Zwanzig
JETZT
Ich schalte den Motor aus, stemme die Knie gegen das Lenkrad und schiebe mich in meinem Sitz nach hinten. Das Haus liegt dunkel da, nur in der Küche brennt Licht. Es ist gleich Mitternacht. Graham schläft wahrscheinlich schon, weil er morgen arbeiten muss.
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich irgendwie halb damit gerechnet, dass er vor dem Schlafzimmer steht, an die Tür klopft und mich um Verzeihung bittet. Ich war wütend und enttäuscht, als ich festgestellt habe, dass er wie immer zur Arbeit gefahren war. Unsere Ehe löst sich in ihre Bestandteile auf, er hat zugegeben, dass er sich mit einer anderen Frau trifft, ich habe mich die ganze Nacht in unser Schlafzimmer eingeschlossen … und er wacht am nächsten Morgen auf, zieht sich an und fährt ins Büro.
Diese Andrea ist sicher eine Kollegin. Wahrscheinlich wollte er sie warnen für den Fall, dass ich ausraste und in der Kanzlei auftauche, um ihr eine Szene zu machen.
Da kennt er mich schlecht. Auf diese Frau bin ich nicht sauer. Sie hat mir keine Treue geschworen. Sie ist mir gegenüber genauso wenig zu irgendetwas verpflichtet wie ich ihr. Ich bin nur auf einen Menschen in diesem Szenario sauer. Und das ist mein Ehemann.
Die Vorhänge im Wohnzimmer bewegen sich. Kurz überkommt mich der Impuls, mich zu ducken, aber ich weiß ja, wie gut man vom Haus aus die Einfahrt sehen kann. Graham hat mich längst entdeckt, also ist es sinnlos, mich zu verstecken. Kurz darauf geht die Haustür auf und er kommt auf den Wagen zu.
Er hat die Pyjamahose an, die ich ihm letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt habe. Dazu trägt er – wie so oft – zwei verschiedenfarbige Socken. Eine schwarz, die andere weiß. Ich fand immer schon, dass das eigentlich gar nicht zu ihm passt. Sonst ist er in jeder Hinsicht perfekt organisiert, aber aus irgendeinem Grund ist es ihm völlig egal, ob seine Socken zusammenpassen oder nicht. Für Graham sind Socken eine praktische Notwendigkeit, kein modisches Accessoire.
Ich drehe den Kopf weg, als er die Beifahrertür öffnet und sich neben mich setzt. In dem Moment, in dem er die Tür zuzieht, ist es, als würde er mir die Luftzufuhr abdrücken. Mir wird so eng in der Brust, dass ich die Scheibe runterlasse, um atmen zu können.
Er riecht so gut. Warum ist das so? Obwohl er mir das Herz gebrochen hat, ist die Information darüber wohl nie beim Rest von mir angekommen, sonst müsste mich alles an ihm anwidern. Wenn die Wissenschaftler mal herausfinden würden, wie man das Herz mit dem Gehirn gleichschalten kann, gäbe es nicht so viel Kummer in der Welt.
Ich warte auf seine Entschuldigung. Auf die Ausreden. Vielleicht sogar auf eine Schuldzuweisung. Graham atmet tief ein und fragt: »Warum haben wir uns eigentlich nie einen Hund zugelegt?«
Ich fahre zu ihm herum. Er hat sich zu mir gedreht, das Gesicht seitlich an die Nackenstütze gelegt. Er sieht mich sehr ernst an, als hätte er mir gerade nicht eine komplett absurde Frage gestellt. Seine Haare sind nass. Wahrscheinlich hat er gerade geduscht.
Seine Augen sind gerötet. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er schlecht geschlafen hat oder ob er geweint hat, und er fragt mich, warum wir uns nie einen Hund zugelegt haben?
»Willst du mich verarschen, Graham?«
»Entschuldige bitte.« Er schüttelt den Kopf. »Das war nur so ein Gedanke, den ich hatte. Ich wusste nicht, ob es einen Grund hat.«
Das ist das erste »Entschuldige bitte«, seit er zugegeben hat, dass er mich betrogen hat, und es hat nichts damit zu tun, dass er mich betrogen hat. Das ist so untypisch. Alles. Dass er mich betrügt, passt überhaupt nicht zu ihm. Es ist, als säße ein Fremder neben mir. »Wer bist du? Was hast du mit meinem Mann gemacht?«
Er wendet den Blick ab, lehnt sich zurück und legt den Unterarm über die Augen. »Der ist wahrscheinlich gerade mit meiner Frau unterwegs. Ist schon eine ganze Weile her, dass ich sie zuletzt gesehen habe.«
So stellt er sich das also vor? Ich habe geglaubt, er würde zu mir rauskommen, um diese Qual ein bisschen erträglicher für mich zu machen, und stattdessen macht er mich nur noch wütender. Ich ertrage es nicht, ihn anzusehen, und schaue aus dem Fenster ins Nichts. »Weißt du, dass ich dich gerade hasse, Graham? So wirklich richtig hasse?« Eine Träne läuft über meine Wange.
»Du hasst mich nicht«, sagt er leise. »Um mich zu hassen, müsstest du mich lieben. Aber das tust du nicht mehr. Dafür bin ich dir schon viel zu lange gleichgültig.«
Ich wische die Träne weg. »Wenn du mir das sagen musst, um vor dir zu rechtfertigen, dass du mit einer anderen Frau geschlafen hast, bitte schön. Ich möchte auf keinen Fall, dass du dich schuldig fühlst.«
»Ich habe nie mit ihr geschlafen, Quinn. Wir haben uns nur … es ist nie so weit gekommen. Ich schwöre.«
Damit habe ich nicht gerechnet.
Er hat nicht mit ihr geschlafen? Ich denke kurz nach. Macht das einen Unterschied für mich? Tut es weniger weh? Nein. Bin ich weniger wütend auf ihn? Nein. Die Wut ist dieselbe. Es geht darum, dass er hinter meinem Rücken mit einer fremden Frau etwas Intimes geteilt hat. Ob es ein tiefes Gespräch war, ein Kuss oder ein dreitägiger Sexmarathon, ist egal. All das kann man als gleich schlimmen Betrug empfinden, wenn einer der Beteiligten der eigene Partner ist.
»Ich habe nie mit ihr geschlafen«, wiederholt er leise. »Aber das sage ich nicht, weil ich hoffe, dass es für dich dadurch erträglicher ist. Ich gebe zu, dass ich daran gedacht habe, es zu tun.«
Ich presse mir eine Hand auf den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Aber das gelingt mir nicht, weil alles, was er sagt … alles, was er tut … nicht das ist, was ich von ihm in dieser Situation erwartet hätte. Ich brauche Trost. Ich möchte, dass er mir die Angst nimmt. Stattdessen macht er alles nur noch schlimmer.
»Raus aus meinem Wagen.« Ich entriegle die Türen, obwohl sie nicht verriegelt sind. Ich will, dass er geht. Weit weg. Mit versteinerter Miene umklammere ich das Lenkrad und warte darauf, dass er aussteigt. Ich starte den Wagen. Graham rührt sich nicht. Ich sehe ihn an.
»Steig aus, Graham. Bitte. Steig jetzt aus meinem Wagen.« Ich drücke meine Stirn gegen das Lenkrad. »Ich ertrage es gerade nicht einmal, dich anzuschauen.« Mit zusammengekniffenen Augen warte ich darauf, dass er endlich die Tür aufmacht, aber stattdessen verstummt der Motor. Graham zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss.
»Ich gehe nirgendwohin, bevor du nicht jedes Detail kennst«, sagt er.
Fassungslos schüttle ich den Kopf, wische mir die Tränen aus dem Gesicht, reiße die Tür auf und will selbst aussteigen, aber er hält meine Hand fest.
»Schau mich an.« Er zieht mich zu sich, sodass ich nicht aussteigen kann. »Quinn, schau mich an!«
Er hat mich noch nie angebrüllt. Das ist das erste Mal, dass ich überhaupt erlebe, dass er die Stimme erhebt. Graham ist noch nie laut geworden – jetzt brüllt er so, dass das Innere des Wagens vibriert und ich erstarre.
»Ich muss dir sagen, warum es passiert ist. Wenn ich fertig bin, kannst du entscheiden, wie du dich dazu verhältst, aber bitte lass mich erst reden, Quinn.«
Ich ziehe die Tür wieder zu und lehne mich zurück. Obwohl ich die Augen schließe, quellen mir weiter Tränen unter den Lidern hervor. Ich will nichts hören, aber gleichzeitig denke ich, dass ich die Details wissen muss, weil ich Angst habe, dass in meiner Vorstellung sonst alles noch schlimmer sein wird.
»Beeil dich«, flüstere ich. Ich weiß nicht, wie lange ich es aushalte, hier zu sitzen, ohne komplett zusammenzubrechen.
Er holt tief Luft, und es dauert einen Moment, bis er redet. »Sie arbeitet erst seit ein paar Monaten in der Kanzlei.«
Seine Stimme klingt erstickt. Er versucht, die Fassung zu bewahren, aber ich höre ihm an, wie sehr er es bereut. Das ist das Einzige, was meinen Schmerz etwas lindern kann. Zu wissen, dass er auch leidet.
»Wir hatten ein paarmal miteinander zu tun, aber für mich war sie nur eine Kollegin, nichts weiter. Ich habe keine Frau je so angeschaut wie dich, Quinn. Ich will nicht, dass du denkst, dass es so angefangen hat.«
Ich spüre, dass er mich ansieht, halte die Augen aber weiter geschlossen. Mein Puls rast, und ich muss gegen das Bedürfnis ankämpfen auszusteigen, weil ich es in dem engen Wagen nicht mehr aushalte. Aber ich weiß, dass Graham das nicht zulassen wird, bevor ich mir nicht alles angehört habe, also konzentriere ich mich darauf, so ruhig wie möglich zu atmen, während er redet.
»Aber sie ist mir aufgefallen. Nicht weil ich fand, dass sie so toll aussieht oder so faszinierend ist, sondern weil … Sie hat mich in ihren Gesten und ihrer ganzen Art irgendwie an dich erinnert.«
Ich schüttle den Kopf und öffne den Mund, aber bevor ich etwas sagen kann, flüstert er: »Lass mich bitte zu Ende erzählen.« Ich schließe den Mund wieder und beuge mich vor, die Arme über dem Lenkrad gekreuzt. Die Stirn auf meine Arme gepresst, bete ich, dass es schnell vorbei ist.
»Bis letzte Woche ist nichts zwischen uns passiert. Am Mittwoch haben wir ein Projekt zusammen bearbeitet und saßen deshalb einen großen Teil des Tages zusammen in meinem Büro und … ich habe gemerkt, dass ich mich … zu ihr hingezogen gefühlt habe. Aber nicht, weil sie etwas hatte, was du nicht hast, sondern weil … weil sie mich so sehr an dich erinnert hat.«
In mir tobt so viel, was ich ihm jetzt gerne ins Gesicht brüllen würde, aber ich halte mich zurück.
»Sie hat mich so an dich erinnert, dass ich mich nach dir gesehnt habe. Deswegen bin ich früher nach Hause gefahren. Ich dachte, wir könnten vielleicht mal wieder essen gehen oder irgendetwas machen, worauf du Lust hast. Was dich zum Lächeln bringt. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass du mich vielleicht fragst, wie mein Tag war, oder mir irgendwie gezeigt hättest, dass du Interesse an mir hast. Aber als ich die Tür aufgeschlossen habe, bist du aus dem Wohnzimmer gegangen … Ich weiß, dass du mich gehört hast. Ich hatte nicht das Gefühl, dass du dich darüber freust, dass ich schon zu Hause bin. Stattdessen hast du dich in dein Arbeitszimmer verzogen, als würdest du mir aus dem Weg gehen.«
Jetzt bin ich nicht nur voller Wut, sondern auch voller Scham. Kann es sein, dass ich selbst gar nicht gemerkt habe, wie oft ich ihm aus dem Weg gegangen bin?
»Am Mittwochabend hast du ganze zwei Wörter zu mir gesagt. Zwei. Weißt du noch, welche das waren?«
Ich nicke, ohne den Kopf zu heben. »Gute Nacht.«
Ich höre die Tränen in seiner Stimme, als er sagt: »Ich war so wütend auf dich. Zu versuchen, dich zu verstehen, ist manchmal wie eine vertrackte Rätselaufgabe, Quinn. Ich hatte es so satt, mir tausendmal zu überlegen, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll. Ich war so verdammt wütend auf dich. Als ich am Donnerstag zur Arbeit gegangen bin, habe ich dir nicht mal einen Abschiedskuss gegeben.«
Ja, das ist mir aufgefallen.
»Am Donnerstag haben wir das Projekt beendet, und ich hätte nach Hause fahren sollen, aber ich bin … geblieben. Wir haben geredet. Lange geredet und dann … dann habe ich sie geküsst.« Graham fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Das hätte ich niemals tun dürfen. Ich hätte sofort aufhören müssen, aber … ich konnte nicht. Weil ich die ganze Zeit die Augen geschlossen hatte und mir vorgestellt habe, sie wäre du.«
Ich hebe den Kopf von den Armen und sehe ihn an. »Dann ist es also meine Schuld, ja? Ist es das, was du mir sagen willst?« Jetzt richte ich mich auf und drehe mich zu ihm. »Du bekommst von mir nicht die Aufmerksamkeit, die du dir wünschst, und deswegen suchst du dir jemanden, der dich an mich erinnert? Solange du dir einredest, sie wäre ich, ist es kein echter Betrug. Ja?« Ich verdrehe die Augen und lasse mich in den Sitz zurückfallen. »Graham Wells, der erste Mann der Welt, der einen Weg gefunden hat, mit moralischer Berechtigung eine Affäre zu haben.«
»Quinn …«
Ich lasse ihn nicht ausreden. »Anscheinend hattest du kein besonders schlechtes Gewissen, wenn du das ganze verdammte Wochenende Zeit hattest, darüber nachzudenken, und dann am Montag zur Arbeit bist und es gleich noch mal gemacht hast.«
»Es ist nur zweimal passiert. Letzten Donnerstag und gestern Abend. Mehr war nicht zwischen uns. Das schwöre ich dir.«
»Und wenn ich es nicht gemerkt hätte? Wenn ich dich nicht gezwungen hätte, es zuzugeben? Wäre es dann nie mehr passiert?«
Graham fährt sich über den Mund und massiert sich den Kiefer. Er schüttelt fast unmerklich den Kopf, und ich hoffe, dass das nicht die Antwort auf meine Frage ist. Ich hoffe, er schüttelt ihn nur, weil er selbst nicht begreift, was er getan hat.
»Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.« Er sieht zum Seitenfenster hinaus. »Niemand hat es verdient, so etwas erleben zu müssen. Besonders du nicht. Als ich heute Abend nach Hause gefahren bin, habe ich mir geschworen, dass es nie mehr passieren wird. Aber ich hätte vorher auch nie geglaubt, dass ich in der Lage wäre, überhaupt so etwas zu tun.«
Ich sehe zur Wagendecke, presse eine Hand auf meine Brust und atme tief durch. »Warum hast du es dann getan?« Meine Frage ist ein Schluchzen.
Graham dreht sich zu mir, umfasst mein tränennasses Gesicht und fleht mich stumm an, ihn anzusehen. Als ich es schließlich tue und seinen verzweifelten Blick sehe, muss ich noch heftiger schluchzen. »Wir leben unseren Alltag, als wäre alles in Ordnung, aber das ist es nicht, Quinn. Unsere Beziehung ist schon seit Jahren kaputt, und ich habe keine Ahnung, wie ich sie kitten soll. Ich suche nach Lösungen. Das ist mein Job. Das ist das, was ich kann. Aber ich weiß nicht, wie ich das mit dir und mir lösen soll. Jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, hoffe ich, dass es besser wird. Aber du hältst es ja nicht mal mehr aus, mit mir im selben Raum zu sein. Du erträgst es nicht, wenn ich dich berühre. Du erträgst es nicht, wenn ich mit dir darüber reden will. Ich tue so, als würde ich das, von dem du nicht möchtest, dass ich es bemerke, nicht bemerken, weil ich es nicht noch schlimmer für dich machen will, als es sowieso schon ist.« Er stößt geräuschvoll Luft aus, die er angehalten hat. »Ich gebe dir nicht die Schuld daran. Wie könnte ich? Es ist meine Schuld. Ganz allein meine. Ich habe das getan. Ich habe Scheiße gebaut. Aber ich habe es nicht getan, weil ich sie so anziehend fand. Ich habe es getan, weil ich dich vermisse. Jeden verdammten Tag. Wenn ich in der Kanzlei bin, vermisse ich dich. Wenn ich zu Hause bin, vermisse ich dich. Wenn du neben mir im Bett liegst, vermisse ich dich. Ich vermisse dich sogar, wenn ich in dir bin.«
Er presst seinen Mund auf meinen und ich schmecke seine Tränen. Vielleicht sind es ja auch meine. Dann löst er sich mit einem Ruck von mir und legt seine Stirn an meine. »Ich vermisse dich, Quinn. Du fehlst mir so schrecklich. Du sitzt direkt vor mir und bist trotzdem nicht da. Ich weiß nicht, wo du hingegangen bist oder wann du gegangen bist, und ich habe keine Ahnung, wie ich dich zurückholen kann. Ich fühle mich so allein. Wir leben zusammen. Wir essen zusammen. Wir schlafen zusammen. Aber ich habe mich in meinem ganzen Leben nie einsamer gefühlt.«
Er lässt mich los, dreht sich weg und bedeckt sein Gesicht mit beiden Händen, während er versucht, ruhiger zu werden. Ich habe ihn noch nie so aufgelöst gesehen.
Ich bin diejenige, die ihn ganz langsam zermürbt hat. Die ihn zu jemandem gemacht hat, der nicht wiederzuerkennen ist. Die ihm etwas vorgespielt hat, ihn hat glauben lassen, dass es Hoffnung gibt, dass ich mich eines Tages wundersamerweise in die Frau zurückverwandle, in die er sich verliebt hat. Aber ich kann nicht mehr so werden, wie ich einmal war. Wir sind die, zu denen das Leben uns macht.
»Graham.« Ich wische mir mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Er schweigt und rührt sich erst nicht, aber irgendwann wendet er sich mir doch zu und sieht mich mit seinem traurigen, untröstlichen Blick an. »Ich bin nirgendwohin gegangen. Ich war die ganze Zeit da. Aber du kannst mich nicht sehen, weil du nach der suchst, die ich mal war. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr die bin, als die du mich kennengelernt hast. Vielleicht geht es mir irgendwann ja wieder besser. Vielleicht auch nicht. Aber ein guter Mann liebt seine Frau in guten wie in schlechten Zeiten. Ein guter Mann steht in Krankheit und Gesundheit zu seiner Frau, Graham. Ein guter Mann – ein Mann, der seine Frau wirklich liebt – würde sie nicht betrügen und das dann damit entschuldigen, dass er sich einsam gefühlt hat.«
Grahams Miene verrät keine Regung. Er sitzt stumm und starr da wie aus Stein gemeißelt. Nur seine Kiefer mahlen unablässig. Dann wendet er mir den Kopf zu und verengt die Augen.
»Du denkst, ich würde dich nicht lieben, Quinn?«
»Ich weiß, dass du mich geliebt hast. Aber ich glaube nicht, dass du auch den Menschen liebst, zu dem ich geworden bin.«
Graham dreht sich ganz zu mir, beugt sich vor und sieht mir direkt in die Augen. Seine Stimme ist hart. »Ich habe dich von dem Moment an, in dem ich dich zum allerersten Mal gesehen habe, jede einzelne Sekunde jedes einzelnen Tages geliebt. Ich liebe dich heute mehr als an dem Tag, an dem wir geheiratet haben. Ich liebe dich, Quinn. Verdammt, ich liebe dich so!«
Dann fährt er herum, reißt die Wagentür auf, steigt aus und schlägt sie mit aller Kraft zu. Der ganze Wagen zittert. Er geht aufs Haus zu, aber bevor er an der Tür ist, fährt er noch einmal herum und zeigt wütend mit dem Zeigefinger auf mich. »Ich liebe dich, Quinn!«
Er brüllt es. Er ist wütend. So wütend.
Als er an seinem Wagen vorbeikommt, versetzt er der Stoßstange mit dem Fuß einen Tritt. Er tritt noch mal zu und dann noch mal und noch mal und hört nur kurz auf, um zu brüllen: »Ich liebe dich!«
Mit beiden Fäusten hämmert er auf sein Auto ein, immer und immer wieder, bis er schließlich, den Kopf in den Armen vergraben, auf der Motorhaube zusammenbricht und eine ganze Minute lang so bleibt. Das Einzige, was sich bewegt, sind seine Schultern. Ich sitze ganz starr. Ich glaube, ich atme nicht einmal.
Schließlich stemmt Graham sich hoch und reibt sich mit seinem T-Shirt übers Gesicht. Er dreht sich zu mir um. Ein Wrack. »Ich liebe dich«, sagt er leise und schüttelt den Kopf. »Ich habe dich immer geliebt, Quinn. Egal, wie oft ich mir gewünscht habe, es nicht zu tun.«