16

 

Val war nur allzu willig, mich zum Mittagessen zu treffen. Als ich sie anrief, überschlug sie sich förmlich vor lauter Bitten um Verzeihung. Ich versuchte, so zu tun, als sei ich offen dafür, denn andernfalls würde sie vielleicht gar nicht erst auftauchen.

Der Reading Terminal war früher mal ein Bahnhof gewesen, der zu einer riesigen Markthalle umgebaut worden war. Man bekam dort so ziemlich alles, was man sich nur vorstellen konnte. Die lokale Spezialität des Cheesesteaks natürlich, ein mit Steakraspeln und geschmolzenem Käse gefülltes Baguettesandwich. Aber auch frische Blumen, exotische Gewürze, Obst und Gemüse, Backwaren und Fleisch. Zur Mittagszeit verwandelt sich die Halle in ein Irrenhaus. Das größte Tagungszentrum Philadelphias liegt gleich nebenan, so dass sowohl Einheimische als auch Touristen den Terminal besuchen.

Ich hatte mich mit Val an einem der Tresen verabredet, an denen einfache Gerichte in der Tradition der örtlichen Mennonitengemeinden serviert werden, und kämpfte mich durch die Menge zu unserem Treffpunkt. Val war schon da und hatte es trotz des Andrangs irgendwie geschafft, mir einen Platz freizuhalten. Wir begrüßten einander verhalten, und ich setzte mich auf den hochbeinigen Hocker. Ich bestellte ein Putensandwich und einen Kaffee, wobei ich laut schreien musste, um mir in dem ohrenbetäubenden Stimmenwirrwarr Gehör zu verschaffen. Dann drehte ich mich auf meinem Hocker zu Val um.

Sie war in ihrem »legeren« außerdienstlichen Look erschienen. Die Haare fielen ihr offen auf die Schultern. Sie trug Kontaktlinsen statt Brille und hatte eine perfekt gebügelte blaue Bluse an, die sie akkurat in die beigefarbene Tuchhose gesteckt hatte. Ihre weißen Turnschuhe sahen aus, als seien sie noch nie getragen worden, und strahlten vor Sauberkeit.

»Ich lade dich ein«, sagte sie, etwas nach vorne gebeugt, damit sie nicht so schreien musste. »Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«

Meine beste Freundin geht mit einem Taser auf mich los und glaubt, sie könne alles mit einer Einladung zum Lunch wiedergutmachen?

Ich gab ihr durch meinen Gesichtsausdruck zu verstehen, was ich davon hielt, und sie besaß zumindest den Takt, verlegen auszusehen.

»Es tut mir wirklich leid, Morgan.« Sie blickte auf ihre manikürten Hände hinab und verknotete nervös ihre Finger ineinander. »Ich habe mich unglaublich dumm verhalten, und ich …«

»Ersparen wir uns diesen Unsinn, okay?« Sie hob ruckartig den Kopf und sah mich mit großen, unschuldigen Rehaugen an. Wäre nach ihrem Angriff nicht noch dieser ganze andere Mist passiert, wäre ich vielleicht sogar darauf reingefallen. Aber der Mist war passiert, und ich nahm ihr einfach nicht ab, was sie mir verkaufen wollte.

»Du bist mit dem Taser auf mich losgegangen, weil du den Namen des Dämons erkannt hast, von dem ich besessen bin.«

Ihre Augen wurden noch größer. »Du meinst, du bist tatsächlich besessen?«

Ich war froh, dass es in der Halle so laut war. Ich hülle es gar nicht lustig gefunden, dieses Gespräch in einem ruhigen kleinen Cafe zu führen. Obwohl Val den letzten Satz praktisch geschrien hatte, schaute sich noch nicht einmal jemand nach uns um.

Ich lehnte mich zu ihr hin und ballte die Hände zu Fäusten, um dem Drang zu widerstehen, sie ihr um den Hals zu legen und mit aller Kraft zuzudrücken. »Und nachdem du mich außer Gefecht gesetzt hattest, wolltest du mich zu deinen Freunden bringen – um wen auch immer es sich dabei handeln mag –, damit sie mich bei lebendigem Leibe verbrennen könnten.«

Die Farbe wich ihr aus dem Gesicht, und sie konnte mir nicht mehr in die Augen sehen. »Morgan«, sagte sie mit heiserer, leiser Stimme. »Wie kannst du nur so etwas von mir glauben?«

Der verletzte Klang ihrer Stimme war zwar halbwegs überzeugend, aber ihre Miene passte nicht dazu.

»Wenn das so abwegig ist, warum machst du dann so ein schuldbewusstes Gesicht?« Darauf schien sie keine Antwort zu haben. Mein Essen kam, aber ich war kein bisschen hungrig. Ich hatte mir eingeredet, bereits jede Hoffnung aufgegeben zu haben, Val könnte immer noch meine Freundin sein. Doch der Schmerz, der mir jetzt die Brust zu zerreißen drohte, zeigte mir, dass sich ein Teil von mir an diese Hoffnung geklammert hatte.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Val, wie konntest du nur?«

Sie blickte auf und sah mich an. Ihre Augen waren mit einem glänzenden Tränenfilm überzogen. Sie blinzelte, um die Tränen zu vertreiben. »Es ist nichts Persönliches«, versicherte sie mir. »Die Sache … sollte eigentlich ganz anders ablaufen.« Sie atmete tief durch und schien sich dadurch etwas zu fangen. Ihre Augen waren wieder klar, und obwohl sie niedergeschlagen aussah, wirkte ihre Miene bestimmt und entschieden. »Ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir tut, dass du da hineingezogen worden bist.«

»Erklär mir bitte, in was genau ich hineingezogen wurde«, verlangte ich, doch Valerie schüttelte den Kopf.

»Das kann ich nicht.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah mir geradewegs in die Augen. Die Tränen waren dem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit gewichen. »Wenn du mir mein Handy wegnimmst, muss ich ein Münztelefon benutzen, um die Polizei anzurufen. Das gibt dir einen kleinen Vorsprung.«

Ich runzelte verständnislos die Stirn.

»Du bist von einem illegalen Dämon besessen. Und es gibt auf der ganzen Welt keinen Exorzisten, der stark genug wäre, um ihn dir wieder auszutreiben. Ich fürchte, das lässt nur eine Alternative offen.«

Mir lief es kalt den Rücken runter. Sie wollte mich anzeigen. Ihre netten kleinen Freunde hatten es nicht geschafft, mich mitsamt meinem Haus zu verbrennen, also wollten sie nun schauen, ob nicht Vater Staat die Arbeit für sie erledigen konnte.

Verdammt! Wenn ich nur sicher sein könnte, dass Adam derjenige sein würde, der die Anschuldigung untersucht …

Val zog langsam den Reißverschluss ihrer Handtasche auf und steckte dann die Hand hinein, um nach ihrem Handy zu suchen. Ich riss ihr die Tasche aus der Hand, und Val machte keine Anstalten, sie mir wieder wegzunehmen.

»Unter den Umständen ist das wohl kaum ein Trost«, sagte sie, während ich in ihrer Handtasche herumkramte, bis ich ihr Handy gefunden hatte, »aber ich tue das alles für einen höheren Zweck.«

»Steck dir deinen höheren Zweck in den Hintern!«, fauchte ich und drückte ihr die handylose Handtasche in die Hand. »Ich habe keine Ahnung, worauf du dich eingelassen hast. Aber eins ist sicher: Auf der Seite der Guten stehst du nicht.«

Ich glitt vom Hocker und ließ mein Sandwich unangerührt auf dem Tresen stehen. Am liebsten hätte ich Valerie einen Kinnhaken verpasst – oder wäre in Tränen ausgebrochen. Aber ich würde keins von beidem tun. Val legte einen Geldschein auf die Theke.

»Du beeilst dich besser«, sagte sie. »Das nächste Münztelefon steht gleich draußen vor der Halle. Sobald ich es erreiche, erledige ich meinen Anruf.«

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging davon. Mir schlug das Herz bis in den Hals, während ich zusah, wie sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte. Wie großzügig von ihr, mir diesen Vorsprung zu verschaffen! Und sie lief noch nicht einmal in Richtung des nächstgelegenen Ausgangs. Vielleicht dachte sie, ihr Gewissen würde ihr weniger Probleme bereiten, wenn sie mir so etwas wie eine Chance einräumte. Ich eilte schnell in der entgegengesetzten Richtung davon, wägte mögliche Fluchtrouten ab und verwarf sie wieder.

Meine Beine zitterten, und ich achtete kaum auf meine Umgebung. Als ich plötzlich in einen Typen hineinlief, der sich mir genau in den Weg gestellt hatte, brauchte ich einen Augenblick, um zu begreifen. Ich sah in Dominics braune Augen.

»Dominic? Was machst du denn hier?«

Meine inzwischen auf Hochtouren arbeitender Verfolgungswahn kam zu einem schrecklichen Schluss. »Du bist einer von denen!«, schrie ich erschrocken und machte einen Schritt rückwärts.

»Was?«, fragte er mit gerunzelter Stirn. Dann schien er zu verstehen, was ich meinte. »Nein!« Er packte mich am Arm. »Adam meinte, dass du doch Verstärkung brauchst. Also sind wir dir gefolgt.«

Mein Misstrauen wuchs. »Wir? Wo ist Adam?«

Dominic machte ein düsteres Gesicht. »Er folgt Valerie. Keine Angst – er wird verhindern, dass sie anruft.«

»Wie will er sie aufhalten?« Ich hatte den leisen Verdacht, dass ich die Antwort bereits kannte. Als Dominic nichts erwiderte, wusste ich, dass mein Verdacht zutraf.

Ich hatte mich nie für besonders leichtgläubig gehalten, aber in letzter Zeit lag ich verdammt oft daneben. »Er hat nur so getan, als ließe er mich unseren Streit gewinnen. In Wahrheit wollte er sie mit meiner Hilfe aus der Deckung locken und sie sich dann schnappen.«

Dominic zuckte mit den Achseln und lächelte verschämt. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.

»Du wusstest, was er vorhatte, nicht wahr?«, fauchte ich ihn an.

Wieder ein Achselzucken. »Ich kenne Adam schon ziemlich lange und konnte es mir denken.«

Und ich hatte mir eingebildet, Dominic und ich werden langsam Freunde. Dabei nahm er nur einen weiteren Platz auf der langen Liste von Lügnern ein, mit denen ich es in letzter Zeit zu tun hatte.

»Vielen Dank, dass du mir geholfen hast, einen Taser ›mitzuschmuggeln‹, du Arschloch«, sagte ich.

Er ging nicht darauf ein. »Lass uns gehen, okay? Ich glaube nicht, dass du Adam allzu lange mit Valerie allein lassen willst.«

Das klang überhaupt nicht gut. »Ich kann ihn ja sowieso nicht davon abhalten.«

»Nein«, sagte Dominic sanft. »Aber vielleicht bist du in der Lage, ihn … ein wenig zu mäßigen.«

Das Verhör sollte offenbar nach dem alten Muster »netter Bulle, böser Bulle« ablaufen, und ich hatte eigentlich keine Lust, dabei mitzuspielen. Doch die Alternative lautete, Valerie ohne jeden Beistand der Gnade des bösen Bullen auszuliefern. Sie hatte sich zwar von meiner besten Freundin in meine ärgste Feindin verwandelt, aber es gab gewisse Dinge, die ich selbst meiner ärgsten Feindin nicht wünschte. Und mein Gefühl sagte mir, dass Adam in diese Kategorie fiel.

»Nichts wie los«, sagte ich und ließ Dominic voranlaufen.

Dominic schien ungefähr drei Meilen weit weg geparkt zu haben. Vielleicht war ich auch nur dermaßen besorgt, dass es mir so vorkam. Jedenfalls trieb ich ihn geradezu panisch zur Eile.

Auf der Fahrt zu Adams Haus schwiegen wir. Mein letzter Funken Hoffnung, dass Val meine Freundin sein könnte, war erloschen. Ich spürte eine schmerzhafte Leere in meiner Brust. Ich wollte wissen, warum sie das alles tat, warum sie bei einer Verschwörung zur Vernichtung des Dämonenkönigs mitmischte. Aber warum war ich eigentlich so sicher, dass Lugh auf der Seite der Guten stand? Mehr als sein Wort hatte ich schließlich nicht. Vielleicht war er der Leibhaftige selbst, und Val hatte vollkommen recht, ihn vernichten zu wollen.

Möglich, aber irgendwie glaubte ich nicht daran. Wenn Lugh der Böse war und Val meine Freundin, dann hätte sie mir wenigstens erklärt, warum sie mich zu töten versuchte.

Dominic bog in den Parkplatz gegenüber von Adams Haus ein. Er fuhr jedoch nicht in eine der Parkbuchten, sondern fischte nur einen Schlüssel aus der Hosentasche und reichte ihn mir. Ich sah ihn fragend an.

»Du kommst nicht mit rein?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich zieh mich mal eine Weile in meine eigene Bude zurück. Ich habe keine Lust, in diesen Schlamassel verwickelt zu werden.« Er machte eine Geste in Richtung des Hauses.

Ich sah ihn kühl an. »Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – ist das dein Motto?«

Er erwiderte nichts, aber ich konnte sehen, dass ihn meine Worte kränkten. Diesmal hielt sich mein Mitleid jedoch in Grenzen. Wenn er schon stillschweigend hinnahm, was Adam tun wollte, sollte er wenigstens den Schneid haben, es sich mit anzusehen.

Ich stieg ohne ein weiteres Wort aus dem Wagen und schlug die Tür mit Schwung zu. Dominic fuhr davon, kaum dass ich die Straße überquert hatte.

Als ich den Schlüssel ins Schloss schob, war ich einen quälenden Moment lang versucht, es Dominic gleichzutun. Ich fühlte mich zu schwach für diesen Kampf, wollte nicht sehen, was Adam meiner ehemals besten Freundin möglicherweise bereits alles angetan hatte. Doch was sie auch getan hatte, ich konnte sie nicht einfach seiner Gnade überlassen.

Als ich eintrat, war es ganz still im Haus. Widerwillig ging ich in Richtung Treppe und wischte meine feuchten Handflächen an der Hose ab. Ich wusste, wo Adam und Val zu finden sein würden.

Eine Peitsche knallte. Valerie gab einen Schrei von sich.

Im Nu war meine Zögerlichkeit verflogen, und ich rannte die Treppe hinauf. Die Tür zu dem schwarzen Zimmer war geschlossen, aber nicht verriegelt. Ich stürmte ins Zimmer und blieb abrupt stehen.

Val war mit den Händen an das Fußteil des großen Eisenbetts gefesselt. Jede Hand steckte in einem Paar Handschellen, und jeder Arm war so weit zur Seite gestreckt, dass ihren Handgelenken kaum Spielraum blieb. Adam stand hinter ihr und hatte eine lange, brutal aussehende Peitsche in der Hand. Er hatte Vals Bluse am Rücken aufgerissen, aber es waren noch keine roten Striemen zu erkennen. Anscheinend hatte Adam ihr bisher nur gehörig Angst eingejagt.

»Sieh einer an«, sagte Adam und drehte sich zu mir um. »Wie nett von dir, uns Gesellschaft zu leisten, Morgan. Ich war gerade dabei, deine Freundin Valerie zu fragen, mit wem sie zusammenarbeitet. Bis jetzt hat sie wenig Bereitschaft gezeigt, mir zu antworten. Vielleicht kannst du sie davon überzeugen, dass ich nicht bluffe.«

Er ließ den Griff der Peitsche kreisen wie einen Schneebesen, und der lange Lederriemen wirbelte herum wie eine kleine Windhose.

»Morgan!«, winselte Val und sah mich über die Schulter hinweg an. Ihre Augen waren vom vielen Weinen zugeschwollen. Ganze Rinnsale dunkler Wimperntusche liefen ihre Wangen hinab. »Bitte hilf mir!«

Ich schluckte meine Wut auf Adam herunter. Er hatte ihr nicht weh getan. Noch nicht zumindest. Und wenn ich sie zum Reden bringen könnte, würde er es auch nicht – und ich müsste nicht versuchen, ihn davon abzuhalten.

»Ich bin nicht gerade in der Position, um dir zu helfen, Val«, sagte ich und hoffte, ruhiger zu klingen, als ich in Wirklichkeit war. »Körperlich kann ich gegen Adam nicht viel ausrichten. Wahrscheinlich fährst du am besten, wenn du ihm einfach sagst, was er wissen will.«

Sie schluchzte. »Aber ich weiß doch nichts! Bitte, Morgan …«

»Eben warst du noch drauf und dran, mich anzuzeigen und hinrichten zu lassen, und jetzt bittest du mich um Hilfe!«

Adam grinste mich an. »Ich dachte, ich bin der böse Bulle.«

»Hält’s Maul, Adam.«

Er ließ immer noch die Peitsche kreisen. Er bewegte sie näher zu Val hin, so dass der Riemen eins ihrer Hosenbeine streifte. Sie kreischte und versuchte auszuweichen, was ihr natürlich nicht gelang.

»Bitte sag ihm, was er wissen will, Val. Er … hat Spaß daran, anderen weh zu tun. Liefere ihm nicht noch einen Vorwand.«

Adam sah erst mich mit erhobenen Brauen an und starrte dann demonstrativ auf seinen Schritt. Widerwillig folgte ich seinem Blick. Offenbar hielt sich sein Spaß in Grenzen – bisher zumindest.

»Ich würde ihm ja alles sagen, wenn ich etwas wüsste!«, jammerte Val verzweifelt.

»Vor unserer kleinen Unterhaltung beim Lunch hätte sich das wesentlich überzeugender angehört«, erwiderte ich, und anscheinend fiel Val darauf keine besonders gute Antwort ein.

»Geh lieber ein Stück zurück«, sagte Adam zu mir und hörte mit seinem kleinen Wirbelkunststück auf. »Ich kann ausgezeichnet mit diesem Ding umgehen, aber du hältst trotzdem lieber etwas Abstand.«

»Morgan!«, schrie Val.

»Tu’s nicht, Adam. Bitte. Lass uns einfach –«

Er ließ mich nicht ausreden. Die Peitsche schnitt durch die Luft. In dem kleinen Zimmer war der Knall ohrenbetäubend laut. Vals Schrei versetzte mir einen Stich. Doch ich wusste ehrlich nicht, wie ich Adam anders als mit Worten von seinem Tun abhalten sollte.

Ein leuchtend roter Striemen leuchtete auf Vals Rücken. Sie schluchzte und schnappte nach Luft.

»Der Hieb war nur zur Warnung«, sagte Adam. Seine Stimme war vollkommen ruhig und emotionslos. »Der nächste geht ins Fleisch. Sag mir, wer deine Komplizen sind, dann gibt es keinen nächsten.«

»Bitte«, bettelte sie mit schluchzender Stimme. »Morgan, bitte lass das nicht zu.«

Nach allem, was sie mir angetan hatte, hätte es mir eigentlich eine Genugtuung sein sollen, Val leiden zu sehen. Aber dafür war sie zu lange meine beste Freundin gewesen. Ich konnte meine Gefühle für sie nicht einfach abstellen, jedenfalls nicht so plötzlich. Ich flehte Adam mit den Augen an aufzuhören, oder wenigstens langsamer zu machen, damit ich mir irgendeinen Ausweg einfallen lassen konnte.

»Wenn du hierfür zu weich bist, dann verzieh dich lieber, Schätzchen. Die hässliche Wahrheit lautet, dass irgendwelche Leute versuchen, dich umzubringen. Wenn wir nicht herausfinden, um wen es sich dabei handelt, werden sie früher oder später Erfolg haben. Und in Anbetracht der Art und Weise, wie sie es machen wollen, finde ich ein paar Hiebe mit der Bullenpeitsche ziemlich harmlos.«

Dieser Logik konnte ich schwer widersprechen. Vielleicht wäre es leichter, auf Val Einfluss zu nehmen als auf Adam.

»Val, bitte. Ich kann ihn nicht davon abhalten, dir weh zu tun. Was glaubst du, wie lange du das aushalten kannst, bis du zusammenbrichst? Warum willst du dir das zumuten?«

Sie antwortete nicht, sondern sah mich mit ihren verweinten Augen an und hatte dabei einen Ausdruck im Gesicht, dessen Härte mich schaudern ließ. In dem Moment knallte wieder die Peitsche.

Ein weiterer Schrei hallte durch den Raum. Wie Adam gedroht hatte, war dieser Hieb ins Fleisch gegangen. Ich fürchtete, mich übergeben zu müssen, und schluckte mühsam.

»Ich mache jetzt keine Scherze mehr, Valerie«, sagte Adam. »Rede endlich. Oder du wirst es mehr bereuen, als du dir vorstellen kannst.«

Verzweifelt machte ich einen Schritt auf die beiden zu und streckte die Hand nach Adam aus. Er ließ die Peitsche beiläufig, fast spielerisch in meine Richtung schnalzen. Ich schrie erstickt auf und sprang zurück, obwohl der Riemen mich nicht einmal ansatzweise berührt hatte.

»Ich meine es ernst, Morgan«, sagte er, immer noch mit demselben ruhigen und emotionslosen Ton in der Stimme. »Wenn du das hier nicht ertragen kannst, dann verschwinde. Denk dran, dass es dabei um mehr geht als nur dein Leben. Ich werde alles tun, was nötig ist, um sie zum Sprechen zu bringen.«

»Aufhören, bitte«, schluchzte Val. »Ich sage dir, was du wissen willst. Nur … tu mir bitte nicht mehr weh.«

Ich schlang die Arme um meinen Körper und fragte mich, ob Dominic nicht die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber schließlich ging es hier um mein Leben, und es war meine verdammte Pflicht zu bleiben.

»Von wem kriegst du deine Anweisungen?«, fragte Adam.

»Andrew Kingsley«, antwortete sie.

»Nein, tust du nicht«, entgegnete Adam. »Du weißt, dass wir Andrew in Verdacht haben, und versuchst uns mit einem Namen abzuspeisen, den wir ohnehin schon kennen. Versuch’s noch mal.«

Val schluchzte. »Ich kenne seinen Namen nicht«, jammerte sie. »Ich nenne ihn Orlando, aber das ist ein Deckname.«

»Mensch oder Dämon?«

»Mensch.«

»Beschreib ihn mir.«

Sie schniefte und schluchzte abwechselnd, so dass sie die Beschreibung nur stückchenweise vorbringen konnte. »Ungefähr 1,80 … 90 Kilo … blonde Haare, blaue Augen. Sieht aus wie jemand, der einen guten Kandidaten für einen Wirt abgeben würde, ist aber keiner.«

»Wer ist bei der Sache noch mit dabei?«

»Das weiß ich nicht. Sie gehen sicher, dass wir kleinen Fische nie über genug Informationen verfügen, um alles auffliegen lassen zu können. Andrew weiß sicherlich sehr viel mehr über das Ganze als ich.«

»Warum, Val?«, fragte ich. Ich wusste, dass es drängendere Fragen gab, aber mein gebrochenes Herz verlangte nach einer Antwort. »Warum hast du mir das angetan? Wieso hast du Andrew erlaubt, mir dieses … Ding … aufzuzwingen, und hast dann auch noch versucht …« Ich konnte nicht weiterreden. Noch ein einziges Wort, und ich würde selbst an fangen zu schluchzen.

»Es tut mir wirklich leid, Morgan.« Sie sah mich über ihre Schulter hinweg an, mit weit geöffneten Augen und übertrieben aufrichtigem Blick. »Du warst eigentlich nicht als Wirt vorgesehen. Andrew hat auf eigene Faust gehandelt, bevor wir ihn davon abhalten konnten. Er verfolgt seine eigenen Ziele, die sich nicht immer exakt mit unseren decken. Ich hätte ihn dir das nie antun lassen, wenn ich Bescheid gewusst hätte. Aber bevor du mir diesen Zettel gezeigt hast, wusste ich noch nicht einmal, dass Andrew einer von uns ist. Als ich meine Oberen davon unterrichtete, stattete er mir einen Besuch ab, und so erfuhr ich es. Ich bin nur ein kleiner Fußsoldat, mein Rang kommt noch nicht einmal in die Nähe eines Generals.«

Ich atmete tief ein, um meine Fassung zurückzugewinnen. »Heißt das, wenn du Lugh in einen anderen Wirt eingeschleust und diesen dann verbrannt hättest, wäre das für dich in Ordnung gewesen?«

Sie hob ihr Kinn. »Manchmal muss man Opfer bringen, wenn es höheren Zielen dient.«

»Scheint mir, als hättest du nicht gerade ›hier‹ geschrien, als nach einem passenden Wirt für die Grillparty gesucht wurde. Worin genau besteht eigentlich dein Opfer?«

»Reden wir ein paar Takte über diese sogenannten höheren Ziele«, sagte Adam. Vals Miene wurde sichtlich angespannter. »Hast du irgendeine Ahnung, wofür du kämpfst?«

»Wir kämpfen für den Erhalt der natürlichen Ordnung.« Sie klang mächtig stolz auf sich selbst. »Wenn Lugh König der Dämonen wird, will er jeden Kontakt zwischen dem Reich der Dämonen und der Ebene der Sterblichen verbieten. Dann müssten wir in Zukunft auf die Dämonen und ihre Hilfe verzichten.«

Adam schnaubte verächtlich. »Glaubst du diesen Unsinn wirklich?« Er sah mich an. »Lugh will verbieten, dass Dämonen gegen den Willen eines Menschen dessen Körper in Besitz nehmen dürfen. Bis jetzt wird das nur von den Gesetzen der Menschen verboten, aber nicht von unseren eigenen. Hübscher Einfall, ihn selbst einem Wirt aufzuzwingen, der damit nicht einverstanden ist, nicht wahr?«

In der Erwartung, dass sie widersprechen würde, blickte ich von Adam zu Val. Doch sie tat es nicht.

»Wenn sich genügend Menschen freiwillig melden würden, brauchten die Dämonen keine unfreiwilligen Wirte.« Ihre Augen leuchteten fanatisch. »Die menschliche Rasse braucht sie. Sie sind so viel stärker und klüger als wir selbst!«

Mir fiel schwer zu begreifen, was Val von sich gab. Ich stand verdutzt da und wusste nicht, was ich antworten sollte.

Adam schnaubte wieder verächtlich. »Dougal hat ungefähr genauso viel Achtung vor der menschlichen Rasse wie ein Mensch vor einem Ackergaul. Willst du, dass die gesamte Menschheit versklavt wird?«

»Wir bedürfen der Führung!«, erwiderte sie. »Im Vergleich mit Dämonen sind wir wie Kinder. Kinder haben Angst vorm Zahnarzt und wollen nicht hingehen, aber verantwortungsbewusste Eltern überlassen ihren Kindern solche Entscheidungen nicht.«

Hatte Val schon immer an diesen Schwachsinn geglaubt? Ich meine, sie war schließlich eine Exorzistin, Herrgott noch mal! Sicher, sie war schon immer dämonenfreundlicher gewesen als alle anderen Exorzisten, die ich kenne, und Exorzisten treiben ja auch nur Dämonen aus, die als Abschaum gelten. Aber wenn ich bedachte, wobei sie jetzt heimlich mitmischte, fragte ich mich, wie viele der Dämonen, die sie angeblich »exorziert« hatte, in Wirklichkeit immer noch putzmunter und unversehrt auf der Ebene der Sterblichen herumwandelten. Und wie hatte sie es geschafft, ihre wahren Gefühle so lange vor mir zu verbergen? Sie war nichts weiter als eine durchgeknallte Fanatikerin. Wie meine Eltern. Wie mein Bruder. Diese Erkenntnis widerte mich an und machte mich gleichzeitig traurig.

»Du bist eine irregeleitete Närrin, Valerie«, sagte Adam. »Was kannst du uns noch über euren Verein erzählen?«

Sie hob das Kinn. »Ich kann dir erzählen, dass wir letzten Endes als Gewinner dastehen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, um euren kümmerlichen König davon abzuhalten, den Thron zu besteigen und Jahrhunderte der Eintracht zwischen Dämonen und Menschen zunichte zu machen.«

Adam schüttelte angewidert den Kopf. Er rollte die Peitsche auf und hängte sie wieder an die Wand.

Und dann wurde ich erneut Opfer meiner Naivität. Als er auf Val zuging, glaubte ich, er wolle ihr die Handschellen abnehmen und sie gehen lassen.

Bevor mir auch nur halbwegs dämmerte, was er vorhatte, hatte er schon mit beiden Händen Vals Kopf gepackt und einmal fest herumgedreht.

Das Geräusch war ekelhaft. Vals lebloser Körper sackte in sich zusammen, so weit das mit ihren an das Bett gefesselten Händen möglich war. Mir wurde speiübel, und ich erbrach mich, bis mein Magen längst leer war. Mein ganzer Körper wurde von Würgekrämpfen geschüttelt. Als ich Adams Füße näherkommen sah, hob ich nicht einmal den Blick.

Ich hatte gewusst, dass Adam ein harter Typ ist. Und ehrlich gesagt hatte ich auch immer ein bisschen Angst vor ihm. Aber nichts hatte mich auf diesen Schock vorbereiten können. Ich wurde Zeuge, wie er sich im Bruchteil einer Sekunde vom gesetzestreuen Bürger in einen kriminellen Dämon verwandelte, der ab sofort mehr oder minder vogelfrei war.

Er verließ das Zimmer und kehrte kurz darauf mit ein paar Handtüchern zurück, die er auf den Boden warf. Für mich hatte er einen feuchten Waschlappen mitgebracht. Erst wollte ich ablehnen, aber da ich mein Gesicht säubern musste, nahm ich ihn schließlich doch. Der Lappen fühlte sich angenehm kühl auf meinen brennenden Wangen und meiner heißen Stirn an.

»Tut mir leid, Morgan«, sagte er. »Aber es ging nicht anders. Sie hätte sofort versucht, uns beide von den Behörden hinrichten zu lassen. Und es wäre ihr wahrscheinlich sogar gelungen. Lugh ist ein illegaler Dämon. Und Valerie zu entführen und zu misshandeln ist Grund genug, um mich offiziell für kriminell erklären zu lassen.«

Er ließ mich auf dem Boden hocken und ging zum Bett. Ich blickte auf und sah, wie er Val endlich die Handschellen abnahm. Ihr Körper sank schlaff zusammen, und ich dachte schon, ich müsste wieder würgen.

»Wie konntest du das tun?«, flüsterte ich. »Du hast sie kaltblütig ermordet.« Adam war Polizist, verdammt noch mal! Wie konnte er jemanden einfach so umbringen?

Er seufzte. »Ich hab getan, was ich tun musste.«

Ich hob den Blick. Seine Miene spiegelte einen Hauch von Reue wider, mehr aber auch nicht. Ich fragte mich, wie viele Leute er wohl schon umgebracht hatte. Wenn Valerie die Erste gewesen war, würde ihn das Ganze niemals so kaltlassen.

»Es macht dir nicht mal was aus, oder?«, fragte ich und war wie betäubt. Das konnte nur ein übler Traum sein. Ich hatte tatenlos dabei zugesehen, wie Adam jemanden umbrachte.

Nicht einfach nur jemanden. Val. Die Frau, die ich zehn Jahre lang meine beste Freundin genannt hatte.

Aber auch die Frau, die mich hatte umbringen wollen.

Adam sah nachdenklich aus. Als er antwortete, war deutlich, dass er seine Worte behutsam abgewägt hatte. »Es macht mir etwas aus, dass du nach all den Schrecken, die du in letzter Zeit einstecken musstest, jetzt auch noch das mit angesehen hast. Dass ich sie umgebracht habe, macht mir jedoch nichts aus.«

Ich schüttelte den Kopf. »Wie kann das sein?«

Er überließ Vals reglosen Körper wieder sich selbst und ging vor mir in die Hocke, um mir in die Augen sehen zu können.

»Ich bin kein Mensch, Morgan. Dämonen sind Menschen sehr ähnlich, und zwar in so vieler Hinsicht, dass ihr manchmal vergesst, wie sehr wir uns in gewissen Dingen von euch unterscheiden. Mein Wirt nimmt mir diese Tat übel, aber diese Art von Reaktion legen nur Menschen an den Tag. Ich habe getan, was ich tun musste. Dämonen machen sich keine Vorwürfe, wenn sie etwas tun, was sie für richtig halten, selbst wenn die damit verbundene Handlung unangenehm ist.«

Ich schüttelte den Kopf, unfähig, den Inhalt seiner Worte zu begreifen.

»Nur, um das Ganze in die richtige Perspektive zu rücken: Wenn ich aus irgendeinem Grund in eine Lage geriete, in der ich es für richtig hielte, Dominic zu töten, dann würde ich es tun.«

Ich schnappte nach Luft und spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. Adam setzte noch eins drauf.

»Ich würde es tun und nicht einmal Gewissensbisse haben.« Er bemerkte meine entsetzte Miene und runzelte die Stirn. »Das bedeutet nicht, dass ich nicht um ihn trauern würde. Aber ich würde mich nicht schuldig fühlen. Und das liegt nicht daran, wer ich bin, sondern was ich bin. Unsere … psychische Beschaffenheit, wie ihr es nennt … unterscheidet sich von eurer.«

Schon wieder stieg mir der scharfe Geschmack von Säure in die Kehle. »Lass mich in Ruhe.«

»Morgan …«

»Lass mich verdammt noch mal in Ruhe, hab ich gesagt!« Ich kreischte beinahe. Am liebsten hätte ich an Ort und Stelle einen hysterischen Schreianfall bekommen, aber ich riss mich zusammen.

Adams Züge verhärteten sich. »Du kannst meinetwegen so wütend auf mich werden, wie du willst, aber frag dich doch bitte mal, was du an meiner Stelle anders gemacht hättest.«

»Ich hätte sie nicht umgebracht, du Dreckskerl!«

Er stand auf und rückte wieder ein Stück von mir ab. »Du hättest sie gehen lassen? Damit sie bei der Polizei anruft und uns beide anzeigt?«

Ich hatte die Arme um mich gelegt und spürte plötzlich etwas Hartes in meiner Jackentasche. Mir blieb fast das Herz stehen.

Es war der Taser, den Dominic mir gegeben hatte. Ich hätte Adam die ganze Zeit über davon abhalten können, Val zu foltern – und zu töten.

War ich etwa unbewusst mit Adams Methoden einverstanden und vergaß deswegen, dass ich den Taser bei mir halle?

Vielleicht hatte ich trotz meiner empörten Proteste insgeheim sogar gewollt, dass er all diese schrecklichen Dinge tat. Andernfalls hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass er Val nicht einfach wieder gehen lassen konnte.

Eine Sache stand jedenfalls fest: Ich konnte keine Minute länger mit Adam im selben Haus bleiben. Er mochte der einzige Verbündete sein, den ich hatte. Aber der heutige Tag hatte gezeigt, dass man manchmal ohne Verbündete besser dran war.

Natürlich würde Adam mich nicht einfach so gehen lassen. Wenn er etwas ahnte, würde er mich im Handumdrehen wieder im Nebenzimmer einschließen. Während er sich erneut über Vals Leichnam beugte, entsicherte ich den Taser und schoss ihm in den Rücken.