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Trotz der starken ägyptischen Mittagshitze wimmelte es in Kairos Khan-el-Khalili-Basar nur so von Menschen, die ein gutes Mittagessen einnehmen wollten oder auf der Suche nach einem Schnäppchen waren. Garköche grillten ihre Fleischstücke, deren schweres Aroma die ganze Luft erfüllte. Er mischte sich mit dem Duft nach gebrannten Bohnen aus den Kaffeehäusern und dem Rauch der Wasserpfeifen, die durch die engen gewundenen Durchgänge zogen, ein wahres Labyrinth aus Läden und Verkaufsbuden. Inmitten der Straßen, Gassen und engen überdachten Passagen des Basars, der sich über einen Großteil der Altstadt erstreckte, standen ehrwürdige Moscheen und die Treppenhäuser und Sandsteinmauern uralter Gebäude.

Diesen Suk gab es bereits im 14. Jahrhundert, und zwar als Karawanserei, als weiter, offener Hof, in dem die Karawanen auf ihrem Weg auf der Seidenstraße die Nacht verbringen konnten und ihre Führer eine Herberge fanden. Jetzt vermischten sich auf diesem Markt das Uralte und das Hochmoderne auf fast schwindelerregende Weise. Mitten in den engen Durchgängen feilschten Kaufleute in der landestypischen Galabija, der uralten ägyptischen Männerkleidung, während daneben andere Ladeninhaber in Jeans und T-Shirts auf Kundschaft warteten. Die blechernen Rhythmen der traditionellen ägyptischen Musik schallten aus den Kaffeehäusern und vermengten sich mit dem Techno aus den Ladengeschäften der Stereo-und Computerverkäufer. Zusammen bildeten sie eine Melodie, die dem Summen von Insekten geglichen hätte, wenn es da nicht die getöpferten und mit Ziegenhaut bespannten Handtrommeln und die synthetischen Backbeats aus den Lautsprechern gegeben hätte.

Händler verkauften alles, von handgefertigten Silber-und Kupferwaren, Schmuck und Teppichen bis zu Fliegenpapier, Gummisandalen und »I § Egypt«-T-Shirts.

Durch die Passagen und Gänge drängte sich ein buntes Völkergemisch aus Schwarzen und Weißen, Arabern, Westlern und Asiaten. Mitten unter ihnen eine Gruppe von drei nahöstlich aussehenden Männern: ein beleibter Silberhaariger, flankiert von zwei jüngeren muskulösen Kerlen. Ihr Schritt war gemächlich und entspannt. Sie fielen eigentlich nicht besonders auf, aber jeder auf diesem Basar, der sie länger beobachtete, würde sicherlich bemerken, dass im Gegensatz zu den anderen Marktbesuchern ihre Augen ständig nach links und rechts wanderten. Gelegentlich schaute einer der jüngeren Männer beim Gehen über die Schulter nach hinten.

Auch in diesem Moment drehte sich der rechts gehende Mann blitzschnell um und musterte die Menge in dem Gässchen hinter ihnen genau. Er nahm sich die Zeit, die Gesichter, Hände und anderen Eigenheiten von jedem, den er dort sah, genau zu überprüfen. Dann drehte er sich wieder nach vorne und schloss zu den beiden anderen auf.

»Nur drei gute Kumpel auf einem Mittagsspaziergang.« Der Funkspruch ertönte aus einem kleinen, fast unsichtbaren Ohrhörer, der im rechten Ohr eines Mannes verborgen war, der sich gerade fünfundzwanzig Meter hinter der Dreiergruppe aufhielt. Es handelte sich um einen Westler in schmutzigen Bluejeans und einem weiten blauen Leinenhemd, der vor einem Restaurant stand und so tat, als ob er die handgeschriebene französische Speisekarte auf dessen Tür lesen würde. Es war ein etwa dreißig Jahre alter Amerikaner mit kurzen dunklen Haaren und einem struppigen Bart. Als er den Funkspruch hörte, drehte er den Kopf von der Speisekarte weg und schaute an den drei Männern vor ihm vorbei in einen staubigen Bogengang hinein, der vom Suk wegführte. Dort lehnte sich ein Mann so tief in dessen kühlen Schatten an eine Sandsteinwand, dass nur seine dunklen Umrisse zu sehen waren.

Der junge Amerikaner hielt sich den Ärmelaufschlag seines Hemds vor den Mund, als ob er eine lästige Fliege vom Gesicht wischen wollte. Tatsächlich sprach er in ein verborgenes Mikrofon hinein. »Du sagst es. Gottverdammte Stützen der Gesellschaft.«

Der Mann im Schatten löste sich jetzt von der Wand und trat auf die Gasse hinaus. Er ließ die Dreiergruppe an sich vorbeigehen und folgte ihr dann ganz langsam nach. Beim Gehen hielt er sich seinerseits die Hand vors Gesicht. Der Amerikaner im blauen Leinenhemd hörte jetzt in seinem Ohrhörer den folgenden Funkspruch: »Okay, Dom, ich bleibe an ihnen dran. Du wechselst zur Nachbarstraße hinüber, überholst die Zielperson und rückst zum nächsten festgelegten Zielpunkt vor. Ich melde mich, wenn er zwischendrin anhalten sollte.«

»Er gehört dir, Sam«, sagte Dominic Caruso, als er nach links abbog und die Gasse durch einen seitlichen Durchgang verließ, der auf die größere Al-Badistand Road führte. Hier wandte er sich nach rechts und drängte sich, so schnell es ging, durch die Fußgänger, Fahrräder und Motor-Rikschas hindurch. Er musste unbedingt vor die Zielperson gelangen.

Dominic Caruso war jung, fit und besaß eine verhältnismäßig dunkle Gesichtsfarbe. Diese drei Eigenschaften hatten ihm in den letzten Tagen bei der Überwachungsoperation hier in Kairo sehr genützt. Durch seine Haut-und Haarfarbe fiel er in einer Bevölkerung nicht weiter auf, die vorwiegend dunkelhaarig war und einen olivfarbenen Teint aufwies. Seine Fitness und relative Jugendlichkeit war vor allem deswegen hilfreich, weil das Subjekt ihrer Überwachung etwas war, was man in Dominic Carusos Metier als »hartes« oder »wehrhaftes Ziel« bezeichnete. Mustafa el-Daboussi, der silberhaarige Achtundfünfzigjährige mit seinen beiden muskelstrotzenden Leibwächtern, war der Grund, weswegen Dom in Kairo war, und Mustafa el-Daboussi war ein Terrorist.

Man musste Dominic nicht erst daran erinnern, dass Terroristen nur selten achtundfünfzig Jahre auf dieser Erde verweilten, wenn sie nicht ständig vor möglichen Verfolgern auf der Hut waren. El-Daboussi war gewieft darin, sich allen Arten von Überwachung zu entziehen, er kannte dieses Straßengewirr wie seine Westentasche, und er hatte hier in der Regierung, der Polizei und den Geheimdiensten gute Freunde.

Er war wirklich ein äußerst »hartes« Ziel.

Caruso war jedoch seinerseits auch nicht gerade ein Anfänger in diesem Spiel. Dom war einen Großteil des letzten Jahrzehnts irgendeinem Mistkerl auf den Fersen gewesen. Er hatte mehrere Jahre als Spezialagent für das FBI gearbeitet, bevor ihn der Campus zusammen mit seinem Zwillingsbruder Brian angeheuert hatte. Brian war im Jahr zuvor während eines verdeckten Einsatzes in Libyen getötet worden. Dom war dabei gewesen und hatte seinen Bruder in den Armen gehalten, als er starb. Als Dominic danach zum Campus zurückkehrte, war er noch wilder entschlossen, die harte, gefährliche Arbeit zu erledigen, an die er von ganzem Herzen glaubte.

Er umkurvte jetzt einen jungen Mann, der Tee aus einem großen Krug heraus verkaufte, den er sich an einem Lederriemen um den Hals gehängt hatte. Dom legte einen Zahn zu. Er musste unbedingt vor der Zielperson an deren nächstem »Entscheidungspunkt« ankommen, einer vierarmigen Kreuzung, die ein paar Hundert Meter weiter südlich lag.

In der Basargasse folgte Carusos Partner Sam Driscoll währenddessen den drei Männern durch die gewundenen Passagen, wobei er immer auf den gebotenen Abstand achtete. Wenn er seine Zielperson verlieren würde, wäre das nicht weiter schlimm, da Dom Caruso ja auf dem Weg zum nächsten festgelegten Zielpunkt war. Sollte el-Daboussi zwischen Sams und Doms Positionen verschwinden, würden sie nach ihm suchen. Sollte er ihnen tatsächlich völlig durch die Lappen gehen, würden sie ihn später an dem von ihm angemieteten Haus wiederfinden. Die beiden Amerikaner waren eher dazu bereit, ihre Zielperson zu verlieren, als das Risiko einzugehen, ihren Mann oder seine Leibwächter auf sich aufmerksam zu machen.

El-Daboussi hielt vor einem Juweliergeschäft an. In der verstaubten Glasvitrine direkt hinter dem Eingang hatte etwas offensichtlich seine Aufmerksamkeit erregt. Sam ging noch ein paar Meter weiter und hielt dann im Schatten eines Leinwandzelts an, unter dem einige junge Verkäuferinnen billiges Plastikspielzeug und anderen Touristenkitsch verkauften. Während er darauf wartete, dass seine Zielperson endlich weiterging, drückte er sich noch tiefer in den Schatten. Er versuchte, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Da näherte sich ihm ein junges Teenager-Mädchen im Tschador und lächelte ihn an. »Sir, wollen Sie eine Sonnenbrille?«

Scheiße.

Er schüttelte nur den Kopf, das Mädchen begriff sofort und ging schnell weiter.

Sam Driscoll hatte die Fähigkeit, die Leute mit einem einzigen Blick einzuschüchtern. Er war ein ehemaliger Ranger, der zahlreiche Einsätze in der arabischen Wüste und darüber hinaus hinter sich hatte. Der Campus hatte ihn auf Empfehlung von Jack Ryan sr. angeworben. Driscoll war von Juristen des Justizministeriums aus dem Militärdienst gejagt worden, die dabei jedoch auch nur den Willen der Kealty-Regierung erfüllt hatten, die Sam unbedingt abschießen wollte. Bei einem Einsatz direkt hinter der pakistanischen Grenze hatte er für Kealtys Geschmack einfach zu viele Tote hinterlassen.

Driscoll hätte jederzeit zugegeben, dass er die bürgerlichen Rechte dieser Scheißkerle von Terroristen verletzt hatte, als er ihnen jeweils ein 10-mm-Hohlspitzgeschoss in ihre Gehirnschalen gejagt hatte. Aber soweit es ihn betraf, hatte er damit nur seinen Job erledigt und nicht mehr getan, als für diesen Einsatz absolut nötig war.

Das Leben ist eine Schlampe, und am Ende gehst du drauf.

Als Jack sr. allerdings die Affäre mit Driscoll öffentlich machte, ließ das Verteidigungsministerium die ganze Sache fallen. Ryans Empfehlung und die Tatsache, dass sich John Clark bei Gerry Hendley persönlich für ihn einsetzte, führten dazu, dass Sam vom Campus eingestellt wurde.

Mit seinen achtunddreißig Jahren war Sam Driscoll um einiges älter als sein Partner bei diesem Einsatz, Dom Caruso. Obwohl Sam in ausgezeichneter körperlicher Verfassung war, forderte dieses etwas höhere Alter dennoch seinen Tribut. Es zeigte sich in seinem grau werdenden Bart, den tiefen Falten um die Augen und einer lästigen alten Schulterwunde, die an jedem einzelnen Morgen beim Aufwachen schmerzte. Die Verletzung stammte von einem Feuergefecht, als sie nach dem Einsatz in Pakistan mit dem Hubschrauber herausgeschleust werden sollten. Die Kugel aus der AK eines Heiligen Kriegers hatte den Felsen direkt vor Driscolls Feuerstellung getroffen und dabei einen Gesteinssplitter herausgeschlagen, der in den Oberkörper des Rangers eingedrungen war.

Im Moment hatte er seine Schulter jedoch völlig vergessen. Die Steifheit und das taube Gefühl verflogen regelmäßig bei längeren Bewegungen und Anstrengungen. Die stundenlange Verfolgungsjagd durch die Kairoer Altstadt hatte ihm heute genug von beidem verschafft.

Dabei war die Sache noch lange nicht zu Ende. Als Driscoll aufblickte, bemerkte er, dass el-Daboussi sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Sam wartete noch einen Moment, dann trat er auf die Basargasse hinaus und heftete sich an die Fersen des silberhaarigen Terroristen.

Eine Minute später blieb Sam erneut stehen, als seine Zielperson ein gut besuchtes Kahwa betrat, ein belebtes Kaffeehaus, wie es sie überall in Kairo gab. Männer saßen auf Stühlen um kleine Tische herum, die auch vor dem Lokal mitten auf der Marktgasse standen. Die Gäste spielten Backgammon und Schach und rauchten Wasserpfeifen oder Zigaretten, während sie starken türkischen Mokka oder duftenden grünen Tee tranken. El-Daboussi und seine Männer gingen an den Tischen im Freien vorbei und verschwanden in der Tiefe des dunklen Raumes.

Sam sprach leise in sein im Ärmelaufschlag verborgenes Mikro. »Dom, bist du da?«

»Ja«, hörte Driscoll in seinem Ohrhörer als Antwort.

»Die Zielpersonen haben angehalten. Sie sind in einem Kaffeehaus in der …«

Sam suchte die Mauern und Wände der engen Marktgasse nach einem Schild ab. Überall in diesem Teil des Suks sah er Läden und Verkaufsstände, aber kein Schild zeigte ihm seine genaue Position an. Sam konnte sich in den abgelegenen Bergen Pakistans weit besser orientieren als hier in Kairos Altstadt. Er wagte einen kurzen Blick auf seine Karte, um seinen genauen Aufenthaltsort festzustellen. »Okay, wir sind gerade von der Midan Hussein nach links abgebogen. Ich glaube, wir sind immer noch nördlich der Al-Badistand. Ich bin also etwa fünfzig Meter von dir entfernt. Sieht so aus, dass unser Kerl und seine Gorillas sich eine Weile hinsetzen und plaudern wollen. Wie wär’s, wenn du hierherkommst und wir uns die Überwachung wieder teilen?«

»Bin schon unterwegs.«

Während Sam auf seinen Kollegen wartete, ging er zu einem Lampenladen hinüber und betrachtete aufmerksam in dessen Auslage eine gläserne Leuchte. In ihrer großen Kristallkugel konnte er wie in einem Spiegel den Eingang des Kahwa beobachten. Er würde es also merken, wenn seine Zielperson das Lokal verließ. Stattdessen betraten jedoch aus der entgegengesetzten Richtung noch drei weitere Männer das Kahwa. Etwas an dem Aussehen des Anführers der kleinen Gruppe erregte Driscolls Aufmerksamkeit. Er schlenderte langsam zum Eingang hinüber und schaute hinein, als ob er nach einem Freund suchen würde.

Im hinteren Teil des Kaffeehauses saßen Mustafa el-Daboussi und seine Männer mit dem Rücken zur Wand an einem Tisch direkt neben dem Neuankömmling und seinen Begleitern.

»Interessant«, murmelte Sam, während er sich wieder ein paar Meter vom Eingang entfernte.

Eine Minute später erschien Dom in der Gasse und stellte sich neben Sam, während beide Männer die Waren eines winzigen Kiosks durchstöberten. Driscoll beugte sich über den Verkaufstisch und zog aus einem Stapel Jeans ein Paar heraus, als ob er sie sich genauer anschauen wollte. Er flüsterte seinem Partner zu: »Unser Junge hat gerade ein Geheimtreffen mit einem Unbekannten.«

Dom reagierte nicht. Er wandte sich nur einer billigen Schaufensterpuppe zu, die vor dem Ladengeschäft stand, und tat so, als ob er das Preisschild der Weste betrachten würde, die die Puppe trug. Dabei schaute er an der lebensgroßen Gestalt vorbei in das Café auf der anderen Straßenseite hinein. Driscoll trat von hinten ganz nah an ihn heran. Dom flüsterte: »Das wurde aber auch Zeit. Wir warten ja bereits seit Tagen darauf.«

»Wohl wahr. Lass uns einen Tisch in dem Café da drüben suchen. Vielleicht können wir ein paar Aufnahmen von diesen Clowns machen. Die schicken wir dann Rick. Wäre doch gelacht, wenn dessen Computergenies sie nicht identifizieren können. Der eine ganz hinten scheint der Anführer zu sein.«

Eine Minute später saßen die beiden Amerikaner im Schatten unter einem Sonnenschirm in einem Café gegenüber des Kahwa. Als eine Kellnerin im Tschador an ihren Tisch kam, übernahm sehr zu Sam Driscolls Überraschung Dom die Bestellung. »Kahwaziyada«, sagte er mit einem höflichen Lächeln und deutete auf sich und Sam.

Die Frau nickte und ging weg.

»Möchte ich überhaupt wissen, was du gerade bestellt hast?«

»Zwei türkische Kaffee mit einer Extraportion Zucker.«

Sam zuckte die Achseln und dehnte das verfestigte Narbengewebe seiner Schulterwunde mit einer langsamen, langen Nackenrolle. »Klingt gut. Ich könnte etwas Koffein vertragen.«

Der Kaffee kam, und sie nippten daran. Sie schauten nicht zu ihrer Zielperson hinüber. Wenn seine Leibwächter überhaupt etwas wert waren, würden sie ganz bestimmt die Westler erst einmal genau im Auge behalten, die da auf der anderen Gassenseite saßen. Wahrscheinlich galt das jedoch nur für die ersten paar Minuten. Wenn Sam und Dom so taten, als würden sie sie vollkommen ignorieren, würden el-Daboussi, seine Männer und die drei Neuankömmlinge sie für zwei einfache, ungefährliche Touristen halten, die auf ihre Frauen warteten, die gerade im Suk Teppiche kauften.

Obwohl Sam und Dom derzeit eine nicht ganz ungefährliche Operation durchführten, genossen sie es doch, hier im Freien zu sitzen und in der Sonne einen Kaffee zu schlürfen. In den letzten paar Tagen hatten sie erst nach Einbruch der Dunkelheit abwechselnd ihren Unterschlupf verlassen. Die restliche Zeit verbrachten sie in einer Einzimmerwohnung, die direkt gegenüber dem schicken ummauerten Anwesen lag, das sich el-Daboussi im feinen Zamalek-Viertel gemietet hatte. Tage-und nächtelang hatten sie dieses mit ihren Ferngläsern beobachtet, dessen Besucher fotografiert und dabei Lamm mit Reis in solchen Mengen gegessen, dass sie beides inzwischen nicht mehr sehen konnten.

Trotzdem wussten Sam und Dom wie auch ihr Unterstützerteam daheim im Campus-Hauptquartier, dass diese Arbeit immens wichtig war.

Mustafa el-Daboussi war zwar in Ägypten geboren, hatte jedoch die letzten fünfzehn Jahre in Pakistan und im Jemen gelebt und dort für den Umayyad Revolutionary Council gearbeitet. Inzwischen befand sich der URC in ziemlicher Auflösung, nachdem sein Anführer plötzlich verschwunden war und ihm die CIA und andere Nachrichtendienste schwere Schläge versetzt hatten. El-Daboussi war daraufhin nach Hause zurückgekehrt, wo er angeblich für die neue Regierung in Alexandria irgendeine unbedeutende Schreibtischtätigkeit ausübte.

Der Campus hatte jedoch erfahren, dass dies nicht die ganze Wahrheit war. Jack Ryan jr. war auf Grundlage aller verfügbarer Geheimdienstdaten die Liste mit den bekannten URC-Leuten durchgegangen, um herauszufinden, wo sie sich gerade aufhielten und was sie jetzt taten. Dies war gar nicht so einfach gewesen, hatte jedoch zur Erkenntnis geführt, dass MED, wie man Mustafa el-Daboussi im Campus nannte, von Mitgliedern der Muslimbruderschaft, die in einigen Teilen Ägyptens die politischen Zügel in der Hand hielt, einen reinen Scheinjob zugewiesen bekommen hatte. Weitere Nachforschungen ergaben, dass MED in Wirklichkeit zwei Trainingscamps in der Nähe der ägyptischen Grenze zu Libyen leitete. Laut geheimen CIA-Unterlagen sollte dort der ägyptische Geheimdienst die libyschen Zivilmilizen zu einer schlagkräftigen Truppe formen.

So mancher in der CIA und jeder im Campus hielt dies jedoch für eine Lüge. MEDs Vergangenheit zeigte, dass er sich nur für die Unterstützung des Terrors gegen Ungläubige interessierte. Für die Ausbildung einer Heimatschutztruppe in Nordafrika war er der absolut falsche Mann.

Als der Campus eine verschlüsselte E-Mail eines Mitarbeiters von MED auffing, aus der hervorging, dass sich el-Daboussi eine ganze Woche lang in Kairo mit ausländischen Kontaktleuten treffen würde, die ihm bei seinen neuen »Unternehmungen« helfen sollten, handelte Operationschef Sam Granger sofort. Er schickte Sam Driscoll und Dominic Caruso nach Ägypten, wo sie jeden fotografieren sollten, der MED in seinem gemieteten Anwesen besuchte, in der Hoffnung, eine genauere Vorstellung davon zu erhalten, was in diesen Lagern wirklich vor sich ging.

Während die Amerikaner an ihrem Tisch saßen und sich den Anschein von gelangweilten Touristen gaben, unterhielten sie sich über den türkischen Mokka, den sie gerade tranken. Sie stimmten darin überein, dass er unglaublich köstlich war, obwohl sie sich beide noch gut daran erinnerten, wie sie bei ihrer ersten Begegnung mit diesem Getränk auch den bitteren Kaffeesatz am Boden der Tasse mitgeschlürft hatten.

Während sie sich ihrem Mokka widmeten, vergaßen sie jedoch nie den Grund ihrer Anwesenheit. Abwechselnd schauten sie in den dunklen Raum auf der anderen Seite der Gasse hinein. Zuerst wagten sie nur kurze, verstohlene Blicke. Nach einer Minute erkannten sie, dass sie sich keine Sorgen machen mussten. Keiner der sechs Männer schenkte ihnen auch nur die geringste Beachtung.

Dom zog sein Sonnenbrillenetui aus der Tasche seiner Jeans und legte es auf den Tisch. Er klappte es auf und entfernte das Schutztuch und die Fütterung der Innenseite des Etuideckels. Jetzt wurde ein winziger LED-Bildschirm sichtbar, der das Bild wiedergab, das eine Zwölf-Megapixel-Kamera aufnahm, die im Boden des Etuis versteckt war. Über sein Handy sandte er ein Bluetooth-Signal an die Kamera. Mithilfe dieses Signals konnte er deren Zoom so weit erhöhen, bis der LCD-Monitor ein perfekt gerahmtes Bild der sechs Männer an den beiden Tischen zeigte. Während el-Daboussi und seine beiden Schergen Schischa rauchten und sich mit den drei Männern am Nachbartisch unterhielten, nahm Caruso mit seiner unschuldig auf ihrem Tischchen liegenden Geheimkamera Dutzende von Fotos auf, wobei er den Foto-Button seines Handys als Auslöser benutzte.

Während sich Dom auf seine Arbeit konzentrierte und dabei alles tat, um genau diese Konzentration zu verhehlen, sagte Sam: »Diese neuen Typen sind vom Militär. Der große Kerl in der Mitte ist ihr Kommandeur.«

»Woran willst du das denn erkennen?«

»Ich war selbst Soldat, und ich war kein Kommandeur.«

»Stimmt.«

Driscoll fuhr fort: »Ich kann nicht einmal genau sagen, woher ich das weiß, aber er ist wenigstens ein Oberst, wenn nicht sogar ein General. Darauf würde ich mein Leben verwetten.«

»Er ist jedenfalls kein Ägypter, das steht fest«, sagte Dom, während er sein Kameraetui wieder in die Hosentasche steckte.

Driscoll bewegte seinen Kopf keinen einzigen Zentimeter. Stattdessen studierte er den nassen, rauen Bodensatz seiner Mokkatasse. »Er ist Pakistaner.«

»Das war auch meine Vermutung.«

»Wir haben jetzt deren Bilder, wir sollten unser Glück nicht überstrapazieren«, sagte Sam.

»Einverstanden«, antwortete Dom. »Ich habe es auch allmählich satt, anderen Leuten beim Essen zuzuschauen. Lass uns selbst etwas mampfen gehen.«

»Lamm mit Reis?«, fragte Sam missmutig.

»Besser. Ich habe am Metro-Eingang ein McDonald’s gesehen.«

»Also ein McLamb. Das klingt gut.«