19

»ICH HABE RALLIE aus den Augen verloren«, sagte Visyna, die den Saum ihres Gewandes hochhielt, als sie Chayii eiligst folgte. Die Elfe führte sie zum entlegenen Ende des Palastgeländes, wohin Rallies Wagen und Menagerie verbannt worden waren. Sie kamen an mehreren Soldaten vorbei, die nicht wussten, ob sie salutieren, sich verbeugen oder beides tun sollten.

»Sie weiß, wo wir hingehen. Komm schon, wir müssen uns beeilen!«, sagte Chayii, als sie zwischen ein paar blühenden Kakteen hindurchrannte.

Visyna hob ihr Kleid noch höher und rannte, während sie hoffte, dass niemand sie so sah. »Was hast du denn gehört?«

»Die Stimme von Grauender Morgen, wenn auch nur ganz schwach«, antwortete Chayii, ohne ihr Tempo zu verlangsamen. »Tyul hat seine Eidwaffe benutzt, und das hat etwas gekostet. Hier ist eine andere Magie am Werk.«

»Die Schattenherrscherin«, sagte Visyna.

»Ich habe keinen Zweifel daran, dass ihre Streitkräfte hier sind, aber das eben fühlte sich anders an.« Sie blieb stehen und drehte sich zu Visyna herum. »Hast du denn gar nichts gehört oder gespürt?«

Visyna schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Vorhin dachte ich, ich hätte etwas bemerkt, aber der Lärm auf der Feier machte es mir schwer, es zu verstehen. Und dann war es auch schon wieder weg.«

Chayii lächelte kurz. »Du bist weit stärker auf die Natürliche Ordnung eingestimmt, als ich gedacht habe.«

Visyna errötete über das Kompliment. Dann drehte sich Chayii wieder um, und sie rannten den Weg zu Rallies Wagen gemeinsam. Das Glühen einer Zigarrenspitze verriet, dass die alte Frau bereits dort war.

»Wie hast du das gemacht?«, erkundigte sich Visyna. »Als wir die Feier verließen, warst du doch hinter uns.«

Rallie stieß eine Rauchwolke aus und lächelte. »Ich kenne mich aus. Da wir gerade davon reden, pass auf, wo du hintrittst, Liebes. Diese Feier ist eindeutig sehr gut besucht.«

Visyna blickte nach unten und sah, was Rallie meinte. Pferde- und Kameldung übersäten den Weg. Man hatte zwar am Morgen den Dung weggeschafft, doch am Abend waren umso mehr Pferde und Kutschen gekommen.

»Eine merkwürdige Art, den Erfolg einer Feier zu bewerten«, sagte Chayii.

»Du musst es dir so vorstellen, als würdest du eine Beute verfolgen«, erwiderte Rallie. »Wenn das ein Wald wäre, könntest du dem, was auf dem Boden um uns herum verstreut liegt, viel entnehmen, stimmt’s?«

Chayii verbeugte sich leicht. »Deine Weltgewandtheit ist beeindruckend. Ich hatte schon immer Schwierigkeiten, mich durch große, bevölkerte Gebiete wie dieses hier zu bewegen. Die Entweihung der Natürlichen Ordnung ist hier so brutal.«

Visyna empfand das ebenfalls. Eine Stadt verströmte ihr Gift wie eine offene Wunde. Das Land wurde krank, die Natürliche Ordnung beschmutzt. Bannwirkern wie ihr fiel es schwer, saubere, nützliche Fäden zu finden. Sie seufzte. Sie könnte ihr ganzes Leben damit verbringen, die verschmutzte Energie in Nazalla zu reinigen, und würde doch niemals damit fertig werden. Die Sreex, Rallies fledermausartige Kuriervögel, krächzten im Planwagen, und einen Moment später sprang Jir heraus. Er war von Kragen und Kette befreit, hob den Kopf hoch in die Luft und witterte.

»Fühlt sich gut an, stimmt’s, mein Junge?« Rallie bückte sich und kraulte dem Bengar den Kopf.

Jirs Schnurren wurde so laut, dass sich Visynas Nackenhaare aufrichteten; sie schüttelte sich, zog rasch ihr Kleid aus und schlüpfte in Reisekleidung. Das Gewand warf sie hinten in den Wagen. Chayii musste sich nicht umziehen, weil sie sich geweigert hatte, ein Abendkleid anzuziehen, und ihre Elfengarderobe anbehalten hatte. Rallie hatte einfach ihren schwarzen Umhang mit einer rosa Schleife geschmückt, die sie jetzt abnahm und in eine Innentasche steckte.

»So, alles wieder normal. Also, fahren wir?« Rallie setzte sich auf den Kutschbock und griff nach den Zügeln.

Visyna und Chayii folgten ihr, während Jir, offenbar zufrieden, dass er nicht mehr angekettet war, auf die Pritsche sprang.

»Wir müssen Tyul finden«, erklärte Chayii. »In seinem jetzigen Zustand ist er unberechenbar. Ich dachte, er wäre in Sicherheit, wenn er auf dem Schiff bliebe. Ich dachte, die beiden wären in Sicherheit.«

Visyna legte Chayii eine Hand auf die Schulter. Die Elfe hatte mehr Kummer als die meisten anderen. Tyul war ein Diova Gruss, ein an die Macht einer Silbernen Wolfseiche Verlorener. Ihr Ehemann Jurwan war ebenso verzaubert und wurde in der Gestalt eines Eichhörnchens festgehalten.

Und dann war da auch noch ihr Sohn.

»Wenigstens wissen wir, wo Konowa die nächsten Stunden verbringen wird«, erklärte Visyna.

Rallie schnalzte mit der Zunge und ließ die Zügel klatschen. Die Brindos warfen ihre Köpfe hoch, legten sich ins Zaumzeug und marschierten los. Sie sahen aus wie Pferde, die eine dunkelgraue Rüstung trugen; ihre zähen, ledrigen Hautplatten glitten ein wenig unheimlich übereinander, wenn sie gingen, während die weichen Ohren der Tiere bei jedem Schritt auf- und abschwangen. Ihre kurzen Stummelschwänze wackelten heftig, und es war nicht klar, ob aus Freude, weil sie sich bewegen konnten, oder in dem vergeblichen Versuch, die Fliegen zu verscheuchen.

Chayii lächelte. »Er hatte keine einfache Kindheit. Er war einer der ersten Elfen, die nicht schon bei ihrer Geburt verbannt wurden. Ich selbst habe sein Ohr verstümmelt. Sein Vater hatte es ihm lassen wollen, um den Hynta-Elfen und der ganzen Welt zu zeigen, dass keinen seiner Söhne ein Schicksal ereilen würde, das er nicht freiwillig gewählt hatte.« Chayiis Stimme wurde leiser. »Ich wusste allerdings, dass sein Lebensweg auch ohne das schon schwierig genug werden würde.«

»Aber warum ist er so …« Visyna wusste nicht genau, wie sie die Frage beenden sollte.

»Er würde es niemals zugeben, aber seine Zurückweisung auf der Geburtswiese hat ihn schwer getroffen. In unserer Kultur gibt es keine höhere Ehre, als mit einer Wolfseiche eine Verbindung einzugehen. Man sagt, dass bis zu diesem Tag kein Elf wahrhaft vollständig ist. Konowa glaubte, dass sich an dem Tag, an dem er diese Verbindung eingehen würde, für ihn alles ändern würde. Er würde der erste von der Schattenherrscherin gezeichnete Elf sein, der von einem Ryk Faur erwählt und in die Lange Wacht eintreten würde.«

»Und nachdem er zurückgewiesen wurde?«, erkundigte sich Visyna.

»Er hat uns den Rücken zugekehrt, seinem Volk und sich selbst. Kurz danach ist er in die Imperiale Armee eingetreten. Sein Vater hat ihn dazu ermutigt.« Die Verbitterung in Chayiis Stimme war unüberhörbar, ebenso wie das Bedauern.

»Es ist noch nicht zu spät für ihn«, sagte Visyna und hoffte, dass ihre Worte zutrafen. »Es ist noch nicht zu spät für keinen von ihnen. Wir haben den Roten Stern meinem Volk wiedergegeben und Elfkyna gerettet. Wir haben den Wald der Schattenherrscherin auf den Inseln zerstört. Und wir werden auch hier siegen.«

Chayii wandte den Kopf und betrachtete Visyna aufmerksam. »Dein Land und dein Volk wurden tatsächlich gerettet, und doch bist du hier.«

Visyna errötete, wandte den Blick jedoch nicht ab. »Konowa ist noch immer in Gefahr, und ich werde auch ihn retten … wenn ich kann.«

Darauf antwortete Chayii nicht, sondern streckte die Hand aus und nahm Visynas in ihre. Rallie blickte in den Himmel und deutete auf die Sterne. »Dann solltet ihr besser eure Augen aufhalten, weil wir jede Hilfe brauchen können, die wir bekommen können.«

Der Wagen rollte über das Gelände und näherte sich einem Tor des Palastes. Etliche Wachposten standen da und sahen ihnen entgegen, machten jedoch keinerlei Anstalten, sie aufzuhalten. Sie grüßten die Ladys nur mit einem Tippen an ihre Tschakos, als sie vorbeifuhren. Visyna sah Chayii und Rallie an und dachte daran, was sich in dem Planwagen befand. Ihr wurde klar, dass die Soldaten eine sehr kluge Entscheidung getroffen hatten.

»Sollten wir es nicht jemandem sagen?«, erkundigte sich Visyna, die zusah, wie die Lichter des Palastes verschwanden, als sie um eine Ecke bogen.

»Es ist besser, wenn wir das einstweilen für uns behalten«, erwiderte Rallie. »Außerdem haben wir ja noch meine Sreex. Wenn wir dem Prinzen und dem Major eine Nachricht senden müssen, werden wir das tun. Bis dahin ist es besser, wenn wir so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen.«

»Fahr nach Süden, hinaus aus der Stadt«, erklärte Chayii. »Die Stimme von Grauender Morgen ist von dort gekommen.«

»Nach Süden? Das bringt uns in die Wüste. Interessant«, sagte Rallie. Sie schnalzte wieder mit der Zunge, und die Brindos fielen in einen Trab.

 

Aus dem Erdgeschoss ertönten Schreie. Alwyn versuchte zu verstehen, was dort geschrien wurde, aber es war zu undeutlich. Er griff nach seiner Muskete, als ihm einfiel, dass er sie bei Yimt gelassen hatte. Die Schreie wurden lauter, und eine Stimme erhob sich über die anderen.

Yimt.

»Ich muss gehen«, sagte Alwyn und wollte aufstehen.

Nafeesah hielt ihn am Arm fest. »Das hat nichts zu bedeuten. Bleib. Wir müssen noch den Grund erforschen, weshalb du überhaupt hier heraufgekommen bist.«

Alwyn sah sie an, und sein Mund klappte auf. »Das kann ich nicht, nicht jetzt. Verstehst du nicht? Kaman Rhals Macht ist hier. Jemand oder etwas wirkt das weiße Feuer. Und an die Armee der Toten will ich gar nicht erst denken.« Genau genommen hatte er in den letzten Wochen an nichts anderes gedacht, weil ihn die Schatten seiner gefallenen Kameraden niemals verließen.

»Und was, glaubst du, kannst du tun? Warum müssen Männer immer so herumbrüllen und damit drohen, irgendetwas zu tun?«, erkundigte sich Nafeesah.

Das Geräusch von splitterndem Holz drang zu ihnen herauf, was Alwyn einen Moment faszinierte, weil er sich nur an Kissen erinnern konnte.

»Ich muss wirklich gehen.« Alwyn knöpfte seine Uniformjacke zu. »Ich weiß nicht, was da unten vor sich geht, aber was es auch ist, ich muss es herausfinden, und ich muss es meinem Korporal sagen.« Er stand bereits an den Vorhängen, wandte sich dann jedoch wieder um, ging zu Nafeesah zurück und kniete sich neben sie. Er hatte den Wunsch, ihr etwas Tröstendes zu sagen, obwohl er nicht genau wusste, ob er sie oder sich selbst beruhigen wollte. »Vielleicht kann ich, wenn all das vorüber ist, hierher zurückkommen und … und dich besuchen.« Er beugte sich vor, um sie zu küssen. Ihre Lippen berührten sich, und Alwyn vergaß alles andere. Einen seligen Moment lang existierten kein Schmerz, kein Schwur und kein Tod.

»Du lächelst«, sagte Nafeesah, während sie ihre Lippen auf seinen Mund drückte.

»Danke.« Alwyn wollte nicht, dass dieser Kuss endete.

Nafeesah bog den Kopf zurück und sah ihm in die Augen. »Du kannst mir bei deiner Rückkehr ordentlich danken.«

Alwyns Lächeln erstarb. »Das würde ich sehr gern tun, aber ich …«

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Du wirst zurückkehren, Alwyn Eidschwörer, Elf aus Eisen. Ich weiß es.«

Alwyn sah ihr lange in die Augen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Er nahm sanft ihre Hand und hielt sie fest. »Was sage ich den anderen? Über uns? Ich meine, was sollte hier oben passieren?«

Nafeesah schüttelte den Kopf, und ihre Locken strichen über Alwyns Gesicht. »Sag ihnen, dass du so außerordentlich gewesen bist, dass ich mich geweigert habe, dein Geld anzunehmen.«

Schreie erschütterten die Wände. »Ich sollte jetzt wirklich gehen.«

Sie nickte. »Pass auf dich auf.«

Alwyn ließ ihre Hand los und wandte sich zum Gehen, aber Nafeesah packte seinen Arm und zog ihn zurück. Sie küssten sich erneut. Alwyn überlegte gerade, ob er wirklich nach unten gehen musste, als das Klirren von Glas ertönte. »Ich muss los!«, sagte er, drehte sich um und humpelte zur Treppe. Er warf einen letzten Blick auf Nafeesah, trat dann durch die Vorhänge und ging die Treppe hinab.

Als er unten ankam, fand er sich in einer ausgewachsenen Rauferei wieder.

Ganz offenbar hatten Yimts Versuche, einen Aufstand zu verhindern, keinen Erfolg gezeitigt. Nachdem sich Alwyns Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, begriff er, dass sich die Stählernen Elfen nicht mit den Einheimischen prügelten, sondern mit einer Gruppe Soldaten vom Zwölften Infanterieregiment. Die Einheimischen suchten verzweifelt Deckung.

Yimt verprügelte gerade einen Korporal des Zwölften, während Hrem, Scolly und Teeter von mindestens sieben Soldaten umzingelt wurden. Inkermon hatte in der einen Hand eine zerbrochene Flasche und in der anderen ein Weinglas und hielt drei Soldaten in Schach. Zwitty war nirgendwo zu sehen.

»Ducken!«

Alwyn ging in die Hocke, weil er nicht wusste, ob diese Warnung an ihn gerichtet war. Als eine Flasche dicht über seinen Kopf hinwegflog, vermutete er, dass es so gewesen war. Er stand auf, also, zwei Soldaten des Zwölften Regiments sich auf ihn stürzten.

»Da ist noch einer von diesen Mistkerlen.«

Alwyn griff nach dem Erstbesten, was er als Waffe benutzen könnte, und hielt ein Kissen in der Hand. Er riss es auf und warf es in die Luft. Federn verteilten sich über alle. In der darauf folgenden Verwirrung lief er durch die weiße Federwolke und griff die Soldaten an. Er schlug sofort zu. Die Nase eines der Soldaten brach mit einem feuchten, knirschenden Geräusch, und der Mann fiel ohne einen Mucks zu Boden. Der zweite Soldat packte Alwyn am Kiefer und schleuderte ihn zurück. Alwyn griff nach seiner Brille, um sie zurechtzurücken, und stellte verblüfft fest, dass sie nicht zerbrochen war. Der Soldat stürzte sich auf ihn und holte mit der Faust aus, als er plötzlich innehielt und auf Alwyns Holzbein starrte.

»Oh, zum Teufel, ich habe nicht gemerkt, dass du ein Krüppel bist.«

Erneut knirschte es nass, und dem Soldaten flogen die Zähne aus dem Mund. Alwyns Hand schmerzte höllisch, aber er lächelte und sah sich nach dem nächsten Gegner um.

Draußen ertönten Pfiffe und Schreie, und plötzlich rannten alle zum rückwärtigen Teil der Schänke. Hrem packte Alwyn mit einem Arm und trug ihn. Sie rannten durch mehrere Perlenvorhänge und standen in einer Gasse.

»Lass mich runter, Hrem. Ich kann kaum noch atmen«, keuchte Alwyn.

»Was? Oh, Entschuldigung.« Hrem stellte ihn auf die Füße.

»Alle da?« Yimt rückte seinen Tschako zurecht. Er keuchte, und sein Gesicht war rot, aber trotzdem lächelte er. »Wo ist Zwitty?«

»Hier.« Zwitty kam aus der Hintertür der Schänke. Er hatte zwei Musketen in den Händen, von denen er eine Alwyn zuwarf. »Die willst du sicher nicht verlieren.«

Alwyn fing die Waffe auf und bedankte sich mit einem Nicken. Die anderen holten tief Luft und knöpften ihre Jacken zu. Teeter hatte eine hässliche Wunde auf der Stirn, und Hrems Hände waren blutig, aber ansonsten sahen es aus, als hätten sie sich gut geschlagen. Inkermon umklammerte immer noch sein mittlerweile leeres Weinglas.

»Worum ging es denn?«, fragte Alwyn, als Yimt sie durch die Gasse führte. Ohne dass sie den Befehl bekommen hätten, fächerten die Soldaten aus, die Musketen schussbereit in den Händen.

»Es ging um den Stolz des Regiments«, erwiderte Yimt. »Diese neunmalklugen Armleuchter glaubten, sie könnten ein paar abfällige Bemerkungen über den Prinzen und den Major machen, also mussten wir sie zurechtweisen. Es folgte eine recht lebhafte Diskussion, von der du wohl das Ende noch mitbekommen hast.«

»Aber wir haben uns doch selbst über die beiden beschwert«, wandte Alwyn ein.

»Aye, das haben wir, und das ist auch unser gutes Recht. Die beiden sind unser Oberst und unser Major, und wir haben alles Recht, ja sogar die Pflicht, über sie zu meckern. Die anderen Blödmänner aber nicht. So funktioniert das eben.«

Alwyn versuchte das zu begreifen. »Trotzdem, jetzt ist keiner von euch nach oben gegangen.«

Yimt sah ihn an, immer noch lächelnd. »Das stimmt, aber du warst oben. Wie ist es gelaufen?«

Alwyn spürte ihre Blicke auf sich.

»Nicht so, wie es eigentlich laufen sollte.« Ihm fiel zu spät ein, was Nafeesah ihm gesagt hatte. Doch bevor das Johlen losgehen konnte, berichtete er rasch alles über Kaman Rhal und das weiße Feuer.

Teeter schüttelte den Kopf. »Bist du sicher, dass du das nicht alles geträumt hast? Du hast verdammt viel an dieser Wasserpfeife genuckelt.«

Alwyn schüttelte den Kopf. »Ich war hellwach, glaubt mir. Hört mal, wenn das, was sie sagte, stimmt, dann wissen wir wenigstens, womit wir es zu tun haben.«

»Er hat recht«, meinte Hrem. »Es wird verdammt noch mal Zeit, dass wir wissen, gegen wen wir eigentlich kämpfen.«

»Oder aber wir können die ganze Sache ruhen lassen und niemandem etwas davon sagen«, meinte Zwitty. »Wir haben keine Ahnung, ob etwas von dem, was sie Alwyn erzählt hat, der Wahrheit entspricht.«

»Aber es passt, oder nicht?«, meinte Yimt. Er drehte sich zu Alwyn herum. »Bist du dir dessen wirklich sicher, Junge?«

»Geht zurück und fragt sie selbst«, schoss Alwyn zurück und setzte dann hastig hinzu: »Korporal.«

Yimt fuhr sich mit der Hand durch den Bart und zog ein Stück Orange heraus. Er stopfte es mit Schale und allem drum und dran in den Mund. »Also gut, ich glaube dir. Aber du hast wirklich sehr merkwürdige Begegnungen.«

»Und was machen wir jetzt?«, wollte Hrem wissen.

Schreie hallten von den Mauern der Gasse wider. »Erstmal«, Yimt packte Alwyns Arm und zog ihn zum Ende der Gasse, »machen wir, dass wir hier wegkommen. Der Vizekönig hat einen Haufen Polizisten, die nur darauf warten, unschuldige Soldaten wie uns einzusperren.«

Alwyn sah auf den Zwerg hinunter, als sie davonstürmten. »Unschuldig?«

»Das ist nur so eine Redewendung, Ally, nur eine Redewendung«, erwiderte Yimt keuchend. »Es gebietet einfach die Logik, dass wir immer bei irgendetwas unschuldig sind, auch wenn wir uns etwas anderes haben zu Schulden kommen lassen.«

Dieser Logik konnte Alwyn nicht widersprechen, aber das war bei Yimt eigentlich immer so, weil man sie einfach nicht verstehen konnte.

»Das hier ist nicht der Weg zum Palast«, erklärte Alwyn, als sie um eine Ecke bogen und durch eine andere Gasse liefen. Er sah sich um und bemerkte erleichtert, dass der Rest des Zuges ihnen folgte.

»Es hat sowieso keinen Sinn, jetzt dorthin zurückzukehren«, meinte Yimt. »Auf den Straßen wird es von Leuten nur so wimmeln, unter anderem auch von ein paar Burschen aus dem Zwölften, die nach Vergeltung dürsten. Am besten ist es, diesem ganzen Gewühl auszuweichen und für eine Weile in Deckung zu gehen.«

»Aber wir müssen es dem Major sagen. Das hier ist wichtig«, meinte Alwyn, schüttelte Yimts Hand ab und blieb stehen. »Selbst wenn nur einiges von dem, was Nafeesah sagte, wahr ist, müssen wir handeln.«

Die anderen Soldaten blieben stehen, beugten sich vor oder sanken an eine Wand. Sie klangen wie eine Herde Rennpferde nach einem anstrengenden Rennen.

»Das werden wir auch, mein Junge, das werden wir, aber du musst deinem Korporal vertrauen. Es gibt eine Zeit, in der man mit vorgespanntem Hahn marschiert, und eine Zeit, in der man mit gespanntem Gewehrhahn marschiert.« Aus der Nähe hallten weitere Schreie zu ihnen herüber. Yimt deutete mit dem Daumen auf eine weitere dunkle Gasse. »Und das hier jetzt ist ganz eindeutig eine dieser Zeiten.«

Alwyn schob seine Brille wieder auf die Nase und folgte ihm. Sie bogen gerade um eine andere Ecke, als es Alwyn dämmerte. »Korporal?«, fragte er. »Welche dieser Zeiten haben wir jetzt?«