, weißt du.«

»Nein«, sagte er geistesabwesend und überflog einen weiteren Brief, während er mit einem Stück Brot die Sauce vom Teller wischte. »Ich würde einen wenig zufriedenstellenden Ehemann abgeben. Herr im Himmel! Ich bin gefangen von der Vision Eures Heldenmutes, der Gewalt Eures machtvollen Schwerts … Hör auf zu lachen, Minerva, am Ende platzt dir noch etwas. Als ich mich mit Edwin Nicholls duelliert habe, gab es so etwas nicht.«

»Doch, das gab es«, sagte sie und hob die von ihm abgelegten Briefe auf, die teilweise auf den Boden gefallen waren. »Du warst ja nicht hier, weil du schmählich nach Kanada entfleucht warst, und das nur, um Caroline Woodford nicht heiraten zu müssen. Von einer Ehefrau einmal abgesehen, sehnst du dich denn nicht nach Kindern, John? Wünschst du dir keinen Sohn?«

»Nachdem ich gerade eine halbe Stunde mit deinen Söhnen verbracht habe, nein«, sagte er, obwohl das natürlich nicht wahr war und Minerva das sehr gut wusste. Sie lachte also nur erneut und reichte ihm den Briefstapel ordentlich zurück.

»Natürlich war die öffentliche Reaktion auf dein Duell mit Nicholls nichts im Vergleich mit dem, was sich jetzt abspielt. Einerseits versuchte man, es weitgehend zu vertuschen, und andererseits ging es bei dem Duell ja nur um die Ehre einer Dame, nicht um die Ehre des Königreichs. Hal meinte, ich bräuchte dir die Briefe nicht nach Kanada zu schicken, also habe ich es auch nicht getan.«

»Danke.« Er machte Anstalten, ihr die Briefe zurückzugeben. »Bitte verbrenne sie.«

»Wenn du darauf bestehst.« Sie lächelte ihn an, nahm ihm die Briefe ab und stand auf. »Oh, halt – diesen hier hast du nicht geöffnet.«

»Ich dachte, du hättest sie alle gelesen.«

»Nur die von den Frauen. Dieser hier sah eher nach etwas Geschäftlichem aus.« Sie zog einen schlichten Umschlag aus dem Stapel der farbigen parfümierten Billetts und reichte ihn herüber. Es stand keine Adresse darauf, doch er trug einen Namen in einer sauberen, kleinen Handschrift. H. Bowles.

Bei diesem Anblick überkam ihn ein außerordentliches Gefühl des Abscheus, und er verlor plötzlich den Appetit.

»Nein«, sagte er und gab ihr den Brief zurück. »Verbrenne ihn ebenfalls.«