39

Aus dem Imbisswagen war alles ausgebaut worden, was sich normalerweise in einem solchen Fahrzeug befand, um jetzt Platz für die zweiundzwanzig bewusstlosen Personen im rückwärtigen Raum zu schaffen. Diese Leute, so hoffte Lily, wurden nun gerade wiederbelebt oder wenigstens medizinisch versorgt. Shannon hatte eine Erste-Hilfe-Ausbildung; sie hatte ihn in der Webster Street als Unterstützung zurückgelassen. Mullins hatte versprochen, sobald sie weg seien, den Rettungswagen zu rufen.

Mike war jetzt der Fahrer des Imbisswagens. Ein Lupus hätte sich durch den Austausch nicht täuschen lassen; der ganze Vordersitz roch nach Blut. Doch er hatte seine Jacke über die Sitzlehne geworfen, um das meiste zu verdecken, und Menschen sahen nun einmal besser als sie riechen konnten. Bisher hatte niemand etwas Ungewöhnliches bemerkt auch nicht der Cop, der sie angehalten hatte, als sie in die abgesperrte Straße einbiegen wollten.

Auch Chris saß vorne. Lily und Scott saßen auf dem nackten Metall im Wageninneren, mit gezogenen Waffen und gespitzten Ohren.

Auch Al Drummond befand sich hier. Weiß und nebelhaft wie er war, erinnerte er nur noch wenig an sein altes Selbst abgesehen von dem schimmernden goldenen Ring an seiner linken Hand.

Er lächelte dünn. Auch er hatte die Waffe gezogen, als hätte er vor, mit ihnen aus dem Wagen zu stürmen, doch da diese Waffe genauso wenig Substanz hatte wie der Rest von ihm, würde er wohl keine große Hilfe sein.

Bisher hatte er nichts zu ihr gesagt. Doch es war offensichtlich, dass er wusste, dass sie ihn sehen konnte und die anderen nicht. Und dass er vorhatte, sich an sie zu halten.

Warum und wie war es möglich, dass sein Geist ihr schon Tage, bevor er gestorben war, erschienen war? War das eine der »Unregelmäßigkeiten«, von denen die Rhej der Etorri gesprochen hatte irgendeine Art von astralem Zeitsprung?

Wusste Drummond überhaupt, dass er tot war?

Jemand, der es wissen sollte, hatte Lily gesagt, dass Geister keine Seelen waren, sondern Schatten, die Seelen warfen. Damals hatte sie nicht verstanden, was das bedeuten sollte. Auch jetzt verstand sie es nicht. Und sie wünschte sich inständig, dass dieser hier in das Licht einging, oder wie immer das hieß, und damit aufhörte, ihr zu folgen.

»Was soll das heißen, Lieferanten kommen da nicht rein?«, empörte sich Mike. »Man hat mir gesagt, ich soll bis zur Bühne vorfahren. Das da ist sie.«

Eine gedämpfte Stimme erklärte Mike, dass er mit dem Wagen zur Fourteenth Street fahren solle. »– ans Ende der Versammlung, beim Washington Monument. Haben Sie davon schon gehört? Das lange, spitze Ding, das da in die Luft ragt?«

»Scheiße. Dann muss ich Big Thumbs anrufen.«

»Fahren Sie das Ding hier weg, und zwar schnell!«

»Ich tue das, was Big Thumbs mir sagt, Arschloch, nicht Sie.«

Lily nickte Scott zu und zu den Türen am Ende des Wagens hinüber. Er ging in Position.

Genauso wie Drummond.

Rule beendete schnell seine Unterhaltung mit Harry und gleich darauf vibrierte sein Handy wieder. Er ging dran.

Es war Mark vom Dach des Smithsonian. »Silberner Imbisswagen nähert sich von hinten der Tribüne.«

Er hatte gewusst, dass sie da war. Er hatte sie gespürt. »Gut.«

»In der ganz hinten stehenden Menge ist Unruhe aufgekommen, in der Nähe des Washington Monument die Leute bewegen sich von einer Stelle weg. Ohne zu rennen, aber aus irgendeinem Grund meiden sie die Stelle.«

»Behalte das im Auge. Hast du Deborah gesehen?«

»Sie und ihre Leibwächter sind auf der anderen Seite des Denkmals. Sie scheint sich auszuruhen.«

Möglicherweise machte der Elementargeist die Leute unruhig aber Matt würde anrufen, wenn das der Fall wäre. Vorausgesetzt, Deborah würde es erkennen, natürlich. »Okay. Informiere José. Ende.« Rule legte auf. »Der Imbisswagen ist da. Sie sind hinter der Bühne.«

Parrott hatte seine Rede kurz gehalten und kündigte nun jemanden an. »Bitte heißen Sie sie alle herzlich willkommen, denn sie hat das Licht gesehen und ist hier, um uns die Wahrheit über das zu sagen, was passiert ist, als Ruben Brooks vor der Justiz geflohen ist. Meine Damen und Herren, Lily Yu!«

Und Lily kam die Stufen hoch. Nur, dass es nicht Lily war.

Das Wesen sah genauso aus wie sie. Es bewegte sich wie sie. Es trug eine schwarze Hose und eine rote Jacke, genau wie die, die in Lilys Schrank hing ihr Gesicht, ihre Figur, alle Dinge, die ihr im Gefängnis gestohlen worden waren. Das Band der Gefährten sagte Rule, wo Lily war hinter der Bühne, nicht darauf. Und sie bewegte sich. Was bedeutete, dass sie auf dem Weg war. Nun sah er, wie Parrott sich umdrehte, um hinter die Bühne zu blicken.

Entschlossen sagte Rule: »Das ist nicht Lily. Das ist eine Doppelgängerin. Aber Lily ist unterwegs, jetzt sind wir an der Reihe. So wie geplant alle auf die Positionen!«

Rule hatte die Wachen der Nokolai bei sich behalten. Er hatte damit gerechnet, dass es auf der Bühne Ärger geben würde, und seine Nokolai kannten ein paar nützliche Tricks. Wie diesen jetzt, der Teil der Trainingstänze war.

Sechs Mann ließen sich Schulter an Schulter auf Hände und Knie ins Gras fallen. Drei Mann sprangen auf ihre Rücken und verschränkten die Arme, um das Gleichgewicht zu halten.

Cullen packte Rules Arm, als er losgehen wollte. »An dem Lily-Double ist etwas seltsam.«

Rule schüttelte ihn ab. »Das ist nicht Lily. Natürlich ist das seltsam.« Woraufhin er gemeinsam mit Andy und Sean die Lupi-Pyramide erkletterte, um sich auf Jakobs Schultern zu stellen, Andy und Sean in der gleichen Position zu beiden Seiten von ihm. Jacobs Hände packten seine Knöchel.

Als er sprang, drückte Jacob ihn in die Höhe. Und Rule segelte in Richtung Bühne.

Der menschliche Rekord im Standweitsprung lag bei knapp über drei Meter vierzig. Rule war kein Mensch, und Jacobs Stoß gab ihm noch zusätzlich Schwung. Zwar schaffte er es nicht mit einem einzigen Satz auf die Bühne, doch er übersprang die Köpfe der ganz vorne Stehenden und landete leichtfüßig in dem freien Streifen zwischen der Menge und der Bühne. Andy und Sean kamen links und rechts neben ihm zum Stehen.

Den Ablauf hatten sie vorher festgelegt. So gern Rule auch vorangegangen wäre, er war ein Rho. Deshalb durfte er sich nicht unnötig in Gefahr bringen. Also bückte sich nun Sean mit verschränkten Händen, in die Andy mit einem Fuß trat. Sean hievte ihn hoch, und Andy segelte auf die Bühne.

Rule folgte ihm sofort, indem er den Rand der Bühne mit beiden Händen packte und sich hochdrückte.

Das Ding, das nicht Lily war, stand reglos auf halbem Wege zwischen dem Podium und den Stufen. Parrott war nirgendwo zu sehen. Kim Evans war aufgesprungen und rief ihnen im Näherkommen zu, sie sollten runtergehen, runtergehen, runtergehen

Auf dem Gesicht des Lily-Dings erschien plötzlich ein Grinsen. Es sprintete schnell schneller als jeder Mensch zu Kim Evans, blieb hinter ihr stehen und zog etwas aus seiner Tasche. Als Rule zu ihnen rannte, packte es Kim Evans bei den Haaren und riss ihren Kopf zurück. Dann schnitt es ihr die Kehle durch.

Blut spritzte aus der Wunde und auf Rule, als er bei ihnen angelangt war. Er packte den Arm des Lily-Dings und nutzte seinen Schwung und eine Drehung der Hüfte für einen einfachen Wurf.

Das Ding wirbelte mit dem Wurf herum, so schnell, dass es mit den Füßen zuerst landete, das breite Grinsen immer noch im Gesicht, ein blutiges Messer mit der linken Hand umklammert. »Oh, ja, lass uns spielen! Fang mich, wenn du kannst!« Mit unwirklicher Geschwindigkeit schoss es auf die drei Personen zu, die sich von ihren Stühlen auf der Bühne erhoben hatten.

Doch während das Ding kurz innegehalten hatte, um ihn zu verspotten, waren Andy und Sean weitergelaufen und schossen nun an Rule vorbei. Andy erreichte es einen halben Meter vor Sean. Fast beiläufig schwang es eine Faust und Andy flog von der Tribüne. In dem folgenden Handgemenge versuchte Sean, das Messer zu fassen zu bekommen. Rule rannte los, um ihm zu helfen.

Und von der Absperrung vor der Bühne schrie Cullen zu ihnen hoch: »Es ist besessen! So machen sie es sie beschwören Dämonen, die die Doppelgänger in Besitz nehmen!«

Mist. Rule rannte weiter.

Ein Wolf landete auf seinem Rücken.

Lily hörte, wie Cullen etwas über Dämonen rief, die Doppelgänger in Besitz nahmen, als sie Dennis Parrott hinterherlief. Parrott hatte den Krawall gehört, als sie und die anderen aus dem Wagen gestürmt waren. Daraufhin hatte er nicht mehr als eine Sekunde gebraucht, um die Beine in die Hand zu nehmen. Nun rannte er, so schnell er konnte, zu einer langen schwarzen Limousine.

Scott schoss an ihr vorbei, als würde sie lediglich locker joggen. Gerade als Parrott die Limousine erreichte, warf Scott sich auf ihn.

Langsamer laufend blickte Lily sich um, um zu sehen, wo sie gebraucht wurde.

Sie hatte Mike und Chris losgeschickt, damit sie den Bereich unter der Bühne überprüften. Mike hatte als erstes ein paar Sicherheitsleute zur Seite gefegt und verschwand jetzt gerade durch die Tür.

Doch Chris war gleich neben ihr.

»Diese Scheißkerle sind schnell«, sagte eine heisere Stimme.

Sie warf einen schnellen Blick nach links nicht auf Chris. Sondern auf Drummond. Oder irgendeine Version von Drummond. »Sie können sprechen!«

»Hm. Anscheinend. Das ist alles so verwirrend « Seine Stimme war nicht mehr zu hören, obwohl sein Mund sich weiter bewegte. Er runzelte die Stirn und stellte seine Versuche ein.

»Lily?«, sagte Chris.

»Ich sehe einen Geist. Unwichtig. Warum bist du nicht bei Mike?«

»Äh «

»Scott ist bei mir. Ich werde beschützt. Geh!«

Er rannte davon.

Scott hatte Parrott zu Boden gedrückt. Er rührte sich nicht. »Ist er bewusstlos?«, fragte sie.

Lauter werdende Schreie übertönten seine Antwort, aber er nickte, um dann gleich darauf innezuhalten, den Kopf zu heben, als würde er wittern. »Hier riecht’s komisch.«

Ja, das konnte an den von Dämonen besessenen Doppelgängern liegen. »Hast du irgendwelchen Schmuck gefunden?«

Scott schüttelte den Kopf. »Nur eine Armbanduhr. Könnte das das magische Was-auch-immer sein, das du suchst?«

Jemand kicherte. »Nein, Dummerchen, ich habe es.«

Lily senkte den Blick. »Harry?«

Der kleine Brownie hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Sein schrilles Stimmchen drang besser durch den Lärm der Menge als Scotts tiefe Töne. »Ich habe den Ring, wie Rule es gewünscht hat, aber ich kann ihn ihm nicht geben, weil er mit einem Wolf kämpft. Und Cullen kann ich ihn auch nicht geben, denn der kämpft mit irgendwelchen anderen Wölfen auf der anderen Seite der Bühne.«

Angst packte sie bei der Kehle und drückte zu. Sie schluckte. »Du könntest ihn mir geben.« Sein Gesicht legte sich in Falten, sodass es einem schrumpeligen Apfel ähnelte. »Er hat nicht gesagt, dass ich ihn dir geben soll.«

»Aber das ist in Ordnung. Ich trage den Verlobungsring, erinnerst du dich?«

Seine Miene hellte sich auf. »Ja, das tust du! Hier.« Er warf ihr etwas zu.

Sie fing den Ring aus schwerem, gehämmerten Gold mit einem eingelassenen dunkelroten Cabochon und hätte ihn gleich darauf beinahe fallen gelassen. Todesmagie klebte an ihm, so schwer und ekelhaft, dass sie seine Berührung kaum ertrug. Schnell stopfte sie sich ihn in die Hosentasche. »Wir müssen ihn zu Cullen bringen.« Der gerade »mit irgendwelchen anderen Wölfen« kämpfte.

Sollte sie den Weg über die Bühne nehmen oder um sie herum? Außen herum würde es länger dauern, doch was immer gerade auf dieser Bühne geschah, reichte, um Rule davon abzuhalten, nach ihr zu sehen. Was bedeutete, dass sie erst recht keine Chance haben würde, dort hindurchzukommen, um Cullen den Ring zu bringen. Mit Scott an ihrer Seite fiel sie in einen Laufschritt.

Und ohne Geister. Gott sei Dank. Drummond war offensichtlich verschwunden, um das zu tun, was Geister so taten.

Die Menge ergriff die Flucht. Das war ihr Eindruck in der ersten Sekunde, als sie um die Bühne herum lief Menschen, die sich gegenseitig schoben und stießen und von dem Gemetzel und den Wölfen wegstrebten.

Einige hatten es nicht geschafft. Flüchtig sah sie Körper, Blut Wölfe, die den Wölfen hinterherjagten, die wiederum den verzweifelt fliehenden Menschen hinterherjagten. Zwei Männer hatten sich einem der Wölfe entgegengestellt. Und in dem niedergetrampelten Gras neben der Bühne stand ein erzürnter Mann mit dem Gesicht eines Filmstars und warf einen dünnen Feuerstrahl.

Schwarzes Feuer. Das Feuer der Magier.

Es traf eine Wolfskreatur, als diese auf die Bühne springen wollte. Und das Wesen brannte schwarze Flammen flackerten hoch und verschlangen Fell, Haut und Muskeln, so schnell, dass es schien, als würde alles auf einmal passieren. Der brennende Körper fiel zu Boden, die Glieder zuckten.

Ein zweiter Wolf wollte dem schönen Mann auf den Rücken springen.

»Cullen!«, schrie sie.

Er fuhr herum. Der Aufprall des Wolfes warf sie beide zu Boden. Die beiden Männer, die versucht hatten, ihn von Cullen fernzuhalten, sprangen herbei und zogen den Wolf von ihm herunter. Einer hatte seinen Kopf gepackt, der andere den Rumpf fest umschlungen. Der, der den Kopf hielt, zog daran und brach dem Wolf das Genick. Sie ließen den Körper fallen.

Doch der kam wieder auf die Beine. Der Kopf schwang in einem unmöglichen Winkel herum. Noch im Laufen sah Lily, wie der Kopf anfing zu zucken und dann seine normale Position wieder einnahm. Langsam zwar, doch so schnell, dass sie dabei zuschauen konnte, verheilte die tödliche Verletzung.

Cullen rollte sich herum. Er sprang auf die Füße, stieß die Hand vor und schickte noch einen Strahl des schwarzen Feuers aus seinen Fingerspitzen. Das Dämonending flammte auf.

»Ich habe den Ring«, sagte Lily, als sie anhielt. »Parrots Ring. Er ist mit Todesmagie verseucht. Ich hoffe, du hast noch ein bisschen Saft übrig.«

»Ich hab genug Saft. Leg ihn « Sein Blick wandte sich der Bühne zu.

Eine asiatische Frau mit langen, glatten Haaren sprang herunter direkt auf Cullen. Sie trug eine rote Jacke, eine schwarze Hose und das Gesicht, das Lily jeden Tag im Spiegel sah. Kichernd wie ein Teenager bei einer Pyjamaparty bewegte sie sich ebenso schnell wie Cullen, als sie den Arm fasste, mit dem er versuchte, sie zu schlagen, und die Faust zurückschnellen ließ, um ihm gegen die Schläfe zu boxen.

Sein Kopf ruckte zurück. Sie hob den Arm, um erneut zuzuschlagen

Und Rule sprang von der Bühne, ergriff noch im Aufkommen den Arm der Dämonenlily und riss sie herum. Sie grinste und gab ihm einen spielerischen Klaps.

Er taumelte zurück und landete auf einem Knie.

Cullen stemmte sich erneut hoch, schüttelte den Kopf und lief um die beiden herum zu Lily. »Leg ihn ab! Leg ihn auf den Boden!«

Sie bückte sich und tat, wie ihr geheißen. Dann trat sie zur Seite. Er stellte sich vor den Ring, streckte die Hand aus und ließ schwarzes Feuer auf das verdammte Ding regnen. Eine Menge schwarzes Feuer.

Lily stolperte zurück. Schwarzer Rauch wallte aus dem kleinen Inferno Rauch, der nach einer sieben Tage alten Wasserleiche roch. Lily würgte und hustete.

So schnell, wie er erschienen war, löste sich der Rauch auch wieder auf. Cullen lag auf den Knien und schwankte. Und die Dämonenlily war fort. Eben noch war sie Rules Tritt ausgewichen. Jetzt war sie einfach verschwunden.

Und ein muskulöser grauer Wolf lief auf Rule zu.

Hastig blickte sich Lily um. Keiner der Wölfe war verschwunden. Nur ihre Dämonenversion.

»Rule«, rief sie, »ich glaube, Cullen kann kein schwarzes Feuer mehr rufen!«

»Stimmt«, murmelte Cullen und schwankte benommen auf der Stelle, immer noch kniend. Er hielt sich den Kopf. »Doppelt sehen und schwarzes Feuer das ist keine gute Mischung.«

Scott bekam den Wolf gerade in dem Augenblick zu fassen, als dieser bei Rule war. Beide stürzten zu Boden, der Wolf oben, Scott mit beiden Händen den Kopf der Bestie haltend. Er versuchte, das geöffnete Maul von seinem Gesicht wegzudrücken und schaffte es nicht.

Bis Rule dem Wolf gegen den Kopf trat ein ordentlicher Roundhouse-Kick, der ihn eigentlich auf der Stelle hätte töten müssen. Er schüttelte den Kopf, als sei er für einen kurzen Moment benommen gewesen, und schnappte dann wieder nach Scotts Kehle.

Rules zweiter Tritt hatte den Rumpf der Bestie zum Ziel und brachte sie zu Fall.

Eine weiße Gestalt schwebte vor Lily Drummond war zurück. »Kommen Sie!«, krächzte er. »Ich habe ihn gefunden. Den Mistkerl mit dem roten Knopf, dem Hauptregler wie auch immer Sie das nennen. Er ist dort hinten, ganz am Ende dieses Tumults.«

»Wer ist es denn? Wie sieht er aus?«

»Groß, blond, affektierter Mund « Drummonds Mund bewegte sich weiter, ohne dass ein Laut herauskam.

»Der Ton ist wieder weg!« Hinter ihm sah sie, wie Scott und Rule Haken schlugen und den Wolf-Dämonen zwar damit beschäftigen, aber nicht von seinem Tun abbringen konnten.

Drummonds Stirnrunzeln wurde tiefer, als würde er sich konzentrieren. Langsam sagte er: »Vier Ringe. Einer hier, einer bei den anderen Kundgebungen. Der Meister beherrscht sie alle. Versorgt sie mit Energie. Sie müssen « Seine Stimme verstummte erneut.

Konnte sie ihm trauen? Er hatte behauptet, nichts über Todesmagie zu wissen, und jetzt, ganz plötzlich, wusste er von den Ringen und von dem Hauptregler oder was immer, zur Hölle, es war. Hatte sie irgendeinen Grund, ihm zu glauben? Drummond war gestorben, um Mullins zu retten. Trotzdem war es durchaus möglich, dass er jetzt auf Seiten der Dämonen war.

Aber wenn sie nicht hinging und er die Wahrheit sagte was konnte sie denn dann tun? Ohne das Amulett zu zerstören, würden sie auch die von Dämonen besessenen Doppelgänger nicht aufhalten können. Die ohne ihre Dosis schwarzes Feuer nicht sterben würden was Cullen erst rufen konnte, wenn er nicht mehr doppelt sah.

»Rule!«, rief sie. »Ich glaube, Chittenden ist hier« die Beschreibung könnte auf Friars Lieutenant passen »und dass er das Amulett hat! Ich werde ihn suchen!«

Er riss den Kopf hoch. »Nein!« Und der Wolf-Dämon stürzte sich auf ihn. Er warf sich zur Seite, rollte herum und federte zurück.

Lily steckte ihre Waffe ins Holster, denn die würde ihr gegen Kreaturen, denen ein gebrochener Hals lediglich lästig war, wenig nützen. Und wandte sich ab von dem Mann, den sie liebte, während er um sein Leben kämpfte. Wandte sich ab und begann zu rennen.

Nur Sekunden später hatte Scott zu ihr aufgeholt. Er sagte kein Wort.

Rule musste ihn geschickt haben. Ihre Augen brannten.

Die große Rasenfläche leerte sich schneller, als sie es für möglich gehalten hätte, doch sie war noch längst nicht leer. Überall waren Menschen auf der Flucht, lagen leblose Körper auf dem Boden. Eine Frau kauerte neben einem dieser Körper, einem Mann, dessen Gesicht und Brust so blutverschmiert waren, dass man seine zerfetzte Kehle fast nicht mehr sah. Es war fürchterlich, nichts tun zu können. Fürchterlich, einfach weiterzulaufen, doch das tat Lily. Sie rannte hinter der weißen Gestalt her, die jetzt genauso verschwommen war wie damals, als sie sie das erste Mal auf dem Schießstand gesehen hatte. Eine Gestalt, die ihr immer einige Meter voraus war.

Sie rannte und rannte. Scott blieb die ganze Zeit neben ihr. Sie kamen an drei kämpfenden Gruppen vorbei Lupi in beiden Gestalten, aber vor allem Wölfe, die die Wolf-Dämonen ablenkten, damit sie die Menschen, die sich hier versammelt hatten, um die Vernichtung der Lupi zu fordern, nicht töteten.

Als sie sich dem Washington Monument näherten, drehte ihr geisterhafter Führer plötzlich nach links ab, zu einer Gruppe von zwanzig oder dreißig dicht aneinandergedrängten Menschen, die von zwei Wölfen umkreist wurden. Sie folgte ihm, konzentrierte sich auf ihre Atmung, darauf, die Beine gleichmäßig zu heben und zu senken, damit sie nicht völlig atemlos und damit handlungsunfähig ankam. Und sie fragte sich, was zur Hölle sie tun sollte, um diese Menschen zu retten.

Moment. Einen der Wölfe kannte sie. Es war José. Und er und der große graue Wolf umkreisten nicht die Menschen sie patrouillierten, um einen der Wolf-Dämonen fernzuhalten.

Wie dumm von ihr denn erst jetzt fiel ihr auf, wie ähnlich sich die Wolf-Dämonen waren.

Natürlich. Sie waren alle aus dem Blut oder dem Gewebe von Brians Wolfsgestalt erschaffen worden, deshalb waren sie alle identisch.

Die Erde bebte.

Lily taumelte und geriet ins Stolpern. Jemand schrie. Als der Boden erneut und härter rüttelte, musste sie stehen bleiben. Scott hielt sie am Arm fest.

Ein riesiges Etwas erhob sich. Es war bräunlich-grau und lang, sehr groß und schien aus der Erde zu wachsen, in seinem Werden Gras und Erde und Steine in sich aufzunehmen. Keine Augen, keine Beine, nur ein Körper ein segmentierter Körper mit einem Umfang von ein Meter bis ein Meter zwanzig. Wie der eines Regenwurms.

Dieses Mal fiel Lily auf die Knie, als die Erde bebte. Scott ebenfalls. Und sie bebte weiter.

Eine weitere Gestalt brach durch die Madison Street und stieg, Teile der Straße absorbierend, in die Höhe, das Ende in die Luft gereckt, als würde sie wittern. Diese war noch größer, und sie sammelte sich noch schneller als die erste.

Doch die dritte war noch größer.

Von der Bühne am westlichen Ende der Promenade bis kurz vor die Stufen des Washington Monument wölbte sich die Erde, hob sich in die Höhe wie die Mauer um Fagins Haus und bildete Glied um Glied einen steinernen Wurm von beinahe zwei Meter fünfzig Durchmesser oder drei Meter drei Meter fünfzig. Die Leichen rollten von ihm herunter, während er Gestalt annahm. Und so schrecklich es auch anzusehen war, wurden einige der Leichen von der Masse verschlungen, zusammen mit Ästen und Steinen, Handtaschen und Gras.

Die Erde stöhnte, als die Kreatur sich hin- und herzuwiegen begann. Sich langsam zu dem Ersten Elementargeist hinbewegte.

Ein weißer, aber deutlich zu erkennender Drummond schoss plötzlich in ihr Blickfeld. Seine Lippen bewegten sich. Offensichtlich ungeduldig, packte er Lilys Arm. Seine Hand ging durch sie hindurch. Sie fühlte nichts. Keine Kälte. Nichts.

Er schnitt eine Grimasse und winkte ihr heftig.

Für eine weitere Sekunde starrte sie das riesige Monster aus Erde und Steinen an, das sich langsam zu seinem kleineren Verwandten vorschob. Gegen Elementargeister konnte sie nichts ausrichten, absolut nichts. Vielleicht schaffte Cullen es wenn er noch am Leben war. Wenn er sich schnell genug von seiner Gehirnerschütterung erholte.

Sie fuhr herum und folgte Drummond.

José und dem andere Wolf war es gelungen, den Wolf-Dämon von dem Menschenknäuel wegzutreiben. Doch sie schienen nicht zu bemerken, dass es Zeit war, sich zurückzuziehen. Vielleicht wussten sie nicht, wohin. Jemand drängte sich an den Rand der Gruppe. Eine Frau. Eine Frau in schmutzigen Jeans und einem rotem T-Shirt, mit einem Gesicht, bei dessen Anblick sich jeder Mann sofort nach einem Mantel umsah, den er vor ihren Füßen ausbreiten konnte. »Lily!«, rief Deborah. »Er will nicht auf mich hören! Er ist wütend schrecklich wütend weil man ihn gerufen und ihm dann nichts zu fressen gegeben hat, und dass diese anderen in sein Revier eingedrungen sind!«

Ein Mann drängte sich an Deborah heran. Er trug einen Anzug von guter Qualität, keine Krawatte und war groß und dünn, mit kurzem honigblondem Haar. Und wie Drummond sich ausgedrückt hatte einem affektierten Mund. »So spielt das Leben«, sagte Paul Chittenden, als er seinen Arm um Deborahs Hals legte und zudrückte. »Lily Yu, richtig? Bleiben Sie sofort stehen. Ich kann ihr in einer Sekunde das Genick brechen.«

Lily blieb nicht stehen, verlangsamte aber ihre Schritte und streckte die Hände aus wie um zu zeigen, dass sie keine Waffe hatte. »Scott«, flüsterte sie. »Kannst du

»Die Entfernung ist zu groß«, flüsterte er zurück. »Wenn er weiß, was er tut, könnte er sie töten, bevor ich da bin.«

Chittenden erhöhte den Druck. Das Blut wich aus Deborahs Gesicht. »Ich sagte: stehen bleiben.«

Lily gehorchte, Scott auch.

Die Leute neben Deborah und Chittenden waren ein kleines Stück zurückgewichen. »He«, sagte ein bulliger Mann mit Bürstenschnitt. »Was tun Sie denn da?«

»Ich sorge dafür, dass das Böse sich nicht weiter ausbreitet«, sagte Chittenden lächelnd. »Glauben Sie an den zweiten Zusatzartikel, Sir? Sie wissen schon, an das Recht auf Besitz und Tragen von Waffen?«

»Ja, aber «

»Ich ebenfalls.« Dann zog er eine Pistole aus seiner Jacke und erschoss den Mann.

Dieses Mal schrie niemand. Vielleicht hatten sie heute schon zu viel Entsetzliches gesehen. Niemand rührte sich oder sagte etwas.

»Und jetzt«, sagte Chittenden und bedachte Lily mit diesem affektierten Lächeln, die Waffe wie beiläufig in der Hand, »haben wir Zeit, uns ein bisschen besser kennenzulernen, während meine Haustiere ihre Arbeit tun. Also kommen Sie oft hierher? Was für ein Sternzeichen haben Sie? Wenn Sie auf einer einsamen Insel gestrandet wären «

Die Frau, die über Chittenden herfiel, war mindestens sechzig und wog vermutlich in nassem Zustand fünfzig Kilo. Sie zog ihm eine Handtasche von der Größe eines kleinen Koffers über den Schädel. Er taumelte, seine Schusshand schwang herum, sein Lächeln war wie weggeblasen und er war abgelenkt.

Scott schoss vor wie eine Kugel aus einer Pistole.

Chittenden schlug der Frau mit dem Handrücken ins Gesicht, sie brach zusammen. Und drei Meter entfernt setzte Scott zum Sprung an.

Hastig riss Chittenden seine Waffe hoch. Und feuerte aus nächster Nähe.

Scott prallte gegen Deborah und stieß sowohl sie als auch Chittenden zu Boden.

Lily war im selben Moment wie Scott losgerannt. Sie war langsamer, doch sie kam unversehrt an, nur wenige Sekunden, nachdem Chittenden Deborah und Scott von sich hinuntergeschoben hatte, und gerade, als er begann, sich wieder zu erheben. Er war noch auf einem Knie, als sie ihm den Lauf der gezückten Waffe ins Ohr rammte.

»Geben Sie mir einen Grund«, stieß sie hervor. »Geben Sie mir nur einen einzigen winzigen Grund, und ich blase Ihnen mit Vergnügen das Hirn raus.«

Er erstarrte.

Deborah lag auf dem Boden, schwer atmend, doch sie bewegte sich. Scott rührte sich nicht.

»Zum Teufel damit«, sagte Lily, drehte ihre Waffe um und schlug ihm mit dem Griff hart gegen die Schläfe.

Er brach zusammen.

Sie bückte sich und schlug noch einmal zu, nur um sicherzugehen. Dann hob sie seine Augenlider. Oh ja, er war weggetreten. »Deborah, sind Sie in Ordnung?«

»Ja, ich « Sie keuchte. »Tut weh, aber ich bin in Ordnung.«

»Sehen Sie nach Scott.« Lily nahm Chittendens rechte Hand. Kein Ring. Sie griff nach der anderen.

»Oh, nein.« Deborah setzte sich auf und legte die Finger an Scotts Hals. »Er ist Sein Puls schlägt.«

Lily blieb kaum Zeit für ein Gefühl der Erleichterung, denn Drummond glitt in ihr Blickfeld. Er klopfte sich eindringlich auf die Brust und machte ein finsteres Gesicht.

Sie antwortete ihm mit ebenso finsterer Miene. Dann verstand sie. Chittenden trug das Ding um den Hals. Sie schob die Hand unter Chittendens Hemd, tastete kurz, fand es und zuckte zurück.

Der Ring war schmutzig gewesen. Dies hier war Fäulnis. Nadeln und Schleim und Zerfall, Glasscherben, verrottetes Blut. Es zu berühren, war, als würde man einen Tritt gegen die Brust bekommen. Für eine Sekunde vergaß sie zu atmen.

Wie viele? Wie viele Menschen hatte er getötet, um dieses Ding mit so viel Todesmagie aufzuladen?

Grimmig zwang sie sich, es hervorzuholen, aber dieses Mal tastete sie zuerst nach der Kette. Sie riss ein paar Mal fest daran, bis der Verschluss brach und sie sie hervorziehen konnte.

Es war ein Amulett, so wie Cullen es vorhergesagt hatte, der Stein der gleiche wie der des Ringes von einem dunklen, matten Rot, das Lily von keinem anderen Edelstein kannte. Der ovale, ungefähr fünf Zentimeter lange Stein war in schlichtes Metall eingefasst. Gold war es nicht, und es hatte nicht den Glanz von Silber.

Sie setzte sich zurück auf die Hacken. Was jetzt?

Jetzt wollte sie es zu Cullen bringen und hoffte inständig, dass er sich so weit von seiner Gehirnerschütterung geholt hatte, dass er schwarzes Feuer rufen konnte. Sie kam aus der Hocke hoch und blickte auf das, was einmal eine Wiese gewesen war

Die Tribüne war nur noch ein Haufen zerbrochener Bretter, hinter dem der Riesenbildschirm aufragte, der seltsamerweise unversehrt war. Davor kämpften ein Dutzend Wölfe.

Es waren alle, begriff sie, als sie sich umsah. Sie ballte die Hände zu Fäusten, als ihr Herz einen schmerzhaften Satz machte. Alle Wolf-Dämonen waren an dieser einen Stelle zusammengekommen. Wo aber war Rule?

Die Elementargeister kämpften miteinander.

Der Gigant hatte sich um den Kleinsten geschlungen wie eine riesige Boa constrictor. Keines der beiden Wesen gab einen Laut von sich, keinen stimmlichen Laut zumindest, doch man hörte das dumpfe Schaben von Stein an Stein. Und während der Gigant den kleinsten erdrückte, nahm der dritte Elementargeist den Schwanz des Giganten oder sein anderes Ende zwischen die Zähne und biss zu.

Stein knirschte.

»Oje«, flüsterte Deborah.

Erdgeister bewegen sich langsam. So hatte es Lily gelernt. Und der Gigant schien ganz besonders langsam zu sein. So viel Masse zu bewegen, war sicher nicht einfach, vor allem, wenn man nicht viel Übung mit diesem Körper hatte. Aber es stellte sich heraus, dass Elementargeister doch flink sein konnten wenn sie es wirklich wollten.

Die Schlingen um den Kleinsten lockerten sich, und der Kopf wenn es denn ein Kopf war löste sich hin und her peitschend so weit, dass er zu dem dritten Elementargeist vorschießen konnte wie eine angreifende Schlange. Sein Maul öffnete sich, immer weiter und weiter.

Ja, es war definitiv der Kopf, augenlos und blind. Doch nun erinnerte er nicht mehr an einen Regenwurm, denn der ganze Kopf wurde zu einem riesigen zahnbewehrten Schlund mit Zahnreihen wie denen eines Hais keine riesigen Zähne, nicht im Vergleich zur Größe des Mauls, aber sehr viele. Er packte den Kopf des andern Elementargeistes mit den Kiefern und biss zu.

Der gefangene Geist schüttelte sich. Sein Körper begann aufzureißen, wie ein Stein, auf den ein Hammer getroffen war. Risse, Spalten öffneten sich in ihm und dann plötzlich explodierte er zu Staub, der in einer staubigen Wolke in der Luft hing.

Zwanzig oder dreißig winzige, braun gekleidete Gestalten rannten mit fliegenden Beinchen aus der Staubwolke. Brownies waren erstaunlich schnell. »Lily, Lily«, rief der, der vornweg lief. »Rule ist verletzt! Cullen ist verletzt! Alle stecken in der Klemme! Hast du das böse Ding?«

»Ich ja!«, rief sie zurück. »Aber «

»Du musst es zerbrechen!«, schrie Harry. »Mach, dass es nicht ist! Du musst es jetzt tun!«

»Ich kann nicht Man braucht schwarzes Feuer, um «

»Nein!« Er schrie immer noch aus Leibeskräften, obwohl er mittlerweile vor ihr stand. »Gib es ihm! Schnell!«

Was sollte sie tun?

»Dem Großen!« Er zeigte auf den enormen Elementargeist, der zu überlegen schien, ob er seinen Angriff auf den anderen wiederholen sollte. Doch der ließ sich niedersinken. Zurück in die Erde. Langsam zwar, doch er trat den Rückzug an.

»Bist du verrückt? Du willst, dass ich eine riesige Menge Todesmagie an einen wütenden gigantischen Elementargeist verfüttere?«

Er rollte mit den Augen. »Dummerchen! Erde reinigt nicht so schnell wie Feuer, aber es reinigt. Beeil dich!«

Mit heiserer, gebrochener Stimme sagte Deborah: »Er ist so aufgebracht. Ich kann seine Wut richtig spüren er wird alles, jeden töten, das oder der sich ihm nähert.«

Lily hatte Rule versprochen, dass sie nicht sterben würde. Doch wenn sie Rule nur retten konnte, indem sie dieses Versprechen brach

»Schon gut. Du bist sowieso zu groß und zu langsam.«

»Ich He!«, rief sie.

Die Kette, die sie umklammert hielt, baumelte hin und her. Ohne das Amulett.

Und eine ganze Truppe Brownies rannte davon, direkt auf den gigantischen, wütenden Erdgeist zu.

»Lily?«, sagte Deborah. »Mit wem hast du gerade gesprochen?«

Lily drehte ungläubig den Kopf. »Hast du sie nicht gesehen?«

»Wen gesehen? Ich habe jemanden gehört, aber nichts gesehen.«

»Brownies«, sagte Lily beklommen, während sie sich wieder herumdrehte, um zuzusehen, wie die ängstlichen kleinen Brownies sich auf eine Kreatur von so riesigen Ausmaßen wie ein Fußballfeld stürzten. »Eine ganze Truppe Brownies.«

Sie stürmten geradewegs auf ihn zu. Er bemerkte sie augenscheinlich brauchte er dazu keine Augen und schwang den Kopf herum, riss die Kiefer auseinander und senkte den Kopf. Daraufhin teilten die Brownies sich in zwei Kolonnen auf, die beiderseits des riesigen Kopfes abdrehten und ihn erkletterten.

Der Kopf bäumte sich auf. Hoch und immer höher. Sie klammerten sich an ihm fest die Oberfläche war nicht glatt, überall waren Steine und Äste und gelegentlich auch Leichenteile, und sie waren alle klein und leicht. Sie kraxelten auf seinem Kopf herum und bildeten dann eine Kette, eine Leiter aus Brownies. Denjenigen ganz oben auf dem Kopf der Bestie gelang es irgendwie, sich festzumachen, sodass die anderen sich an Händen oder Füßen packen und herunterhängen lassen konnten, manche mit dem Kopf nach unten, manche mit den Füßen, doch alle fanden sich so schnell zusammen, als sei es Zauberei.

Vielleicht war es tatsächlich Zauberei von einer anderen Art. Eine, die Geschick erforderte, nicht Macht.

Schließlich kletterte ein Brownie die lebende Leiter herunter die direkt über dem Maul des riesigen Elementargeistes baumelte.

Das Maul öffnete sich weit und weiter, ein schrecklicher, klaffender Schlund. Der Elementargeist schüttelte einmal den Kopf, als würde er energisch nicken und die Kette aus Brownies schwang vor und dann wieder zurück. Direkt in sein Maul. Das sich wieder schloss doch noch im Schließen schossen die Brownies wieder heraus. Wieselflink und mit dem Mut der Verzweiflung schossen sie hervor, glitten heraus wie die Kerne einer Wassermelone und kletterten die steinigen Seiten der Glieder hinunter. Hinunter, hinunter

Der Elementargeist erstarrte.

»Oh«, murmelte Deborah. »Ohhh das schmeckte ekelhaft, aber jetzt ist er satt. Zufrieden.«

Brownies sind wahre Künstler, was die Flucht angeht, dachte Lily. Das hatte Rule gesagt. Für Brownies gab es nichts Größeres als eine gelungene Flucht und wie sie dieser Bestie entkommen waren, das war in der Tat spektakulär!

Langsam legte sich der Elementargeist nieder. Langsam, ja sogar anmutig, verlor die steinige Masse ihre Form, und Erdklumpen, Steine und Äste lockerten sich und fielen von ihm ab, als er in der Erde versank.

Dann war er verschwunden.

Lily blickte zum westlichen Ende der Rasenanlage, die einmal die National Mall gewesen war. Ein paar Grasflecken erinnerten noch daran, aber Menschen waren nicht mehr zu sehen. Sie waren alle geflohen oder tot.

Außer am anderen Ende. Dort, wo der Kampf nun beendet war.

Sie schauderte. Er war am Leben, sie wusste, dass er am Leben war, doch wie schwer war er wohl verletzt? Wie viele waren tot? Sie warf Deborah einen Blick zu und Scott, der noch immer reglos am Boden lag. »Kümmern Sie sich um ihn«, bat sie. Und rannte erneut los.