32

ALWYN GRIFF SICH an die Brust. Yimt! Etwas Schreckliches war seinem Korporal und Freund soeben zugestoßen. Er versuchte, sich auf das Gefühl zu konzentrieren, aber es war unmöglich. Die beiden Magieformen kämpften weiterhin in ihm, und zusätzlich hallte jetzt auch noch der Schlachtenlärm von den Felswänden der Schlucht wider, während Rallie zeichnete.

Alwyn atmete mehrmals tief durch und ging dann zu dem Felsvorsprung. Über ihm summte die Luft in dem blauen Licht, und unter ihm kratzte etwas Uraltes und Trockenes an der Erde, um sich Gehör zu verschaffen. Es war dieses Ding in Rallies Zeichnung. Es war die Quelle des weißen Feuers. Er spürte, wie diese Magie in ihm aufflammte, als die Stimmen lauter und hartnäckiger wurden. Er wurde allmählich dorthin gezogen, so wie auch die Skelette, die nach wie vor aus den Spalten in der Felswand quollen, ihre gruselige Last in den Armen.

»Alwyn.«

Er drehte sich herum und erwartete, dass Rallie versuchen würde, ihn zu stoppen, doch stattdessen lächelte sie ihn nur an. »Denk an das, was ich gesagt habe. Du bist ein guter Mensch!«

Alwyn erwiderte nichts, sondern drehte sich um und setzte seinen Weg zu dem Felsvorsprung fort. Es würde enden, alles, so oder so; heute Nacht würde alles ein Ende finden. Das weiße Feuer in ihm brannte heißer, und das Frostfeuer loderte als Antwort auf. Die Schmerzen ließen ihn taumeln, aber er ging weiter. Sein Körper war eine Fackel aus weißen und schwarzen Flammen, aber er ging weiter. Schließlich umrundete er den Felsvorsprung und stand Auge in Auge mit dem Herzen der weißen Flamme, die den Schwur entweder auflösen oder ihn töten würde.

Über ihm materialisierte sich das Juwel der Wüste und tauchte alles in einen strahlenden, blauen Schatten. Die weiße Flamme loderte hoch auf und stieg in den Himmel empor, als wollte sie den Stern packen. Alwyn lächelte, breitete weit seine Arme aus und stürzte sich mitten ins Feuer.

 

Die Stählernen Elfen kämpften sich erbarmungslos ihren Weg frei, erstachen, erschossen, erschlugen und verbrannten alles, was vor ihnen war. Die Schatten der Toten schlugen mit ihren Schwertern aus schwarzem Frostfeuer um sich und fällten mit grimmiger Präzision Feuerkreaturen und Sarka Har.

Schwarzes Eis schien durch Konowas Adern zu fließen, und all die Wochen voll aufgestauter Frustration bahnten sich durch seinen Säbel ihren Weg. Nichts konnte ihm mehr standhalten. Er lief schneller und ließ seinen Ärger an allem aus, was er fand. Weiße Flammen schlugen wie Laken über ihm zusammen, aber er grinste nur, während er Drakarri mit seinem Säbel halbierte, ohne auch nur in seinem Lauf innezuhalten. Der hohle Panzer eines Skorpions von der Größe eines Kamels trat schwerfällig in seinen Weg. Seine Zangen klackten. Aber Konowa lief einfach zwischen den ausgestreckten Zangen hindurch und rammte ihm seinen Säbel bis zum Griff in den Schädel. Die Bestie schüttelte sich und platzte auseinander; Frostfeuer verbrannte ihre Reste zu Asche.

Zwei weitere Skorpionhüllen taumelten über den Sand, jede von ihnen mit einem riesigen, mehr als einen Meter langen Stachel, der drohend über ihren Köpfen schwebte. Bevor Konowa angreifen konnte, stürmten die Soldaten des Dritten Speerträgerregiments auf die Kreaturen los, und ihre überlangen Bajonette blitzten, als sie auf die Skorpionleichen einschlugen und -hackten.

Ein Soldat geriet zwischen eine Zange und wurde in zwei Teile zerschnitten, die anderen jedoch verstärkten ihre Bemühungen nur, und etliche kletterten den Skorpionen auf den Rücken, um sie von oben zu bekämpfen. Schon bald waren beide Stacheln von ihren Schwänzen abgetrennt, und die Skorpione brachen unter dem Angriff zusammen.

In einem wahren Wirbel aus Schwerthieben strömten alle Emotionen aus Konowa heraus. Äste der Sarka Har glitten auf ihn zu. Er drehte sich herum und zerstückelte sie mit gewaltigen Schlägen. Die Bäume kreischten und wanden sich. Konowa schlug zu und verbrannte, bis er keine Erinnerung und kein Gefühl mehr in sich spürte.

Eine ganze Weile lang war er nur der Tod.

Seine Schultermuskeln schmerzten, als er noch mehr Sarka Har zerstückelte, aber das trieb ihn nur noch mehr an. Alle Lügen und Täuschungen wurden mit jedem Schlag der Klinge und jedem Aufflackern des Frostfeuers ausgelöscht. Berge wären im Angesicht seiner Wut zerbröckelt, und Meere hätten sich geteilt.

Weitere Skelette marschierten auf ihn zu. Konowa sprang vor und packte sich den erstbesten grinsenden Totenschädel. Weiße Flammen loderten in den Augenhöhlen auf und erloschen, als schwarzer Frost den Schädel in tausend Stücke zerschmetterte. Die restlichen Knochen fielen klappernd zu Boden. Um ihn herum mehrten sich die Schatten der Toten zwischen den Skeletten und erstickten deren unheiliges Licht mit kalter Effizienz.

Konowa lief weiter und wäre fast stehen geblieben, als er Rallie mit ihrem Skizzenbuch sah, doch er spürte die Macht, die sie umgab, und wusste, dass sie nicht in unmittelbarer Gefahr war. Also rannte er weiter.

Ihm verschwamm alles vor den Augen, und er machte Kreaturen nieder, die er kaum wahrnahm. Nichts würde ihn aufhalten, gar nichts.

Schließlich gab es keine Kreaturen mehr vor ihm. Konowa wusste ohne hinzusehen, dass das Regiment hinter ihm war, und verlangsamte seine Schritte. Seine Augen traten hervor, und seine Lippen verzogen sich zu einer höhnischen Grimasse. Frostfeuer züngelte zwischen den Fingern seiner linken Hand und überzog den Säbel in seiner Rechten.

In diesem Moment war Konowa ein Gott.

Er war die einzige Macht. Nichts konnte ihn aufhalten.

Das Juwel der Wüste badete ihn in seinem blauen Licht, und er wusste, dass er gewonnen hatte. Er trat um einen Felsvorsprung und … blickte in die brennenden Augen eines Drachen.

»Oh, verfl…!«

Die Flamme in Konowa erlosch, während er den Drachen anstarrte, den Mund vor Staunen weit aufgerissen.

Der Drache bestand nur aus Knochen.

Und jetzt öffnete er weit sein Maul. Statt Zähnen loderten weiße Flammen in seinen Kiefern. Noch mehr Flammen brannten in seinen Augenhöhlen, und tief in seiner Brust brannte ein Feuer aus weißen und schwarzen Flammen. Konowa hatte jedoch keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn der Drache streckte seine Schwingen aus, stolperte, richtete sich auf und machte einen Schritt auf ihn zu. Die Knochen, aus denen sein Körper bestand, verdrehten sich, und etliche fielen zu Boden. Sand wirbelte um sein Skelett, als wollte er helfen, diese grauenvolle Erscheinung zusammenzuhalten.

Die Kreatur öffnete das Maul noch weiter, und eine Fackel aus weißen Flammen zischte daraus hervor. Konowa sprang gedankenschnell zur Seite, aber einige Soldaten hinter ihm hatten weniger Glück. Als Konowa sich umdrehte, sah er nur noch Aschehaufen, wo vorher Stählerne Elfen gestanden hatten.

Dann betrachtete er wieder den Drachen und bemerkte, dass die Schwingen noch nicht ganz vollständig waren. Nachdem er seinen anfänglichen Schock überwunden hatte, fiel ihm jetzt auch auf, dass noch viel mehr von dem Skelett unvollständig war. Er sah genauer hin. Er erkannte Skelette von Kamelen und sogar von Menschen, von Elfen, Zwergen und Orks. Doch das war nicht das Schlimmste. Aus den Augenhöhlen der Totenschädel züngelten weiße Flammen, und sie rissen ihre Münder weiter auf.

Sie schrien.

Konowa zuckte unwillkürlich vor diesem Anblick zurück. Waren etwa einige seiner Elfen auch ein Teil dieser Monstrosität? Plötzlich wurde ihm klar, dass dies alles keineswegs das Werk von Kaman Rhal war. Vor ihm stand die Drachenfrau, mit der Kaman Rhal verheiratet gewesen war. Sie war schon immer die Macht hinter seinem Thron gewesen. Der Suljak hatte nicht Kaman Rhals Macht aus der Vergangenheit beschworen, sondern die der Drachenfrau zurückgeholt.

Und jetzt versuchte sie, sich wieder neu zu erschaffen, so gut sie konnte, und zwar mit den Knochen der Toten.

Während Konowa sie beobachtete, kletterten weitere Skelette auf den Drachen. Sie zerrissen sich selbst und andere Leichen, um ihre Schwingen zu vervollständigen. Konowa blickte zu dem Stern am Himmel über der Schlucht hinauf. Wenn der Drache fliegen konnte, würde er den Stern mit Leichtigkeit erbeuten.

Konowa beschwor das Frostfeuer und ließ sich davon durchströmen. Er hatte immer noch keine Ahnung, wie er eine solche Kreatur angreifen sollte.

Das Regiment hatte sich um ihn herum gruppiert, und ihr unregelmäßiges Musketenfeuer riss immer wieder Knochen aus dem Skelett. Aber es würde selbst tausend Musketen mehrere Tage kosten, diese Kreatur zu einem Nichts zu zerlegen. Ohne Kanonen würden sie sie niemals zerstören können.

Der nächtliche Himmel glühte im Lichte des Sterns. Das Metall der Musketen leuchtete in seinem Licht, während sie feuerten. Rauch schoss aus den Mündungen, rote und auch schwarze Flammen beleuchteten die Nacht. Musketenkugeln flogen durch die Luft und zerschmetterten die Knochen des Drachens. Aber sie hatten keine Wirkung.

Es musste einen anderen Weg geben.

Der Drache machte einen Satz nach vorn, und das Feuer in seiner Brust wurde weißer, als er das tat. Konowa spürte etwas, aber die Luft war vollkommen von Energie durchtränkt, und es war ihm unmöglich, Einzelheiten herauszufiltern.

Die Schatten der Toten liefen durch den Drachen hindurch und zerstückelten die Armee aus Skeletten. Der Drache schüttelte seinen Schädel und öffnete sein Maul noch weiter. Flammen strömten wie ein Fluss aus Feuer aus seinem Maul, und überall, wo die Flammen einen Schatten berührten, explodierte Frostfeuer. Gellende Schreie füllten Konowas Kopf. Die Schatten konnten nicht vorrücken und begannen, sich zurückzuziehen.

»Angriff!«, schrie Konowa. Schwarze Flammen loderten um die Schatten hoch, und sie rückten erneut vor. Doch wieder schlugen die weißen Flammen sie zurück.

»Ich habe euch befohlen, es zu töten!«

Die Schatten der Toten zögerten, noch während weiße Flammen ihre Schlachtreihe verbrannten. Konowa spürte ihren Schmerz, aber es gab keine Wahl. Schließlich waren sie bereits tot.

In diesem Moment riss ein schwarzer Spalt im Brustbein des Drachen auf, und die Gestalt eines Mannes stolperte heraus. Bevor Konowa sich überzeugen konnte, ob das tatsächlich Kaman Rhal war, drehte die Gestalt sich um, hob die Hände und richtete sie auf den Drachen. Schwarzes Frostfeuer in einem Strom, der dem des weißen Feuers in nichts nachstand, fegte über den Drachen hinweg und verwandelte jedes Skelett, das über die Knochen krabbelte, in Staub.

Der Drache taumelte, richtete sich erneut auf und senkte seinen gewaltigen Schädel zu der Gestalt, die unter ihm stand. Dann öffnete er weit das Maul, und weiße Flammen loderten hervor. Die Gestalt verschwand in der Flammensäule.

Als die Flammen erloschen, stand die dunkle Gestalt nicht mehr allein vor den Drachen, sondern jetzt waren es zwei. Konowa erkannte ihren Emissär sofort.

»Gwyn?«

Ihr Emissär und die Gestalt hoben beide die Hände, und fauchende, lodernde Lanzen schwarzer Flammen strahlten von ihnen aus. Die Luft in der Schlucht stank förmlich danach.

Konowa wurde auf die Knie gezwungen, während die Macht wuchs. Sie pulsierte tief in ihm, bis er das Gefühl hatte, seine Rippen würden brechen. Die Eichel an seiner Brust wurde zu reinem, schwarzem Frost und sog die letzten Reste von Hitze aus seinem Körper heraus. Vor seinen Augen wurde alles grau, und er hatte gerade den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, als die Welt vor ihm auseinandergerissen wurde.

Der Drache bäumte sich auf und schlug einmal zur Probe mit seinen jetzt vollständigen Schwingen.

Ihr Emissär und die Gestalt neben ihm streckten ihre Hände aus und schleuderten einen Mahlstrom aus Frostfeuer auf die Kreatur.

Sie flog in Tausende von Stücken auseinander, als der kochende Strom aus schwarzem Frostfeuer in ihrer Mitte einschlug.

Konowa wurde von der Druckwelle, die über ihn hinwegfegte, auf den Rücken geworfen. Einen Augenblick konnte er nichts mehr sehen oder hören. Bilder blitzten vor seinen Augen auf.

Seine Mutter. Yimt. Visyna. Die Schattenherrscherin. Der Stern.

Seine Elfen.

Wie eine Sturzflut drangen wieder Geräusche an seine Ohren, und er merkte, dass es Schreie waren. Seine Sehkraft kehrte zurück. Der Wald aus heranrückenden Sarka Har wurde von einem Schleier aus schwarzen Flammen verzehrt. Drakarri und die Skelettarmee des Drachen verbrannten in derselben schwarzen Flamme. Das Frostfeuer säuberte alles in und um die Schlucht herum. Konowa erhob sich. Nur das Regiment blieb unangetastet, war umringt von Frostfeuer. Zwischen den Männern sah Konowa die Überlebenden des Dritten Speerträgerregiments. Neben ihnen standen der Prinz und der Vizekönig, die in dieselbe Richtung blickten und ihre Augen weit aufgerissen hatten. Die Schatten der Toten waren verschwunden.

Konowa sah zu der Stelle, an der der Drache gestanden hatte. Zwei Säulen aus Frostfeuer loderten jetzt dort. Sie reichten hoch in den Himmel hinauf, umhüllten den Stern und zogen ihn zur Erde herab. Die Flammen flackerten und erloschen. Sie gaben den Blick auf die Gestalt eines Soldaten in einem Kilt und auf ihren Emissär frei, die beide den Stern in ihren Händen hielten.

»Renwar«, sagte Konowa.

»Das will ich doch hoffen«, meinte Rallie, die hinter einem Felsen hervorkam und auf Alwyn zuging. Einige Schritte vor ihm blieb sie stehen und lächelte. Ihren Emissär ignorierte sie und betrachtete stattdessen den Stern. »Du warst lange weg, hab ich recht?«

Der Stern leuchtete in Renwars Händen.

HINWEG MIT DIR!, schrie ihr Emissär. DER STERN GEHÖRT IHR.

»Rallie, was geht hier vor?« Konowa machte ein paar Schritte auf den Stern zu.

Rallie hob die Hand, um ihn aufzuhalten. »Das ist nicht mehr unser Kampf, Major.«

Konowa machte noch einen Schritt. »Renwar, befreien Sie den Stern! Ihr Emissär will ihn nur für ihre Pläne. Das muss Ihnen doch klar sein!«

Soldat Renwar blickte Konowa an; in seinen Augen spiegelte sich blaues Sternenlicht.

»Ich … ich weiß es«, sagte er.

»Dann tun Sie, was ich Ihnen befohlen habe. Wir können ihren Emissär besiegen.« Man hörte das metallische Geräusch, als die Soldaten begannen, ihre Musketen neu zu laden.

Alwyn hob eine Hand, ließ aber die andere auf dem brennenden Stern liegen. »Nein, Sie können ihn nicht besiegen. Ich … ich habe eine Abmachung getroffen.«

Ihr Emissär lachte. »Wie du siehst, Flinkdrache, wurdest du bereits besiegt, bevor du überhaupt den Kampf aufgenommen hast.«

Konowa begriff mit einem Mal, was Renwar gerade im Begriff war zu tun. Er würde den Schwur auflösen. »Warten Sie! Ihr Forst ist immer noch da draußen und wächst. Und meine Elfen! Wir sind ihretwegen hier. Ich muss sie retten. Wir müssen sie retten. Der Stern muss hierbleiben.«

Renwar blickte auf den Stern. »Und wer rettet uns, Major …? Wer rettet uns?«

Konowas Herz schmerzte. Er spürte die Blicke aller Soldaten auf seinem Rücken. Warum gab es nie eine einfache Antwort? Warum musste es immer so entsetzlich wehtun? Tränen liefen ihm über das Gesicht, und Qualen erfüllten sein ganzes Wesen, bis er kaum noch Luft holen konnte. »Ich werde es tun, ich schwöre es. Eines Tages wird der Schwur gelöst werden, aber nicht hier und nicht so. Das wissen Sie. Eine Abmachung mit ihrem Emissär ist immer ein Kuhhandel.« Er drehte sich um und sah die Stählernen Elfen an, die hinter ihm standen. »Wir alle wissen das. Wir können den Schwur nicht auflösen, nicht auf diese Art und Weise.«

»Sie haben etwas Besseres verdient«, antwortete Alwyn. »Wir alle haben das. Wäre es so falsch, dem Leiden endlich ein Ende zu setzen? Warum nicht wir, Major? Warum sollten wir es nicht endlich beenden?«

Konowa wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Weil wir Soldaten sind. Und vor diesem Schwur haben wir einen anderen geleistet. Wir haben geschworen, das Imperium zu verteidigen … die Wesen zu beschützen, die wir lieben. Das ist ein Schwur, den wir niemals lösen können, ganz gleich, was es kostet. Wir geben unser Leben, damit andere leben können. Das ist nicht gerecht, aber das sollte es auch nie sein.«

DIESES GELÜBDE IST ETWAS FÜR NARREN!, sagte ihr Emissär. DIE ABMACHUNG IST GETROFFEN.

Plötzlich wurde Konowa etwas klar. »Renwar, Sie können ihm nicht trauen. Warum sollte er Ihnen erlauben, den Schwur für alle Stählernen Elfen aufzulösen? Denken Sie darüber nach. Es ist eine List.«

Alwyn sah ihren Emissär an und richtete seinen Blick dann auf Konowa. »Sie missverstehen … Sie beide.«

Die Schatten der Finster Verschiedenen tauchten wieder auf und scharten sich um Alwyn. Konowa erkannte den Soldaten Meri, den Regimentsergeanten Lorian. Mehr und mehr Schatten tauchten auf. Sie strecken die Hände nach Alwyn aus, und Konowa hörte ihre Schreie in seinem Kopf.

Rette uns … rette uns!

»Du bist ein guter Mensch, Alwyn Renwar«, sagte Rallie ganz ruhig. »Du weißt, was du zu tun hast.«

Alle Soldaten der Stählernen Elfen beobachteten den Stern in Alwyns Hand. Ihr Schicksal lag in einem Ball aus blauem Licht, den keiner von ihnen verstand, so wie es zuvor auch schon bei einem anderen Stern gewesen war.

DU HAST EINE ABMACHUNG MIT IHR GETROFFEN, sagte ihr Emissär.

Alwyn wandte sich um und sah die Gestalt an. Ja, mit ihr … aber nicht mit dir. Schwarzes Frostfeuer schoss aus seinen Händen und umgab ihren Emissär mit einer Hülle aus zuckenden schwarzen Flammen. Ihr Emissär schrie auf und versuchte, nach dem Stern zu greifen, doch sein Körper wurde von den Flammen davongetragen, bis nichts mehr von ihm übrig war.

Alwyn blickte gelassen nach oben und starrte auf etwas, was nur er sehen konnte. Er hob den Stern hoch zum Himmel und ließ ihn los. Blaues Licht strömte in Wellen aus ihm hervor. Konowa hob den Arm, um seine Augen zu schützen, als das Licht so hell leuchtete wie eine Million Sonnen und schließlich verschwand.

Als Konowa seinen Arm wieder sinken ließ, stand ein gewaltiger Baum da, der sich zum Himmel reckte. Seine Äste waren weit ausladend und stark. Reine und saubere Energie strahlte von ihm aus und spülte alle Reste der uralten Macht davon, die dieses Land jahrhundertelang vergiftet hatte. Tief in den Sarka Har verborgen schrie ihr Emissär auf, als das Juwel der Wüste begann, gegen ihre Macht zu kämpfen. Er tobte mit untröstlicher Wut über die List von Soldat Renwar und, so dachte Konowa, vielleicht auch aus Furcht vor der Geburt einer neuen Kraft. Konowa hätte sich gerne gefreut, hätte gerne irgendetwas empfunden, aber er spürte nichts.

»Renwar? Was haben Sie getan?«

Der Soldat hob den Kopf und trat vor. Als er das tat, scharten sich die Schatten der Toten um ihn. Seine Augen spiegelten jetzt nicht mehr das blaue Licht des Sterns, sie waren nun grau. Die Eichel an Konowas Brust flammte eiskalt auf, als sie eine Macht erkannte, die sie verstand.

Alwyn ist tot, sagte Renwar. Seine Stimme hatte eine unheimliche Ähnlichkeit mit der des ehemaligen Emissärs.

Konowa schüttelte den Kopf. »Ich habe etwas gelobt, und ich werde das halten. Der Schwur wird eines Tages aufgelöst, und ihr alle werdet frei sein.«

Das weiß ich, antwortete Renwar. Die Schatten schwebten weiter um ihn herum.

Furcht durchströmte Konowa. Was hatte er nur getan? Er betrachtete die Stählernen Elfen, die um ihn herumstanden. Dann sah er auf seine Hände und beschwor das Frostfeuer. Es flammte auf, wie es das immer getan hatte. »Sie haben den Schwur nicht gelöst«, sagte Konowa.

Doch, Major, das habe ich, widersprach Renwar.

»Das verstehe ich nicht«, meinte Konowa. »Welchen Schwur haben Sie gelöst?«

»Begreifen Sie denn nicht, Major«, sagte Rallie und lächelte traurig, als sie Alwyn ansah. »Er hat den Schwur aufgelöst, nur nicht den Ihren und nicht den der Lebenden. Er hat die Toten befreit.«

Konowa sah auf die Schatten. Er versuchte, ihnen etwas zu befehlen, aber sie ignorierten ihn. »Warum?«

Sie muss vernichtet werden, wenn der Schwur gelöst werden soll. Ich konnte die nicht retten, die leben, aber ich konnte die retten, die bereits von uns gegangen sind. Jetzt liegt es an Ihnen, den Kampf zu beenden.

Die Stählernen Elfen standen stumm vor Staunen da. Konowa begriff, dass er auf eine Art, wie er es nie erwartet hätte, genau das bekommen hatte, was er wollte. Die Macht der Magie des Schwurs war ihm geblieben.

»Und was ist mit meinen Elfen?«, erkundigte er sich.

Sie sucht noch nach ihnen, aber sie hat sie nicht gefunden … bis jetzt.

Das war nur ein kleiner Trost, aber besser als nichts.

»Renwar, ich …«

Alwyn ist tot, sagte Renwar.

Rallie hob die Hand, bevor Konowa etwas sagen konnte. »Wer bist du dann?«, wollte sie wissen.

Renwar drehte sich zu ihr herum und sah sie an. Ich bin alles, was übrig bleibt.

»Wer bist du?«, schrie Konowa. »Sag mir, wer zum Teufel du bist!«

Renwar schloss für einen Moment die Augen. In dieser kurzen Zeitspanne durchströmte Konowa eine eisige Klarheit. Die Schatten drängten sich dichter um Renwar und legten ihre Hände auf seine Schultern. Als Renwar erneut die Augen öffnete, kannte Konowa die Antwort bereits. Renwar deutete auf die Schatten.

Ich bin jetzt ihr Emissär.