XXXVIII

»Bill?« Kates Flüstern klang seltsam laut in der Stille des Zimmers. »Bill, schläfst du?« Er lag auf der Seite, unter der Decke zusammengekauert, in die sie ihn eingewickelt hatte, den Kopf auf dem Kissen, das sie aus ihrem Bett heruntergebracht hatte. Eine der Platzwunden an seiner Schläfe hatte sich wieder geöffnet, und sie sah, wie das schwarze Blut, das durch den Verband drang, langsam auf den geblümten Kissenbezug tröpfelte und den ineinandergeschlungenen Korn- und Mohnblumen eine ekelerregende Verzierung hinzufügte, die im Licht der Lampe ölig glänzte. »Bill?« Sie kniete an seiner Seite nieder. Sein Schlaf machte ihr Angst. Er war zu tief und zu plötzlich, und sie wußte nicht, was sie tun sollte.

Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war sieben Uhr. Zwei Stunden, seit sie die Redall-Farm verlassen hatten, vielleicht eineinhalb Stunden, seit sie zum Cottage gekommen waren. Wo blieb Greg? Sie starrte hoch zu den Vorhängen vor dem Fenster und horchte angestrengt. Das Cottage war erfüllt von den Geräuschen des Windes und des Meers. Die Wände schienen unter ihrem gemeinsamen Angriff zu vibrieren. Wie in Tropfen wirbelte der Luftzug über den Boden, bewegte die Vorhänge, ließ die Flammen im Ofen auflodern, trieb sein Spiel mit den Fransen eines der Kissen auf dem Sessel.

Sie nahm Bills Hand, streichelte sie zärtlich, entsetzt über die eisige Kälte. Sie legte die Finger um sein Handgelenk und fühlte seinen Puls. Sie glaubte, etwas spüren zu können, aber er war furchtbar schwach, kaum ein Flattern unter ihren frostigen Fingern. Weil sie zuviel Angst hatte, ihn weiter zu berühren, schob sie seine Hand unter die Decke und stand auf. Der Stein, den sie für Alison hereingeholt hatte, lag noch an der Feuerstelle. Nachdem sie ihn auf den Ofen gewuchtet hatte, öffnete sie die Türen und legte noch ein Scheit auf. Dann ging sie zu ihrem Kassettenrecorder. Das Requiem steckte noch im Gerät. Als die Musik den Raum erfüllte, warf sie einen Blick zurück auf Bill.

Es war lange her, seit sie zuletzt gebetet hatte. Sie hatte es nicht mehr getan, seit sie als kleines Kind neben dem Bett gekniet hatte, die Hände ordentlich und inbrünstig unter dem Kinn gefaltet; um ein Pony hatte sie damals gebetet. Sie hatte es nie bekommen, und ihr Glaube, der für kurze Zeit in ihrem Inneren entflammt war, war enttäuscht zusammengeschrumpft und abgestorben. Sie war nicht sicher, ob sie noch wußte, wie man betete. Vater unser, der du bist im Himmel, rette Bill. Bitte, rette ihn und beschütze uns. Erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich. Sie ließ die Augen offen, ließ den Blick durch das Zimmer wandern, wollte, daß die Musik sie beruhigte und tröstete. Hinter ihr, auf dem Fensterbrett, war die Wasserpfütze auf ihrer Seite des Rahmens größer geworden. Ein Tropfen fiel von der Kante auf den Boden. Und noch einer.

Das Pie Jesu war zu Ende. Das Zimmer versank in Schweigen, das nur durch das scharfe Klicken unterbrochen wurde, als der Recorder sich abschaltete. Sogar der Wind schien sich vorübergehend gelegt zu haben. Eine Weile blieb Kate reglos sitzen, dann stand sie auf. Sie nahm das Handtuch, das sie aus dem Badezimmer geholt hatte, und wickelte es um den heißen Stein. »Bill?« flüsterte sie. »Bill? Schläfst du?« Das schwere heiße Bündel umklammernd, schaute sie auf ihn hinunter. Seinem bleichen, total gelassenen Gesicht nach war er weit weg. Die Wunde an seiner Schläfe hatte jetzt zu bluten aufgehört. Sie konnte sehen, wo das Blut zu einer getrockneten Kruste auf seiner Haut geronnen war. »Bill, ich lege dir das an die Füße. Das hilft dir, dich warm zu halten.« Aber es ging nicht. Seine Füße hingen über den Rand des Sofas herunter. Sie hob die Decke hoch und schob den mit einem Handtuch umwickelten Stein auf Höhe der Knie unter seine Beine. Seine Hose war feucht. Vielleicht sollte sie versuchen, sie ihm auszuziehen. Dann begriff sie, was passiert war. Er hatte uriniert. Sie schloß die Augen und deckte ihn wieder zu.

Sie hatte vorher noch nie versucht, an jemandes Hals den Puls zu finden, aber sie erwartete auch nicht, ihn zu finden. Die völlige Leere im Zimmer sagte ihr, daß er tot war. Sie wandte sich ab, setzte sich vor das Feuer und verschränkte die Arme vor den Knien. Die Tränen strömten ihr über die Wangen.