EPILOG
»Ganz kurz noch! Schau dir das an!« Ich ziehe an Grahams Hand und zwinge ihn – schon wieder –, stehen zu bleiben. Aber ich kann einfach nicht anders. In dieser Straße gibt es einen Laden nach dem anderen mit der wunderschönsten Kinderkleidung, die ich je gesehen habe. Max würde in den Sachen, die hier im Schaufenster ausgestellt sind, zum Niederknien aussehen.
Graham will weitergehen, aber ich stemme mich dagegen, bis er schließlich nachgibt und mir in die Boutique folgt.
»Wir waren fast schon beim Auto«, stöhnt er. »Gleich wären wir da gewesen.«
Ich drücke ihm die Tüten mit den Kinderklamotten, die ich schon gekauft habe, in die Hand und durchsuche die auf einer Kleiderstange aufgehängten Hosen nach der richtigen Größe. »Was meinst du? Soll ich ihm die grüne kaufen oder lieber die gelbe?« Ich halte beide vor mich hin.
»Gelb«, sagt er. »Definitiv gelb.«
Eigentlich finde ich die grüne ja hübscher, aber ich hänge sie trotzdem wieder zurück, weil Graham dafür belohnt werden muss, dass er so bereitwillig seine Meinung abgegeben hat. Er hasst es, shoppen zu gehen, und das ist jetzt schon der neunte Laden, in den ich ihn schleife. »Ich schwöre, das war der letzte. Jetzt fahren wir nach Hause.« Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange und gehe zur Kasse.
Graham zieht sein Portemonnaie aus der Tasche. »Du weißt, dass mir das nichts ausmacht, Quinn. Kauf ihm, so viel du willst. Er wird nur einmal im Leben zwei.«
Als ich der Verkäuferin die Hose hinlege, lächelt sie und sagt auf Englisch mit starkem italienischen Akzent: »Diese Hose ist mein absolutes Lieblingsstück.« Sie sieht mich an. »Wie alt ist Ihr Sohn?«
»Er ist unser Neffe. Morgen ist sein zweiter Geburtstag.«
»Ah, das ist schön«, sagt sie. »Soll ich sie als Geschenk verpacken?«
»Nein, eine Tüte reicht.«
Graham bezahlt. Als sie ihm die Kreditkarte zurückgibt, lächelt sie mich an. »Und was ist mit Ihnen? Haben Sie auch Kinder?«
Ich öffne den Mund, aber Graham kommt mir zuvor. »Wir haben sechs«, behauptet er. »Aber die sind alle schon erwachsen und aus dem Haus.«
Ich versuche, nicht laut loszuprusten. Seit wir angefangen haben, Leuten, die uns nach Kindern fragen, irgendwelchen Blödsinn zu erzählen, überbieten wir uns darin, möglichst absurde Geschichten zu erfinden. Graham gewinnt meistens. Letzte Woche hat er einer Frau gesagt, wir hätten Vierlinge. Jetzt versucht er dieser Verkäuferin auf die Nase zu binden, wir könnten in unserem Alter schon sechs erwachsene Kinder haben.
»Alles Mädchen«, füge ich hinzu. »Wir haben immer probiert, auch einen Jungen zu bekommen, aber es sollte einfach nicht sein.«
Sie sieht uns mit offenem Mund an. »Sie haben sechs Töchter?«
Graham nimmt die Tüte und greift nach der Quittung. »Ja. Und sogar auch schon zwei Enkelinnen.«
Er treibt es immer ein bisschen zu weit. Ich nehme ihn an der Hand, murmle ein »Grazie« in Richtung der Verkäuferin und ziehe ihn so schnell aus dem Laden, wie ich ihn hineingezerrt habe. Als wir wieder draußen auf dem Gehweg stehen, knuffe ich ihn in die Seite. »Das war aber echt zu dick aufgetragen«, schimpfe ich lachend.
Er verschränkt unsere Finger ineinander, als wir Richtung Wagen gehen. »Wir müssen unseren nichtexistenten Töchtern unbedingt Namen geben«, sagt er. »Falls jemand nach den Details fragt.«
Mein Blick fällt auf ein Gewürzregal im Schaufenster eines Küchenladens, an dem wir gerade vorbeikommen. »Coriander«, sage ich. »Sie ist die älteste.«
Graham bleibt stehen und schaut mit schräg gelegtem Kopf auf das Regal. »Parsley ist die Jüngste. Und Paprika und Cinnamon sind die älteren der beiden Zwillingspaare.«
Ich lache. »Wir haben zweimal Zwillinge bekommen?«
»Ja klar, die anderen heißen Juniper and Saffron.«
»Okay, lass mich noch mal zur Sicherheit wiederholen, ob ich mir das richtig gemerkt habe. In der Reihenfolge ihrer Geburt: Coriander, Paprika, Cinnamon, Juniper, Saffron und Parsley.«
Graham lächelt. »Fast. Saffron ist zwei Minuten vor Juniper auf die Welt gekommen.«
Ich verdrehe die Augen, Graham drückt meine Hand und wir überqueren die Straße.
Ich staune immer wieder darüber, wie viel sich verändert hat, seit wir vor zwei Jahren die Schatulle geöffnet haben. Wir standen so kurz davor, aufgrund von Umständen, auf die wir keinerlei Einfluss hatten, alles zu verlieren, was wir hatten. Dabei hätte uns das geteilte Leid eigentlich doch eher noch enger zusammenschmieden müssen. Stattdessen hat es uns auseinandergetrieben.
Vermeidung klingt erst mal nicht nach einer unbedingt negativen Eigenschaft. Aber in einer Beziehung kann es extrem großen Schaden anrichten, Dinge nicht offen anzusprechen. Graham und ich haben im Laufe der Zeit so vieles vermieden. Wir haben vermieden, über unsere Ängste zu reden. Wir haben vermieden zu besprechen, wie wir Herausforderungen gemeinsam bewältigen können. Wir haben alle Themen und Aktivitäten vermieden, die uns traurig gemacht haben. Und dadurch wurde es immer schlimmer, bis ich schließlich den Mann, mit dem ich doch mein Leben teilen wollte, mehr und mehr gemieden habe. Und genau das führte dazu, dass sich noch mehr negative Gefühle in mir aufstauten, die unausgesprochen blieben.
Zu dem Zeitpunkt, in dem wir uns entschlossen haben, die Schatulle zu öffnen, war klar, dass unsere Ehe durch kleinere Reparaturen nicht zu retten war. Sie musste von Grund auf neu aufgebaut werden und brauchte ein stabileres Fundament.
Ich hatte unser gemeinsames Leben mit konkreten Vorstellungen und Erwartungen begonnen, und als sich herauskristallisierte, dass sie sich nicht erfüllen würden, war ich zu geschockt, um reagieren zu können.
Aber zum Glück hat Graham nie aufgehört zu kämpfen und es mir dadurch ermöglicht, einen Weg zu sehen, wie ich aus dem dunklen Loch herauskomme. Dank ihm habe ich es geschafft, meine Trauer über das Unmögliche zu bewältigen. Ich habe aufgehört, mich auf das zu konzentrieren, was wir niemals miteinander haben können, und meine Kraft stattdessen auf das gerichtet, was möglich ist. Das heißt nicht, dass es nicht doch immer mal wieder wehtut, aber ich bin heute wieder glücklicher, als ich es lange Zeit gewesen bin.
Natürlich hat das Öffnen der Schatulle kein Wunder bewirkt und alle unsere Probleme mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Es hat nichts an meinem grundsätzlichen Kinderwunsch geändert, aber es hat mich neugierig auf das gemacht, was das Leben mir abgesehen von der Mutterrolle noch für Chancen bietet. Es hat mir nicht sofort wieder zu meiner früheren sexuellen Leichtigkeit verholfen, aber ich spüre, dass sich eine Tür geöffnet hat, und lerne langsam wieder, dass körperliche Nähe nicht nur ausschließlich Hoffnung oder Vernichtung bedeutet. Es passiert manchmal immer noch, dass ich unter der Dusche stehe und heule, aber nie allein, sondern immer in Grahams Armen. Er hat mir das Versprechen abgenommen, meinen Schmerz nie mehr vor ihm zu verstecken.
Statt ihn zu verstecken, nehme ich ihn an. Ich lerne, stolz darauf zu sein, so lange gekämpft zu haben, und mich nicht dafür zu schämen. Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen, wenn Leute mich fragen, ob ich Kinder habe, oder wissen wollen, warum ich keine habe. Sie haben einfach keine Ahnung. Mittlerweile kann ich ihre Ignoranz sogar mit Humor nehmen. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich jemals an einen Punkt kommen würde, an dem ich das, was mir früher so wehgetan hat, in ein Spiel verwandeln könnte. Inzwischen warte ich beinahe schon auf die Frage nach Kindern, weil ich weiß, dass Grahams Antwort mich zum Lachen bringen wird.
Ich habe auch gelernt, dass es okay ist, wenn ich mir ein bisschen Hoffnung bewahre. Ich war so lange so unglücklich und emotional erschöpft, dass ich dachte, ich könnte dem ewigen Warten und der immer wiederkehrenden Enttäuschung nur ein Ende setzen, indem ich alle Hoffnung für immer begrabe. Aber das wäre ein großer Fehler gewesen. Die Hoffnung war vielleicht das einzige Positive.
Und deswegen werde ich sie auch nie aufgeben. Ich habe mit Anwälten gesprochen und bei mehreren Adoptionsagenturen Anträge eingereicht. Graham und ich werden weiterhin versuchen, Eltern zu werden, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht gleichzeitig auch ein erfülltes Leben haben kann.
Im Moment bin ich glücklich. Und ich weiß, dass ich auch in zwanzig Jahren glücklich sein werde, selbst wenn es dann nur uns zwei geben sollte … Graham und mich.
»Verdammt«, murmelt er, als wir am Wagen ankommen. »Wir haben einen Platten.«
Er hat recht. Der Reifen ist platter als platt. Es wäre zwecklos, ihn aufzupumpen. »Hast du einen Ersatzreifen?«, frage ich, weil es Grahams Wagen ist.
Er öffnet den Kofferraum und zieht die Bodenmatte hoch. In der dafür vorgesehenen Mulde liegen tatsächlich der Ersatzreifen und ein Wagenheber. »Gott sei Dank«, brummt er.
Ich stelle die Tüten mit den Einkäufen auf die Rückbank, während Graham den Reifen aus dem Wagen hievt. Zum Glück haben wir den Platten auf der Beifahrerseite, sodass man den Reifen vom Gehweg aus wechseln kann. Graham kniet sich davor, hantiert ein wenig mit dem Wagenheber und wirft mir dann einen verlegenen Blick zu. »Äh, Quinn …« Er kickt einen Kieselstein aus dem Weg und vermeidet Augenkontakt mit mir.
Ich lache. »Graham Wells! Sag bloß, du hast noch nie einen Reifen gewechselt?«
Er zuckt mit den Schultern. »Bei YouTube lässt sich sicher ein Tutorial finden, aber hast du nicht mal erzählt, dass Ethan dir nicht erlaubt hat, einen Reifen zu wechseln?« Er zeigt auf den Platten. »Ich lasse dich gerne ran.«
»Okay«, sage ich grinsend. »Ziehst du die Handbremse an?«
Graham beugt sich in den Wagen, während ich den Wagenheber positioniere und dann das Auto anzuheben beginne.
»Wow. Das hat irgendwie was. Sehr sexy«, sagt Graham, der jetzt an einer Laterne lehnt und mir zusieht. Ich greife nach dem Radkreuz, um die Muttern zu lösen.
Zweimal bleiben Leute stehen und fragen, ob sie helfen können, weil sie nicht erkennen, dass Graham zu mir gehört. Beide Male sagt er: »Danke, sehr nett. Aber meine Frau kann das.«
Ich lache, als mir klar wird, warum er das tut. Die ganze Zeit, während ich den Reifen wechsle, gibt er bei allen Vorbeikommenden in den höchsten Tönen mit mir an. »Sehen Sie nur! Meine Frau kann einen Reifen wechseln!«
Als ich schließlich fertig bin und er den Wagenheber und den platten Reifen in den Kofferraum packt, betrachte ich meine komplett verdreckten Hände. »Ich gehe mal schnell in den Laden da drüben und frage, ob ich mir die Hände waschen kann.«
Graham nickt und setzt sich schon mal in den Wagen. Als ich vor dem Geschäft stehe, stelle ich fest, dass es ausnahmsweise mal kein Modeladen ist, sondern eine Zoohandlung. Im Schaufenster sind Transportboxen dekoriert und auf einer Stange neben der Tür sitzt ein Papagei.
»Ciao!«, begrüßt er mich schnarrend.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Hallo?«
»Ciao!«, kreischt er wieder. »Ciao! Ciao!«
»Mehr kann er nicht sagen«, sagt die Ladenbesitzerin. »Sind Sie auf der Suche nach einem Tier oder brauchen Sie irgendwelches Zubehör?«
Ich zeige ihr meine dreckigen Hände. »Ehrlich gesagt weder noch. Ich hatte gehofft, dass ich bei Ihnen vielleicht ein Waschbecken finde.«
Die Frau deutet auf eine Tür im hinteren Bereich. »Da ist die Toilette.«
Ich gehe an Reihen mit Käfigen vorbei, in denen die unterschiedlichsten Tiere sitzen. Kaninchen und Wasserschildkröten, Kätzchen und Meerschweinchen. Viele der Käfige sind auch leer. Direkt neben der Tür zur Toilette sehe ich etwas, das mir den Atem stocken lässt.
Zwei große braune Augen. Sie schauen mich an, als wäre ich heute schon der fünfzigste Mensch, der an ihnen vorbeigeht. Und doch ist da auch ein Schimmer von Hoffnung, als wäre vielleicht ich diejenige, die ihn holen kommt. Er ist der einzige Hund im Laden. Ich hocke mich vor den Käfig.
»Hey, Kleiner«, flüstere ich und lese dann den Zettel, der in der unteren linken Ecke klebt. Unter der italienischen Beschreibung steht der Text auch noch einmal auf Englisch.
Deutscher Schäferhund, Rüde, sieben Wochen alt, sucht ein liebevolles Zuhause.
Einen Moment bleibe ich sitzen, dann zwinge ich mich, aufzustehen und in die Toilette zu gehen. Ich wasche mir die Hände, so schnell ich kann, weil ich den Gedanken nicht ertrage, dass der arme kleine Hund noch länger in diesem Käfig hocken muss.
Eigentlich bin ich kein Hundemensch – was wahrscheinlich daran liegt, dass ich noch nie einen gehabt habe. Bis gerade eben habe ich auch nicht gedacht, dass ich jemals einen haben würde, aber jetzt ahne ich, dass ich nicht ohne den Welpen aus diesem Laden gehen werde. Als ich mir die Hände abgetrocknet habe, ziehe ich mein Handy heraus und schreibe Graham eine Nachricht.
Kannst du bitte mal kurz reinkommen? Ich bin ganz hinten. Beeil dich.
Kaum komme ich wieder aus der Toilette, richtet sich der Welpe auf und spitzt die Ohren. Er hebt eine Pfote, presst sie gegen das Gitter und setzt sich auf die Hinterbeine. Er wedelt zaghaft mit dem Schwanz, als würde er hoffen, dass ich mich noch mal mit ihm beschäftige, und gleichzeitig befürchten, dass ich danach wieder gehe und er hierbleiben muss.
»Hey.« Ich stecke meine Finger zwischen den Gitterstäben hindurch und der kleine Hund schnuppert daran und schleckt sie ab. Wir schauen uns in die Augen, und mir wird eng in der Brust, weil ich sehe, wie viel Hoffnung er hat und wie viel Angst, enttäuscht zu werden. Dieser Welpe erinnert mich an mich selbst. Daran, wie ich mich viel zu lange gefühlt habe.
Als ich Schritte hinter mir höre, drehe ich mich um. Graham kniet sich neben mich. Der Welpe schaut von mir zu ihm, und dann springt er auf und kann gar nicht anders, als wild mit dem Schwanz zu wedeln.
Ich überlege, wie ich es Graham beibringen soll. Aber ich muss gar nichts erklären. Graham sieht mich an, nickt und sagt: »Hey, kleiner Kerl. Willst du mit uns nach Hause kommen?«
***
»Jetzt habt ihr ihn schon seit drei Tagen«, sagt Ava. »Der arme Hund braucht endlich einen Namen.«
Sie hilft mir, den Tisch abzuräumen. Reid ist schon vor einer Stunde mit Max nach Hause, um ihn ins Bett zu bringen. Wir versuchen, ein paarmal pro Woche alle zusammen zu Abend zu essen, aber meistens treffen wir uns bei Ava und Reid, damit Max rechtzeitig ins Bett kommt. Jetzt sind wir auf einmal diejenigen mit neuem Baby, und auch wenn unseres ein Hundewelpe ist, muss man sich genauso rund um die Uhr um ihn kümmern wie um ein menschliches Kleinkind.
»Es ist so schwierig, einen guten Namen zu finden«, stöhne ich. »Ich würde ihm gern einen geben, der irgendeine Bedeutung hat, aber bis jetzt haben wir alle wieder verworfen.«
»Ihr macht es euch zu schwer.«
»Ihr habt acht Monate gebraucht, um einen Namen für euer Kind zu finden. Da sind drei Tage für einen Hundenamen ja wohl nicht zu viel.«
Ava grinst. »Eins zu null für dich.« Sie wischt die Tischplatte ab, während ich die Spülmaschine einräume und die Reste in den Kühlschrank stelle.
»Ich dachte an einen Namen, der irgendwas mit Mathematik zu tun hat, weil Graham doch so ein Mathe-Freak ist. Vielleicht eine Zahl oder so was.«
Ava lacht. »Lustig, dass du das sagst. Ich habe gerade die Unterlagen der neuen Austauschschüler auf dem Tisch, die in zwei Wochen kommen. Da ist ein Mädchen aus Texas dabei, die Seven Marie Jacobs heißt, aber gern Six genannt werden möchte.«
»Warum will sie Six genannt werden, wenn sie Seven heißt?«
Ava lacht. »Klingt ein bisschen verrückt, oder? Ich hab keine Ahnung, was dahintersteckt, aber obwohl ich diese Six noch nicht kenne, mag ich sie jetzt schon! Hey …« Sie sieht mich an, als wäre ihr gerade eine Idee gekommen. »Warum nennst du ihn nicht nach einem der Protagonisten aus deinem Buch?«
Ich schüttle den Kopf. »Daran habe ich auch schon gedacht, aber jetzt, wo das Buch fertig ist, fühlen sich die Figuren wie echte Menschen für mich an. Das klingt vielleicht komisch, aber unser Hund soll einen eigenen Namen bekommen, sonst käme es mir vor, als müsste er ihn mit jemandem teilen.«
»Doch, das kann ich schon verstehen«, sagt Ava. »Hast du eigentlich schon eine Rückmeldung von der Agentin?«
»Im Moment hat sie gerade eine Lektorin drangesetzt, die noch ein bisschen am Text feilen soll, aber demnächst will sie es dann verschiedenen Verlagen anbieten.«
»Es wäre so toll, wenn das klappt, Quinn!« Ava strahlt. »Ich kriege einen Schreianfall, wenn ich irgendwann in eine Buchhandlung gehe und dein Buch im Regal sehe!«
»Ich erst!«
Ava verabschiedet sich, als Graham zur Tür reinkommt, der mit dem Welpen noch mal kurz draußen war. »Es ist spät, ich muss los.« Sie streichelt dem Kleinen, den Graham im Arm hält, über den Kopf. »Wenn ich dich morgen wiedersehe, hast du hoffentlich einen Namen.«
Graham und ich sehen ihr hinterher und schließen dann die Tür. »Rate mal, wer gerade sogar zwei Häufchen gemacht hat, damit Mommy und Daddy ein paar Stunden Schlaf bekommen?«, sagt Graham.
»Ganz fein gemacht!« Ich nehme ihm den Kleinen aus den Armen und drücke ihn an mich. Er leckt mir übers Gesicht und schmiegt seinen Kopf in meine Armbeuge. »Oh. Er ist müde.«
»Ich auch.« Graham gähnt.
Ich lege den Welpen in seine weich ausgepolsterte Schlafbox und streichle ihn. Graham und ich kennen uns beide überhaupt nicht mit Hunden aus, haben aber in den letzten Tagen viel gelesen, um alles richtig dabei zu machen, ihn an seine Schlafbox zu gewöhnen, ihm die richtige Menge Futter zu geben und an der Stubenreinheit zu arbeiten.
Weil alle paar Stunden einer von uns mit ihm rausmuss, haben wir nicht besonders viel Schlaf bekommen. Man hat wirklich alle Hände voll zu tun, wenn man einen jungen Hund hat, und die permanente Erschöpfung macht es nicht einfacher. Aber das nehme ich gern in Kauf. Wenn der Kleine mich ansieht, könnte ich jedes Mal dahinschmelzen.
Wir lassen die Schlafzimmertür offen, damit wir es sofort mitbekommen, falls er winselt. Als wir kurz darauf im Bett liegen, schmiege ich den Kopf an Grahams Brust und seufze. »Stell dir mal vor, wie anstrengend erst ein Neugeborenes sein muss, wenn uns schon ein Welpe so fertigmacht.«
»Sag bloß, du hast die schlaflosen Nächte mit Coriander, Paprika, Cinnamon, Saffron, Juniper und Parsley schon vergessen?«
Ich lache. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.«
Ich rücke noch enger an ihn heran und er zieht mich noch dichter an sich. Obwohl ich völlig geschafft bin, kann ich nicht einschlafen, weil mein Kopf weiter über Hundenamen nachdenkt, auch wenn ich mir sicher bin, schon alle durchzuhaben, die es überhaupt gibt.
»Quinn«, flüstert Graham irgendwann an meinem Ohr. »Quinn, wach auf.« Ich öffne die Augen. Er zeigt über mich hinweg zum Nachttisch. »Schau doch.«
Als ich mich halb umdrehe, sehe ich, dass der Wecker gerade auf 00:00 umgeschaltet hat. Mitternacht. Graham beugt sich wieder zu meinem Ohr. »Heute ist der 8. August. Der 8. 8. Zehn Jahre später – und was ist? Wir sind glücklich verheiratet. Ich habe es dir gesagt.«
Ich seufze. »Warum überrascht es mich nicht, dass du das nicht vergessen hast?«
Eher wundere ich mich, warum ich nicht daran gedacht habe, aber ich war die letzten Tage so mit unserem neuen Welpen beschäftigt, dass ich überhaupt nicht aufs Datum geachtet habe.
»August!«, flüstere ich. »Das ist es. Das ist der perfekte Name.«