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DER ERSTE SCHWARZE Pfeil ihrer Elfen zischte aus dem Dickicht des Waldes. Doch die Stählernen Elfen waren vorbereitet. Dicke Eichenplanken, die ebenfalls vom Schwarzen Dorn stammten, klappten hoch und schützten Soldaten und Mannschaft. Holz und Pfeile splitterten, und tödliche Querschläger pfiffen in alle Richtungen. Männer schrien auf. Zwei von ihnen taumelten über Bord ins Wasser, und ihre Schreie verstummten schlagartig unter den Wellen.
Konowas Wut flammte auf. Ihre Elfen hatten offenbar einen neuen Trick gelernt. Nun, seine Jungs ebenfalls.
»Kanonen … zweite Salve … Feuer!«
Erneut bellten die Kanonen, aber diesmal hatte Arkhorn sie mit Kettenkugeln geladen. Diese Art von Munition war ebenso einfach wie tödlich. Zwei durch eine lange Kette miteinander verbundene Kanonenkugeln flogen aus der Mündung, drehten sich und mähten alles nieder, was in ihren Weg kam. Ursprünglich waren sie entworfen worden, um Masten feindlicher Schiffe umzulegen, aber sie fällten ebenso effektiv ihren Wald und die Kreaturen, die sich darin verbargen.
»Denkt daran, wir wollen einen der Elfen lebendig fangen!«, schrie Konowa, obwohl er wusste, dass das sehr wahrscheinlich unmöglich war. Er hatte auch keine Idee, was es nützen würde, wenn es ihnen gelänge. Diese Elfen waren ebenso dunkel und pervertiert wie die Bäume der Schattenherrscherin.
Wut- und Schmerzensschreie der Rakkes stiegen zum Himmel empor, als sich der Kiel des Bootes in den Sand grub und es zum Stehen kam. Konowa ließ sich von dem Schwung mittragen und sprang an Land, aber er war bereits mehrere Schritte hinter Soldat Renwar und Jir. Konowa wusste sehr wohl, dass sein Platz bei den Männern war, dass er sie in einem geordneten Marsch über die Insel führen sollte, aber seine aufgestaute Wut entlud sich und trieb ihn voran, wie sie es bisher auf jeder Insel getan hatte. Er wusste tief im Herzen, dass es hier um Vergeltung ging. Die Schattenherrscherin hatte seinen Vater benutzt, eine List angewandt, um zu ihm zu gelangen, und dadurch hatte sie Konowa und die neuen Stählernen Elfen in einem ewigen Schwur gebunden. Sie suchte sie jetzt in ihren Träumen heim, sie rief sie. Konowa fühlte das Zerren, aber er fühlte auch noch etwas anderes: rasende Wut.
Frostfeuer loderte boshaft über die Klinge von Konowas Säbel. Er grinste und griff an, suchte nach irgendetwas, das er töten konnte.
Korporal Arkhorn schrie ihm zu, er solle sich gefälligst aus der Schusslinie der Kanone fernhalten, aber Konowa hatte bereits die Berge von toten und sterbenden Rakkes durchquert und befand sich zwischen den Sarka Har, den Blutbäumen der Schattenherrscherin. Jede Qual, die Konowa jemals in seinem Leben erfahren hatte, versank vor den Hieben seiner Waffe.
Er schlug mit solcher Gewalt auf die Zweige und Äste der Bäume ein, dass seine Schultermuskeln schon nach den ersten Schlägen schmerzten. Wann immer seine Klinge auf die Bäume traf, gingen sie in einer kalten, dunklen Flamme auf; das schwarze Feuer verzehrte sie mit gnadenloser Wirksamkeit.
Konowa lächelte; es war eine nervöse Angewohnheit, die er sich in der Schlacht angewöhnt hatte, und er schlug erneut zu. Schwarze, eisige Flammen fauchten durch die Luft, als sein Säbel die Blutbäume zerhackte und verbrannte. Diese Bäume sollten nicht existieren. Der pervertierte Verstand der Schattenherrscherin schuf diese albtraumhaften Forste, die jedes Leben vernichteten. Sein ganzes Leben lang hatte er unter ihrer dunklen Magie gelebt. Hier und jetzt konnte er sich für dieses Schicksal rächen.
»Deine Macht gehört mir, Elfenhexe!«, brüllte er und spaltete einen Baum mit einem Hieb in zwei Hälften. »Und ich werde dir damit ein Ende bereiten!«
Ein Pfeil zischte so dicht an seinem Gesicht vorbei, dass die Federn an seinem Ende seine Haut streiften. Konowa drehte sich um, wollte den Schützen suchen, aber Jir war schneller. Der Bengar sprang und schloss seine gewaltigen Kiefer um die Kehle eines Dunkelelfs. Er riss ihn zu Boden. Konowa ersparte sich die Mühe, Jir zurückzurufen. Der Dunkelelf war tot, noch bevor er die Erde berührte.
Drei Rakkes stürmten aus den Bäumen hervor und direkt auf Konowa zu. Die milchigweißen Augen traten ihnen fast aus den Höhlen, und Geifer flog von ihren langen, gelben Reißzähnen. Konowa drehte sich auf der Stelle herum und stellte sich ihnen. Plötzlich tauchte eine zweite Gestalt von der linken Seite auf und krachte in das erste Rakke, schleuderte es zu Boden und den beiden anderen in den Weg.
»Renwar!«, brüllte Konowa, der den Soldaten sofort erkannte. Musketier Renwar stand über dem ersten Rakke und hatte das Bajonett seiner Muskete so tief in den Brustkorb der Kreatur gerammt, dass er es nicht mehr herausziehen konnte.
Die beiden anderen Rakkes waren sofort wieder auf den Füßen und konzentrierten sich jetzt auf den Soldaten. Zehn Zentimeter lange Krallen schlugen nach seinem Kopf. Konowa sprang vor, packte seinen Säbel mit beiden Händen und schlug zu. Er trennte einem Rakke den Arm am Ellbogen ab. Frostfeuer explodierte in der Wunde, raste über seinen Körper und schleuderte ihn zu Boden.
Das dritte Rakke sprang los und riss Renwar zu Boden. Konowa hob den Säbel, um erneut zuzuschlagen, aber plötzlich erschien ein faustgroßes Loch im Rücken des Rakke, aus dem Frostfeuer loderte. Konowa trat die Leiche zur Seite, bückte sich und reichte Renwar die Hand, um ihm aufzuhelfen. Dann zog er sie überrascht zurück. Schwarze Flammen, dunkler und intensiver als alles, was Konowa bisher jemals beschworen hatte, schlugen aus den Händen des jungen Soldaten. Konowa versuchte, Renwars Miene zu erkennen, aber die Flammen wurden von den Brillengläsern des jungen Soldaten reflektiert. Es schien, als würden selbst seine Augen brennen.
»Hinter Ihnen, Major!«
Die schwarze Eichel schickte eine kalte Warnung in Konowas Herz, als er sich umdrehte und sich einer Gruppe von Rakkes gegenübersah, die mit spitzen Holzknüppeln bewaffnet waren.
»Schaffen Sie Ihren verdammten Hintern in den Sand!«, brüllte jemand vom Ufer. Konowa warf sich in den Sand, obwohl die Rakkes nur wenige Meter von ihm entfernt waren. Einer hob den improvisierten Knüppel und wollte zuschlagen.
Eine Kanone bellte auf, und die Welt verschwand. Rauch und Sand fegten über Konowa hinweg, und die Wucht des Sogs hob ihn ein Stück vom Boden. Brennende Funken landeten auf seinen Handrücken und seinem Nacken, als das unverkennbare Geräusch von schwerem Metall über ihn hinwegpfiff. Seine Nase und seine Ohren wurden von Sand und etwas Nassem verstopft. Hinter seinen Augenlidern tanzten schwarze, weiße und orangefarbene Blitze.
Konowa blinzelte mehrmals und stützte sich auf den Ellbogen. Die Kettenladung hatte ihre Aufgabe gut erledigt. Die Reste der Rakkes lagen in einer geronnenen Pfütze von Blut und Knochenstücken auf dem Boden. Es schien, als wollte der Zwerg diesmal seine Korporalstreifen unbedingt behalten.
»Renwar, sind Sie …?« Konowa hielt inne, aber der Soldat war bereits aufgesprungen und stürmte tiefer in den Wald hinein. Frostfeuer loderte an den Händen des Soldaten und züngelte über seine Muskete. Konowa blieb nicht die Zeit, lange darüber nachzusinnen; er sprang auf und klopfte sich den Sand aus der Uniform. Dann krümmte er die rechte Hand und packte seinen Säbel. Er hatte Kraft genug.
»Haben Sie gesehen, wohin Soldat Renwar verschwunden ist, Sir?« Korporal Arkhorn trat achtlos über die Leichenteile. Er hielt seine Doppelarmbrust bereit und schwenkte die doppelläufige Waffe wachsam über den Waldrand.
»Mir geht’s gut, Korporal«, antwortete Konowa und pflückte sich umständlich ein Stück Rakke-Schädel von der Uniform.
»Klar geht es Ihnen gut, Sir! Ich habe schließlich eine Warnung gerufen, stimmt’s? Also, haben Sie Ally gesehen?«
Bevor Konowa antworten konnte, hörten sie ein Kreischen, und dann ertönte ein Musketenschuss ein Stück vor ihnen. Konowa spürte das Lodern von Frostfeuer und schwankte, als er fühlte, wie viel Macht darin lag.
»Okay, Sir. Ich weiß, wo er ist«, erklärte Arkhorn. »Also gut, Jüngelchen, wir haben das schon einmal durchexerziert. « Er winkte eine Abteilung Stählerne Elfen heran und ließ sie um sich herum Aufstellung beziehen. »Bildet einen Keil, und lasst eure Hälse kreisen, sonst sind ihre Schätzchen das Letzte, worum ihr euch sorgen müsst.«
Jemand stöhnte.
»Warum überlassen wir das hier nicht den Fivis? Sie sind schon tot, und wir nicht. Warum müssen wir auch noch unsere Hälse riskieren, hm?«
Konowa konnte nicht sehen, wer die Frage gestellt hatte, aber es war nicht das erste Mal, dass sie geäußert wurde. Es hatte angefangen, kurz nachdem die »Fivis«, die Finster Verschiedenen, die Schatten der Toten, aufgetaucht waren und dem Regiment geholfen hatten.
Korporal Arkhorn legte zwei Finger an die Lippen und stieß zwischen seinen Metallzähnen einen Pfiff aus. Es klang, als würden zwanzig Wasserkessel auf einmal kochen. »Noch so ein Ausbruch, und ihr schwimmt von hier bis zu den Südlichen Einöden. Ihr wisst verdammt gut, dass die ›Finster Verschiedenen‹ die Sonne nicht sonderlich mögen. Sie sind tot. Die Nacht ist ihre Domäne. Also ehrlich, haben eure Mütter euch denn nie Märchen vorgelesen? Wir sind auf uns allein gestellt. Also, verhaltet euch klug, will sagen, so klug ihr Burschen könnt, und wir schaffen das hier ohne Probleme. Verteilt euch, und macht keine Dummheiten. Ich will nicht, dass ihr euch zusammenrottet und euch dadurch zu einem leichten Ziel macht.« Korporal Arkhorn sah seine Leute der Reihe nach an und wartete, bis jeder einzelne von ihnen genickt hatte.
»Oh, und der Prinz höchstpersönlich lässt für jeden Mann, der einen Elf fängt, zehn Goldstücke springen, den anwesenden ausgenommen.« Er sah Konowa an und tippte salutierend an seinen Tschako.
Konowa erwiderte den Gruß und versuchte vergeblich, ein Grinsen zu unterdrücken.
»Links um … bewegt eure Ärsche!« Die Soldaten folgten Arkhorn. Um die Bajonette am Ende ihrer Musketen züngelten schwarze Flammen.
Konowa erkannte ein paar von ihnen, als sie vorbeimarschierten, unter anderem den riesigen Soldaten Hrem Vulhber. Konowa nickte ihm zu, aber der Soldat starrte ihn nur kurz an, bevor er weitermarschierte. Das war Insubordination, aber Konowa ließ zurzeit sehr viel durchgehen. Je früher sie mit dieser Insel fertig waren, desto früher konnten sie in den Südlichen Einöden landen und sich mit den ursprünglichen Stählernen Elfen vereinen. Dann würde die Schattenherrscherin wahrlich den Orkan ernten, den sie gesät hatte.