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KONOWA DREHTE SICH um und blickte auf das Regiment. Sie waren bereits im Sand angetreten. Der Tod stand ihnen gegenüber, nur ein kurzes Stück entfernt, und dennoch mussten die Sergeanten und Korporale die Männer daran hindern vorwärtszustürmen. Sie wussten, dass ihnen eine Schlacht bevorstand, und sie waren bereit. Frostfeuer schimmerte auf ihnen, während es langsam dunkler wurde.

Der Moment war gekommen.

Konowa und der Prinz ritten mit ihren Kamelen zur Oase zurück und zügelten die Tiere vor der Kolonne. Konowa warf dem Prinzen einen kurzen Blick zu, und dieser nickte. Konowa räusperte sich. »Stählerne Elfen … Musketen schultern!« Frostfeuer schlug Bögen von Bajonett zu Bajonett, als die Soldaten ihre Waffen in die Linke nahmen, den Schaft packten und das Gewehr an die linke Schulter drückten.

»Die Fahnenabteilung hält die Flaggen gesenkt, bis wir die Gasse hinter uns haben.« Konowa wusste, dass die Soldaten ohne diesen Befehl die Fahnen hoch in die Luft gestreckt hätten, weil ihr Stolz stärker war als ihr Überlebensinstinkt. Sie alle würden noch früh genug zur Zielscheibe werden, aber Konowa wollte seine Fahnenabteilung nicht durch närrische Tollkühnheit verlieren.

»Das Regiment marschiert in einer Kolonne … ausrichten … Marsch!«

Ein Trommler vom Dritten Speerträgerregiment gab sofort einen Rhythmus vor, damit alle synchron marschierten. Konowa steuerte sein Kamel auf den jungen Mann zu. »Wenn du siehst, dass ich meinen Säbel hebe und wieder senke, verdoppelst du sofort die Schlagzahl.«

Der Trommler nickte, ohne sich in seinem Rhythmus beirren zu lassen. Konowa ritt wieder zur Spitze der Kolonne und weiter, dorthin, wo der Prinz und Vizekönig Alstonfar warteten. »Ich schlage vor, Ihr reitet beide in der Mitte der Kolonne. Dort ist es am sichersten.«

Der Prinz warf einen Blick auf die Schlucht und sah dann Konowa an. »Sie haben recht, Major, aber das werde ich nicht tun. Das hier sind meine Männer, und es gibt nur einen Platz, sie anzuführen, und der ist vorne.«

»Euer Hoheit, Major Flinkdrache hat recht«, wandte der Vizekönig ein. »Ihr seid der zukünftige König des Calahrischen Imperiums. Ihr müsst geschützt werden.«

Prinz Tykkin lächelte und schlug seinem Kamel mit der Säbelscheide an die Seite. Das Tier schrie einmal auf und ging dann in die Knie. Der Prinz stieg ab. Konowa und der Vizekönig folgten seinem Beispiel. »Ich werde sie zu Fuß anführen«, erklärte der Prinz, zupfte seine Uniformjacke zurecht und drückte seinen Tschako etwas fester auf seinen Kopf.

Konowa war klar, dass er widersprechen sollte, aber eher widerwillig bewunderte er den Prinzen für sein Verhalten. Es war dumm, überflüssig und leichtsinnig, aber die Männer würden es sehen, ihnen würde die Brust schwellen, und ihre Augen würden glänzen, und wehe dem Feind, der ihnen in den Weg trat.

»Geh nur, Pimmer«, sagte der Prinz und legte dem Vizekönig seine Hand auf die Schulter. »Gehe nach hinten, und versuche, dem Feind kein allzu großes Ziel zu bieten.«

Der Vizekönig leckte sich nervös die Lippen und schüttelte dann den Kopf. »Bei allem gebührenden Respekt, Hoheit. Ich bin der Vizekönig dieses Territoriums, und was die Leute auch von mir denken mögen, ich will mir nicht nachsagen lassen, dass ich dieser Liste heute noch Feigheit hinzugefügt habe. Mein Platz ist hier, und wenn es Euch nicht gefällt, dann schlage ich vor, dass Ihr Euch bei der Königin darüber beschwert, wenn Ihr sie das nächste Mal seht.«

Das Grinsen des Prinzen wurde immer breiter, als er den Vizekönig ansah. Das Trampeln von Füßen kündigte die heranrückende Kolonne an. »Also gut, Gentlemen, wir werden dieses Regiment in die Gasse führen und uns nicht aufhalten lassen. Für den Stern!«

Konowa und der Vizekönig zogen ebenfalls ihre Säbel, und die drei Männer reckten sie hoch in die Luft. »Für den Stern!« Stiefelsohlen knirschten in einem unaufhaltsamen Rhythmus über Sand und Felsen. Das ganze Regiment lehnte sich unmerklich vor, während es darauf wartete, dass der Säbel sich senkte. Konowa ließ ihn sinken.

Die Trommelschläge wurden schneller und die Soldaten brüllten. Die Männer marschierten schneller, hielten Schritt mit dem Takt der Trommel. Die Kanonen wurden nach vorn gerollt, und die Maultiertreiber ließen ihre Peitschen knallen, um die Tiere in Schach zu halten.

Vor ihnen tobte die Schlacht. An der linken Seite wichen die Krieger der Hasshugeb langsam zurück. Sie hatten eine unregelmäßige Schlachtreihe von mehreren hundert Metern Länge gebildet und feuerten Musketensalven auf die angreifenden Drakarri, die unablässig ihr tödliches Feuer spuckten. Etlichen der Kreaturen gelang es, die Schlachtreihe zu durchbrechen und unter den panischen Hasshugeb zu wüten. Weiße Flammen schossen fast zehn Meter hoch in die Luft, wenn Krieger von dem übernatürlichen Feuer verzehrt wurden.

Die Stimme des Suljak übertönte den Kampflärm. Erneut peitschten Musketenschüsse durch die Luft, und zahlreiche Drakarri fielen. Diese kleine Atempause genügte, dass die Hasshugeb ihre Schlachtreihe neu formieren und ihren Rückzug so geordnet wie möglich fortsetzen konnten.

An der rechten Flanke jedoch spielte sich eine ganz andere Szene ab. Die Sarka Har schlugen kreischend um sich, während sie gegen das weiße Feuer vorrückten. Die Bäume rissen sich wortwörtlich in Stücke, um die Drakarri zu töten. Sie schlugen derartig heftig mit ihren Ästen um sich, dass sie teilweise abbrachen und wie Speere durch die Luft flogen.

Konowa hatte gehofft, dass ihr Forst durch Kaman Rhals Kreaturen aufgehalten werden könnte, aber die Blutbäume gewannen zunehmend an Boden. Eine dunkle Gestalt am Rand ihres Forsts schwang eine Lanze aus einem Frostfeuer, dem keiner der Feuerkreaturen widerstehen konnte. Wohin auch immer die Lanze zuckte, überwältigte Frostfeuer die Drakarri und ließ nur ausgebrannte Hüllen zurück.

»Ihr Emissär!«, stieß Konowa hervor.

Der Prinz und der Vizekönig sagten nichts. Konowa schoss erst jetzt durch den Kopf, wie bemerkenswert es war, dass beide Männer neben ihm hermarschierten. Weder der Prinz noch der Vizekönig waren an den Blutschwur der Stählernen Elfen gebunden. In ihnen brannte nicht die Macht des Frostfeuers, und doch zuckten sie nicht zurück, als die Stählernen Elfen sich dem Gewühl immer weiter näherten.

Sie waren noch fünfhundert Meter vom Eingang der Schlucht entfernt. Der Prinz hob erneut den Säbel, schwang ihn nach vorn und zurück und ließ ihn sinken. Das Regiment kam zum Stehen. Der Trommler hörte auf zu schlagen, als die Stiefel mit einem dumpfen Geräusch im Sand zum Halten kamen. Der Schlachtlärm fegte über das Regiment hinweg, das abwartend dastand.

Prinz und Vizekönig gingen zu der Kolonne zurück, während Konowa ein paar Schritte vor seine rechte Flanke trat. Dann drehte er sich herum und sah die Soldaten an. »Fahnenabteilung in die Mitte, Drittes Speerträgerregiment auf die rechte und linke Flanke … das Regiment bildet zwei Schlachtreihen … sofort!« Trotz des grauenvollen Gemetzels, das sich vor den Soldaten abspielte, nahm das Regiment mit perfekter Präzision Aufstellung. Jeder Soldat trat ruhig und gelassen an seinen Platz. Wenige Augenblicke später standen die Stählernen Elfen in zwei ordentlichen Reihen dem Eingang zur Knochenschlucht gegenüber.

»Die Neunpfünder-Kanonen an die rechte Flanke, die Sechspfünder an die linke … ausführen!« Peitschen knallten, und Räder knarrten, als die Kanoniere ihre Geschütze nach vorn brachten. Die Zugtiere wurden rasch ausgespannt und hinter die Linie geführt, während die Kanoniere sich beeilten, ihre Geschütze feuerbereit zu machen. Kanonenkugeln und Pulverladungen wurden von den Karren geladen, während der Artillerieoffizier jeder Kanone das Ziel anvisierte und die Waffe ausrichtete.

Konowa sah zur Schlucht. Zwischen den beiden Felswänden erfüllte allmählich ein blaues Licht den Himmel. Der Weg zum Eingang war von brennenden Leichen übersät. Feuerkreaturen rannten willkürlich herum und spuckten weiße Flammen, während vereinzelt Musketenschüsse knallten. Die Sarka Har wuchsen weiter und dehnten die Grenze des Forsts immer weiter zur Öffnung der Schlucht hin aus. Die Stählernen Elfen mussten schnell reagieren.

»Kanonen … auf mein Kommando … Feuer!«

Die Kanonenkugeln fegten aus den drei Rohren und beschrieben einen Bogen durch den Himmel auf die Schlacht vor ihnen zu. Die Schüsse waren etwas zu kurz gezielt, aber das war gar nicht schlecht. Die Eisenkugeln sprangen über den Sand und zerschmetterten alles, was ihnen im Weg stand. Ein Drakarri explodierte in einem weißen Blitz, der für eine Sekunde die Nacht zum Tag machte. Sarka Har wurden dutzendweise niedergemäht; ihre Stämme wurden von den Kugeln zerfetzt. Die Kanoniere feuerten unablässig weiter, und die Truppen sahen jubelnd zu, wie der Weg vor ihnen gesäubert wurde. Doch viel zu schnell war die letzte Kugel verschossen, und die Schlachtreihen der Stählernen Elfen verstummten. Der Pulverrauch stieg träge zum Himmel empor, und erneut wurden sie vom Kampflärm überschwemmt.

»Regiment … fertigmachen!«

Die Soldaten der ersten Reihe nahmen ihre Musketen von den Schultern und setzten sie an der Hüfte auf. Die in der zweiten Reihe hielten ihre Musketen in Brusthöhe.

Konowa blieb neben ihnen stehen und hob erneut seine Muskete. Frostfeuer loderte über den Lauf.

»Regiment … links marsch!«

Die Stählernen Elfen begannen ihren Marsch zur Schlucht. Der Trommler nahm seinen Takt wieder auf.

Feuerkreaturen wandten sich dem Regiment zu und rissen ihre Mäuler auf, in denen das weiße Feuer wie in einem Hochofen brannte.

»Ruhig weiter!«

Konowa spürte die kalte Wut der Sarka Har und sah, wie ihr Emissär begann, den Wald in Richtung der Stählernen Elfen auszurichten. Doch das Regiment marschierte ruhig weiter und überwand die Entfernung zum Eingang der Schlucht mit gemessenen Schritten. Auch wenn einen Soldat Furcht überkam, wurde sie von der Nähe zu seinen Kameraden unterdrückt. Sie waren eine Einheit, und sie würden auch als Einheit leben oder sterben.

Konowa warf einen kurzen Blick auf das Dritte Speerträgerregiment, und er fragte sich – etwas spät –, ob die Schrecken dieser Nacht vielleicht zu viel für diese Männer sein könnten, die ja nicht durch einen Schwur gebunden waren wie die Stählernen Elfen. Aber er sah sofort, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Die Soldaten des Dritten Speerträgerregiments rückten unmerklich vor, indem sie längere Schritte machten und dadurch die Schlachtreihe auflösten. Mehr als ein Sergeant brüllte sie an, gefälligst das Tempo zu halten. Die Soldaten starrten mit weit aufgerissenen Augen eindringlich auf die Schlacht, die vor ihnen tobte. Auch wenn die Spitzen ihrer schwertartigen Bajonette nicht von Frostfeuer funkelten, verriet ihre Haltung eine Wildheit, die ihnen eine Macht verlieh, die keine Magie jemals vollständig nachahmen konnte. Sie waren pure Krieger und würden heute Nacht Blut schmecken.

Die Gasse, die die Kanonen freigeschossen hatten, begann sich bereits wieder zu schließen. Konowa wusste, dass jetzt der entscheidende Moment gekommen war.

»Regiment … Halt!« Wieder krachten Stiefel auf den Boden, und eine Staubwolke erhob sich. Die hintere Reihe machte einen halben Schritt vorwärts und nach rechts, sodass sie zu der vorderen auf Lücke stand und jeder Soldat freie Schussbahn hatte. »Frontreihe … Anlegen zur Salve … Feuer!«

Die vordere Reihe der Stählernen Elfen verschwand in einer Rauchwolke, aus der Musketenkugeln fegten. Sie zerfetzten zahllose Feuerkreaturen, aber immer mehr erhoben sich aus dem Sand und nahmen den Platz der Gefallenen ein.

»Zweite Reihe … Anlegen zur Salve … Feuer!«

Noch bevor der Rauch sich verzogen hatte, stürmte Konowa bereits vor. Der Prinz und der Vizekönig brachen mit allen Traditionen und ignorierten jeden gesunden Menschenverstand, als sie durch die Doppelreihe zu Konowa an die vorderste Front stürmten. Vizekönig Alstonfar keuchte wie ein Kessel auf dem Feuer, aber er wurde nicht langsamer.

»In Kolonne … Regiment … Marsch!«

Fahnensergeant Salia Aguom trat mit den Fahnenträgern vor, während die Soldaten hinter ihm Aufstellung nahmen. Vom Forst drangen wütende Schreie zu ihnen herüber, als die Stählernen Elfen in die Gasse strömten. Die Feuerkreaturen begrüßten sie mit weißem Feuer, aber das hatte Konowa erwartet.

Die Eichel an seiner Brust wurde eiskalt, und dann fauchte lodernd Frostfeuer in seinen Händen auf. Schatten lösten sich aus der Dunkelheit und hielten mit dem Regiment Schritt. Sie bildeten einen schützenden, schwarzen Wall aus Flammen, während das weiße Feuer davon abprallte und über den Himmel zuckte. Der Eingang zur Schlucht war frei. Es waren nur noch hundert Meter bis dorthin. Der Himmel über der Schlucht wurde dunkelblau und pulsierte. Konowa wusste, dass die Stunde der Wahrheit jetzt anbrach.

Er hob seinen Säbel hoch in die Luft. Der Prinz folgte seinem Beispiel. »Regiment …«

Die Stählernen Elfen brüllten, die Fahnen wurden stolz in die Luft gehoben, wo sie sich knatternd entfalteten.

»… zum Angriff!«

 

Tyul folgte Jurwan, als der Magus über den Steinboden hüpfte. Dieser sah immer wieder über die Schulter zurück, ob Tyul ihm auch folgen konnte. Der Elf hielt Schritt, obwohl der Schmerz, den die Macht ihm durch den Fels hindurch bereitete, sich wie eine schwere Last auf ihn legte, sodass er das Gefühl hatte, durch Wasser zu waten.

Wenigstens konnte er jetzt den Boden besser sehen, und schließlich erkannte Tyul, dass sie sich einer Öffnung näherten. Jurwan eilte weiter, ohne langsamer zu werden, und verschwand im Licht. Tyul folgte ihm, so schnell er konnte, zückte seinen Eiddolch und legte schützend die Hand über die Augen, als er aus dem Tunnel heraustrat. Er hörte die Sprache seines Stammes und entspannte sich. Dann senkte er den Arm und versuchte zu verstehen, was er sah. Vor ihm standen Dutzende von Elfen, alle in der Uniform des Calahrischen Imperiums. Die abgeschnittenen Spitzen ihrer linken Ohren identifizierten sie sofort, aber nicht das war es, was Tyul vollkommen verblüffte, als sie sich um ihn sammelten und ihn eskortierten.

Nein, er staunte, weil er gar keinen Raum betreten hatte – er hatte seinen Fuß in den tiefen Forst in Hyntaland gesetzt.

Er war zu Hause.