3

 

Nun raten Sie mal, wer mich vom Flughafen abholte, obwohl ich ihm ausdrücklich gesagt hatte, dass ich es nicht wollte. Ich hätte wissen sollen, dass Brian nicht so schnell klein beigibt. Im Befolgen von Anweisungen ist er ungefähr so gut wie ich. Als ich ihn neben dem Gepäckband auf mich warten sah, fiel es mir schwer zu entscheiden, ob ich sauer sein oder mich freuen sollte.

»Das ist einer fürs Leben«, flüsterte mir Val zu, und ich bedachte sie dafür mit einem strafenden Blick. Sie zwinkerte und räumte dann schleunigst das Feld, um uns zwei »Turteltäubchen« allein zu lassen.

Val ist der Meinung, ich hätte Brian längst heiraten sollen, und sie lässt keine Gelegenheit ungenutzt, mir diese Ansicht kundzutun. Er hat mir noch keinen Antrag gemacht, mir aber ziemlich klar zu verstehen gegeben, dass er gerne mit mir zusammenziehen würde. Manchmal habe ich das Gefühl, er und Val haben eine Art geheimen Pakt geschlossen, mit dem Ziel, mich so bald wie möglich in den Hafen der Ehe zu führen. Aber zum Glück durchschaue ich ihre dunklen Pläne.

Ich umarmte Brian, schmolz aber nicht gerade in seinen Armen dahin.

»Ich hatte dir doch gesagt, dass du mich nicht abholen sollst«, maulte ich ihm ins Ohr und löste mich dann von ihm.

Brian strahlte mich mit einem breiten, unschuldigen Lächeln an – die Art von Lächeln, die mich fast immer meinen Ärger vergessen ließ. Manchmal war es einfach so viel leichter, diesem Lächeln nachzugeben, statt mit Brian zu streiten.

Ich seufzte. Ich war zwar noch ein bisschen sauer, aber dieser Kerl schaffte es, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Du bist eine ganz schöne Nervensäge, weißt du das?«

Er schnaubte verächtlich. »Das sagt die Richtige.« Er bückte sich nach meinem Koffer, und ich schüttelte entrüstet den Kopf.

»Wenn ich so eine Nervensäge bin, warum bist du dann hier?«, fragte ich, während ich ihm nach draußen auf den Parkplatz folgte. Ich hielt ein paar Schritte Abstand – nicht, weil ich nicht hinterherkam, sondern weil mir seine Art gegen den Strich ging.

»Wegen deiner Wahnsinns-Blowjobs!«, rief er mir über die Schulter zu, so laut, dass es im Umkreis von zehn Metern jeder hören konnte.

Ich wurde rot wie ein Feuerhydrant und hielt die Augen starr auf Brians Hinterkopf gerichtet, um nicht sehen zu müssen, wie mir die Leute neugierige Blicke zuwarfen. Brian liebt es, mich in peinliche Situationen zu bringen. Er findet es lustig, dass er diese taffe Braut mit den Ohrpiercings und dem Tattoo so einfach dazu bringen kann, rot zu werden. Wenn ich gute Laune habe, finde ich es ebenfalls lustig. Aber ich hatte keine gute Laune.

Ich wohnte in Bryn Mawr, einem westlich gelegenen Vorort von Philadelphia, und hatte den Zug genommen, um zum Flughafen zu fahren. Wenn Brian mich nach Hause bringen wollte, musste er also erst die ganze Strecke dort raus fahren und dann wieder zurück zu seiner Wohnung in der Innenstadt. Und wenn ich als Freundin etwas taugte, würde ich ihm natürlich anbieten, die Nacht bei mir zu verbringen, um ihm die zusätzliche Fahrt zu ersparen. Ich hatte jedoch meine Zweifel, dass ich das heute Abend tun würde.

Wir stiegen wortlos in den Wagen. Brian lächelte still vor sich hin und freute sich immer noch daran, mich in Verlegenheit gebracht zu haben. Und ich hüllte mich in meine miese Stimmung ein wie in eine schützende Decke.

Nachdem er die exorbitant überteuerten Parkgebühren beglichen hatte und auf die Autobahn aufgefahren war, setzte er zum Sprechen an, doch ich schnitt ihm auf der Stelle das Wort ab.

»Noch ein einziges Wort zum Thema Blowjob, und du wirst in den nächsten drei Jahren davon träumen müssen.« Ich kann sehr lange die beleidigte Leberwurst spielen, wenn ich will.

Er lachte und legte die Hand auf meinen Oberschenkel. Ich war so sauer, dass ich sie wegstieß, aber wie ich bereits erwähnte, stimmt in körperlicher Hinsicht die Chemie zwischen uns. Bei seiner Berührung hatte sich mein Puls augenblicklich beschleunigt. Und als er die Hand sofort wieder zurück auf meinen Schenkel legte, leistete ich keinen weiteren Widerstand.

»Wenn du mies drauf bist, gibt es nur zwei Methoden, dich aufzumuntern«, sagte er mit auf die Straße gerichtetem Blick. »Mit dummen Sprüchen oder mit Sex. Du sahst so schlecht gelaunt aus, dass ich dachte, du könntest ein bisschen von beidem gebrauchen.«

Ich wollte ihm widersprechen, aber er ließ die Finger meinen Oberschenkel hochwandern – bis zum Reißverschluss.

Als er begann, ihn nach unten zu ziehen, fing ich mich einigermaßen und packte sein Handgelenk.

»Solltest du dich nicht aufs Fahren konzentrieren?«, fragte ich, wenn auch mit leicht erregter Stimme. Auf dieser Autobahn herrschte immer viel Verkehr, und streng genommen sollte er wirklich beide Hände am Lenkrad behalten.

»Ich konzentriere mich schon, keine Angst. Was hast du unter der Jeans an?«

Mein Gesicht begann zu glühen. Ich wollte mir meine schlechte Laune eigentlich nicht so einfach verderben lassen, aber sie beizubehalten war schwer, wenn ich mich gleichzeitig innerlich vor Lust verzehrte. Trotzdem gab ich mir Mühe.

»Weiße Baumwollschlüpfer.«

Wir wurden von einem Taxifahrer geschnitten, und Brian musste voll in die Eisen gehen, um ihm nicht hintendrauf zu donnern.

Knapp dem Tod entronnen zu sein, schien ihn allerdings nicht im Geringsten aus dem Konzept zu bringen. »Du besitzt gar keine weißen Baumwollschlüpfer.«

So gut kennt sich Brian mit meiner Unterwäsche aus. »Ich hatte nicht genug Höschen eingepackt. Also musste ich mir in Topeka welche kaufen.«

»Ach, tatsächlich?« Aus dem Augenwinkel warf er mir einen gerissenen Blick zu. »Dann zeig doch mal.«

Ich zog eine Grimasse. »Hör auf, Brian. Ich bin nicht in Stimmung.«

Er grinste mich an. »Ist mir schon aufgefallen. Und ich gebe mir alle Mühe, das zu ändern.«

Warum schaffe ich es nie, das letzte Wort zu haben, wenn ich mich mit Brian streite? Vielleicht weil er Anwalt ist? Hält mich aber nicht davon ab, es jedes Mal aufs Neue zu versuchen.

»Holst du mich deswegen ab?«, fragte ich. »Weil du Lust hast zu vögeln?«

»Nein«, antwortete er gedehnt. »Ich hole dich ab, weil du eine Menge durchgemacht hast und es besser ist, wenn du heute Abend nicht allein bist.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ließ mich tiefer in den Sitz sinken. »Es ist nicht an dir, das zu entscheiden.«

»Du hättest mir sagen können, dass ich dich in Ruhe lassen soll. Hast du aber nicht.«

Ich stöhnte und schüttelte den Kopf. Der Typ war wie ein kleiner kläffender Hund, der sich am Hosenbein festbeißt und dann partout nicht mehr loslassen will. Deswegen ging er aus so vielen unserer Auseinandersetzungen auch als Sieger hervor – jeder vernünftige Mensch würde das Weite suchen, wenn ich so schlechte Laune habe, aber er nicht.

»Also, krieg ich jetzt die tolle neue Oma-Wäsche zu sehen oder nicht?«, fuhr er fort. Kläff, kläff, kläff. Knurr, knurr, knurr.

»Habe ich bereits erwähnt, dass du eine Nervensäge bist?«

»Mehrmals«, erwiderte er fröhlich.

Verdammt, jetzt musste ich doch grinsen. »Also gut, du hast gewonnen. Ich habe gar keine Unterwäsche an. So, bist du nun zufrieden?« Ich gab mir Mühe, mürrisch zu klingen, aber es funktionierte nicht.

»Geradezu verzückt!« Er streckte die Hand wieder nach meinem Reißverschluss aus. Ich schlug sie weg.

»Spar dir das Vorspiel, bis wir von der Schnellstraße runter sind, okay?« Diejenigen, die ihn kannten und liebten, nannten den Schuylkill Expressway, auf den wir inzwischen aufgefahren waren, auch Sure-Kill-Expressway – Schnellstraße zum Tod. Wer darauf fuhr, spielte mit seinem Leben. Und wenn Brian schon mit meinem Leben spielte, war es mir lieber, er benutzte dazu beide Hände und nicht nur eine.

Brian war zwar ein ziemlich heißblütiger Typ, aber nicht lebensmüde. Also hielt er den Blick auf die Straße gerichtet und die Hände am Lenkrad, bis wir den verkehrsreichsten Teil des Expressways hinter uns gelassen hatten und auf dem Weg ins Umland von Philadelphia waren. Dann setzten die Neckerei und die zweideutigen Sprüche wieder ein. Und ich geb’s ja zu: Er brachte mich dazu, ihm mein unsichtbares Höschen zu zeigen. Wir hatten Glück, dass wir nicht gegen einen Baum fuhren, während er es sich ansah.

Als wir schließlich in meine Straße fuhren, waren meine Jeans feucht, seine Stoffhose kurz vorm Bersten, und ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, noch im Auto über ihn herzufallen.

Bis wir in die Auffahrt einbogen und ich dort einen mir sehr vertrauten, sehr unwillkommenen Wagen stehen sah.

Ich fluchte leise vor mich hin. Brian ließ die Schultern hängen und gab ein frustriertes Stöhnen von sich. Nichts verdarb mir die Laune so sicher und nachhaltig wie ein Besuch von meinem großen Bruder Andrew.

Andrew stieg aus und lehnte sich wartend gegen die Wagentür.

Brian schüttelte den Kopf. »Das bedeutet wohl, dass wir unser Projekt vertagen müssen, hm?«

»Sicht so aus.«

»Sehr bedauerlich.«

Lachend löste ich meinen Sitzgurt. Dann wandte ich mich Brian zu und strich ihm liebevoll über die Wange.

»Danke fürs Abholen«, sagte ich. Aus erzieherischer Sicht war es nicht gerade klug, ihm für etwas zu danken, was ich ihn ausdrücklich gebeten hatte zu unterlassen. Aber ich konnte nicht abstreiten, dass es mir jetzt schon viel besser ging als zuvor.

»Gern geschehen«, murmelte er, wandte mir den Kopf zu und küsste meine Handfläche.

Sein Kuss hinterließ ein wohliges Prickeln auf der Haut, und mir wurde klar, dass ich eine sehr, sehr kalte Dusche nötig haben würde, bevor ich ins Bett ging.

Widerwillig griff ich nach dem Türhebel, aber Brian hielt mich zurück, und ich sah ihn fragend an.

»Dein Reißverschluss«, erinnerte er mich mit verschmitztem Grinsen.

Ich fluchte leise und zog den Verschluss hoch.

»Ich liebe dich«, sagte Brian.

»Ich dich auch«, antwortete ich, stieg aus und nahm mein Gepäck vom Rücksitz. »Fahr vorsichtig.«

»Treffen wir uns morgen Abend bei dir oder bei mir? Wir müssen da noch eine Kleinigkeit zu Ende bringen.« Er grinste mich anzüglich an, und ich grinste vermutlich genauso anzüglich zurück.

»Bei mir«, sagte ich, und er nickte.

Während ich zusah, wie er aus der Einfahrt fuhr, atmete ich tief durch und versuchte mich zu sammeln. Dann drehte ich mich um und ging in Richtung Haustür, ohne Andrew eines Blickes zu würdigen.

Ich merkte, dass er mir folgte, wandte mich aber nicht zu ihm um, bis ich die Tür aufgeschlossen und das Licht im Flur angemacht hatte.

»Warte hier«, sagte ich und machte ihm die Tür vor der Nase zu.

Ich stellte meine Tasche ab und holte dann meinen Taser aus der Garderobe. Ich trage den Taser selten bei mir – wenn ich zur Austreibung eines illegalen Dämons gerufen werde, ist dieser normalerweise schon dingfest gemacht und unter Bewachung gestellt. Aber manchmal ist es ganz beruhigend, im Besitz der einzigen Waffe auf der Welt zu sein, mit der man einen Dämon in die Knie zwingen kann.

Ich prüfte den Batteriestatus – voll aufgeladen – und löste die Sicherung. Dann machte ich die Tür wieder auf und richtete den Taser genau auf Andrews Brust.

Sie mögen das jetzt für eine seltsame Art halten, den eigenen Bruder zu begrüßen. Aber als er das letzte Mal zu Besuch kam, haben wir uns fürchterlich gestritten, und dieser Idiot hat mir einen Kinnhaken verpasst. Hat mich einfach k. o. gehauen. Als ich wieder zu mir kam, dachte ich ernsthaft darüber nach, ihn wegen Körperverletzung anzuzeigen. Letztlich habe ich mir dann die Mühe gespart, weil ja doch nichts dabei herausgekommen wäre. Klar, im Prinzip war Körperverletzung ein Gewaltverbrechen, für das man sich vor dem Gesetz verantworten musste. Aber obwohl mich sein Schlag außer Gefecht setzte, hatte er doch nur mit der Kraft eines Menschen zugehauen. Hätte er mit seiner ganzen Kraft zugeschlagen, wäre ich jetzt tot.

Ach, habe ich eigentlich schon erwähnt, dass mein Bruder von einem Dämon besessen ist? Schon seit seinem einundzwanzigsten Lebensjahr, dem Alter, das man laut Gesetz erreicht haben muss, um sein Einverständnis dazu geben zu können. Ich habe ihm das nie verziehen.

Als wir Kinder waren, hatten wir ein ziemlich enges Verhältnis. Na ja, so eng jedenfalls, wie das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester werden kann, wenn sie nur drei Jahre auseinander sind. Bis ich zehn war, habe ich ihn förmlich angebetet. Aber als er in die Pubertät kam, begann er unter dem Einfluss der Spirituellen Gesellschaft ernsthaft darüber nachzudenken, einen Dämon in seinem Körper aufzunehmen, und fing an, sich zu verändern.

Er hatte sich schon immer mehr für die Gesellschaft interessiert als ich – zweifellos einer der Hauptgründe, warum er stets der Liebling meiner Eltern war. Aber als er in Erwägung zog, sich als Wirt zur Verfügung zu stellen, entwickelte er sich beinahe zum Fanatiker. Meine Eltern waren unglaublich stolz auf ihn, aber mir war klar, das bedeutete, dass ich eines nicht mehr allzu fernen Tages meinen großen Bruder verlieren würde, und damit war ich überhaupt nicht einverstanden.

Andrew betrachtete den Taser und zog fragend die Augenbrauen hoch. »Willst du das zur Selbstverteidigung einsetzen oder dich rächen?«, fragte er mit sanfter Stimme.

Ich dachte kurz nach. Eigentlich ging ich nicht davon aus, dass er wieder auf mich losgehen würde. Letztes Mal hatte ich mich ganz schön anstrengen müssen, um ihn so weit zu kriegen. Jetzt, da ich wusste, was für ein Temperament sich hinter seinem normalerweise so gelassenen Äußeren verbarg, war ich nicht gerade scharf darauf, ihn erneut zu provozieren.

»Um mich zu rächen.« Ich zog den Abzug durch. Die Projektile bohrten sich in Andrews Lederjacke, und 50000 Volt fuhren durch seinen Körper.

Zu meiner großen Befriedigung ging er sofort zu Boden und krümmte sich schreiend.

Um die Erlaubnis zum Tragen eines Tasers zu erhalten, muss man sich zunächst selbst damit einen Stromschlag verabreichen, um eine Vorstellung von der Wirkung dieser Waffe zu bekommen. Als ich meinen Taser-Schein machte, wurde ich Zeuge, wie gestandene 100-Kilo-Kerle schrien und wimmerten wie kleine Mädchen. Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich hätte den Probeschuss mit stoischer Gelassenheit über mich ergehen lassen, aber ich habe genauso laut geschrien wie alle anderen. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gespürt – und will auch nie wieder etwas Vergleichbares spüren.

»’tschuldige, Andy«, sagte ich zärtlich und richtete die Worte an meinen echten Bruder, der irgendwo in diesem Körper gefangen war. Ich wusste nicht genau, ob der Wirt den Schmerz des Dämons spüren konnte, hatte aber auf jeden Fall das Bedürfnis, mich zu entschuldigen – nur für den Fall.

Der Dämon brauchte länger, um sich von dem Stromschlag zu erholen, als jeder normale Mensch gebraucht hätte. Die elektrische Entladung brachte die Kontrolle durcheinander, die er über das Nervensystem seines Wirts ausübte. Eine Weile lang lag Andrew noch zusammengekrümmt und keuchend vor mir auf dem Boden, dann hockte er sich auf die Knie und sah mich von unten an. Eine rotblonde lockige Strähnen hing ihm in die Augen.

»Lohnt es sich aufzustehen?«, fragte er. »Oder ist der Spaß noch nicht vorbei?«

Er wirkte so ruhig und gelassen, dass ich ihm am liebsten noch eine Ladung verpasst hätte. Aber er hatte mich ja auch nur ein Mal geschlagen. Da musste man fair bleiben. Was nicht bedeutete, dass ich den Taser wegsteckte. Ich tauschte nur die Kartusche aus und erlaubte Andrew, sich die kleinen Pfeile aus der Jacke zu ziehen.

»Du weißt, dass sich das Ding auch ohne Munition wie ein ganz normaler Elektroschocker benutzen lässt«, warnte ich ihn, während ich nachlud.

Er lachte und strich sich die Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann stand er auf, ließ den Taser aber nicht aus den Augen.

»Ich werde dran denken.«

»Du lachst? Machen dir die Schmerzen denn gar nichts aus?«

Er zuckte mit den Schultern. »Klar tun sie das. Aber bei der Arbeit muss ich auch ständig Schmerzen aushalten. Würde ich jedes Mal ein Riesending daraus machen, wäre ich nicht zu gebrauchen.«

Andrew ist Feuerwehrmann. Fast alle legalen Dämonen geben sich Mühe, besonders nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft zu sein. Sie setzen ihre Kräfte zur Förderung des Guten und der Gerechtigkeit ein. Sie wissen, dass sie besonders viele gute Taten vollbringen müssen, um den Schaden wettzumachen, den die schwarzen Schafe unter ihnen anrichten – wie jenes, mit dem ich gerade in Topeka zu tun hatte. Dämonen sind in der Lage, den Körper ihres Wirts nach Verletzungen wieder zu heilen, und arbeiten deswegen oft in extrem gefährlichen Berufen. Andrew zum Beispiel ist fortwährend damit beschäftigt, Menschen aus brennenden Häusern zu retten. Er ist ein verdammter Held.

Na gut, vielleicht ist es nicht fair, deswegen sauer auf ihn zu sein. Aber sehen Sie: Ich bin keine Heldin und werde auch nie eine sein. Manchmal komme ich mir deswegen klein und selbstsüchtig vor. Ich finde es auch toll, Gutes zu. Nur nicht zu dem Preis, den Andy dafür bezahlt.

»Was willst du, Andrew? Ich hab ein paar echt beschissene Tage hinter mir, und ein Familiendrama ist das Letzte, was ich jetzt brauche.«

Er fuhr sich durchs Haar – eine typisch menschliche Geste. Allerdings würde auch niemand, dem er auf der Straße begegnete, auf die Idee kommen, er könnte kein Mensch sein. »Es ist jetzt zwei Monate her, dass wir unsere kleine, ähm, Meinungsverschiedenheit hatten. Ich dachte, es wäre an der Zeit, das Kriegsbeil zu begraben.«

Na, toll. Das war genau die Art von Gespräch, auf die ich jetzt Lust hatte. Dabei hätte ich nichts dagegen gehabt, mich nie wieder mit ihm zu unterhalten.

»Andrew …«

»Morgan, wir gehören zur selben Familie, ob dir das passt oder nicht.«

Es war so ziemlich das gleiche Gespräch, das wir schon beim letzten Mal geführt hatten. Ich fragte mich, ob ich ihm nicht einfach die Tür vor der Nase zuschlagen sollte.

»Andy gehört zu meiner Familie! Du bist nur ein Parasit, der sich in seinem Körper festgesetzt hat, wie eine große, gierige Zecke, die ihm das Leben aus den Adern saugt.«

Er verzog das Gesicht. »Netter Vergleich. Du konntest schon immer gut mit Worten umgehen.«

Ich wollte die Tür zuschlagen, aber er streckte rasch die Hand aus und fing sie ab. Ich war so sauer, dass ich versuchte, meinen Taser als Elektroschocker einzusetzen, doch er sah meine Absicht voraus und schlug mir das Gerät einfach aus der Hand. Dabei hätte er mir mühelos ein paar Knochen brechen können. Aber irgendwie schaffte er es, meine Hand so zu treffen, dass sich meine Finger öffneten, ohne dass es auch nur wehtat.

Trotzdem presste ich die Hand an meinen Körper und umklammerte sie, als sei sie verletzt. Wütend starrte ich ihn an und wünschte, es wäre nicht gegen das Gesetz, einen legalen Dämon gegen den Willen seines Wirtes auszutreiben. Aber das wird als Mord eingestuft, und wie sehr ich Andrews Dämon auch hasste, ich war nicht bereit, seinetwegen ins Gefängnis zu gehen oder gar zum Tode verurteilt zu werden.

Andrew schob sich an mir vorbei und zog die Tür hinter sich zu. Seine Augen funkelten zornig, und er hatte einen unnachgiebigen Ausdruck um den Mund, zu dem Andrew nie und nimmer fähig gewesen wäre.

»Gewalt ist keine Lösung«, sagte er empört. »Hör auf, dich wie eine Zweijährige bei einem Tobsuchtsanfall aufzuführen!«

Ich sah ihn wütend an. »Wer hatte denn bei unserem letzten Streit seine Fäuste nicht unter Kontrolle?«

Er kam etwas von seinem hohen Ross runter und verzog den Mund, als habe er auf etwas Saures gebissen. »Diese Sache tut mir wirklich leid, Morgan. Als ich beim letzten Mal auf der Ebene der Sterblichen gewandelt bin, hatte ich einen Mann mit einer sehr gewalttätigen Natur als Wirt, einen Krieger. Wir sind zwar in der Lage, die Persönlichkeit unseres Wirts zu unterdrücken, aber ein bisschen was kommt doch manchmal durch. Und wenn man ein ganzes Leben mit so jemandem verbracht hat, bleibt das nicht ohne Einfluss auf das eigene Verhalten. Sorry, dass ich das nicht besser unterdrückt habe … ist mir echt peinlich und wird nicht wieder vorkommen.«

Ich legte den Kopf schief. »Du willst mir also erzählen, dass du in Wirklichkeit gar nicht derjenige warst, der mich geschlagen hast? Ich habe demnach von irgendeinem Überbleibsel deines letzten Wirts eine verpasst bekommen?«

Als Exorzistin bin ich eigentlich eine Expertin auf dem Gebiet der Dämonologie. Auch in einer Familie aufgewachsen zu sein, die zur Spirituellen Gesellschaft gehört, war in dieser Hinsicht nützlich und hat mir zusätzliches Wissen mit auf den Weg gegeben. Aber selbst wir sogenannten Experten wissen nicht besonders viel darüber, wie das Leben der Dämonen funktioniert. Wir wissen nur das, was sie selbst uns darüber erzählen, und ich gehe jede Wette ein, dass das bei weitem nicht alles ist. Was mich nicht gerade beruhigt. Man muss sich schließlich fragen, was sie wohl nicht erzählen -und warum.

Andrew wertete meine Frage als Zeichen, dass ich mich doch mit ihm aussprechen wollte, und ging einfach an mir vorbei ins Wohnzimmer.

Mein Haus sieht kein bisschen nach mir aus. Ich wirke wie die Art von Frau, die in einem hypermodernen Apartment mit klaren, eleganten Linien und ungemütlichen Möbeln wohnt. Doch in Wirklichkeit wohne ich in einem kleinen Landhäuschen, das man aus einer englischen Grafschaft hierher verpflanzt haben könnte. Im Vorgarten wächst sogar eine Rosenhecke, an der ein kleiner gepflasterter Weg vorbeiführt. In meinem Wohnzimmer bestehen die Sitzmöglichkeiten aus einer aufgeplusterten alten Couch mit kitschigem Blumenbezug sowie aus einem nicht weniger gut gefütterten Zweiersofa in zartem Buttergelb, in dessen Polstern ein mittelgroßer Erwachsener komplett verschwinden kann, wenn er nicht aufpasst.

Andrew ist größer als mittelgroß. Er misst exakt 1,85 Meter und wiegt 90 Kilo, wovon jedes einzelne Gramm aus reiner Muskelmasse zu bestehen scheint. Wäre er nicht mein Bruder (oder zumindest so etwas Ähnliches), würde ihn wahrscheinlich für ziemlich attraktiv halten. Er ließ sich in das gelbe Sofa sinken, schaffte es aber irgendwie, nicht davon verschluckt zu werden.

Ich fügte mich dem Unvermeidlichen, setzte mich auf meine Couch und legte mir ein Kissen auf den Schoß. Der Alptraum, den ich in Topeka durchgemacht hatte, steckte mir immer noch in den Knochen. Ich hatte weder Lust auf ernste Themen noch auf klärende Gespräche.

Andrew verschränkte die Hände zwischen den Knien und betrachtete sie angelegentlich. »Ich übernehme die volle Verantwortung für mein Verhalten, Morgan. Ich bin kein Wikinger mehr und sollte mich besser unter Kontrolle haben. Einar hat zwar Einfluss auf meine Persönlichkeit genommen, aber ich bin seit zehn Jahren mit Andrew verbunden. Ich hätte es inzwischen schaffen sollen, die Vergangenheit hinter mir zu lassen.« Er sah zu mir auf und lächelte zaghaft. »Obwohl du selbst in einem Heiligen noch den Teufel zum Vorschein bringen könntest.«

Ich lachte, wenn auch widerwillig. Dann setzte ich wieder eine ernste Miene auf und blickte ihn eisig an. »Wie ich schon sagte, ich habe ein paar echt miese Tage hinter mir. Alles, was ich im Moment will, ist ein heißes Bad und dann schlafen gehen. Könntest du dich also bitte kurz fassen?«

Er hob die Brauen, und ich errötete. Er hatte mich mit Brian vorfahren sehen, und natürlich war ihm vollkommen klar, dass ich ursprünglich nicht vorgehabt hatte, den Abend nur mit Ausspannen zu verbringen. Zu unser beider Glück ging er darüber hinweg, ohne mich damit aufzuziehen.

»Ich will nur, dass die Dinge zwischen uns wieder in Ordnung kommen. Oder wenigstens so weit in Ordnung wie möglich. Was kann ich tun, um mich für mein furchtbares Verhalten zu entschuldigen?«

Mein erster Reflex war, ihm zu sagen, er solle sich seine Entschuldigung dorthin stecken, wo die Sonne nicht scheint. Aber mit zunehmendem Alter scheine selbst ich reifer zu werden, und ich verkniff mir diesen Kommentar. »In Ordnung« würden die Dinge zwischen uns nie ganz kommen – nicht solange dieser Dämon den Körper meines Bruders bewohnte. Aber da er mir schon dieses Angebot machte …

»Du kannst mir sagen, wie du heißt«, sagte ich und wartete gespannt, ob er darauf eingehen würde. Sobald sie sich auf die Ebene der Sterblichen begeben, nehmen Dämonen den Namen ihres Wirts an, aber sie haben auch eigene. Diese Namen besitzen Zauberkraft – wenn mir auch nie ganz klar geworden ist, wie sie sich äußert. Noch so eins ihrer Geheimnisse.

Andrew sah mich lange forschend an. »Wenn ich dir meinen Namen sage, versprichst du dann, mich nie in der Öffentlichkeit damit anzusprechen und ihn nie jemandem zu verraten?«

»Großes Indianerehrenwort«, erwiderte ich prompt.

Er sah mich noch für einen Moment länger an und nickte dann. »Ich heiße Raphael«, sagte er. Nur mit Mühe konnte ich verhindern, dass mir vor Erstaunen die Kinnlade runterklappte.

Hatte er mir tatsächlich einfach so geglaubt? Ich an seiner Stelle hätte das bestimmt nicht getan.

Mist. Wenn er tatsächlich darauf vertraute, dass ich sein Geheimnis bewahre, war es vermutlich eine Frage der Ehre für mich, es auch zu tun.

»Ich möchte dein Freund sein, wenn du mich lässt«, fuhr er fort.

»Vorher friert die Hölle zu.« Nach seinem freundlichen Friedensangebot nicht die netteste Antwort. Aber ich sage nun mal, was ich denke. Und es fiel mir im Traum nicht ein, plötzlich so zu tun, als seien wir die besten Kumpel.

Meine Antwort schien ihn zu treffen, wodurch ich mir noch gemeiner vorkam. Aber zurücknehmen wollte ich sie auf keinen Fall. Er seufzte und stand auf.

»Wie dem auch sei: Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da, Morgan.« Er lächelte mich traurig an. »Ich glaube, dein Taser ist unter der Couch gelandet.«

»Danke«, sagte ich und begleitete ihn zur Tür. Er machte einen Schritt nach draußen, und zu meinem eigenen Erstaunen streckte ich plötzlich die Hand aus und fasste ihn am Arm. Schnell zog ich sie wieder zurück, überrascht über mein Verhalten.

Er drehte sich um, sah mich an und wartete geduldig ab, was ich ihm noch sagen wollte. Ich räusperte mich und wünschte mir, ich hätte ihn einfach gehen lassen.

Ich mag viele schlechte Eigenschaften haben, aber feige bin ich eigentlich nicht – oder nur sehr selten. Also hielt ich den Kopf aufrecht und sah ihm geradewegs in seine traurigen braunen Augen.

»Du sollst nur wissen, dass es nichts Persönliches ist«, sagte ich. »Du scheinst ein ganz netter Kerl zu sein – für einen Dämon. Aber deinetwegen ist mein Bruder tot, und das kann ich dir nicht vergeben.«

»Er ist nicht tot«, sagte Raphael mit sanfter Stimme.

»Es käme aber auf das Gleiche hinaus.« Meiner Ansicht nach war Andys Zustand noch schlimmer als der Tod. Er war ein Gefangener, und sein Geist lebte in einem Körper, über den er keine Kontrolle mehr hatte. Er konnte sich nie mit jemandem unterhalten, konnte nie jemanden berühren, konnte in keiner Form mit irgendeinem anderen menschlichen Wesen in Kontakt treten. Und ich würde nie verstehen, wie sich jemand freiwillig bereit erklärte, sich auf diese Weise vereinnahmen zu lassen, egal wie viele Heldentaten man dadurch vollbringen konnte. Mag sein, dass ich oberflächlich bin und nur an mich selbst denke – jedenfalls ist meine Familie dieser Meinung. Aber ich bin nun einmal so, wie ich bin.

Raphael machte den Anschein, als wollte er noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Er schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging zu seinem Wagen.