13
Begegnung in der Dunkelheit
Jamie erwachte abrupt und setzte sich im Bett auf. Seine Hand griff automatisch unter die Bettdecke nach seinem Dolch, bevor sein Verstand begriff, wo er war. Die Tür schloss sich beinahe lautlos, und fast wäre er aus dem Bett gefahren, bereit, sich auf die Beine des Eindringlings zu stürzen, doch er roch Parfum und hielt verwirrt inne, gefangen im Durcheinander der Erinnerungen an den Kerker, an Jareds Haus in Paris, an Gasthauszimmer, an Claires Bett … doch nie hatte Claire einen solchen Duft getragen.
Das Gewicht der Frau drückte neben ihm die Matratze ein, und eine Hand berührte seinen Arm. Eine leichte Berührung, und er spürte, wie ihm als Reaktion darauf die Haare zu Berge standen.
»Verzeiht mir meinen unangekündigten Besuch«, sagte die Herzogin, und er konnte den Humor in ihrer leisen Stimme hören. »Ich hielt es für besser, diskret vorzugehen.«
»Ihr findet das diskret?«, sagte er und hätte fast vergessen, seinerseits leise zu sein. »Großer Gott!«
»Wäre es Euch lieber, wenn ich so tue, als ob ich Euch zufällig beim Puppentheater im Park begegne?«, fragte sie, und ihm blieb fast das Herz stehen. »Ich bezweifle, dass wir dort genug Zeit hätten.«
Sein Herz hämmerte immer noch wie eine Trommel, doch er hatte zumindest seine Atmung wieder unter Kontrolle.
»Eine lange Geschichte also, wie?«, fragte er so gleichmütig wie möglich. »Vielleicht wäre es dann bequemer, wenn Ihr Euch auf den Stuhl setzt.«
Sie erhob sich mit einem leisen Geräusch, das wie Belustigung klang, und er hörte das gedämpfte Geräusch von Stuhlbeinen, die über den Orientteppich gezogen wurden. Er nutzte die Tatsache, dass sie beschäftigt war, um aus dem Bett zu steigen – sie hatte ihn wirklich überrumpelt – und sich auf die Fensterbank zu setzen, wo er sich das Nachthemd züchtig um die Beine schlang.
Was hatte sie mit dieser Bemerkung über das Puppentheater gemeint? War seine Begegnung mit Quinn jemandem aufgefallen? Oder war es nur eine zufällige Bemerkung?
Sie blieb neben dem Stuhl stehen, eine formlose Gestalt in der Dunkelheit.
»Soll ich eine Kerze anzünden?«
»Nein. Eure Durchlaucht«, fügte er mit einer gewissen sardonischen Betonung hinzu.
Der Himmel war zwar bedeckt, doch es herrschte zunehmender Mond, und er hatte die Vorhänge zurückgezogen, als er zu Bett ging, weil er das Gefühl nicht mochte, eingeschlossen zu sein. Hinter ihm fiel ein sanftes Leuchten durch das Fenster. Er würde zwar ihr Gesicht nicht deutlich erkennen können – doch sie würde das seine gar nicht sehen.
Ihre Gewänder flüsterten, als sie sich setzte, und sie seufzte auf, sagte zunächst aber nichts. Es war ein alter Trick, den auch er gut kannte. Er sagte ebenfalls nichts, obwohl sich die Fragen in seinem Kopf überschlugen. Die wichtigste lautete, wusste der Herzog Bescheid?
»Ja, das tut er«, sagte sie. Fast hätte er sich auf die Zunge gebissen.
»Oh, aye?«, brachte er heraus. »Und darf ich fragen, was genau Euer Gatte weiß.«
»Alles über mich natürlich.« Wieder dieser schwache Unterton der Belustigung. »Er wusste, wie ich … gelebt habe … als er mich geheiratet hat.«
»Ein Mann aus Blut und Stahl also.«
Sie lachte leise auf.
»Und weiß er auch, dass wir damals miteinander bekannt waren?«
»Ja. Er weiß allerdings nicht, worüber ich mit Euch reden will.«
Er fragte sich, ob der Herzog überhaupt wusste, dass sie ihn zum Reden in seinem Schlafzimmer aufgesucht hatte, stieß aber nur ein leises, einladendes Geräusch aus, und der Morgenmantel der Herzogin raschelte leise, als sie es sich bequem machte.
»Kennt Ihr einen Mann namens Edward Twelvetrees?«
»Ich bin ihm heute kurz begegnet«, sagte er. »Im Club Eures Schwagers. Wer ist er, und warum interessiert mich das?«
»Edward Twelvetrees«, sagte sie mit einem grimmigen Unterton, »ist ein geschätzter Soldat, ein Ehrenmann – und der jüngere Bruder von Nathaniel Twelvetrees, den mein Mann vor Jahren bei einem Duell getötet hat.«
»Ein Duell wegen …?«
»Nicht wichtig«, sagte sie knapp. »Was zählt, ist, dass die gesamte Familie Twelvetrees tiefsten Hass auf meinen Mann empfindet – nun, auf alle Greys, vor allem aber auf Pardloe – und dass sie alles Menschenmögliche tun würden, um ihm zu schaden. Außerdem«, fuhr sie fort und schnitt ihm damit seine nächste Frage ab, »ist Edward Twelvetrees ein Vertrauter Gerald Siverlys. Ein enger Vertrauter. Und drittens hat Edward Twelvetrees während des letzten Jahres große Geldsummen verschoben – viel mehr, als normalerweise durch seine Hände fließen würde; er ist der jüngere Bruder und hat nur seinen Sold zur Verfügung und seine Gewinne beim Kartenspiel.«
Gebannt beugte er sich ein wenig vor.
»Wohin verschoben? Und woher kommt das Geld?«
»Es geht nach Irland. Woher es kommt, weiß ich nicht.«
Darüber dachte er einen Moment nach.
»Warum erzählt Ihr mir das?«
Sie zögerte, und er konnte spüren, wie sie überlegte, wusste aber nicht genau, in welche Richtung. Nicht wie weit sie ihm trauen sollte, dachte er – nur ein Narr würde ihm Wissen anvertrauen, das gefährlich werden konnte, und er war sich sicher, dass die Herzogin keine Närrin war. Doch wie viel sie ihm erzählen sollte …
»Ich liebe meinen Mann, Mr Fraser«, sagte sie schließlich leise. »Ich will nicht, dass er – oder auch John – sich in einer Lage wiederfindet, in der ihm die Familie Twelvetrees schaden könnte. Falls irgend möglich, möchte ich, dass Ihr dafür sorgt, dass dies nicht geschieht. Sollten Euch Eure Nachforschungen in Irland mit Edward Twelvetrees in Verbindung bringen, flehe ich Euch an, Mr Fraser: Versucht, ihn von John fernzuhalten und dafür zu sorgen, dass seine Verbindung mit Major Siverly nicht mit Eurem Anliegen in Berührung kommt.«
Er glaubte zwar, ihrem Gedankengang hinreichend gefolgt zu sein, fragte aber vorsichtshalber nach.
»Ihr meint, selbst wenn das Geld an Siverly oder durch seine Hände geht, hat es auf keinen Fall etwas mit der Angelegenheit zu tun, die Euer Mann vor dem Kriegsgericht abgehandelt sehen will. Und daher möchtet Ihr, dass ich versuche zu verhindern, dass Lord John einer solchen Spur folgt, sollte er darauf stoßen?«
Sie stieß einen kleinen Seufzer aus.
»Danke, Mr Faser. Ich versichere Euch, jede Verwicklung mit Edward Twelvetrees kann nur zu einer Katastrophe führen.«
»Für Euren Mann, seinen Bruder – oder Euren Vater?«, fragte er leise und hörte, wie sie scharf einatmete. Doch schon im nächsten Moment ertönte das leise Glucksen ihres Lachens wieder.
»Vater hat immer schon gesagt, Ihr wärt der beste der jakobitischen Agenten«, sagte sie beifällig. »Habt Ihr noch … Verbindungen?«
»Nein«, sagte er entschieden. »Aber es konnte nur Euer Vater sein, der Euch von dem Geld erzählt hat. Wenn Pardloe oder Grey davon gewusst hätten, hätten sie es erwähnt, als sie mit Oberst Quarry ihre Pläne schmiedeten.«
Ein leises belustigtes Prusten erklang, und die Herzogin erhob sich, ein weißer Fleck in der Dunkelheit. Sie strich sich ihren Morgenrock glatt und wandte sich zum Gehen, doch an der Tür blieb sie stehen.
»Wenn Ihr mein Geheimnis für Euch behaltet, Mr Fraser, behalte ich das Eure für mich.«
VORSICHTIG KEHRTE ER IN SEIN BETT zurück; es roch nach ihrem Parfum – und ihrem Körper –, und beides war zwar nicht unangenehm, doch es brachte ihn aus der Fassung. Das galt auch für ihre letzte Bemerkung – obwohl er nach reiflicher Überlegung glaubte, dass dies nur Spott gewesen war. Er hatte keine Geheimnisse mehr – außer dem einen, und es war kaum wahrscheinlich, dass sie auch nur von Williams Existenz wusste, geschweige denn davon, wer sein wirklicher Vater war.
Irgendwo konnte er eine Kirchenglocke hören, die die volle Stunde schlug … ein einzelnes, sanftes Bong. Ein Uhr, und die Einsamkeit der tiefen Nacht begann, sich rings um ihn niederzulassen.
Er dachte kurz über das nach, was ihm die Herzogin erzählt hatte – über das Geld, das Twelvetrees regelmäßig nach Irland schaffte –, doch es gab nichts, was er mit diesem Wissen anfangen konnte, und es erschöpfte ihn, in diesem Nest voller Engländer ständig auf der Hut sein zu müssen. Seine Gedanken dehnten und zerfaserten sich, und bevor die Uhr die halbe Stunde schlug, war er eingeschlafen.
JOHN GREY HÖRTE, wie die Glocke von St. Mary Abbot ein Uhr schlug und legte sein Buch nieder, um sich die Augen zu reiben. Er hatte noch mehr Bücher in einem unordentlichen Stapel neben sich liegen, dazu den Bodensatz des Kaffees, der ihn bei seinen Nachforschungen wach gehalten hatte. Doch selbst Kaffee hatte seine Grenzen.
Er hatte mehrere Versionen der Wilden Jagd durchgelesen, die von diversen Experten aufgespürt und niedergeschrieben worden waren. Dies war zwar faszinierend, doch keine davon stimmte mit dem Wortlaut und den Ereignissen in Carruthers’ Fassung überein oder brachte irgendwelches Licht in dieses Dunkel.
Hätte er Charlie nicht gekannt, hätte er nicht gesehen, mit welcher Leidenschaft und Präzision er seine Anklage gegen Siverly vorbereitete, wäre er versucht gewesen, das Dokument zu verwerfen und zu dem Schluss zu kommen, dass es versehentlich unter die anderen Papiere geraten war. Doch er kannte Charlie.
Die einzige Möglichkeit, die er sich vorstellen konnte, war die, dass Charlie die Bedeutung des Gedichtes von der Wilden Jagd selbst nicht kannte, dass er aber gewusst hatte, dass es etwas mit Siverly zu tun hatte – und dass es irgendwie wichtig war. So weit war er vorerst gekommen. Es gab aber genügend anklagendes Material, mit dem er fortfahren konnte.
Mit wilden Feenhorden, dunklen Wäldern und dem Hall nächtlicher Jagdhörner im Kopf ergriff er seine Kerze und begab sich hinauf in sein Schlafzimmer. Unterwegs hielt er inne, um die Kerzen auszupusten, die in den Wandhaltern des Foyers noch für ihn brannten. Einer der kleinen Jungen war vor einer Weile mit Bauchschmerzen oder nach einem Alptraum aufgewacht, doch jetzt war es still im Kinderzimmer. In der ersten Etage brannte zwar kein Licht im Flur, doch er blieb stehen, weil er ein Geräusch hörte. Leise Schritte am anderen Ende des Korridors; eine Tür öffnete sich, und Kerzenschein fiel hindurch. Er erblickte Minnie, die in weißen Musselingewändern durch die Tür geradewegs in Hals Arme steuerte, und hörte Hals flüsternde Stimme.
Da er nicht wollte, dass sie ihn sahen, huschte er rasch die Treppe in die nächste Etage hinauf, und blieb dort einen Moment in der Dunkelheit stehen, damit sie sich zurückziehen konnten.
Einem der Jungen musste noch einmal schlecht geworden sein. Er konnte sich nicht vorstellen, warum Minnie sonst um diese Uhrzeit noch auf war.
Er lauschte aufmerksam; das Kinderschlafzimmer befand sich direkt über ihm, doch er hörte kein Jammern, keine Bewegung in der friedvollen Dunkelheit. Auch von unten kam kein Geräusch. Offensichtlich war der gesamte Haushalt nun dem Schlaf anheimgefallen – außer ihm.
Er liebte dieses Gefühl der Einsamkeit, wenn nur er allein wach war, Herr über die schlafende Welt.
Nicht ganz der Herr der schlafenden Welt. Ein kurzer, scharfer Aufschrei durchschnitt die Dunkelheit, und er fuhr auf, als hätte man ihm einen Reißnagel ins Bein gerammt.
Der Aufschrei wiederholte sich nicht, doch er war nicht oben aus dem Kinderzimmer gekommen. Er war definitiv aus dem Korridor zu seiner Linken gekommen, wo sich die Gästezimmer befanden. Und soweit er wusste, schlief an diesem Ende des Korridors niemand außer Jamie Fraser. Mit leisen Schritten begab er sich an Frasers Tür.
Er konnte jemanden keuchen hören wie ein Mensch, der aus einem Alptraum erwacht ist. Sollte er hineingehen? Nein, das solltest du nicht, dachte er prompt. Wenn er wach ist, hat er den Traum ja schon abgeschüttelt.
Er war im Begriff, sich umzudrehen und zur Treppe zurückzuschleichen, als er Frasers Stimme hörte.
»Könnte ich doch meinen Kopf in deinen Schoß legen, mein Herz«, kam Frasers Stimme leise durch die Tür. »Deine Hand auf mir spüren, dich riechen, wenn ich schlafe.«
Greys Mund war trocken, sein Körper erstarrt. Er sollte dies nicht hören; es zu hören, erfüllte ihn mit Scham, doch er wagte nicht, sich zu regen, weil er fürchtete, ein Geräusch zu machen.
Es raschelte, als ob sich ein kräftiger Körper im Bett herumwarf, dann ein ersticktes Geräusch – ein Aufkeuchen, ein Aufschluchzen? – und Stille. Er stand reglos da und lauschte seinem Herzen, dem Ticken der Standuhr unten im Flur, den leisen Geräuschen des Hauses, das sich zur Nacht niederließ. Eine Minute, er zählte die Sekunden. Zwei. Drei, und er hob einen Fuß, um leise zurückzutreten. Noch ein Schritt, und er hörte ein letztes Murmeln, ein Flüstern, so erstickt, dass er die Worte nur vernahm, weil er so gebannt war.
»Gott, Sassenach, ich brauche dich.«
In diesem Moment hätte er seine Seele verkauft, um Trost spenden zu können. Doch es gab keinen Trost, den er spenden konnte, und er stieg leise die Treppe hinunter, bis er im Dunkeln die letzte Stufe verpasste und unsanft auf den Boden stolperte.