21
Als ich aufwachte, lag ich bäuchlings auf einem fremden Bett. Mein Rücken fühlte sich an, als stehe er lichterloh in Flammen. Ich wimmerte und spürte, wie mir jemand sanft übers Haar strich.
»Ich heile die Verletzungen, so schnell ich kann«, sagte Lugh, und kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, verringerte sich der Schmerz auch schon ein wenig.
Ich lag mit dem Gesicht auf einem weichen Daunenkissen und verspürte nicht das geringste Bedürfnis, mich zu bewegen oder etwas zu sagen. Nach und nach ließ der Schmerz nach. Lugh ließ seine Hand von meinem Kopf zu meinen bloßen Schultern hinabgleiten und streichelte sie sanft.
Erst da merkte ich, dass ich nackt war.
Ich hob den Kopf, beugte ihn etwas nach hinten und sah, dass von der Hüfte abwärts ein purpurrotes Seidenlaken meinen Körper bedeckte. Ich konnte die Seide deutlich auf der nackten Haut meiner Pobacken spüren, aber oben herum bedeckte überhaupt nichts meine Blöße.
Lughs Hand glitt weiter mein Rückgrat hinab. Ich hätte mich weggerollt, wusste aber nicht, wie ich das tun sollte, ohne ihm auch noch meine nackte Vorderseite preiszugeben.
»Ist es unbedingt nötig, dass ich nackt bin?«, fragte ich mit gespielter Gelassenheit.
Ich rechnete eigentlich damit, dass ich dafür entweder eine anzügliche Bemerkung oder einen dummen Spruch ernten würde. Doch stattdessen hatte ich plötzlich einen gemütlichen Baumwollschlafanzug an. Das Oberteil bestand aus einem kaum vorhandenen Leibchen mit Spaghettiträgern, bedeckte aber alle entscheidenden Stellen.
Ich drehte mich vorsichtig auf den Rücken. Er fühlte sich okay an. Lugh schlug ein paar Kissen auf und legte sie an das Kopfteil des Bettes, das gepolstert und ebenfalls mit dem roten Seidenstoff überzogen war. Ich setzte mich, lehnte mich mit dem Rücken gegen die Kissen und zog die Knie an die Brust.
Die Schmerzen waren verschwunden, aber ich fühlte mich immer noch schwach und zittrig. Ich hatte den Verdacht, ich würde dieses schreckliche schwarze Zimmer in den kommenden Jahren noch oft in meinen Alpträumen wiedersehen.
»Solange du mich in dir hast«, sagte Lugh, der offenbar meine Gedanken las, »wirst du keine Alpträume haben.«
Dafür war ich dankbarer, als ich sagen konnte.
»Es war sehr mutig, was du da getan hast«, fuhr er fort.
Ich schnaubte verächtlich. Ich hatte mir vor Angst fast in die Hose gemacht und mir die Lunge aus dem Leib geschrien. Das entsprach nicht gerade meiner Idealvorstellung von Mut.
»Mann kann Angst haben und trotzdem mutig sein.«
Ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich dem zustimmen konnte. Schließlich hatte ich ja keine große Wahl gehabt, wenn ich nicht einfach in Kauf nehmen wollte, dass Brian einen langsamen, qualvollen Tod starb. Ich sah Lugh in die Augen.
»War es mutig oder einfach nur dumm? Was ich damit meine, ist: Wird Adam mir wirklich helfen? Denn wenn ich all das umsonst durchgemacht habe, dann bringe ich jemanden um.«
Er rang sich nicht ganz zu einem Lächeln durch, aber seine Belustigung war trotzdem deutlich zu erkennen. »Ich glaube, du verstehst Dämonen besser, als wir beide gedacht haben. Ich weiß wirklich nicht, was du Adam sonst noch hättest anbieten können, um zu ihm durchzudringen. Aber du bist zu ihm durchgedrungen, und er wird Wort halten.«
Gott sei Dank! Doch es fiel mir schwer, mit Lughs Einschätzung übereinzustimmen. Dieses eine Mal mochte ich einen Weg gefunden haben, um zu Adam durchzudringen. Aber ich konnte nicht behaupten, dass ich auch nur halbwegs klug aus ihm wurde.
»Also«, fuhr Lugh fort, »wir beide müssen uns jetzt langsam mal über diesen Rettungsversuch unterhalten, den du starten willst.«
»Ach ja?« Sogar in meinen Ohren klang das misstrauisch.
Kleine Lach falten bildeten sich um seine Augen, aber dann wurde er sofort wieder ernst. »Das Ganze wird sehr gefährlich.«
»Gut erkannt.« Er sah mich streng an, und ich hob entschuldigend die Hände.
»Ich könnte auch einfach verhindern, dass du es versuchst. Ich könnte Adam befehlen, dich wieder einzusperren.«
Mein Magen verkrampfte sich, und mein Oberkörper schnellte nach vorne. »Nein! Du würdest nicht wirklich –«
»Ich sagte, ich könnte, nicht, dass ich würde. Aber wenn ich dir schon erlaube, unser beider Leben in Gefahr zu bringen, muss ich dir wenigstens eine Bedingung dabei stellen.«
Warum hatte ich das Gefühl, dass mir nicht gefallen würde, was gleich kam?
»Du darfst auf gar keinen Fall in Gefangenschaft geraten«, fuhr er fort und sah mich eindringlich an. »Du weißt, was sonst passiert.«
Ich schauderte. Ja, das wusste ich. Und hätte man mich vor ein paar Wochen gefragt, ob ich einen Rettungsversuch unternehmen wollte, bei dem ich das Risiko einging, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden, hätte ich vermutlich abgelehnt. Ich hätte mich für meine Feigheit geschämt und mich sogar dafür gehasst, aber ich hätte einfach nicht gedacht, dass ich so viel Mut aufbringen könnte. Wenigstens ließ sich ein kleines bisschen Befriedigung aus der Entdeckung ziehen, dass ich anscheinend doch kein solcher Angsthase war, wie ich immer geglaubt hatte.
»Adam hat den Befehl, dich bei deinem Rettungsversuch zu begleiten und dir nicht von der Seite zu weichen. Er wird nicht zulassen, dass du von unseren Feinden gefangengenommen wirst.«
Ich atmete laut und zischend aus. »Mit anderen Worten, sobald es so aussieht, als könnte ich in deren Hände fallen, tötet er mich?«
»Genau.« Er nahm meine Hand, die ich unwillkürlich zur Faust geballt hatte, und löste meine Finger aus der Verkrampfung. Seine Hände fühlten sich kräftig und warm an. Ihr Griff war beruhigender, als es mir richtig schien. »Es geht dabei nur darum, das geringere von zwei Übeln zu wählen. Und manche würden sagen, dass ich meine königlichen Pflichten allein schon dadurch verletze, dass ich dir überhaupt gestatte, diese Aktion durchzuführen. Sollte ich in das Dämonenreich zurückkehren, ohne in dieser Welt meine Feinde besiegt zu haben, gibt es nichts, was sie davon abhalten könnte, mich ein zweites Mal bei meinem Namen zu rufen. Und ich bin mir sicher, dass sie den gleichen Fehler nicht zweimal begehen werden.«
Er hielt meine Hand in seiner und streichelte mir mit dem Daumen über die Knöchel. Vielleicht hätte ich ihm das nicht erlauben sollen, aber ich konnte ein bisschen Zuspruch gut gebrauchen. Er sah mir ins Gesicht und zog die Brauen leicht zusammen. Ich konnte Sorge und Bedauern in seiner Miene erkennen.
»Warum gehst du dieses Risiko ein?«, fragte ich, sah ihm in die Augen und versuchte, aus ihm klug zu werden. »Warum riskiert der König der Dämonen sein Leben für eine menschliche Geisel? Nicht, dass ich mich beschweren will, wohlgemerkt.«
Er lächelte über den letzten Satz, wurde jedoch sofort wieder ernst. »Dougal ist derjenige, dem menschliches Leben nichts bedeutet. Ich sehe mich sozusagen als Beschützer der Gefangenen und Geiseln. Wenn ich sie nicht beschütze, wer tut es dann?« Er lachte, doch es klang nicht vergnügt. »Vielleicht bin ich aber auch nur ein irregeleiteter, selbstgefälliger Tor, der glaubt, er könne die Welt retten.«
Er fuhr sich mit der freien Hand durch seine schönen schwarzen Haare. In diesem Moment kam er mir zum ersten Mal entfernt wie ein Mensch vor. Es war gut zu wissen, dass selbst Dämonen ab und zu an Selbstzweifeln litten.
Bevor ich recht wusste, was ich tat, streckte ich die Hand aus und gestattete mir endlich den Luxus, sein Gesicht zu berühren. Vielleicht benutzte er sein Wissen über meine innersten Gedanken und Gefühle, um mich zu manipulieren.
Aber selbst wenn – in dem Augenblick war mir das egal. Ich hatte einzig das Bedürfnis, ihm auf irgendeine Weise Trost und Mut zuzusprechen.
Seine Haut fühlte sich so glatt an, als hätte er sich noch kein einziges Mal in seinem Leben rasieren müssen. Bei dem Gedanken musste ich beinah kichern, denn natürlich hatte er das ja wirklich noch nie gemusst. Er schloss die Augen und lächelte.
Schließlich gab ich auch dem Drang nach, seine Haare zu berühren, und fuhr mit den Fingern durch die langen schwarzen Flechten. Sie fühlten sich genauso weich und seidig an, wie sie aussahen. Ich rückte näher an ihn heran, und er legte mir den Arm um die Schultern. Obwohl die Berührung eigentlich keine sexuelle Note hatte, ging ein Prickeln durch meinen Körper. Ich schmiegte mich eng an Lugh und legte den Kopf auf seine Schulter.
Wir verharrten lange in dieser Stellung und spendeten einander stummen Trost und Beistand. Ich erkannte, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl hatte, einen Dämon tatsächlich zu mögen. Und dazu auch noch einen, der gegen meinen Willen Besitz von meinem Körper ergriffen hatte! War es das, was Dominic für Saul empfunden hatte? Wenn dem so war, konnte ich jetzt vielleicht etwas besser nachvollziehen, warum es Dom so sehr getroffen hatte, ihn zu verlieren. Ich wollte immer noch, dass Lugh wieder verschwindet, wollte endlich mein altes Leben zurückhaben. Trotzdem verriet mir ein kleiner Stich in meinem Herzen, dass ich ihn vermissen würde.
Lugh wendete sich mir zu und küsste mich sanft auf den Kopf. Dann löste er sich von mir, was ihm nicht leichtzufallen schien.
»Ich sollte dich schlafen lassen«, murmelte er. »Du bist morgens immer müde, wenn du von mir geträumt hast.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann es mir nicht leisten, bis morgen früh zu schlafen. Brian braucht mich.«
»Morgen früh wird er dich auch noch brauchen. Und du musst Kraft schöpfen.«
»Aber …«
Er legte mir den Finger auf die Lippen. »Adam wird versuchen, sich einen Plan zu überlegen, während du schläfst. Es bringt nichts, die Dinge zu überstürzen.«
Tränen stiegen mir in die Augen. »Aber sie werden Brian wieder weh tun.«
»Ich weiß«, sagte er sanft. »Doch sie brauchen ihn lebend. Wenn wir die Sache mit einem unausgegorenen Rettungsversuch verbocken, wird das nicht mehr der Fall sein. Also schlaf. Komm wieder zu Kräften. Sammle dich.«
Ich atmete tief ein und versuchte, mich zu beruhigen. »Hab ich irgendeine andere Wahl?«
Er zuckte mit den Achseln und wendete den Blick ab. Das genügte als Antwort.
Ich begriff, dass ich ihn nicht umstimmen konnte, und versuchte, so gut ich konnte, meine Ungeduld zu zügeln. »Dann schlaf ich wohl besser so schnell wie möglich ein.«
Das Letzte, was ich vor dem Einschlafen sah, war ein zärtliches kleines Lächeln auf Lughs Lippen.
Als ich das nächste Mal wieder aufwachte, lag ich in Adams Gästezimmer. Nicht mehr in dem schwarzen Zimmer, dem Himmel sei Dank!
Ich setzte mich vorsichtig auf und rechnete insgeheim damit, dass mir jede Bewegung höllische Schmerzen bereiten würde. Aber Lugh hatte ganze Arbeit geleistet. Ich konnte mich sogar strecken und recken, ohne dass irgendwo etwas zwickte. Erleichtert seufzte ich.
Meine Arme steckten immer noch in Adams Hemd, auch wenn es so weit runtergerutscht war, dass ich praktisch oben ohne dasaß. Ich zog es aus und schauderte, als ich die Blutflecken an den Rändern bemerkte.
Ich schleuderte das Hemd in die entfernteste Zimmerecke und stieg aus dem Bett. Ich wollte es mir ersparen, mir meine Hose anzusehen, spürte aber den verkrusteten Hosenbund auf der Haut und konnte das Gefühl keine Sekunde länger ertragen. Mit zitternden Händen schob ich sie zusammen mit dem Slip meine Beine hinab und warf beides mit fest geschlossenen Augen in dieselbe Zimmerecke wie das Hemd.
Ich zwang mich, nicht an meinem Körper hinabzusehen, während ich ins Badezimmer eilte und die Dusche so heiß stellte, dass ich es gerade noch ertragen konnte. Das Wasser lief meinen Rücken hinab und dann mit einer rötlichen Färbung in den Abfluss. Ich unterdrückte ein weiteres Schaudern, griff nach der Seife und schrubbte mich verzweifelt ab.
Tatsächlich war gar nicht so viel Blut da. Adam hatte mir das meiste wohl schon abgewaschen, als er mich in mein Zimmer brachte. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, dass er mich nicht auch von meiner blutigen Kleidung befreit hatte. Einerseits hatte er damit ein bewunderungswürdiges Maß an Anstand bewiesen, und hätte er mich ausgezogen, wäre ich sicherlich sauer auf ihn gewesen. Andererseits wirkte es grausam, mich auf diese Weise daran zu erinnern, was passiert war.
Ich drehte erst die Dusche ab, als ich das gesamte heiße Wasser aufgebraucht hatte. Trotzdem fühlte ich mich irgend wie immer noch … beschmutzt.
Adam hatte keine sexuellen Handlungen an mir vollzogen. Sicher, er war erregt gewesen, aber er hatte eindeutig klargestellt, dass das nichts mit mir zu tun hatte.
Wieso kam ich mir also so missbraucht vor?
Ich stand tropfend in der Dusche, lehnte meine Stirn gegen die kalten Fliesen und versuchte, die verstreuten Reste meiner geistigen Gesundheit wieder zusammenzufügen.
Ein Klopfen an der Badezimmertür erschreckte mich so sehr, dass ich laut aufschrie.
»Morgan?«, fragte Adam. »Alles okay da drin? Es ist jetzt schon zwanzig Minuten her, dass du die Dusche abgestellt hast.«
Mein Gott. So lange hatte ich hier wie benommen gestanden?
»Mir geht es gut«, log ich.
»Komm runter in die Küche, wenn du so weit bist.«
Ich gab einen Laut von mir, den er als Zustimmung deutete, und ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten. Schließlich schaffte ich es, aus der Dusche zu steigen und mich abzutrocknen. Ich betrachtete prüfend meinen Rücken im Spiegel, doch es waren keinerlei Anzeichen zu sehen, dass ich letzte Nacht bis aufs Blut ausgepeitscht worden war.
Als ich wieder in mein Zimmer kam, war ich froh zu sehen, dass Adam die blutige Kleidung weggeräumt hatte. Er hatte den BH und die Bluse, dich ich gestern getragen hatte, auf das Bett gelegt, ebenso wie eine Polizei-Jogginghose. Da ich meine Tüten bei Brian gelassen hatte, konnte ich die gut gebrauchen.
Die Jogginghose war mir viel zu groß, rutschte aber nicht