Kapitel 14
In welchem Wayren eine
beunruhigende Prophezeiung macht
Ganz gleich, was du sonst
von mir denken magst«, waren Sebastians erste Worte, als Victoria
sichtlich aufgebracht in die Kammer humpelte, in die Wayren ihn
zuvor hatte bringen lassen, »du musst mir einfach glauben: Ich habe
extreme Vorsichtsmaßnahmen getroffen, damit niemand mir folgen
kann, besonders Beauregard nicht. Ich bin extra früh am Tag
aufgebrochen, als die Sonne noch hoch am Himmel stand.« Schwankend
versuchte er, sich auf seiner Pritsche in eine sitzende Haltung
hochzustemmen.
Der eine Etage unter dem Konsilium gelegene Raum
war klein und beinahe wie eine Gefängniszelle eingerichtet. Es gab
das schmale Bett, einen Tisch, einen Stuhl und einen dicken
Teppich, der vor der Kälte des Steinbodens schützte. Und eine offen
stehende Tür, die Victoria jetzt hinter sich zuzog und absperrte,
bevor sie sich wieder zu Sebastian umdrehte.
Als Folge des Kampfes war Victoria noch immer
hellwach und energiegeladen, gleichzeitig jedoch von unbändigem
Zorn
erfüllt, weil zwei der ihren umgekommen waren. Mit in die Hüften
gestemmten Händen blieb sie an der Tür stehen. Sie erwartete ein
paar Antworten von Sebastian, und dabei würde sie keine Ausflüchte
dulden.
Wayren hatte das Richtige getan, als sie ihn
außer Gefecht gesetzt hatte. So hatte Victoria sich um die
Bedrohung über ihnen kümmern können. Es wäre nicht ratsam gewesen,
ihm seine Bewegungsfreiheit zu lassen, denn selbst jetzt war
Victoria sich noch nicht sicher, wem Sebastian sich mehr
verpflichtet fühlte oder warum er überhaupt ins Konsilium gekommen
war. Es war das Beste gewesen, ihn - eine unbekannte Größe - nicht
einfach freizulassen, während sie eine Schlacht um die Erhaltung
ihres geheimen Stützpunktes schlugen.
»Warum bist du noch hier? Die Tür war nicht
verschlossen. Du hättest gehen können, als du wach wurdest. Ist es
nicht das, was du üblicherweise machst - beim ersten Anzeichen von
Gefahr das Weite zu suchen?«
»Ich wollte mit dir sprechen.« Er lag, das
Gesicht von seiner prächtigen Lockenmähne umrahmt und die langen,
von einer dunklen Hose verhüllten Beine ausgestreckt, auf einen
Ellbogen gestützt auf dem Bett. »Abgesehen davon fühle ich mich
noch immer ein bisschen benommen von dem, was auch immer Wayren mit
mir angestellt hat.« Da war er wieder, dieser Anflug von
Selbstironie. »Möchtest du dich setzen? Ich fürchte, ich bin nicht
in der Lage aufzustehen, so wie es die Höflichkeit gebietet.«
»Nein, danke. Ich stehe lieber. Allerdings bin
ich sicher, dass du, um dein Fell zu retten, in Sekundenschnelle
auf den Füßen und zur Tür hinaus wärst.« Sie war wütend auf ihn.
Sie fühlte
sich verraten und war noch immer aufgewühlt wegen des erbitterten
Kampfes gegen die Dämonen und Vampire, denn sie wusste, wie nahe
diese daran gewesen waren, das Konsilium zu finden. Die Wunde an
ihrer Hand war bandagiert, und ihr malträtiertes Knie hatte auf der
Treppe, die zu Sebastians Quartier hinunterführte, bei jedem
Schritt beinahe unerträglich geschmerzt. Selbst jetzt pochte es
noch wie verrückt.
Dennoch, sie war hier.
Er beobachtete sie, wobei er zur Abwechslung
einmal zu begreifen schien, dass dies nicht der rechte Moment war
für anzügliche Anspielungen oder halbherzige Scherze. Er ergriff
noch nicht einmal die Gelegenheit, sie darauf hinzuweisen, dass sie
allein in einem Zimmer mit einem Bett waren; ein Umstand, den
Victoria sich bemühte zu ignorieren. Denn bei ihrem letzten
Beisammensein unter vier Augen hatten sie tatsächlich in einem Bett
gelegen. Besser gesagt sie hatte - hilflos und gefesselt - darin
gelegen, nachdem sie von Sebastian entführt worden war, der
verhindern wollte, dass sie Max’ Plänen in die Quere kam.
Wieder wallte Zorn in ihr auf. Sie fühlte seine
Hitze über ihre Arme bis zu ihren Fingern schwelen. Victoria ballte
die Fäuste.
»Es war der Splitter von Akvans Obelisk, der sie
hierher gelockt hat, und nicht du«, erklärte sie, um wieder zum
eigentlichen Thema zurückzukommen. Das Obsidianstück musste
unbedingt aus dem Konsilium geschafft werden. Aber da es bereits
dämmerte, hatten sie zumindest den ganzen Tag bis zum Einbruch der
Nacht Zeit, sich um das Problem zu kümmern. Sie würde den Splitter
später holen und hatte auch schon eine
ganz genaue Vorstellung davon, wo sie ihn anschließend verstecken
wollte.
Um Sebastians volle Lippen spielte ein leises,
sanftes Lächeln. »Ah, damit bestätigt sich mein Verdacht. Der
Splitter ist also noch immer hier. Beauregard weiß nicht, dass du
ein Fragment des Obelisken hast, denn ganz gleich, was du von mir
hältst, Victoria, ich habe ihm dieses interessante kleine Detail
nicht erzählt.«
Sie glaubte ihm, denn nachdem ihr inzwischen
klar geworden war, was geschehen sein musste, ergab auch alles
andere einen Sinn. Die kleine Obsidianscherbe an dem Lederband
musste offensichtlich in Akvans Nähe gewesen sein, sodass er sie
zum Leben hatte erwecken oder ihr auf irgendeine andere Weise Macht
hatte einhauchen können. Denn das würde den blauen Funken erklären,
der entstanden war, als sich die beiden Splitter im Lagerraum
berührt hatten: Die Energie war dabei entweder auf den größeren
übergegangen oder aber seine eigene, in ihm schlummernde, war
erwacht.
»Akvan wusste, wohin er seine Leute schicken
musste, weil er das Versteck des Splitters instinktiv orten
konnte.« Victoria bemühte sich, nicht auf das lange, schmale V von
Sebastians geöffnetem Hemd zu achten. Er musste sich bewegt haben,
denn der Kragen, von dem sie hätte schwören können, dass er gerade
noch bis zum Hals zugeknöpft gewesen war, klaffte nun auf und gab
den Blick auf die glatte, golden schimmernde Haut darunter frei.
Mit erschreckender Klarheit erinnerte sie sich plötzlich daran, wie
ihre Hände zuvor über die warme Haut seiner Bauchmuskeln gewandert
waren, bis sie die kleine, silberne vis
bulla gefunden hatten.
Dies war nicht der passende Zeitpunkt, um an so
etwas zu denken, doch an ihrem plötzlich schneller schlagenden
Herzen erkannte Victoria, dass es zu spät war, um dieses Bild
wieder vollends zu verdrängen. Deshalb versuchte sie, sich auf den
Zorn und die Energie zu konzentrieren, die noch immer ihr Blut zum
Sieden brachten.
»Victoria.« Sebastians leise Stimme war nun
sanfter, sinnlicher. Sie stand in direktem Kontrast zu ihren
überreizten Nerven, die sie gegen seine Sinnlichkeit abzuschirmen
versuchte.
»Es wird nicht funktionieren, Sebastian. Spar
dir deine Verführungskünste für einen anderen Tag auf. Und für eine
andere Frau.«
»Deine Zurückweisung bestürzt mich. Ich dachte,
du würdest vielleicht -«
»Ich habe heute zwei meiner Männer an Vampire
und Dämonen verloren, die es auf den Splitter abgesehen hatten. Sie
hätten uns entdecken, das Konsilium stürmen und alles zerstören
können, was wir uns aufgebaut haben.«
»Also bist du gekommen, um an mir deine Wut und
Erbitterung auszulassen? Um deiner Rage über etwas Luft zu machen,
an dem du allein die Schuld trägst?« Verdammt sollte er sein für
seine wissende, selbstgefällige Miene. Und ja, sie fühlte unter all
ihrem Groll einen Stachel der Schuld, eine Gereiztheit, die an ihr
nagte und sich Bahn zu brechen drohte.
»Hattest du erwartet, dass der Splitter Akvan
aus der Reserve locken und er seine Schergen auf uns hetzen würde?
Du wusstest, dass ich ihn habe; du musst mehr geahnt haben, als du
zugibst. So wie immer. Du hättest mich warnen können.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass er hier im
Konsilium ist -«
»Trotzdem war dir bekannt, dass ich ihn
habe.«
Geschmeidig, gelassen und gänzlich unbeeindruckt
von ihren empörten Anschuldigungen zuckte er mit den Schultern.
»Ich bin nicht dein Aufpasser, Victoria. Es sei denn, du möchtest
es; in dem Fall können wir gern die Bedingungen aushandeln.« Er
schenkte ihr ein laszives, vielsagendes Lächeln.
Sie wollte sich erbost von ihm abwenden, als der
Schmerz in ihrem Knie sie beinahe laut aufschreien ließ, deshalb
beschränkte sie sich auf eine frustrierte Handbewegung. »Sebastian,
du wirst niemals -«
Er schnitt ihr das Wort ab, indem er seine
kraftvollen Finger um ihren Arm schloss und sie mit einer
plötzlichen Bewegung, die ihr die Balance raubte, zu sich nach
unten zog. Die Kombination aus verletztem Knie und
Überraschungsmoment bewirkte, dass sie halb auf ihm und halb auf
dem schmalen Bett landete, wobei sie ihren Fall mit einer Hand auf
der Decke und mit der anderen, unbandagierten, auf seiner Brust
abfing. Nur mit Mühe konnte sie verhindern, dass sie sich den Kopf
an der Wand anschlug.
»Erinnerst du dich noch«, raunte er und umfing
dabei ihr Handgelenk, noch bevor sie sich von ihm lösen konnte, »an
unsere erste Nacht in der Kutsche in London? Bevor wir von den
Vampiren unterbrochen wurden?«
Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, aber da er
nun keinen Grund mehr hatte, seine Venatorenstärke zu
verheimlichen, war dies schwieriger als sonst. Besonders, nachdem
er seine Beine schnell um ihr gutes Knie geschlungen hatte, sodass
sie nur noch ihr verletztes, das darüber hinaus auch noch in ihren
Röcken
verheddert war, ein wenig bewegen konnte. Er hielt ihre Hand
weiterhin auf seine warme Brust gepresst, wo sie Haut und Leinen
berührte. Auf einen Ellbogen gestützt, beugte er sich über sie, und
Victoria blickte in seine bernsteinfarbenen Augen hoch.
»Erinnerst du dich? Unter der Oberfläche hat in
dir damals derselbe Zorn, dasselbe Schuldbewusstsein und Verlangen
gegärt wie heute.«
»Lass mich los, Sebastian. Ich will dir nicht
wehtun.« Obwohl sie aufgehört hatte, sich zu wehren, waren ihre
Muskeln noch immer angespannt. Das Gewicht seines Körpers, der halb
auf ihr lag, war nicht unangenehm; sie fühlte sich weder eingeengt
noch bedroht, nur erschöpft und resigniert. Und gleichzeitig
erwartungsvoll. Lebendig.
»Vielleicht wirst du es trotzdem tun, wenn auch
nicht so, wie du glaubst«, murmelte er, ohne für eine Sekunde den
Blick von ihrem Gesicht abzuwenden oder sie auch nur ein Stück weit
freizugeben. »Du warst damals in jener Kutsche auf einen Kampf aus,
genau wie jetzt. Deshalb bist du hier zu mir nach unten gekommen.
Du kannst es ruhig zugeben.«
»Du bist verrückt.« Ihr Herz klopfte so heftig,
dass er es bestimmt bemerkte. Er musste fühlen, wie es ihren Körper
erschütterte.
»Verrückt. Ja, das bin ich. Ich leugne es nicht.
Ich bin verrückt.« Diese letzten Worte kamen wie ein Geständnis
heraus, bevor er mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung das
Gewicht verlagerte und sein Gesicht zu ihrem senkte.
Wie immer war er von einem schwachen Nelkenduft
umgeben, und von dem Geruch nach Tabak und noch etwas anderem, das
Sebastian definierte. Er war nun so nahe, dass seine
Lippen über ihren schwebten, doch sie berührten sie nicht. »Das
ist es, was du wirklich wolltest, nicht wahr?« Nicht lauter als ein
Flüstern strich seine Stimme federleicht über ihre Haut.
»Nein.«
Sie spürte eher, als dass sie es gesehen hätte,
wie sich sein Mund zu einem Lächeln formte. »All diese
Leidenschaft, die Hitze und Rage … es ist die beste Art, sie
herauszulassen. Du weißt das. Und du hast es vermisst.«
»Es ist nur einmal passiert, Sebastian.«
»Zweimal.«
»Nein, wir haben … nur einmal, vergangenen
Herbst in der Kutsche.« Er war so unerträglich nahe, und trotzdem
küsste er sie noch immer nicht. Aber sie würde ihm ihr Gesicht
nicht entgegenheben, um diese letzte Distanz zwischen ihnen zu
überwinden.
»Ich meine mich zu erinnern«, wisperte er und
strich dabei in einer raschen, hauchzarten Bewegung mit den Lippen
über ihr Kinn, »dass ich in diesem kleinen Salon bei dir zu Hause
deine Lustschreie ersticken musste.«
»Aber das war nicht …« Er zog sich ein Stück
zurück, sodass ihre Lippen seine berührten, als sie sie beim
Sprechen bewegte.
»Für mich war es genug.«
Die Bestimmtheit, mit der er nun seinen Mund,
der so verführerisch war wie eh und je, auf ihren legte, machte ihr
klar, dass er Victoria ihre Meinung nicht noch einmal würde ändern
lassen. Und das wollte sie auch gar nicht. Sie erwiderte seinen
Kuss, dann ließ sie alle Hemmungen fallen, um den Moment mit all
seinen herrlichen Empfindungen in vollen Zügen auszukosten.
Er ließ ihre Hände los und zog sie noch enger an
sich, während er seine Zunge tief in ihren Mund gleiten ließ, wo
sie ihre fand und sie mit kreisenden Bewegungen neckte. Die
schlüpfrigen Liebkosungen sandten ihre Echowellen in Victorias
Bauch und erzeugten ein lustvolles Kribbeln zwischen ihren
Beinen.
»Ich möchte deine vis
bulla sehen«, flüsterte sie.
Er rollte sich von ihr herunter, sodass er mit
dem Rücken an der Wand lag, dann lächelte er sie mit einem solch
feurigen Ausdruck in den Augen an, dass sie wieder Schmetterlinge
im Bauch fühlte. Er zog sein Hemd aus, und Victoria sah seine
goldene, sanft behaarte, muskulöse Brust, die sich von seinen
breiten Schultern zu seiner schmalen Taille hin verjüngte, nun zum
ersten Mal nackt. Der dunkelblonde Flaum wuchs ihm bis zum Nabel,
in den sich das winzige Silberkreuz schmiegte, bevor er in Form
eines schmalen Streifens in seine Hose mündete. Sein ganzer
Oberkörper war so fest und geschmeidig wie der von Michelangelos
David.
Victorias Mund wurde erst trocken, dann feucht,
während sie die Hände über seine Schultern wandern ließ. Welch eine
Wonne.
Ihre Berührung unverkennbar genießend, zog
Sebastian Victoria nach unten, sodass sie auf ihm zum Liegen kam.
Ihre Brüste pressten sich gegen seine nackte Haut, ihre Beine waren
ineinander verflochten, und ihr linker Arm rieb gegen das raue
Mauerwerk. Er küsste sie entlang ihrer Kinnlinie bis zum Ohr,
während er mit geschickten Fingern die beiden stoffbezogenen Knöpfe
am Rücken ihres Mieders öffnete.
Ihr Halsausschnitt klappte nach vorn, und sie
löste ihren
Mund von seinem, damit er ihr das Kleid von den Schultern ziehen
konnte. Die kühle Luft des Kellergewölbes strich über ihre nackte
Haut und erzeugte in den Mulden ihres Schlüsselbeins eine
Gänsehaut. Dann schob er mit zwei raschen Handbewegungen ihr
Korsett nach unten und entblößte ihre Brüste, die nun bebend über
seinem Gesicht schwebten.
Er legte die Hände um ihre Hüften und presste
ihren Schoß gegen die Ausbuchtung zwischen seinen Schenkeln,
während er gleichzeitig den Kopf hob, um eine ihrer Brüste in den
Mund zu nehmen. Als seine Zunge über ihre Brustwarze glitt, erlebte
Victoria einen Ansturm neuer Wonne, der nach unten brandete, zu der
Stelle, wo ihre Hüften gegeneinanderrieben. Er leckte und knabberte
und saugte, und Victoria atmete immer schneller, während ihre
Erregung weiter wuchs. Ihre Arme, mit denen sie sich aufrecht
hielt, zitterten, und schließlich entzog sie sich seinem gierigen
Mund, um auf seinen Schenkeln zurückzurutschen und ihn
anzusehen.
Sein Gesicht war vor Lust gerötet, die Lippen
geschwollen, und als sich ihre Blicke nun trafen, spielte ein
schelmisches Lächeln um seine Mundwinkel. »Nun, mein Engel«, war
alles, was er sagte, während er unter den Berg von Baumwolle,
Spitze und Musselin fasste und die Hände über ihre bloßen Schenkel
gleiten ließ. Sie hob ihren Körper ein wenig an, damit er ihre
Röcke nach oben schieben konnte, wobei sie sich mit den Händen an
seiner Brust abstützte und ihm mit den Nägeln durch das Haar fuhr,
das sie bedeckte. Doch als er die Finger dann in und um die
Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen gleiten ließ, beugte Victoria
sich nach vorn, um ihn mit einer Wildheit zu küssen, die verriet,
wie ungeduldig sie war.
Sie atmeten gemeinsam, rangen gemeinsam zwischen
Küssen nach Luft, die sich von Lippen zu Wangen und Hälsen
bewegten, die von knabbernden Zähnen und forschenden Zungen
begleitet wurden. Dann senkte er die Hand, und zusammen machten sie
sich an den Knöpfen seiner Hose, den Bändern seiner Unterwäsche zu
schaffen. Victoria rollte zur Seite, als er beides abstreifte und
seine strammen, muskulösen Beine entblößte, die ebenso gebräunt
waren wie der Rest seiner Haut.
»Sollen wir?«, murmelte er, als er nun schlank
und in sämtlichen Nuancen von Gold und Bronze schimmernd zum
allerersten Mal vollständig nackt vor ihr stand. Mit einem halben
Lächeln schob er nun wieder Victorias Röcke nach oben, dann
spreizte er ihre Schenkel und drang, die Hände nun um ihre
Schultern gelegt, mit einem einzigen, geschmeidigen Stoß in sie
ein.
Victoria stockte der Atem, und sie schloss
stöhnend die Augen, als die Süße der Empfindung sie überwältigte.
Sie passte sich gierig und fordernd - sie würde diese Wonne ohne
jede Zurückhaltung auskosten - seinem stetigen Rhythmus an, bis sie
schließlich von einer Welle der Lust einem Höhepunkt
entgegengetrieben wurde, der sie bis ins Mark erzittern ließ.
Sebastian bäumte sich mit einem letzten Stoß in
ihr auf, dann ließ er die Hände von ihren Schultern auf die Decke
sinken und vergrub die Finger in Victorias Haar.
Anschließend waren da nur noch ihre miteinander
verschlungenen, schwer atmenden, feuchtheißen, gesättigten
Körper.
Nach einer Weile hob Sebastian den Kopf und sah
sie an, wobei er mit einem Finger über ihr Kinn streichelte.
»Fühlst
du dich jetzt besser?« In seiner tiefen Stimme klang leise
Belustigung mit.
Als Victoria sich daraufhin unter ihm zu regen
begann, glitt er zur Seite und legte sich neben sie. Sie lächelte
ihn an und sah, wie sich seine Augen von Bernstein zu Braun
verdunkelten. »Was ist?«
»Dein Lächeln ist mehr als entzückend - all
diese kleinen Grübchen. Leider zeigst du es nicht sehr oft.«
Sie setzte sich auf und zog das Korsett mitsamt
dem Unterhemd wieder hoch, um ihre Brüste zu bedecken, dann zuckte
sie mit den Achseln. »Vielleicht hatte ich in letzter Zeit nicht
oft Grund dazu.«
»Aber zumindest entlockt dir das hier ein
Lächeln. Und ich hatte schon befürchtet, du könntest mein kleines
Geheimnis zum Anlass nehmen, uns beide um dieses Vergnügen zu
bringen.«
Sie betrachtete seine vis
bulla, die einzige kalte Silbernuance an seinem bronze- und
goldfarbenen Körper, und ein Teil ihrer Heiterkeit verflog. »Du
verleugnest deine Berufung und deine Verantwortung. Ich verstehe
das ebenso wenig, wie ich begreifen kann, dass du deinen Großvater
und all die anderen Untoten am Leben lässt. Es ist deine Pflicht,
die Welt von ihnen zu befreien.«
»Und sie in die Hölle zu schicken?
Unwiderruflich? Nein, Victoria, ich habe es dir schon einmal
gesagt. Diese Schuld lade ich nicht auf mich. Sie alle waren
einstmals Sterbliche - Väter, Schwestern, Liebende. Ich kann sie
nicht für etwas verdammen, über das sie keine Kontrolle
haben.«
»Aber du musst es einmal getan haben, Sebastian,
denn ansonsten
würdest du das hier nicht tragen.« Sie fuhr mit dem Finger über
das warme Silberkreuz. »Du musst mindestens einen Vampir getötet
haben, um eine vis bulla zu
erhalten.«
»Zwei. Ich habe zwei getötet, bis letzten
Herbst, als der Obelisk vernichtet wurde. Exakt zwei Vampire. Und
dann habe ich in der Nacht, als deine Tante starb, noch einen
getötet. Ich hatte es dir erzählt, aber du wolltest mir nicht
glauben.« Er wandte den Blick von ihr ab und griff nach seiner
Hose.
Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff,
wovon er redete. »Du sagtest, du hättest Max das Leben gerettet. Du
hast in jener Nacht einen Vampir getötet, um ihn zu retten.« Sie
gab den Versuch auf, die Knöpfe ihres Kleides zu schließen. Allein
würde sie das unmöglich schaffen. »Warum? Du und Max, ihr...«
»Verabscheut einander? Nun, das ist vielleicht
ein wenig zu hart ausgedrückt. Nein, ist es nicht. Wir kennen uns
tatsächlich schon sehr lange. Ich habe es nicht für ihn
getan,Victoria.«
»Warum dann? Warum solltest du deinen eigenen
Moralkodex, so wenig nachvollziehbar er auch sein mag, wegen eines
Mannes mit Füßen treten, den du verachtest?«
Er zog sich die Hose über die Hüften und knöpfte
sie zu. Victoria wartete, bis er fertig war. Und dann las sie die
Antwort in seinen Augen.
»Für mich?«
Er griff nach seinen Stiefeln.
»Sebastian.«
»Er ist das, was ich nicht sein kann. Du
brauchst ihn.«
Während sie ihn anstarrte, spürte sie, wie ihr
Gesicht warm wurde und ihr ganz leicht der Mund aufklappte. »Ich
brauche Max?«
»Wenn du weiter auf deinem Kampf gegen die
Untoten bestehst, brauchst du jemanden wie ihn an deiner Seite. Es
schmerzt mich wirklich sehr, das zuzugeben, aber er ist der beste
Venator, den ich kenne. Er ist das, was ich nicht sein kann.«
»Nicht sein willst, meinst du. Du willst es nicht sein.«
Dann wurde plötzlich an der Tür gerüttelt, und
Victoria, deren Mieder noch immer lose um ihren Oberkörper
flatterte, sprang schuldbewusst vom Bett. Sie war froh, dass sie
sie zugesperrt hatte, denn sie hätten durchaus auch in einem
wesentlich kompromittierenderen Moment gestört werden können.
Lieber Gott, lass es nicht Max sein, betete sie,
während Sebastian ihr schnell das Kleid zuknöpfte.
Doch als sie schließlich die Tür öffnete, stand
Ilias vor ihr. »Die Sonne ist aufgegangen«, verkündete er. Zu
seiner Ehre musste gesagt werden, dass er den leicht bekleideten
Sebastian kaum eines Blickes würdigte. »Du wirst gebraucht, Illa
Gardella.«
»Ich muss jetzt sowieso gehen.« Sebastian stand
auf und schlüpfte mit geschmeidigen Bewegungen in sein Hemd.
»Warte«, erwiderte Victoria, die gerade das
Zeichen an seiner Schulter entdeckt hatte. »Was ist das?« Es war
ein kleines, rundes Mal mit einem komplizierten Muster, das eine
gewisse Ähnlichkeit mit Max’ Tätowierung hatte, welche ihn als
Mitglied der Tutela markierte. Gleichzeitig war das Symbol auf
Sebastians getönter Haut auch wieder anders und um einiges
kleiner.
»Es ist das Zeichen Beauregards.«
Er sah sie unverwandt an, und da begriff sie.
Ihr Magen
zog sich zusammen und verursachte ihr einen schlechten Geschmack
im Mund. Er mochte die vis bulla der
Venatoren tragen, aber gleichzeitig trug er auch das Zeichen der
Vampire. Und er würde nicht zwischen ihnen wählen.
Noch bevor sie ihn aufhalten konnte, hatte er
sich schon an Ilias vorbeigedrängt und lief nun den Korridor
hinunter, sodass Victoria nichts weiter zu tun blieb, als ihre
Schuhe einzusammeln.
»Warum hast du mich nicht holen lassen?«, knurrte
Max, der noch immer versuchte, seine Benommenheit abzuschütteln.
»Und was zum Teufel hast du mir da letzte Nacht eingeflößt?« Er
hatte schon seit einem Jahr nicht mehr so tief und traumlos
geschlafen.
Wayren sah ihn einfach nur an. Allerdings wirkte
ihr Gesicht ein klein wenig angespannter als sonst, und statt dass
ihr das hellblonde Haar in langen Flechten über die Schultern fiel,
hatte sie es zu einem armdicken Zopf nach hinten gebunden.
Max’ Schmerzen waren nicht so stark, wie er mit
zwei Schusswunden sowie unzähligen Prellungen und Schnitten
erwartet hätte. Vielleicht hatte das Mittel, was auch immer es
gewesen war, das sie ihm zum Einschlafen gegeben hatte, auch seine
Schmerzen gelindert. Allerdings würde er, da er ein Venator war,
ohnehin nach wenigen Tagen vollständig geheilt sein.
Trotzdem. »Ich hätte hier sein sollen. So nahe
an der Santo Quirinus? Und dem Konsilium? Du hättest Myza zu mir
schicken müssen.«
»Sie ist eine Taube, Max. Sie hätte dich nicht
wecken können,
selbst wenn sie mit dem Schnabel gegen dein Fenster geklopft
hätte.«
»Dafür hast du verdammt noch mal gesorgt.« Er
setzte sich aufrecht hin und stürzte einen Becher verdünnten Weins
hinunter.
Ohne mit der Wimper zu zucken, erwiderte Wayren:
»Sebastian Vioget war mit Victoria im Konsilium.«
Max blockte die vielen Gedanken und Fragen ab,
die dieses Bild in seinem Geist hervorrief, und konzentrierte sich
stattdessen auf das Wesentliche. »Beauregard?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, er hat ihn nicht
mitgebracht. Er -«
Aber Max wollte keine Plattitüden über Vioget
hören. »Falls er uns verraten hat, werde ich ihn töten.«
»Er ist ein Venator -«
»Dann erst recht.«
Wayren schürzte zum Zeichen ihrer Verärgerung
die Lippen, ging jedoch nicht weiter auf seine Unterbrechung ein.
Stattdessen sagte sie: »Er hat Eustacias Armband, Max. Damit haben
wir den letzten Schlüssel zum Alchimistischen Portal.«
»Verflucht nett von ihm, dass er ihn uns
ausgehändigt hat.«
»Er hätte ihn auch Beauregard geben können«,
erwiderte sie mit einem winzigen Anflug von Schärfe in der
Stimme.
Max knirschte mit den Zähnen, verzichtete jedoch
auf eine Erwiderung.
»Victoria wird wollen, dass du sie begleitest,
wenn sie versuchen, die Tür zu öffnen - vermutlich irgendwann spät
morgen Nacht, wenn es zwar noch dunkel, die Dämmerung aber nicht
mehr weit ist. Man wird euch dann nicht so leicht bemerken,
und die Untoten werden Schutz vor der aufgehenden Sonne
suchen.«
Er sollte den Geheimtrupp - bestehend aus
Zavier, Vioget, Michalas und Ylito - also vervollständigen. War das
Victorias Plan?
Max dämmerte, dass er das Gesicht verzogen haben
musste, denn Wayren fragte: »Plagen dich deine Bisse wieder?«
»Natürlich tun sie das. Wie du im Übrigen sehr
wohl weißt.« Seine Hand wanderte unwillkürlich zu den niemals
verheilenden Wunden an dem weichen Teil seiner Schulter. Es
befanden sich auch neue darunter, die erst einen Monat alt
waren.
»Wie oft spürst du ihren Sog, Max? Sag mir die
Wahrheit.«
Ungerechtfertigter Zorn ergriff ihn. »Ich will
nicht darüber sprechen.«
»Ich bitte dich nicht, es mir zu sagen, Max. Ich
befehle es. Weil wir dich nämlich von ihr befreien müssen.« Nun
klang sie langsam wie Eustacia.
»Sie kontrolliert mich nicht. Aber sie würde es
gern; und sie genießt es, mit mir zu spielen.« Bitterkeit
durchdrang seine Worte. »Trotzdem hat sie mich bislang zu nichts
zwingen können, das ich nicht tun wollte.« Zumindest zu nichts, von
dem irgendjemand wusste.
»Akvan ist zurück, Max. Dir ist doch klar, dass
Lilith gewusst haben muss, dass ihn die Zerstörung seines Obelisken
auf die Erde zurückbringen würde?«
Der letzte Rest von Benommenheit war inzwischen
von ihm abgefallen, und sein Verstand arbeitete wieder
messerscharf. »Es gab eine Zeit, da hätte ich dir widersprochen …
aber inzwischen stimme ich dir zu. Sie würde es lieber mit einem
Dämon aufnehmen, als gegen ihren Sohn zu kämpfen. Ihr eigener
Sohn, der versucht hat, die bösen Mächte des Obelisken zu
entfesseln, hätte Lilith ihrer Herrschaft berauben oder sie
zumindest schwächen können. Wohingegen ein Dämon als Gegner
bewirkt, dass sämtliche Vampire versuchen werden, sich mit ihr
zusammenzutun.«
»Ich denke, mit dieser Einschätzung liegst du
vollkommen richtig. Die Vampire würden sich auf Liliths Seite
schlagen, mit Ausnahme der wenigen, die sich im Anschluss an Nedas’
Untergang mit Regalado verbündet haben. Selbst Beauregard und seine
Anhänger würden Lilith folgen; er ist schließlich kein Narr.«
»Du hast Recht. Es gibt kaum Vampire, die sich
einem Dämon anschließen oder ihn in irgendeiner Weise unterstützen
würden, es sei denn, sie wären sehr unzufrieden mit ihrem
Vampirherrscher. Regalado konnte nur eine sehr kleine Gruppe davon
überzeugen, sich mit ihm zu solidarisieren. Allerdings gibt es auch
unter den Mitgliedern der Tutela noch immer ein paar Sterbliche,
die früher von Regalado angeführt wurden und ihm bis heute treu
ergeben sind.«
»Das stimmt«, pflichtete Wayren ihm ein weiteres
Mal bei. »Zwischen den Dämonen und den Vampiren tobt die Schlacht
um die Hölle, und nur sehr wenige würden jemals auf die andere
Seite wechseln.«
»Also muss die Bedrohung, die von Akvan ausgeht,
groß genug sein, dass er zumindest einige der Untoten - unter ihnen
auch Regalado - davon überzeugen konnte, sich seinen Reihen
anzuschließen.«
»Sein Einfluss ist gewaltig. Solange er sich
noch in der Hölle
versteckt gehalten hat und nur sein Obelisk hier war, hätte die
Möglichkeit bestanden, diesen zu aktivieren, sodass seine enorme
Macht - die Macht, aus den Seelen der Toten eine Armee
Unsterblicher zu rekrutieren - auf seinen Besitzer übergegangen
wäre. Was natürlich Nedas’ Plan war, der allerdings von dir
zunichtegemacht wurde, als du auf Liliths Wunsch hin den Obelisken
zerstörtest. Nun ist Akvan zurückgekehrt und mit ihm genau dieselbe
Macht, die jedoch nicht erst aktiviert werden muss, da sie ein Teil
von ihm ist.«
»Warum haben wir, wenn er schon seit drei
Monaten hier ist, bislang keinerlei Hinweis auf ihn
entdeckt?«
»Er ist noch immer schwach und muss erst zu
Kräften kommen, was vermutlich mithilfe von Regalado, seinen
Anhängern und der Tutela geschieht.«
»Das ist also der Grund für den Zwischenfall in
der Villa Palombara. Er musste fressen.«
»Wir können nicht abwarten, bis die Vampire sich
verbündet haben, um ihn zu bekämpfen. Er muss vernichtet werden,
bevor er seine einstige Stärke wiedererlangt.«
»Ich bin derjenige, der ihn zurückgeholt hat.
Ich werde mich darum kümmern.«
»Es wird keine leichte Aufgabe werden, Max.«
Wayren sah ihn so lange und ernst - fast schon kummervoll - an,
dass er beinahe zusammengezuckt wäre.
»Was ist los?«
»Es steht geschrieben -«
»Dass ich dabei sterbe? Davor habe ich keine
Angst. Du weißt das, Wayren.« Es war die Wahrheit. Er wäre dann
frei; und er würde sein Leben jederzeit opfern, so wie Eustacia und
zahllose andere es getan hatten, wenn er damit die Welt der
Sterblichen retten könnte. »Als Venator bin ich dazu verpflichtet,
mein Leben im Kampf zu verlieren.«
»In einer von unserer Lady Rosamund Gardella aus
dem Persischen übersetzten Prophezeiung heißt es: ›Kein Venator und
auch kein Dämon wird Akvan erschlagen; es wird die Hand eines
bloßen Sterblichen sein, die ihn, indem sie seine eigene Stärke
gegen ihn richtet, für immer in die Eingeweide der Hölle
verbannt.‹«
Max’ Kehle war plötzlich wie ausgedörrt, und er
fühlte, wie die Energie aus ihm herausströmte. Wer sonst würde gut
genug ausgerüstet, trainiert und vorbereitet sein, um einen Dämon
zu erschlagen? Auf keinen Fall ein Sterblicher. Nur ein Venator
konnte so etwas vollbringen, würde tapfer genug sein. Hätte die
entsprechenden Fähigkeiten.
Nur ein Venator, der kein Venator war.
Wayren beugte sich nach vorn, um seine Hand zu
berühren, aber er entzog sie ihren schlanken Fingern und griff
stattdessen nach seinem schwarzen Pflock. »Du wusstest, dass es
dazu kommen würde. Du wusstest es schon, als ich dir damals die
Salbe brachte.« Obwohl er es versuchte, konnte er seinen Zorn nicht
beherrschen. Er hatte keine Wahl. Sein Weg war vorgezeichnet.
Kurz hob er den Kopf und sah ihr in die
blaugrauen Augen. Dann nickte er. »Morgen.«