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Paul Laska hätte diesen wunderschönen französischen Landsitz aus dem 19. Jahrhundert viel lieber im Sommer besucht. Der Swimmingpool war vorzüglich, das Anwesen verfügte über einen eigenen privaten Badestrand, und überall auf diesem riesigen ummauerten Gelände gab es herrliche Sitzgelegenheiten unter freiem Himmel, auf denen man sich ausruhen, dinieren oder einen Cocktail schlürfen konnte, während man den Sonnenuntergang genoss.
Aber jetzt war es Ende Oktober. Zwar war es im Allgemeinen noch ganz angenehm, aber im rückwärtigen Garten herrschten immerhin schon Nachmittagstemperaturen von fünfzehn Grad. Am Abend konnten sie bis auf unter zehn Grad absinken. Für einen Siebzigjährigen war das jedenfalls viel zu frisch, ganz zu schweigen von dem Pool und dem Mittelmeer, die beide schon eiskalt waren.
Aber Laska hatte sowieso keine Zeit für derartige Freizeitvergnügen. Er hatte eine Mission.
Saint-Aygulf war ein reizvolles Küstenstädtchen, das unmittelbar südlich der Stadt Fréjus lag. Ihm fehlten zwar der Trubel und die Menschenmassen von Saint-Tropez, es war jedoch genauso schön wie der berühmtere Hafenort in seiner weiteren Nachbarschaft. Tatsächlich verschaffte einem die wunderbare Villa zwischen Bergen und Strand einen Vorgeschmack aufs Paradies.
Dabei war das Anwesen nicht einmal Laskas Eigentum. Es gehörte einem berühmten Hollywoodschauspieler, der seine Zeit zwischen der Westküste der Vereinigten Staaten und der Côte d’Azur aufteilte. Der Anruf eines Laska-Mitarbeiters im Büro des Schauspielers hatte genügt, um die Villa dem Milliardär für eine Woche zur Verfügung zu stellen. Dabei gedachte Paul, weniger als einen Tag hierzubleiben.
Kurz nach einundzwanzig Uhr trat ein korpulenter Mittfünfziger durch eine Glasschiebetür aus der Bibliothek in den hinteren Patio hinaus. Er trug einen blauen Blazer mit einem offenen Kragen, der seinen dicken Hals zeigte. Er war heute aus Cannes heraufgekommen und bewegte sich wie ein Mann, der sich seines Werts bewusst war.
Laska stand von seinem Stuhl am Pool auf und ging dem Ankömmling entgegen.
»Wie schön, Sie einmal wiederzusehen, Paul.«
»Ganz meinerseits, Fabrice. Sie sehen gesund aus.«
»Und Sie sehen aus, als ob Sie da drüben in Amerika viel zu viel arbeiten würden. Ich habe schon immer gesagt: ›Kommen Sie nach Südfrankreich und Sie werden ewig leben.‹«
»Kann ich Ihnen vor dem Dinner einen Cognac einschenken?«
»Merci.«
Laska ging zu einem Rollwagen hinüber, der neben seinem Tisch am Pool stand. Die beiden Männer redeten über die wunderschöne Villa und die wunderschöne Freundin des Besitzers, dieses Schauspielers, während der tschechische Milliardär in zwei Schwenker Cognac goss und einen von ihnen seinem Gast reichte. Fabrice Bertrand-Morel nahm einen Schluck und nickte anerkennend.
Laska gab dem Franzosen ein Zeichen, sich neben ihn an den Tisch zu setzen.
»Sie sind wie immer ein perfekter Gentleman, mein lieber Paul.«
Laska nickte mit einem Lächeln, während er die Unterseite seines Schwenkers mit der Hand wärmte.
Dann beendete Bertrand-Morel den Gedanken: »Deswegen habe ich mich umso mehr gewundert, warum Sie es Ihren Leibwächtern gestattet haben, mich nach einer Wanze abzusuchen. Ich fand das etwas zu intim.«
Der ältere Mann zuckte die Achseln. »Israelis«, sagte er, als ob das irgendwie die Körpervisitation erklären würde, die gerade im Innern des Hauses stattgefunden hatte.
Bertrand-Morel ließ es dabei bewenden. Er hielt seinen Cognacschwenker über die offene Flamme eines Teelichts auf dem Tisch, um ihn etwas anzuwärmen. »Also, Paul. Ich freue mich immer, Sie zu sehen, selbst wenn das bedeutet, dass ich meinen Gürtel öffnen und mein Hemd heben muss. Unsere letzte Begegnung ist schon so lange her. Ich frage mich jedoch, was für Sie so wichtig sein könnte, dass wir uns hier auf diese Weise treffen.«
»Hat das nicht bis nach dem Abendessen Zeit?«
»Lassen Sie es uns jetzt erledigen. Wenn es wirklich so wichtig ist, kann das Dinner noch etwas warten.«
Laska lächelte. »Fabrice, ich kenne Sie als einen Mann, der einem in den delikatesten Angelegenheiten gute Hilfe leisten kann.«
»Ich stehe Ihnen stets zu Diensten.«
»Ich nehme an, Sie wissen von der John-Clark-Sache, die im Moment die amerikanischen Nachrichten beherrscht?« Laska ließ die Aussage wie eine Frage klingen, aber er hatte keinerlei Zweifel, dass der französische Nachrichtenhändler bereits alles über diese Angelegenheit wusste.
»Oui, l’affaire Clark. Jack Ryans persönlicher Killer, wie ihn die französischen Zeitungen nennen.«
»Es ist tatsächlich ein solch schwerer Skandal. Ich möchte, dass Sie und Ihre Detektive Mr. Clark finden.«
Fabrice Bertrand-Morels Augenbrauen gingen ganz leicht nach oben, und er nippte an seinem Getränk. »Ich verstehe, warum man gerade mich fragt, denn ich habe in der ganzen Welt meine Leute und viele Verbindungen. Ich verstehe jedoch nicht, warum gerade Sie mich das bitten. Was haben Sie damit zu tun?«
Laska schaute auf die Bucht hinaus. »Ich bin ein besorgter, engagierter Bürger.«
Bertrand-Morel musste kichern. Sein dicker Bauch hüpfte auf und ab, als er das tat. »Entschuldigen Sie, Paul. Ich muss schon etwas mehr wissen, um diese Operation zu übernehmen.«
»Also gut, Fabrice«, antwortete Laska und wandte sich seinem Gast zu. »Ich bin ein besorgter Bürger, der dafür sorgen wird, dass man Ihrer Organisation jede von Ihnen gewünschte Summe zahlt, wenn Sie Mr. Clark fassen und in die Vereinigten Staaten zurückbringen.«
»Wir können das natürlich tun; ich weiß allerdings, dass die CIA gegenwärtig an derselben Operation arbeitet. Es wäre deshalb möglich, dass man sich gegenseitig auf die Füße tritt.«
»Die CIA möchte den Mann gar nicht fangen. Sie werden einem hoch motivierten Detektiv wie Ihnen bestimmt nicht in die Quere kommen.«
»Machen Sie das, um Ed Kealty zu helfen?«
Der Ältere nickte, während er an seinem Cognac nippte.
»Jetzt verstehe ich auch, warum sich Präsident Kealtys Leute in dieser Angelegenheit nicht an mich gewandt haben.« Der Franzose wiegte den Kopf. »Gehe ich recht in der Annahme, dass er über Informationen verfügt, die für den Kandidaten Ryan peinlich wären?«
»John Clarks pure Existenz ist für den Kandidaten Ryan peinlich. Aber solange wir ihn nicht zu fassen kriegen und in den Nachrichten nicht die Bilder zeigen können, wie er in eine Polizeiwache geschleppt wird, bleibt der Mann eine fesselnde, geheimnisvolle Figur. Wir brauchen ihn jedoch nicht als geheimnisvolle Figur. Wir brauchen ihn als Gefangenen. Als Kriminellen.«
»›Wir‹, Paul?«
»Ich spreche als Amerikaner und Verfechter des Rechtsstaats.«
»Aber ja, natürlich tun Sie das, mon ami. Ich werde sofort damit anfangen, diesen Mr. Clark für Sie aufzutreiben. Ich nehme an, dass Sie die Rechnung begleichen? Und nicht der amerikanische Steuerzahler?«
»Sie nennen mir Ihre Zahlen und bekommen das Geld dann von meiner Stiftung. Wir brauchen keine offizielle Rechnung.«
»Pas de problème. Sie genießen bei mir immer Kredit.«