12

EIN REGIMENT STINKT.

Das ist auch nicht verwunderlich. Es marschiert durch Schlamm und Flammen und wird ebenso von Blut und Schmutz durchnässt wie vom Regen. Es wühlt die Erde auf und zerreißt förmlich die Luft, während es sich stählt und dabei dünner wird.

Ein Regiment stinkt nach Schweiß, Urin und Bier. Es trägt mit Würde den Geruch von altem Leder, den stechenden Gestank von Stiefelwichse und den erdigen von Ziegelstaub. Das Aroma des Schwarzpulvers, das nach faulen Eiern riecht, mischt sich mit dem kühlen Duft von Stahl. Alle möglichen Gerüche wabern in der Hitze von ihm hoch und erzeugen eine unverkennbare Mischung aus frisch geschlagenem Holz, frischem Dung und schimmeligem Brot; das alles wird gefiltert durch den ständigen Dunst scharfen Tabakrauchs.

Manchmal riecht es auch nach Furcht und Courage. Diese beiden Gefühle sind so untrennbar miteinander verwoben, dass sie wie ein einziges erscheinen.

Vor allem jedoch riecht ein Regiment nach Leben: widerlich, berauschend und intensiv.

Die Stählernen Elfen aber rochen noch nach etwas anderem: nach dem Schwur. Sein Geruch durchdrang alles, und obwohl ihn niemand beschreiben konnte, war er klar und unverwechselbar.

Alwyn stellte ihn sich als eine sich ausbreitende Blutpfütze vor: dunkel, zäh und dauerhaft. Über dieses Thema wollten nur wenige Soldaten reden, und selbst wenn er mit Mistress Rote Eule, Mistress Tekoy oder auch Rallie sprach, konnte er es nicht richtig erklären, und sie konnten es nicht ganz verstehen.

Stell dir Holz vor, sagte er sich, und versuchte, das Bild von Blut aus seinem Verstand zu löschen. Holz konnte mit Sand behandelt, sogar lackiert und bemalt werden. Holz war formbar, natürlich und behielt Elemente seines Geistes selbst nach seinem Tod; jedenfalls hatten ihm das Mistress Rote Eule und Mistress Tekoy erzählt.

Alwyn verlagerte das Gewicht von seinem gesunden Bein auf sein Holzbein und wieder zurück, während er mit den anderen auf den Marschbefehl wartete. Der Prinz sprach immer noch, aber Alwyn versuchte erst gar nicht zu verstehen, was er sagte. Die Sonne lastete wie ein dicker, flacher Pflasterstein auf ihm. Ihm war schwindlig, und in seinem Tschako schien ein Ofen zu brennen. Er fuhr sich mit dem bereits durchnässten Ärmel über die Stirn und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.

Der Rucksack auf seinem Rücken grub sich in die Fleischwulst direkt über seiner Taille. Er rückte die Riemen zurecht und rollte ein paarmal mit den Schultern, aber es gelang ihm nicht, eine bequemere Position zu finden. Es war nicht schwer zu erraten, warum nicht. Die Soldaten trugen wie zweibeinige Packesel ihr Leben auf ihrem Rücken, obwohl Alwyn vermutete, dass Maulesel wahrscheinlich besser behandelt wurden. Er versuchte zu überlegen, was er bei der erstbesten Gelegenheit wegwerfen könnte. Die naheliegende Wahl fiel auf den Mantel und die Decke, die zu einer Rolle gefaltet oben auf seinen Rucksack geschnallt waren. Dieses Bündel zwang ihn, den Kopf in einer unbequemen Haltung nach vorn zu neigen, und er wusste nicht, wofür er diese beiden Dinge in dieser Hitze brauchen sollte.

»Korporal«, sagte er, als Yimt an ihm vorbeiging und die Reihen der Soldaten musterte. Yimt drehte sich um und ging zu ihm. Dann musterte er Alwyn von Kopf bis Fuß. »Besteht die Möglichkeit, dass wir den Mantel und die Decke loswerden können?«

»Ja, Korporal, wie ist es damit?« Zwitty hatte bereits den Rucksack abgenommen und öffnete die Schnallen, um den Packen davon zu lösen.

Yimt packte den Saum seines Kilts und wedelte damit in der Luft, um eine Brise zu erzeugen. »Ich bin der Erste, der zugibt, dass diese Hitze mir mein Gekröse weich kocht, aber es wird nicht immer so heiß sein. Ihr behaltet die Ausrüstung bei euch.« Ein paar Soldaten begannen ebenfalls, mit ihren Kilts zu wedeln, wenngleich auch nicht so kühn, wie der Zwerg es getan hatte.

Zwitty schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Diese Korporalstreifen steigen dir zu Kopf.«

»Meine Faust wird dir zu Kopf steigen, wenn du noch mal frech wirst, Soldat.« Yimt lächelte fröhlich, was nahelegte, dass er sich nichts sehnlicher wünschte. »Ihr seid ein Haufen ahnungsloser Babys. Merkt euch meine Worte: Jeder Soldat, dem es gelingt, seinen Mantel oder seine Decke zu verlieren, wird die anderen bald anflehen, ihm eine für zwanzig Goldmünzen zu verkaufen. Das hier ist nicht Elfkyna. Es wird schnell heiß, aber noch schneller wird es kalt.«

Seine Bemerkung wurde mürrisch aufgenommen, aber sie alle hatten mittlerweile gelernt, dass es sich lohnte, etwas mit seinem Leben zu verteidigen, wenn Yimt sagte, es wäre dieses Opfer wert. Der Zwerg beugte sich zu Alwyn vor und winkte ihn zu sich, damit man sie nicht belauschen konnte. »Ein kluger junger Mann käme vielleicht auf die Idee, noch eine Decke mitzunehmen, wenn er kann. Man weiß nie, was die Nächte bringen …«

Alwyn dachte darüber nach, während Yimt weiterging, aber die Hitze trieb ihm diesen Gedanken rasch aus dem Kopf. Es musste doch etwas geben, was er loswerden konnte.

Dass sie das Schiff endgültig verließen, hatte die Moral im Regiment beträchtlich verstärkt, trotz der beunruhigenden Aussicht, in einem unbekannten Wüstenland kämpfen zu müssen. Sie hatten Pökelfleisch und Zwieback für vier Tage mitbekommen. Als Alwyn das mit der noch bedrohlicheren Aussicht, von Yimts Kochkünsten leben zu müssen, verglich, kam er zu dem Schluss, dass er diese Vorräte auf jeden Fall behalten sollte. Ebensowenig würde er sich von Nadel und Faden trennen, einem Geschenk, das Meister Yuimi, der kleine Elfenschneider, ihm gemacht hatte, als er sich damals zum Militär meldete. Das Reservehemd, die Strümpfe, die Schuhwichse und die Geldbörse waren ebenfalls von essenzieller Bedeutung und konnten nicht zurückgelassen werden.

Alwyn blickte an sich herunter und klopfte auf die Feldflasche, die mit Wasser gefüllt war, und den Kürbis mit Rok Har, dem Elixier aus Schösslingssaft, dem Energiegetränk der Elfen der Langen Wacht, wenn sie weite Reisen unternahmen. Beides würde er ebenfalls nicht aufgeben, genausowenig den Beutel mit 65 Musketenkugeln und Pulverladungen oder seine Muskete und sein Bajonett.

Er seufzte und zuckte wieder mit den Schultern. Schmerz und Leiden schienen der ständige Zustand eines Soldaten bei den Stählernen Elfen zu sein. Er versuchte, sich an eine Zeit zu erinnern, wo das anders gewesen war, aber ihm fiel keine ein.

Alwyn verlagerte erneut sein Gewicht und zuckte zusammen.

»Sieht aus, als müsstest du es wieder wässern«, meinte Hrem und deutete auf Alwyns Holzbein.

Die miteinander verflochtenen Zweige, aus denen das Bein bestand, wirkten tatsächlich trocken. Alwyn nahm seine Muskete von der Schulter und reichte sie Hrem. Dann goss er eine kleine Portion Rok Har aus dem Holzkürbis, den ihm Mistress Rote Eule gegeben hatte, in die hohle Hand, bückte sich und rieb die Flüssigkeit in das Holz. Es war nicht leicht, das Gleichgewicht zu halten, aber Hrem trat hilfreich einen Schritt näher, damit Alwyn sich an ihn lehnen konnte.

»Warum nimmst du es nicht einfach ab, wenn du das tust?« Scolly war wie immer fasziniert und gleichzeitig verängstigt von diesem Hilfsmittel.

»Es geht nicht gerne wieder an mein Bein«, erwiderte Alwyn. Die Magie, die in diesem Bein eingebettet war, das Mistress Rote Eule und Mistress Tekoy für ihn gemacht hatten, war ein echtes Wunder. Die miteinander verflochtenen Zweige bogen sich genau dort, wo Knöchel und Knie wären. Er hatte versucht, einen Stiefel über die Wurzeln zu ziehen, die als Fuß dienten, aber er hatte festgestellt, dass er mehr Stabilität ohne den Stiefel hatte. Also ließ er ihn weg, außer bei zeremoniellen Gelegenheiten wie dieser hier.

Alwyn hob den Saum seines Kilts, um Scolly zu zeigen, wo die Zweige sich verdünnten und zu grünen Schlingpflanzen wurden, die sich um den Stumpf seines Beines schlangen. Ein Teil der Schlingpflanzen war schwarz angelaufen, während das Fleisch seines Beines hellrot und an einigen Stellen auch wund war. Im Augenblick glitzerte kein schwarzes Frostfeuer auf den Bereichen, wo sich Schlingpflanzen und Haut berührten.

»Die Magie des Schwurs scheint die Magie in dem Holz nicht sonderlich zu mögen«, erklärte Alwyn und rieb sich behutsam die Haut am Rand des Stumpfs, bevor er den Kilt wieder herunterzog.

»Du bist ein Narr, weißt du das?« Zwitty starrte auf das Bein. »Als du das Bein verloren hast, war das dein Ticket raus aus diesem Albtraum. Warum hast du dich nicht einfach nach Calahr zurückbringen lassen, als du die Chance gehabt hast, oder bist wenigstens in Elfkyna geblieben?«

»Hier gibt es keinen Ausweg«, erklärte Teeter. »Wir alle stecken bis zum Ende hier drin, und vielleicht sogar darüber hinaus. Mir ist es egal, was Korporal Arkhorn sagt; ich jedenfalls weiß nicht, wie wir das hier überleben sollen.«

Inkermon tat seine Meinung zu diesem Thema durch ein kurzes, missbilligendes Schnauben kund. »Wir müssen einen Weg finden. Wir brauchen einfach nur den Glauben.«

»Oder etwas anderes«, sagte Alwyn. »Wir alle haben gesehen, was mit Kester passiert ist.«

»Allerdings, er ist bei lebendigem Leib mit seinem Schatten verbrannt, und jetzt ist er tot«, erklärte Zwitty.

»Aber er hat sich nicht zu den anderen gesellt, jedenfalls noch nicht«, meinte Alwyn.

Zwitty riss die Augen auf. »Noch nicht? Er ist immer noch tot und hat gekreischt, als die Flammen, die seinen Schatten verbrannten, ihn von innen verzehrt haben. Hrem hat es gespürt. Und du auch. Willst du uns weismachen, das wäre eine angenehme Art und Weise abzutreten? Und wohin überhaupt? Es könnte viel schlimmere Dinge geben, als einfach nur im Nachleben zu dienen!«

»Ich kann sie mir nicht vorstellen«, widersprach Alwyn. Bilder von geisterhaften Händen, die nach ihm griffen, waren in seinen wachen Stunden ständige Begleiter.

»Aye, ich habe es gefühlt«, bestätigte Hrem. »Und es war, als würde ich Stück für Stück auseinandergerissen, während ich brannte.« Seine Stimme war so leise, dass die Soldaten, die ihn hörten, sich unwillkürlich schüttelten.

Alwyn hatte es ebenfalls gespürt, aber er teilte ihre Reaktion nicht. »Und wenn wir nun lernen könnten, es zu beherrschen? Wenn wir es nutzen könnten, um den Schwur wegzubrennen, und dann aufhörten?«

»Und wenn du es nicht beenden kannst und dein Schatten brennt, bis du tot bist? Was dann?« Zwitty stellte die Frage, die sie alle bewegte.

Alwyn hatte keine Chance zu antworten, weil die Korporale vor den Soldaten anfingen zu brüllen. Es wurde Zeit, aufzubrechen.

»Also gut, Jungs, haltet euch wacker!«, schrie Yimt, während er zu ihnen kam. »Das hier ist das erste Mal, dass die Bürger von Nazalla einen Blick auf euch werfen, und ihr solltet besser verdammt gut aussehen. Ihr seid jetzt Stählerne Elfen, und das hat etwas zu bedeuten. Wir sind diejenigen, die sich mit der Schattenherrscherin und ihrer Menagerie in Luuguth Jor angelegt und ihr ihren Hintern in einem Körbchen serviert haben.«

Ein lautes Brüllen der Stählernen Elfen antwortete ihm. Rücken strafften sich, und Augen leuchteten.

»Wir sind die verfluchten Mistkerle, die Insel um Insel erobert und gesäubert haben!«

Diesmal war das Gebrüll noch lauter. Und die Hitze wirkte plötzlich nicht mehr so niederdrückend.

»Sicher, Ihr seid vermutlich für alle Ewigkeit zu einem Leben in Elend und Jammer verdammt, aber verflucht: Denkt daran, was für einen Jammer wir verbreiten werden!«

Falten glätteten sich, widerstrebende Haare wurden in Ordnung gebracht und Tschakos genau im richtigen, kecken Winkel zurechtgerückt. Das Knattern von Stoff rief zustimmendes Nicken hervor, als die beiden Fahnen, die jedem Regiment als Ehrenzeichen dienten, in der glühenden Hitze entfaltet wurden. Die Farben der Königin wurden als Erstes enthüllt; die königlichen Initialen waren umringt von einer Girlande aus Laub auf einem silbergrünen Hintergrund, der einen starken Kontrast zu ihrer staubigen, weißen Umgebung bildete.

Dann wurden die Spitzen der Stiefel noch einmal an den bestrumpften Waden gesäubert, als man die Fahne des Regiments hisste. Ein dumpfes, zustimmendes Murmeln begrüßte die schwarze Fahne. Ehrenzeichen für Luuguth Jor und die Inselkette schmückten jetzt den Berg, der in Silber auf dem schwarzen Hintergrund umrissen war, zusammen mit den elfischen Worten Aeri Mekah, Ins Feuer. Welches Regiment trug schon eine solche Flagge in die Schlacht, hm?

»Ich wette mein Gewicht in Gold, dass jeder gottserbärmliche, hinterhältige, widerliche Drecksack auf der ganzen Welt euch jagt«, sagte Yimt und hämmerte sich kräftig gegen die Brust. »Sie glauben wahrscheinlich, dass eure Haut einen hübschen Vorleger in ihrer Höhle abgeben würde, weil sie sehen, dass ihr gar keine echten Elfen seid!«

Kilts wurden zurechtgerückt und hochgezogen, sodass der Saum direkt in der Kniekehle saß. Musketen wurden ein bisschen fester gegen die Schulter gedrückt, und Kinne wurden vorgestreckt, bis die Kiefermuskeln wehtaten.

»Aber wenn jemand euch Kerlen sagt, dass ihr keine spitzen Ohren habt, verflucht noch mal, Jungs, dann schaut ihr ihnen in die Augen und sagt ihnen, dass ihr Eier aus Stahl habt!«

Vögel flogen erschreckt auf, und Kamele bockten, als die Stählernen Elfen zustimmend brüllten. Sie waren vielleicht verdammt, dem Untergang geweiht und auf alle Ewigkeit angeschissen, aber das bedeutete nicht, dass sie auf dem Weg in ihren Untergang nicht wie Diamanten in der Sonne funkeln und wie ein Totenschädel im Mondlicht grinsen konnten.

Ein Regiment stinkt.

Das ist auch nicht verwunderlich. Aber unter all die Gerüche, nach denen die Stählernen Elfen stanken, mischte sich ein neues Aroma: das von Stolz.