Kapitel 16
In welchem das Liebeswerben um Lady Melly eine neue Wendung nimmt
Der Conte Regalado - oder Alberto, wie er gerne von ihr genannt werden wollte - war der charmanteste Mann, den Lady Melisande Grantworth je kennen gelernt hatte. Oder der je um sie geworben hatte.
Und der zwar kahlköpfige, aber dennoch recht adrette italienische Graf warb tatsächlich um sie.
Bei ihrer allerersten Begegnung, als er sie, Winnie und Nilly in jener Nacht in den Tiefen dieser unheimlichen alten Villa entdeckt hatte, war er galant und liebenswürdig gewesen - und auch wenn er sie am Ende doch nicht zu dem Schatz geführt hatte, sondern plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden war, hatte er dennoch einen freundlichen und faszinierenden Eindruck gemacht.
Und er legte viel Wert auf seine äußere Erscheinung. Er war wirklich ein sehr gepflegter Mann, mit seinem kleinen, perfekt gestutzten Schnauzer und dem kurzen Kinnbart. Seine Garderobe war teuer und modisch, er war nicht zu groß, und, was das Beste von allem war, er besaß diesen bezaubernden Akzent.
Natürlich hatte es da jenen Tag nach der Schatzsuche in der Villa Palombara gegeben, als er, anstatt ihr seine Aufwartung zu machen, lediglich Blumen geschickt hatte. Was Melly mehr als nur ein verächtliches Schnauben entlockt hatte. Sie kannte ein solches Verhalten bereits von den Männern Londons; selbst Jellington hatte versucht, ihr Interesse zu schüren, indem er sie mit Blumen, Schmuck und dergleichen überhäufte.
Doch Lady Melly verzehrte sich nach viel mehr als nach protzigem Flitterkram oder Grünzeug, das nach ein oder zwei Tagen in seiner Vase verwelken würde. Sie wollte einen echten Gefährten, einen Mann, der Esprit hatte. Und der sie, was am allerwichtigsten war, auf Händen trug.
»Er sollte jeden Moment eintreffen«, quiekste Nilly, mit vor Aufregung gerötetem Gesicht. Sie spähte zwischen den Spitzenvorhängen von Mellys Ankleidezimmer auf die Straße hinunter, um nach der Kutsche des Grafen Ausschau zu halten, während ihre Freundin ihrer Toilette den letzten Schliff gab.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wohin er dich an einem solch grässlichen Nachmittag ausführen will. Es ist nicht ein einziger Sonnenstrahl zu sehen, und der Himmel ist ganz grau. Bestimmt wird es bald regnen«, bemerkte Winnie voller Geringschätzung von ihrem Stuhl in der Ecke aus. »Dein Haar wird patschnass werden, und dann deine Hutfedern! Sie werden an deinem Gesicht kleben, noch bevor du in der Kutsche sitzt.«
»Der Conte Regalado hat angeboten, mir das Kolosseum zu zeigen, und anschließend vielleicht noch den Gianicolo-Hügel. Möglicherweise wird es ein wenig kalt sein, aber ganz bestimmt werden wir nicht nass.«
»Der Conte? Ich dachte, du sollst ihn Alberrrrto nennen?«, schnaubte Winnie, doch um ihre Mundwinkel zuckte ein Lächeln.
»Dann eben Alberto.« Melly lächelte ebenfalls, allerdings in den Spiegel, wo sie ihre Grübchen und die zarte Rosafärbung ihrer Wangen bewunderte.
»Er ist da!«
Winnie sprang auf die Füße und eilte zum Fenster. »Er ist es tatsächlich, und er sieht aus, als wollte er ins Theater gehen. Ich hoffe, du bist bis zum Abendessen zurück, damit du uns noch vor dem Schlafengehen sämtliche Details erzählen kannst.«
»Und ich«, erwiderte Melly, während sie zur Tür schwebte, als sei sie wieder eine junge Debütantin, »hoffe genau das Gegenteil.« Sie blieb stehen und sah sich noch einmal zu den beiden um. »Immerhin bin ich eine Witwe, wir sind nicht in London, und er ist … sehr attraktiv. Möglicherweise wird es eine lange Spazierfahrt.«
Nilly quiekte wieder, dieses Mal jedoch vor Enttäuschung. »Verschreck ihn bloß nicht, Melly!«
Winnie lachte. »Der arme Mann hat gegen unsere Melisande nicht die geringste Chance«, bemerkte sie voller Wärme, während sie zusah, wie ihre älteste und liebste Freundin mit mehr Energie die Treppe hinunterlief, als sie selbst je besessen hatte. »Ich hoffe nur, dass das hier besser ausgeht als ihre letzte Eheanbahnung. Womit ich die von Victoria und Rockley meine.«
Nilly nickte. »Ganz bestimmt wird es das.«
Die beiden Damen wollten sich gerade nach unten in den Salon begeben, als Victorias Zofe - dieses Mädchen mit dem unvorteilhaft buschigen, orangeroten Haar - auftauchte.
»Bitte verzeihen Sie, Madam. Eure Durchlaucht«, sagte Verbena mit einem kleinen Knicks.
Überrascht, von ihr angesprochen worden zu sein, wandten beide gleichzeitig den Kopf zu ihr um.
»Was gibt es?«, fragte Winnie mit ihrer Herzoginnenstimme. Sie war mit einer Hand am Geländer auf der Treppe stehen geblieben.
»Ich möchte ja nicht stören«, erwiderte die Zofe mit etwas weniger Unterwürfigkeit, als Winnie erwartet hätte. »Aber sagten Sie gerade, dass Lady Melisande mit einem Conte ausgeht?« Regalados Titel hörte sich aus ihrem Mund an wie »Compte«, trotzdem wusste Winnie, was das Mädchen mit dem Mondgesicht meinte.
»Ja.« Sie bediente sich erneut ihres autoritären Herzoginnentonfalls.
»Oh, du meine Güte … ist es am Ende der Conte Regalado?«
»Ja!« Winnie verlor allmählich die Geduld. »Wenn du etwas zu sagen hast, dann spuck es endlich aus. Ich kann nicht den ganzen Tag hier herumstehen. Es ist schon fast Zeit für den Nachmittagstee.«
»Oh … Euer Durchlaucht, Lady Melisande schwebt in gro ßer Gefahr.« Die blauen Augen der Zofe funkelten vor Aufregung, und ihre runden Wangen waren gerötet.
»Was meinst du damit?«, fragte Nilly leise keuchend.
»Dieser Conte Regalado … wir müssen Lady Melly helfen!« Als hätte sie plötzlich den Entschluss gefasst, unverzüglich zu handeln, drehte Verbena sich um und wollte schon den Flur hinunterstürmen, als Lady Winnies gebieterische Stimme sie innehalten ließ. »Mädchen, wage es bloß nicht, davonzulaufen, bevor du uns gesagt hast, was genau du damit meinst!«
»Ich bitte um Verzeihung, Euer Durchlaucht, aber die Dame ist in großer Gefahr, und wir müssen ihr unbedingt zu Hilfe eilen«, rief sie über ihre Schulter hinweg und öffnete dabei die Tür, die zu Victorias Schlaf- und Ankleidezimmer führte. Sie verschwand darin, ohne den beiden Damen weiter Beachtung zu schenken.
»Gefahr? Durch wen?« Winnie wollte der kleinen Zofe eigentlich nicht glauben, doch als diese dann wieder aus Victorias Zimmer kam und dabei etwas in der Hand hielt, das wie ein Holzpflock aussah, wäre ihr beinahe das Herz stehen geblieben.
»Was hast du damit vor?«, fragte Nilly mit schwacher Stimme. Die Zofe hängte sich ein großes Silberkreuz um den Hals. »Ich gehe auf Vampirjagd.«

Einen Hut, wie er ihn normalerweise niemals tragen würde, tief in die Stirn gezogen, wartete Zavier in dem heftigen, frühabendlichen Platzregen. Die Kälte und Nässe machten ihm nichts aus; er war in den schottischen Highlands aufgewachsen und hatte so viel von beidem erlebt, dass er inzwischen immun dagegen war. Der Hut - so ein breitkrempiges Ding, wie ihn vielleicht irgendein Londoner Trottel tragen würde, um seine empfindliche Haut zu schützen - diente einem ganz anderen Zweck: Er verbarg sein Gesicht.
Zavier wusste nicht genau, wie lange er würde warten müssen. Er fühlte sich unbehaglich, was jedoch nicht an dem miserablen Wetter, sondern an den Erinnerungen lag, die ihn quälten, während er in einem schmalen Durchgang zwischen zwei gipsverputzten Häusern stand und nichts weiter zu tun hatte, als nachzudenken.
Die Erinnerungen an das Massaker waren schon schlimm genug. Das Bild von Masur, wie er in seinem eigenen Blut auf dem braunen Gras gelegen hatte, brachte Zaviers eigenes Blut vor Wut zum Kochen und übersäuerte seinen Magen, so als ob er zu viel Whisky getrunken hätte.
Was für eine Verschwendung. Was für eine beschissene, verfluchte Verschwendung.
Und welch grausamer Verrat.
Victoria sah nicht klar. Sie konnte es nicht. Sie war zu schwach, aber Zavier würde nicht zulassen, dass sie weiter blind ihrem Irrweg folgte. Ja, sie hatte ihn verletzt, doch das konnte er akzeptieren, auch wenn es ihm die Eingeweide versengte. Was er jedoch nicht akzeptieren konnte, war die Tatsache, dass dieser Scheißkerl von Vioget der Grund dafür war. Dieser verdammte Bastard, der sich die Hände nicht schmutzig machen wollte, indem er an der Seite der seinen kämpfte. Es war unglaublich, dass er tatsächlich von den Gardellas abstammen sollte. So wie sie alle.
Wie hatte er sich von ihnen abwenden können?
Der Scheißkerl und Victoria waren viel zu lange allein in der kleinen Kammer gewesen, in der Wayren ihn gefangen gehalten hatte, während vor der Santo Quirinus die Schlacht gegen die Untoten tobte. So lange, dass Zavier die Fingernägel in die Handflächen gekrallt hatte, bis tiefe Abdrücke in seiner ledrigen Haut zurückgeblieben waren.
Er wollte sich die schmutzigen Sachen, die sie darin getrieben hatten, gar nicht ausmalen. Aber er kam nicht dagegen an.
Ihm drehte sich der Kopf, als ob er betrunken wäre.
Also war er nach draußen gegangen und wartete nun im Regen, in der Hoffnung, dass ihm das helfen würde, sich zu beruhigen.
Doch stattdessen schwelte die Wut weiter in ihm; sie brauste ihm in den Ohren, wenn er sich an die Toten der letzten Nacht erinnerte, an Victorias und Viogets Intimitäten und an den Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn sie mit ihm zusammen war. Mit diesem Verräter der Venatoren.
Er glaubte Wayren nicht, die gesagt hatte, dass der Franzose nicht der Grund für die Attacke gewesen sei. Wie sonst hätte es dazu kommen können?
Es ging schon auf Mittag zu, als Zavier sein Ziel endlich entdeckte. Er wartete, bis Vioget an ihm vorbeigegangen war; unklugerweise hatte der Mann den Kopf eingezogen, um sich vor dem Regen zu schützen, sodass er nicht bemerkte, wie Zavier hinter der Ecke eines Hauses hervorglitt und ihm folgte.
Dieser Narr.
Vermutlich war es sogar das Beste, dass er sich von den Venatoren fernhielt, wenn er derart unvorsichtig war.
Zavier hielt ausreichend Abstand zu ihm, während er seine Optionen abwog. Er wusste nur wenig über Vioget, doch es reichte, um den Einfluss hinter dem Bastard und den Grund für seine Abtrünnigkeit zu wissen: der legendäre Beauregard.
Er tastete in den Tiefen seiner Taschen nach seinem Pflock. Es war an der Zeit, dass der Vampir seine Reise ins Höllenfeuer antrat, und Zavier würde ihn mit Vergnügen auf den Weg schicken. Genau wie jeden anderen, der es wagte, ihm in die Quere zu kommen.

»Wo ist der Schlüssel?«, fragte Max, als Victoria näher kam. Ihr Rock war bis zu den Knien durchnässt, und auch ihre Schuhe trieften. Sie hätte sich vor Verlassen des Konsiliums ein Paar Stiefel anziehen sollen, aber dafür war es nun zu spät.
Sie hatten sich so leise wie möglich durch den verwilderten Garten geschlichen und standen nun vor der Steinmauer, in die das Alchimistische Portal eingelassen war. Max schien es sehr eilig gehabt zu haben, ihr Ziel zu erreichen, und Victoria, die den Stand der Sonne aufgrund der dichten Wolken nicht genau erkennen konnte, hatte keine Einwände erhoben. Sie war noch immer mehr als nur ein bisschen zittrig wegen des Kusses, den sie getauscht hatten.
Wobei getauscht nicht ganz das richtige Wort war, um die Erfahrung zu beschreiben. Den sie empfangen hatte, traf es vielleicht eher. In den sie versunken war. Von dem sie überrascht worden war. Der sie beinahe aus dem Gleichgewicht gebracht hätte.
»Victoria.«
Sie lenkte ihre Gedanken zurück zur Gegenwart und begriff, dass Max sie gerade zum zweiten Mal nach dem Schlüssel gefragt hatte. »Er ist hier.« Sie musste ihren schweren Herrenmantel ausziehen, um an das Armband zu gelangen, das sie sich unter den Ärmel ihres schlichten Kleides geschoben hatte.
Max beobachtete, wie sie die breite Silberspange abzog und anschließend das kleine Scharnier bewegte, das ihre beiden Hälften verband. Das Armband klappte auf, und an seiner Innenseite kam der in eine spezielle Mulde eingepasste Schlüssel zum Vorschein.
Victoria schob ihn mit dem Daumen heraus, dann reichte sie ihn Max, der gerade mit unheilvoller Miene den Himmel betrachtete. »Wir sollten uns beeilen.« Er griff nach dem flachen Schlüssel, dann schob er das Gestrüpp, das vor der Tür wucherte, beiseite.
Er kniete sich hin, so wie Victoria es eine Woche zuvor getan hatte, als sie mit Ylito hier gewesen war, dann kratzte er Moos und Erde weg, um die Öffnung für den Schlüssel freizulegen.
Victoria überprüfte unterdessen die beiden anderen Schlüssellöcher - eins davon war schon zuvor aktiviert worden, das andere erst nach ihrem letzten Besuch. Sie sah nur die Rückseiten der kleinen, schmalen Schlüssel, denn nachdem die dünnen Metallrechtecke nun fest an ihrem jeweiligen Platz saßen, konnten sie erst wieder herausgezogen werden, sobald die Tür geöffnet worden war.
»So.« Max stand auf und schaute sie an. »Sollen wir?«
Er umfasste den Steinkreis in der Mitte der Tür und drehte ihn. Dann begann sich die Scheibe tatsächlich im Uhrzeigersinn zu bewegen, und Victoria hielt den Atem an. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass die Tür wirklich aufgehen würde.
Als plötzlich ein dumpfes Geräusch ertönte, nickte Max ihr zu. Eine Sekunde später rollte die Tür zur Seite.
Zu Victorias Überraschung trat er zurück, um ihr den Vortritt zu lassen, woraufhin sie prompt in ein Spinnennetz lief. Sie versuchte, ihr unwillkürliches Erschaudern zu verbergen, während sie die klebrigen Fäden beiseiteschob und sich anschlie ßend hektisch über Arme und Haare strich, um sicherzustellen, dass keine der Spinnen auf ihr herumkrabbelte.
»Du hast Angst vor Spinnen?« Max’ Stimme klang amüsiert.
»Ich habe keine Angst … Igitt!« Nur mit Mühe konnte sie ein Japsen unterdrücken, als eine über ihre Hand spazierte und sie sie zu Boden schnipste. »Ich mag sie nur nicht. Sie trinken Blut, als wären es kleine Vampire, außerdem haben sie zu viele Beine.«
Nachdem sie sich von den Spinnweben befreit hatte, trat sie ganz durch die Tür, dann stand sie in einem dunklen Raum, der alt und modrig roch. Doch wegen der Dunkelheit brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, denn gleich neben der Tür war ein Wandleuchter befestigt. Unter ihm befanden sich ein kleiner Zinnkrug und ein Tischchen mit einem Feuerstein und einer Spule sehr alten Fadens darauf, um damit eine Flamme zu entzünden.
Sie vermutete, dass in dem Krug Öl war, deshalb nahm sie ihn von seinem Haken und goss den Inhalt in den brüchigen, trockenen Wandleuchter. Mit Max’ Hilfe gelang es ihr, ein kleines Stück Zunder zu entfachen, sodass sie nur wenige Minuten nach Öffnen der Tür eine hell leuchtende Fackel hatten.
»Lass uns das Portal schließen«, schlug sie vor. Ihr Nacken war zwar nicht kalt, trotzdem sollten sie kein Risiko eingehen, denn wer konnte schon wissen, wie lange sie hierbleiben würden.
Die Tür bewegte sich rumpelnd wieder in ihre Ausgangsposition, und Max sagte: »Bring das Licht hierher. Ich denke, wir können die Schlüssel von innen herausziehen.«
Victoria kam seinem Befehl nach, indem sie die Fackel über seine Schulter hielt, während er sich zur Mitte der Tür beugte. Mit ein paar flinken Bewegungen, dem stumpfen Geräusch gegeneinanderschabender Steine und einem leisen Grunzen förderte er den kleinen Silberschlüssel zutage, der kurz zuvor von der Außenseite an seinen Platz geglitten war.
»Raffiniert … auf diese Weise kann man sich nicht versehentlich einsperren.« Während Victoria weiterhin das Licht hielt, entfernte er die beiden anderen Schlüssel - einer aus Gold und einer aus Bronze - und steckte sie in seine Tasche.
Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, sahen sie einander in dem schwachen Lichtkreis, der durch die dunkle Kammer tanzte, an.
»Gib mir jetzt den Splitter zurück«, verlangte sie.
»Nein. Hat dich die Erfahrung denn gar nichts gelehrt?«
Victoria verspürte einen Anflug von Zorn und wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als er ihr linkes Handgelenk umfasste. »Sieh her.«
Er hob ihre Hand hoch und hielt sie ins Licht. Als Victoria nun die Finger öffnete, erkannte sie zu ihrem Entsetzen, dass ihre Handfläche - die, mit der sie den Splitter gehalten hatte - und zwei ihrer Finger in einem schwachen, bläulichen Licht schimmerten.
»Was ist das?« Sie reichte Max die Fackel und verglich ihre beiden Hände. Als ihr klar wurde, dass die bläuliche Färbung keine optische Täuschung war, versuchte sie, sie wegzureiben.
»Wenn du für längere Zeit Hautkontakt mit dem Obsidian des Obelisken hast, beginnt seine Energie, in dich hineinzusickern, wobei eine solche Färbung entsteht. Mit ein wenig Glück wird sie über kurz oder lang verblassen.« Als er ihr nun wieder ins Gesicht sah, waren seine dunklen Augen flach und hart. »Berühre ihn nie wieder direkt. Wer weiß, wen du sonst beim nächsten Mal anbetteln wirst, dich zu küssen.«
Damit drehte er sich mitsamt der Fackel weg und ließ Victoria einfach stehen. Ihre Wangen glühten, und eine Welle des Zorns und der Erniedrigung rollte über sie hinweg. Anbetteln?
Anbetteln?
Aber er hatte es doch gewollt. Sie hatte es in seinem Blick gesehen.
Victoria schüttelte kurz den Kopf, dann sah sie sich zum ersten Mal wirklich in dem Raum um und stellte dabei fest, dass er in Wahrheit gar nicht so klein war. Tatsächlich war das Labor sogar ziemlich groß und zudem sehr gut ausgestattet. Die einzelne Fackel in Max’ Hand beleuchtete ihre Umgebung nur spärlich, doch dann entdeckte Victoria noch eine zweite Wandleuchte, die, nachdem sie sie entzündet hatte, mehr Details erkennen ließ: ein paar lange Tische, fünf oder sechs Stühle unterschiedlicher Höhe und Beschaffenheit, diverse Utensilien sowie kleine Häufchen von Metallspänen und -tropfen. Es gab flache Holzschalen und tiefe aus Metall, runde und fast dreieckige, kleine und große. Überall standen staubbedeckte und zum Teil mit schwarzen Flecken verunzierte Kelche, verkorkte Krüge und winzige, mit Schnitzereien versehene Schatullen herum. Große Klumpen Silber, Bronze, Kupfer, Eisen, Quarz und Marmor häuften sich auf den Tischen oder lagen über den Boden verstreut, der mit Staub, Erde und etwas, bei dem es sich um Tierexkremente handeln musste, bedeckt war.
Victoria ging an einem der Tische vorbei, die die Wände säumten, und machte sich in den Überresten von Palombaras alchimistischen Experimenten auf die Suche nach einem Hinweis, was die Untoten - und andere - so leidenschaftlich begehrten. Doch da war nichts, was ihre Aufmerksamkeit erregte, nichts, das wichtig genug aussah, als dass es sich um Notizen oder Schriften über die Arbeit des geheimnisvollen Forschers hätte handeln können.
Als sie sich umdrehte, um einen der anderen Arbeitstische in Augenschein zu nehmen, stieß ihr nasser Schuh gegen einen Gegenstand. Es gab ein leises, metallisches Klimpern, das Victoria in der Annahme, bloß ein weiteres Metallstück berührt zu haben, ignoriert hätte. Doch es rollte direkt vor ihre Füße, wo es eine Weile in immer kleineren Zirkeln um seine eigene Achse kreiselte, bevor es schließlich zur Ruhe kam. Als Victoria sich nach unten beugte, um es aufzuheben, richteten sich die Härchen auf ihren Armen auf.
Sie hatte so etwas schon einmal gesehen.
Es war ein Metallreif, der Eustacias Armband aus reinem Silber, in dem der Schlüssel verborgen gewesen war, ähnelte, nur dass dieser hier aus Kupfer bestand und unverwechselbarer war. Während der ihrer Tante aus glattem, etwa drei Finger breitem Silber gefertigt war, bestand dieser aus drei Kupferranken, die zu einem soliden Band geflochten waren. Dort, wo die drei Kupferstränge zusammenliefen, bildeten sie eine glatte, elliptische Form, so als wären sie miteinander verschmolzen und dabei flachgedrückt worden. Ein eingeprägtes Symbol zierte diese Nahtstelle.
Sie hatte so etwas schon einmal gesehen. Irgendwo.
»Ah. Und hier haben wir also unseren verschollenen Freund, den Marchese Palombara«, verkündete Max auf der anderen Seite des Raumes.
Victoria ließ das Armband in ihre Tasche gleiten, dann ging sie zu ihm. Max stand über ein Skelett gebeugt, das noch immer seine inzwischen verrottete, einhundertvierzig Jahre alte Kleidung trug. »Ist es das, wonach wir suchen?«, fragte Victoria, als sie die vergilbten, welligen Papierbündel in den knochigen Händen bemerkte. »Ich konnte ansonsten nämlich nichts entdecken, das für die Vampire - oder auch die Menschen - von Interesse wäre.«
»Ja, ich denke, das ist es.« Max’ Fackel warf lange, geisterhafte Schatten über die grauen Knochen des vor langen Jahren verstorbenen Alchimisten. Als er den skelettierten Arm berührte, löste er sich ab, dann zerfielen Knochen und Baumwollgewebe auf dieselbe Weise zu Staub, als wäre es ein gepfählter Vampir. Und gleichzeitig auch wieder nicht.
Max hob die Papiere vorsichtig auf, damit sie intakt blieben, und gab sie Victoria. Sie waren mit einer Lederkordel gebunden, und als sie behutsam die oberste Seite umblätterte, entdeckte sie verblasste Tintenschrift, mathematische Gleichungen, Diagramme und Zeichnungen.
»Ylito wird hierüber höchst erfreut sein«, stellte sie fest.
»Ganz bestimmt. Aber sollten wir nicht lieber ins Konsilium zurückkehren? Jetzt da wir haben, weswegen wir gekommen sind?«
»Hattest du vor, den Splitter des Obelisken wieder mitzunehmen?«, fragte sie scharf.
»Natürlich nicht. Während du dich mit offenem Mund umgesehen hast wie eine Debütantin bei Hofe, habe ich ihn längst dort drüben versteckt.«
Victoria starrte in die von ihm angezeigte Richtung und entdeckte eine kleine Truhe, die in einer dunklen Ecke stand. Sie bedachte Max mit einem strafenden Blick, dann ging sie hinüber und öffnete, das Papierbündel noch immer in der Hand haltend, den Deckel. Im Inneren lag das Bruchstück von Akvans Obelisk.
»Du hast mir nicht geglaubt.« Max’ Stimme war leise und … sie konnte es nicht anders als drohend beschreiben.
»Du solltest am besten wissen, was Pflichtbewusstsein bedeutet«, erwiderte sie kühl, nachdem sie sich zu ihm umgedreht hatte. »Ich musste mich einfach vergewissern, dass das Böse, das ich ins Konsilium gebracht habe, unter Kontrolle ist. Ich musste mich mit eigenen Augen davon überzeugen.«
Er nickte knapp, und als er dann wieder sprach, war seine Befriedigung nicht zu überhören. »Du hast also doch etwas dazugelernt, Victoria.«
Sie wollte sich gerade wieder abwenden, als sie bemerkte, dass sein krawattenloses Hemd am Kragen aufklaffte. »Das sind neue Bisse.«
Seine Hand zuckte fast unmerklich, so als hätte er eigentlich zu seinem Ausschnitt fassen wollen, sich jedoch gerade noch rechtzeitig eines Besseren besonnen. »Ja, leider.«
»Hat Sara Recht gehabt? Bist du bei Lilith gewesen?«
»Lass uns jetzt von hier verschwinden. Wir verlieren nur kostbare Zeit.«
»Warum solltest du etwas derart Unvorsichtiges tun?«
Er steuerte schon in Richtung Tür, als Victoria die Hand ausstreckte und ihn unnachgiebig am Arm festhielt. »Max.«
Sie spürte, wie angespannt seine Muskeln waren, als er sich daraufhin wieder zu ihr umdrehte. Doch mit Ausnahme seiner zornig funkelnden Augen war seine Miene ausdruckslos. »Ja, ich bin zu Lilith gegangen. Ja, sie hat mir noch zwei Bissmale verehrt - als Zeichen ihres Besitzanspruches.« Dieses letzte Wort triefte vor Bitterkeit. »Allerdings verstehe ich nicht, welche Bedeutung das Ganze für dich oder unsere momentane Aufgabe haben sollte. Lass uns jetzt gehen.«
»Du warst ganz allein bei ihr? Umringt von all ihren Wachen? Max, sie hätte dich töten können.« Victoria konnte es nicht einfach übergehen, konnte das Thema nicht fallen lassen. Weshalb hatte er sich nur so in Gefahr gebracht?
Was wäre geschehen, wenn er nicht zurückgekehrt wäre?
Oder … Schlimmeres? Allmächtiger.
Ihr Bombardement von Fragen hatte ihn innehalten und den Blick auf sie richten lassen. Seine Augen waren kalt. »Du verstehst sie noch nicht einmal annähernd, oder? Wenn ich dir einen allerletzten Rat geben dürfte, Victoria, so wäre es dieser: Finde heraus, wer Lilith ist, denn sonst wird sie dich besiegen, wie sie schon so viele andere besiegt hat.« Damit wandte er sich ab und ging zur Tür.
Von neuem verärgert, folgte Victoria ihm. Er war so selbstherrlich und geheimnisvoll. So kühl und abweisend. Warum musste er sich, nach allem, was sie zusammen geleistet hatten, immer so benehmen und sie wie ein naives kleines Mädchen behandeln?
Noch bevor sie ihn erreicht hatte, rollte er schon die Tür zur Seite. Das fahle, graue Licht, das nun durch die Öffnung fiel, hatte etwas Unheilverkündendes an sich. Die Sonne war mittlerweile fast untergegangen, und Max hatte Recht: Sie mussten die Papiere sicher ins Konsilium bringen, bevor Akvan und seine Gefolgsleute feststellten, dass es ihnen gelungen war, sich vor ihnen Zugang zu dem Labor zu verschaffen.
Als Victoria durch die Tür treten wollte, auf deren anderer Seite Max bereits wartete, erinnerte sie sich plötzlich an das Lederband in ihrer Tasche und an den kleinen Obsidiananhänger. Obwohl sie zuvor kurz überlegt hatte, ihn zu behalten und als potenziellen Köder für Akvan zu benutzen, entschied sie sich nun dagegen. Max hatte ihr die Macht des Splitters deutlich vor Augen geführt, und ihr war klar geworden, dass sie ein derartiges Risiko nicht eingehen durfte.
Niemand sollte sagen können, dass sie aus ihren Fehlern nicht gelernt hätte.Vor allem Max nicht.
Aber als sie nun in die kleine Brusttasche ihres Herrenmantels fasste, stellte sie fest, dass diese leer war. Leer! Die Schnur musste herausgefallen sein, irgendwann, nachdem sie das Konsilium verlassen hatte.
Vermutlich war es passiert, als sie den Mantel vor dem Alchimistischen Portal ausgezogen hatte, um Eustacias Armband abzustreifen. Das Lederband musste zu Boden gefallen sein, als sie sich den Mantel über den Arm gelegt hatte, um den Silberreif nach unten zu schieben. Bestimmt lag es irgendwo da draußen.
»Kommst du endlich?« Max klang so ungeduldig wie eh und je.
Statt zu antworten, ließ Victoria den Blick ein letztes Mal durch das Labor wandern, dann schlüpfte sie durch die schmale Öffnung ins Freie. Der Anhänger würde in dem dämmrigen Licht schwierig zu finden sein, aber sie mussten es versuchen. Sie durfte das Risiko, dass womöglich jemand anderes ihn entdeckte, nicht eingehen. »Max, ich -«
»Pst!«, zischte er plötzlich.
Wäre sie nicht so sehr auf den Verlust des kleineren Splitters konzentriert gewesen, hätte sie es ebenfalls sofort gehört: ein Knacken im Gebüsch ganz in ihrer Nähe. Es kam ungefähr aus Richtung der Villa und war laut genug, um entweder auf eine ganze Gruppe von Neuankömmlingen oder aber auf eine einzige sehr große, sehr unvorsichtige Person schließen zu lassen.
Und dann hörte Victoria Stimmen. Schrille, im Streit erhobene, viel zu laute Stimmen.
Ihr ganzer Körper wurde kalt und starr.
Aber das lag nicht daran, dass ein Vampir in der Nähe gewesen wäre; tatsächlich gab es hier weit und breit nicht einen einzigen Untoten.
Nein, das hier war viel, viel, schlimmer.
Die gespannte Erwartung in Max’ Miene wich einem Ausdruck der Verwirrung. Wäre Victoria nicht dermaßen schockiert gewesen, hätte sie es eventuell sogar amüsant gefunden. Aber so starrte sie einfach weiter in Richtung des Radaus, als plötzlich etwas - jemand - durch ein paar verwilderte Büsche, die einen alten Pfad überwucherten, gestolpert kam.
»… denke ich, dass du besser zu Hause geblieben wärst, Nilly! Dieser kleine Stock - Oh!« Lady Winifred, die Herzogin von Farnham, blieb so abrupt stehen, dass ihre Begleiterin von hinten in sie hineinlief und dabei Winnies Löckchen und Wangen zum Erzittern brachte. Das handgroße Kruzifix, das die Herzogin um den Hals trug, hüpfte in die Luft, dann schlug es mit einem dumpfen Geräusch gegen ihren Busen. »Victoria, was um alles in der Welt - Oh! Ach, du liebe Güte!«
»Oh!«, wiederholte Nilly, die von hinten über Winnies dralle Schulter linste.
Victoria trat auf sie zu, gefolgt von Max, dessen düsteres Aussehen der Auslöser für die entsetzte Reaktion der Damen gewesen war.
»Bleib, wo du bist«, befahl Lady Winnie grimmig. Sie fuchtelte dabei mit einem unhandlichen Pflock herum, der so lang war wie ein Unterarm und so dick wie ihr Handgelenk, bevor sie sein zugespitztes Ende auf Max richtete. »Hat er dir etwas zuleide getan,Victoria? Einen Schritt weiter, und -«
»Hat er dich etwa gebissen?«, erkundigte sich Lady Nilly atemlos. Ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass rings um die Iriden das Weiße sichtbar wurde. »Hat es wehgetan?«
»Was macht ihr beide hier?« Victoria griff sanft nach dem Handgelenk der Herzogin, um den lächerlichen Pflock zu senken.
»Wir jagen Vampire«, antwortete Lady Winnie in einem übertriebenen Flüsterton, während sie Max weiterhin drohend musterte. »Du armes Mädchen. Ich wollte dich nicht erschrecken, aber ich bin sicher, dass dieser Mann hier ein Vampir ist.«
»Er ist kein Vampir.« Victoria hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Ein kurzer Blick zu Max bestätigte ihr, dass er die Situation alles andere als komisch fand. »Obwohl ich verstehe, wie du auf diesen Gedanken kommst.«
Das Geräusch, das er daraufhin ausstieß, konnte nur als Knurren bezeichnet werden. »Victoria, es ist beinahe dunkel«, ließ er sie mit einem warnenden Unterton in der Stimme wissen.
»Du hast Recht. Also, Herzogin Winnie«, fuhr sie fort und benutzte dabei ihren Kosenamen für die Frau, »was macht ihr denn bloß hier?«
Plötzlich ertönte ein weiteres Knacken im Unterholz - wenngleich es, wie man zu Verbenas Verteidigung sagen musste, nicht ganz so ungestüm war wie das davor -, dann wurde ein orangeroter Schopf sichtbar, gefolgt von einem rotwangigen Gesicht.
»Ich bitte um Verzeihung, Mylady«, wandte sie sich hastig knicksend an Victoria. »Ich hab versucht, sie davon abzubringen -«
»Was habt ihr alle hier verloren?«, donnerte Max.
Nilly quiekte, und wieder quollen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Lady Winnie hielt sich zwar tapferer, wich aber dennoch ein paar Schritte zurück, während sie blindlings nach ihrem Kruzifix tastete und es wie einen Talisman in die Höhe reckte.
»Sind wir heute ein bisschen unleidlich?«, rutschte es Verbena heraus, doch als sie die Ungeduld in Victorias Miene bemerkte, fügte sie rasch hinzu: »Lady Melisande ist mit dem Conte Regalado ausgegangen. Er macht ihr den Hof, Mylady, aber das hab ich erst heute mitgekriegt, weil ich nämlich hörte, wie die Damen darüber redeten.«
»Regalado hat meine Mutter?« Kalte Panik durchströmte Victoria. Nein, war ihr erster Gedanke. Nein. Nicht schon wieder. Nicht wie Phillip …
Verbena nickte energisch. »Und die beiden dort wollten unbedingt mitkommen, als ich los bin, um sie zu suchen.« Sie zog nun ihren eigenen Pflock hervor, der, was wieder für sie sprach, von wesentlich handlicherer Größe als Winnies war. Gleichzeitig kam er Victoria mit seinen rosafarbenen Pailletten und den Überresten einer Feder, die noch immer an seinem stumpfen Ende befestigt war, irgendwie bekannt vor.
»Wann sind sie aufgebrochen? Wie lange sind sie schon fort?«
»Nicht mehr als zwei Stunden«, erwiderte Verbena mit ernster Miene. »Er wollte sie auf eine Spazierfahrt mitnehmen. Die Damen hier dachten, dass er sie hierher bringen würde, falls er - na ja, Sie wissen schon, falls er ihr wirklich etwas antun wollte. Und weil sie ja auf dieser Party hier waren, haben sie drauf bestanden, mich zu begleiten.«
Ihre Mutter in der Gewalt von Regalado. Der Gedanke wütete in Victorias Kopf wie ein Sturm auf hoher See.
Doch dann verdrängte sie die Angst, die ihr die Sinne zu vernebeln drohte, und konzentrierte sich.
Waren sie in der Villa? Falls ja, war es ein Segen, dass sie selbst bereits hier war … andererseits konnte er sie an alle möglichen Orte gebracht haben.Victoria wurde bewusst, dass Max näher an sie herangetreten war und sie ansah, fast so als wollte er ihr seine Unterstützung anbieten. Er würde ihr helfen, die Villa zu durchkämmen und mit ihr in Akvans unterirdischen Schlupfwinkel hinabsteigen, um nach ihrer Mutter zu suchen.
Victoria erwiderte seinen Blick. Ihre Nerven sirrten, und ihr Gehirn arbeitete fieberhaft, während sie die Angst weiterhin in Schach hielt. Es war später noch genug Zeit, sich zu grämen. Sie realisierte, dass es nun mit jeder Minute dunkler wurde, und traf ihre Entscheidung.
»Du musst zurück ins … nun ja, zurück«, erklärte sie mit fester Stimme und schaute dabei auf das Papierbündel, das Max noch immer in der Hand hielt. »Ich werde mich um meine Mutter kümmern.«
Für einen kurzen Moment erweckte er den Eindruck, als wollte er widersprechen, doch dann nickte er. »Es ist wichtig, dass wir das hier sicher zu Wayren bringen.«
»Nimm sie mit«, ergänzte Victoria mit einer - wie sie selbst merkte - unwirschen Handbewegung zu den drei Frauen. »Ich brauche sie nicht.«
»Ich werd Sie auf keinen Fall allein lassen, Mylady«, verkündete Verbena und stellte sich neben sie.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich einfach so von dir davonscheuchen lasse.« Lady Winnie musterte Victoria entlang ihrer höckerigen Nase mit strengem Blick. »Melly könnte in Lebensgefahr sein! Ich werde nicht eher ruhen, als -«
»Schscht!«, herrschte Victoria sie an, als sie plötzlich einen kalten Luftzug in ihrem Nacken spürte. Sie wechselte einen Blick mit Max; er fühlte es auch. »Geh jetzt«, befahl sie und deutete dabei zum hinteren Teil des Grundstücks, wo sich die Dunkelheit sogar noch schneller herabzusenken schien. Er würde das Anwesen auf demselben Weg verlassen, auf dem sie gekommen waren.
Mit einem letzten, ruhigen Blick und einem knappen Nicken verschwand er lautlos in den Büschen, während Victoria mit ihren drei schlecht ausgerüsteten Möchtegern-Vampirjägerinnen zurückblieb.