LII
Joe kratzte sich am Kopf und sah wieder auf seine Armbanduhr. Seltsam, daß sie noch nicht zurück waren.
Er konnte den Rinderbraten riechen. Das ganze Haus war voller appetitlicher Gerüche, die ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. Vielleicht hatte sie nicht gemerkt, wie spät es war. Cissy steigerte sich immer so rein, wenn sie runter nach Redall fuhr. Irgendwas war an dem Haus, das einen die Zeit vergessen ließ œ er hatte es auch schon gespürt. Aber wenn sie mit ihnen essen sollten, dann hätten sie doch eigentlich längst da sein müssen? Er schaute noch einmal auf die Uhr; es war nach drei. Der Braten würde noch anbrennen. Er warf einen Blick auf den Ofen und schüttelte den Kopf. Er sollte wohl besser runterfahren und nachsehen, was los war. Er griff sich einen Topflappen, zog die Klappe auf und holte den Braten heraus. Das Fleisch war trocken und um den Knochen zusammengeschrumpft, die Kartoffeln fast schwarz. Er schüttelte traurig den Kopf und stellte die Bleche mit dem Essen auf die Abstellplatte. Alles schon verdorben.
Draußen warf er einen Blick auf den Himmel. Es gab kaum noch Tageslicht, die Wolken waren schwarz und bedrohlich, der Wind er schnupperte wissend œ blies aus Norden. Das würde richtigen Schnee bringen; von der Art, wie sie ihn an dieser Küste seit vier Jahren nicht mehr gehabt hatten.
Nachdenklich zog er sich hinauf auf den Sitz des alten Land Rover, der neben der Scheune stand, und beugte sich nach vorn, um den Schlüssel umzudrehen.
Zuerst erkannte er nicht, was er sah; seine Augen weigerten sich einfach, sich ein Bild aus den Achsen, den Rädern, dem Auspuff zu machen, denn das war alles, was er von seinem Range Rover sehen konnte, der seitlich im Graben lag. Alles, was er durch den peitschenden Schneeregen im Licht der Scheinwerfer sehen konnte, war ein undefinierbares Etwas aus glänzendem Schlamm und Stahl. Dann aber war ihm plötzlich klar, was er da sah. Er bremste abrupt und geriet fast ins Schleudern; er richtete die Scheinwerfer auf das Wrack, hievte sich aus dem Fahrersitz und sprang hinunter in den Schlamm. »Cissy?« Lieber Gott, wo waren sie bloß? »Cissy, Liebes?« Er sprang hinunter in den Graben und kletterte rutschend um das Fahrzeug herum.
Der schwarze Umriß des Wracks lenkte den Strahl seiner Scheinwerfer ab, und es dauerte einen Moment, bevor sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, um Cissy sehen zu können, die im Lichtschatten an die Kühlerhaube gelehnt dasaß, die Augen geschlossen. Susie hatte sich nahe bei ihr niedergekauert, die Arme um die Knie, und schaukelte mit dem Oberkörper langsam hin und her.
»Susie?« rief Joe.
Das Mädchen hielt ihre Knie noch fester. »Sie ist tot.« Sie hielt den Kopf gesenkt. »Sie ist tot.« Tränen liefen ihr über das Gesicht.
Joe rutschte näher heran und kniete sich neben sie. Sein kantiges Gesicht war kreidebleich. »Nein. Nein, Baby, nein.« Er riß sich seine Handschuhe herunter, streckte die Hand aus, an Susie vorbei, und nahm zärtlich Cissys Handgelenk. Es war kalt. »Ciss? Ciss, mein Liebling? Komm schon.« Seine Finger waren rauh und aufgesprungen, für so etwas nicht zu gebrauchen. Hartnäckig befühlte er überall ihr Handgelenk und drückte die weiche kalte Haut, bis er plötzlich ein schwaches Flattern spürte.
»Nein, sie ist nicht tot, Sue.« Er zitterte genauso wie seine Tochter. »Fast, aber nicht ganz. Hilf mir, sie hochzuheben. Wir schaffen sie auf die Ladefläche des Land Rover.«
Er hob sie hoch, als hätte sie überhaupt kein Gewicht, und trug sie rutschend und schliddernd zurück auf den Weg. Die Ladefläche war voller alter Werkzeuge, Säcke und Stücke von Schnüren. »Spring rauf, Susie. Leg den Kopf deiner Mutter auf deinen Schoß. Mach‘s ihr bequem.«
Jetzt, da es etwas zu tun gab, war er so ruhig, daß es ansteckend wirkte. Susie tat, was er sagte, setzte sich auf den Boden und zog ein paar Säcke über den reglosen Körper ihrer Mutter.
Joe ging zurück zum Fahrersitz und zog sich hoch. Ein Blick auf den steilen, vereisten Weg, den er Minuten zuvor noch heruntergerutscht war, sagte ihm, daß sie es wahrscheinlich nicht wieder hoch schaffen würden. »Ich würde sagen, wir bringen sie runter nach Redall. Diana weiß bestimmt, was zu tun ist. Sie war früher Krankenschwester. Wenn ihr Telefon noch immer nicht funktioniert, fahre ich noch einmal los und hole einen Krankenwagen. Jetzt halt sie fest, Susie mein Liebling. Ihr seid schon fast da gewesen. Es sind nur noch ein paar hundert Meter nach Redall.«
Er weigerte sich, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß sie tot war. Er hatte ihren Pulsschlag gespürt. Er war sich dessen sicher. Behutsam ließ er die Kupplung kommen, lenkte mühsam den Land Rover zurück auf den Weg und fuhr hinunter zum Farmhaus.
Diana hatte sie kommen sehen, aber erst, als Joe hinter dem Lenkrad auftauchte, öffnete sie die Tür. »Joe? Gott sei Dank! Wo ist die Polizei? Ist sie unterwegs?«
»Die Polizei?« Joe schüttelte den Kopf, ganz mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt. »Ich habe sie noch nicht angerufen, den Notarzt auch nicht. Ich habe mir gedacht, ich lasse sie hier bei euch, und versuche, ob ich über einen Nebenweg zurückkomme. Da oben ist es einfach zu rutschig, sogar für dieses alte Mädchen.« Er gab dem Auto mit seiner knotigen Hand einen Klaps, als er nach hinten ging und Cissy vorsichtig heraushob.
»Cissy!« rief Diana. »Was fehlt ihr?« Hinter ihr war Roger müde herbeigekommen. Er sah ihr über die Schulter.
»Wir hatten einen Unfall mit dem Range Rover.« Susie kletterte von der Ladefläche. »Sie ist tot. Ich weiß, daß sie tot ist!« Sie brach wieder in Tränen aus.
»Bringt sie rein. Schnell.« Diana blickte hinaus in den dunklen Wald. Die Dämmerung kam früh. Der Himmel, aus dem federleichter Schnee fiel, hatte blaue Flecken. Der Wald war still.
»Leg sie auf das Sofa.« Sie starrte auf Cissys kreidebleiches Gesicht und griff dann, wie Joe vor ihr, nach ihrem Handgelenk. »Wo sind Paddy und Kate? Hast du sie nicht gesehen?«
Sie hatte mehr Erfahrung als Joe und fand den Puls fast sofort. Er war schwach, aber regelmäßig.
Hinter ihnen tauchte Greg aus dem Arbeitszimmer auf. Er schloß die Haustür und verriegelte sie. Die Kerzen im Wohnzimmer flackerten.
Greg, Roger, Susie und Joe standen um das Sofa und sahen hinunter auf die reglose Gestalt, die dort lag. Diana saß neben ihr, fuhr vorsichtig mit der Hand über sie und enthielt sich jeden Kommentars darüber, wie ungeschickt Joe seine Frau aus dem Range Rover gehoben hatte. Falls ihr Genick oder ihr Rücken verletzt sein sollten, war es zu spät, jetzt noch etwas zu sagen. Sie hatte Blutergüsse im Gesicht, die Lippe war aufgeplatzt œ hoffentlich kam das Blut von da. Weitere Blutergüsse waren auf Cissys Schultern und Rippen zu sehen, als Diana ihre Bluse öffnete.
»Joe, ich glaube, du fährst jetzt besser zurück und rufst einen Krankenwagen«, sagte Greg, während er die Hände seiner Mutter beobachtete. »Und wir brauchen die Polizei. Jemand hat Bill Norcross totgeschlagen.«
Joes Gesicht verzog sich vor Schrecken, aber noch immer wandte er den Blick nicht von seiner Frau ab. »Denkst du, er hat auch Cissy angegriffen?« Schließlich sah er Greg an. Vom Nacken aus breitete sich eine dunkle Röte über sein Gesicht.
»Nein, Dad«, antwortete Susie. »Wir sind ins Schleudern geraten. Da war ein Mann -« Sie hielt abrupt inne.
»Ein Mann.« Greg wandte sich ihr zu und sah ihr prüfend ins Gesicht.
»Was für ein Mann, Susie?« Joe packte sie und drehte sie herum, so daß sie ihm in die Augen sah. »Du hast bis jetzt nichts von einem Mann gesagt.«
»Er… er tauchte plötzlich vor uns auf.« Susie fing wieder an zu weinen. »Mummy ist voll auf die Bremse gestiegen, und wir sind ins Schleudern gekommen. Ich habe mir den Kopf am Fenster angeschlagen.«
»Wie sah er aus, Susie?« Greg ließ seine Stimme freundlich klingen.
»Er hatte einen langen Umhang oder sowas an. Ein Schwert…«
»Ein Schwert!« unterbrach Joe ungläubig, während Greg und Diana sich nur ansahen.
»Und ihr habt keine Spur von Kate und Patrick gesehen?« Diana befühlte Cissys Beine. Wenigstens war nichts gebrochen.
»Nein.« Susie schüttelte den Kopf.
»Sie haben ein Gewehr«, warf Greg ein.
»Ich glaube, ich habe einen Gewehrschuß gehört.« Susie riß sich von ihrem Vater los und kniete sich neben ihre Mutter. »Gleich nach dem Unfall gab es einen lauten Knall.«
Diana schloß kurz die Augen. Irgendwie gelang es ihr, die Hände ruhig zu halten, als sie die Decke nahm, die Greg ihr reichte, und sie über Cissys reglose Gestalt legte. Als sie aufstand, wandte sie sich an Joe. »Du mußt Hilfe holen, Joe. Wir kümmern uns um sie, so gut es geht, aber sie braucht einen Arzt. Ich glaube, sie hat nur ein paar Blutergüsse, aber sie könnte auch eine Gehirnerschütterung haben. Sie muß unbedingt geröntgt werden.«
»Aber sie wird wieder gesund werden?« Joe sah sie hilflos an.
»Das hoffe ich.« Diana lächelte ihn beruhigend an und legte ihm die Hand auf den Arm. »Susie kann hierbleiben; ich kümmere mich um die beiden, Joe, versprochen.«
Er nickte. Einen Moment lang zögerte er unsicher, dann wandte er sich unbeholfen ab.
Greg humpelte hinter ihm her. In der Diele sprach er leise und eindringlich zu ihm. »Joe, da draußen läuft ein Irrer rum. Sei um Gottes willen vorsichtig. Paddy und Kate haben sich vor Stunden zu euch auf den Weg gemacht, um zu telefonieren. Halt die Augen auch nach ihnen offen, und sag der Polizei, was passiert ist.«
Joe nickte kurz. Er streckte die Hand aus, um die Tür zu öffnen. »Paß gut auf alle auf.«
»Das mache ich, keine Sorge.« Die Verbissenheit in Gregs Stimme war beruhigend.
Auf der Stufe nach draußen blieb Joe kurz stehen. Die Welt war völlig still, in wirbelnden Schnee gehüllt. Einen Moment lang zögerte er. Nur ungern überquerte er die paar Meter weißen Bodens bis zu seinem Land Rover. Dann schüttelte er den Kopf und ging mit großen Schritten vorwärts, während er hörte, wie Greg hinter ihm die Tür verriegelte.
Er ging hinten um den Wagen herum und streckte den Arm über die offene Ladeklappe nach seinem Gewehr aus, dessen Halterung an den Rahmen des Fahrzeugs geschraubt war. Mit einem Ruck nahm er das Gewehr aus der Halterung, dann schob er den Deckel einer Kiste zurück, die neben dem Notsitz stand. Die Patronen waren noch da; er hatte sie nach der letzten Jagd in der Kiste gelassen. Wegen solch einer Nachlässigkeit konnte er den Jagdschein verlieren, aber es wußte ja keiner. Fast hätte er sie geküßt, als er die Patronen in seine ausgebeulte Jackentasche steckte und hinter das Lenkrad kletterte. Er legte das Gewehr neben sich auf den Sitz und griff nach dem Schlüssel, den er im Schloß steckengelassen hatte, die Augen auf der Windschutzscheibe, die dicht mit Schnee bedeckt war.
Der Motor sprang nicht an.
Er drehte den Schlüssel wieder und wieder in der Zündung, ohne Erfolg. Hinter ihm ging die Tür zum Haus wieder auf. Greg hatte ihn vom Fenster des Arbeitszimmers aus beobachtet. »Was ist los?« Der Schnee dämpfte seine Stimme.
»Die verfluchte Batterie. Warte, ich versuch‘s mit der Anlasserkurbel.« Er stieg aus, froh, daß noch jemand da war. Das Schweigen des Waldes wurde immer bedrückender.
Das Metall fühlte sich sogar durch die Handschuhe kalt an, als er die Kurbel in das Loch steckte und sie herumwarf. Der Motor sprang noch immer nicht an. »Verdammtes, blödes Ding!« Er versuchte es noch einmal und spürte, wie ihm auf der Stirn der Schweiß ausbrach.
Hinter ihm musterte Greg die Bäume. Er fühlte ein Prickeln der Angst auf der Haut. Irgendwer œ oder irgend etwas œ beobachtete sie. Er war sich ganz sicher. »Joe«, sagte er leise. »Joe, nimm das Gewehr und komm ins Haus.«
»Ich versuch‘s nur noch einmal.«
»Nein, Joe. Laß es. Nimm dein Gewehr und komm rein.«
In Gregs Stimme lag eine Dringlichkeit, die Joe abrupt einhalten ließ. Er richtete sich auf. Jetzt konnte auch er es fühlen. Eine Panik baute sich auf, die langsam über ihn kroch. Er ließ die Kurbel, wo sie war, holte das Gewehr aus dem Wagen, drehte sich um und lief, so schnell er konnte, zum Haus zurück. Greg warf hinter ihm die Tür zu und schob rasch den Riegel vor. Einen Moment lang standen die beiden Männer in der kleinen Diele und horchten. Von draußen kam kein Ton. »Glaubst du, er ist da draußen?« flüsterte Joe.
Greg nickte.
»Hast du ihn gesehen?«
»Kate und ich haben ihn unten am Strand gesehen.«
»Und Norcross ist tot?« Es schien gerade erst bei ihm angekommen zu sein. »Bist du sicher?«
»Ganz sicher.« Gregs Stimme ließ keinen Raum für irgendeinen Zweifel. »Was zum Teufel machen wir jetzt, Joe? Wir brauchen unbedingt Hilfe.«
»Ich könnte euren Wagen nehmen. Ich denke mal, der alte Volvo hätte eine ganz gute Chance, den Seitenweg raufzukommen.«
Greg schüttelte den Kopf. »Unser alter Volvo ist draußen im Watt, Joe. Frag mich nicht, wie er da hingekommen ist. Und den Land Rover haben wir an einen Baum gefahren.«
Joe starrte ihn an. »Du meinst, es gibt kein Auto, das funktioniert? Gar keins?«
»Und kein Telefon.«
Die beiden Männer starrten sich an. »Und du glaubst, er war es. Er ist schuld an Cissys Unfall.«
»Und an dem von Kate. Außerdem hat er versucht, mich am Strand umzubringen.« Greg hielt inne. »Warte, Joe. Gerade fällt mir etwas ein. Kates kleines Auto. Der Peugeot. Er ist in der Scheune. Ich weiß nicht, ob er es den Weg rauf schaffen würde, aber einen Versuch ist es wert.«
»Also dann.« Joe vergrub seine Hand in der Tasche und holte zwei Patronen hervor. »Ich stecke ein paar von denen ins Rohr, dann probieren wir‘s. Ist die Scheune offen?«
Greg zuckte mit den Schultern. Er suchte in der Tischschublade und holte zwei Schlüssel an einem großen Ring hervor. Er drückte sie Joe in die Hand. »Ich komme mit. Warte einen Moment, ich hole meine Stiefel.«
»Nein.« Joe schüttelte den Kopf. »Ich schätze, allem bin ich schneller. Du kümmerst dich um deinen Dad und die Frauen.«
»Ich weiß nicht, ob sie den Schlüssel steckengelassen hat.«
»Wenn nicht, schlage ich das Fenster ein und schließe ihn kurz. Ich bin sicher, sie verzeiht mir; schließlich ist es ein Notfall. Meine Cissy braucht einen Arzt.«
Greg entriegelte wieder die Tür und öffnete sie. Es wurde langsam finster. Die Schatten der Bäume bildeten einen starken Kontrast zum strahlenden Weiß des Rasens. Irgendwo ein Stück entfernt stieß ein Fasan seinen manischen Warnschrei aus. Joe umklammerte sein Gewehr fester. Er bedeutete Greg mit erhobenem Daumen, daß alles gutgehen werde, dann drehte er sich um und rannte auf die schwarze Scheune zu.
Das Vorhängeschloß hing offen vom Schließring herab. Joe starrte es mit einem unguten Gefühl an. Vorsichtig zog er die Tür ein Stück weit auf. In der Scheune war ein seltsamer Geruch. Er sog die Luft ein. Es roch nach Benzin, und noch nach etwas anderem wie Kordit. Und da war Rauch. Er hatte kaum die Zeit, einen halben Schritt zurückzutreten, da brach ein Feuerball aus gelber und goldener Hitze aus Kates Wagen heraus und warf ihn zurück in den Garten.
»Gott im Himmel!« Greg hatte noch keine Zeit gehabt, die Tür zu schließen, als er sah, wie Joes Körper mit dem Rücken zuerst vom Tor der Scheune zurückgeschleudert wurde. Feuer und Rauch drangen bereits durch das Scheunendach, Funken sprangen in die Luft und verloren sich im Schnee.
»Greg? Was ist los? Was ist passiert?« Diana lief zu ihm, gefolgt von Susie. Roger blieb einen Moment lang reglos stehen, die Augen geschlossen, dann schleppte er sich langsam hinter ihnen zur Tür.
»Daddy!« Susie ließ auf ihren hysterischen Schrei ein lautes Schluchzen folgen, als sie sah, daß die Gestalt auf dem Gras begann, zu ihnen zu kriechen.
»Ich helfe ihm.« Diana schob sich an Greg vorbei. Nach Sekunden kniete sie neben ihm.
»Mir fehlt nichts. Mir fehlt nichts. Bin nur ein bißchen durchgeschüttelt.« Joe hustete heftig, seine Augen waren voller Tränen. »Such das Gewehr. Schnell. Such das verdammte Gewehr. Und paß auf, es ist geladen.« Er stand auf und begann, zum Haus zu wanken.
Greg, zur Untätigkeit verdammt, sah voller Qual, wie seine Mutter auf das lichterloh brennende Gebäude zulief. »Hol mir meinen Stock«, brüllte er Susie an. »Schnell! Hol mir meinen Stock!«
Er riß ihn ihr aus der Hand und war schon dabei, zu Diana zu humpeln, als er sie gebückt im Rauch verschwinden und gleich darauf wieder auftauchen sah, das Gewehr unter dem Arm.
Roger schob sich an seinem Sohn vorbei und lief hinaus in den Schnee. »Di -«
»Schnell rein, Joe.« Greg stieß ihn ins Haus und humpelte hinter seinem Vater her, die Augen auf die Scheune gerichtet. Rauch drang überall durch das Dach; eine Reihe kleiner Explosionen erschütterte das Gebäude. Diana lief keuchend zu ihnen. Einen Moment lang standen sie alle da und blickten auf das Feuer, dann nahm Greg seine Mutter am Arm und zog sie weg. »Schnell, zurück ins Haus.«
»O Greg.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Todunglücklich ging sie zu Roger, der den Arm um sie legte und sie zurück zum Haus brachte.
Greg setzte in seiner Ungeduld ein paar Schritte lang den Fuß auf. Der Schmerz schnitt durch ihn hindurch wie ein Messer. »Gott sei Dank weht wenigstens der Wind in die andere Richtung, weg vom Haus; und der Schnee löscht bestimmt die Funken. Aber die Scheune sind wir los, Dad. Nichts mehr zu machen.«
Sie blieben einen Moment lang im Hauseingang stehen und sahen voller Verzweiflung zu, wie die ersten Flammen durch die schwarzen Bretter züngelten. Dianas Augen füllten sich mit Tränen. »Ich habe diese Scheune geliebt. Sie war wunderschön. Und meine Rosen! Meine armen Rosen. Sie werden verbrennen.«
»Ich nehme an, den Wurzeln wird nichts passieren.« Roger versuchte, beruhigend zu klingen. Er zog sie behutsam ins Haus und schloß die Tür. »Komm, setz dich zu Joe. Greg, schaffst du es, uns allen einen Brandy zu holen?«
»Bist du verletzt, Joe?« Diana versuchte, nicht an ihre kostbaren Pflanzen und die Vögel zu denken, die in der Dämmerung immer zum Schlafen in die Scheune kamen, und wandte sich Joe zu. Sie sah die schwarzen Flecken in seinem Gesicht prüfend an.
Er schüttelte den Kopf. »Nur verdammt geschockt.« Er klang eher wütend als irgend etwas anderes. »Was für ein Scheißkerl macht sowas? Das war eine richtige Todesfalle!« Er warf sich auf einen Sessel. »Ich schätze, den Brandy kann ich vertragen. Danke, Greg.« Er sah Cissy an. »Wie geht‘s ihr?«
»Unverändert.« Diana setzte sich neben sie und legte die Hand auf Cissys Stirn. Ihr pochte das Herz in den Ohren von dem Schock über das, was geschehen war. Sie glitt mit den Fingern nach unten, um hinter Cissys Ohr den Puls zu fühlen. Er war jetzt stärker und regelmäßiger.
Sie hob den Kopf und sah, daß Greg mit einem Glas in der Hand hinter ihr stand.
Sie griff danach. »So. Und wie geht‘s jetzt weiter?«
»Ich gehe zu Fuß. So geht‘s weiter.« Joe goß seinen Brandy in einem Zug hinunter und hielt Greg das leere Glas wieder hin. »Kein verfluchter Mörder macht das mit mir und kommt dann auch noch davon.«
»In der Dunkelheit kannst du nicht gehen, Joe.« Greg warf einen Blick aus dem Fenster. »Das wäre Wahnsinn. Kate und Paddy haben mittlerweile sicher euer Haus erreicht. Wenn sie nicht reinkommen, versuchen sie bestimmt, zu den Headleys oder zur Heath-Farm zu kommen. Auf jeden Fall können sie viel schneller Hilfe holen als du.«
»Und wenn sie‘s nicht geschafft haben?« Joes Frage war auf brutale Weise direkt. »Was, wenn er sie erwischt hat?«
»Er hat sie nicht erwischt, Joe.« Greg sah seine Mutter an. »Paddy hat ein Gewehr. Und er hätte keine Angst, es zu gebrauchen.«
Sein Blick wanderte nachdenklich hinüber zu Sue. Sie hatte gesagt, sie habe einen Schuß gehört. Aber Geister kann man nicht erschießen. Ein Gewehr würde gegen Marcus nichts ausrichten. Nicht das Geringste.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sah Diana ihn an.
»Ein Geist könnte nicht die Scheune anzünden, Greg. Oder mit dem Volvo fahren. Das muß ein Mann aus Fleisch und Blut gewesen sein.«
»Ein Geist?« Joe starrte sie an. »Was hat ein verdammter Geist mit all dem zu tun? Wollt ihr mir erzählen, daß ein verdammter Geist meine Frau von der Straße gedrängt hat?«
»Ich weiß nicht, was wir dir erzählen sollen, Joe. Ich weiß es einfach nicht.« Greg war bleich vor Hilflosigkeit. Er warf sich wieder in den Sessel. »Mein Gott, wenn ich nur gehen könnte! Wo sind bloß Kate und Paddy?«