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Ich hatte den ganzen Tag darüber nachgedacht, was Vals seltsames Verhalten bedeuten mochte, war aber zu keiner befriedigenden Lösung gekommen. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder hatte Val tatsächlich geglaubt, ich sei von einem Dämon besessen, oder sie war aus einem anderen Grund auf mich losgegangen. Beides ergab für mich keinen Sinn. Es stand also unentschieden.
Ich überlegte, einfach ins Bett zu gehen, aber allein bei der Vorstellung krampfte sich mein Magen vor Angst zusammen. Ich hatte keine Ahnung, wie mein Unterbewusstsein auf dieses Drama heute reagieren würde, und ich war nicht scharf darauf, es herauszufinden.
Ich sah mir irgendeinen blöden Film im Fernsehen an, um mich für eine Weile abzulenken. Aber meine Gedanken hörten nicht auf, sich immer um dieselbe Frage zu drehen. Entnervt schaltete ich den Fernseher aus. Wenn ich nicht irgendetwas fand, was mich davon abhielt, ständig über Val nachzudenken, wäre ich bis zum nächsten Morgen reif für die Klapsmühle.
Ich lief ziellos im Haus umher, auf der Suche nach etwas, was mich ablenken konnte. Schließlich führte mich meine Wanderung in den ersten Stock – soweit man es den ersten Stock nennen kann. Der Makler sagte damals, das Haus habe »eineinhalb Stockwerke«. Persönlich weiß ich nicht, ob es so etwas wie ein halbes Stockwerk wirklich geben kann, aber mein Haus hatte offenbar eins.
Der erste Stock bestand aus einem einzelnen großen Raum. Da ich alles, was ich fürs tägliche Leben brauchte, im Erdgeschoss hatte, ging ich selten dort hinauf. Das Stockwerk hatte sich in eine Art Rumpelkammer verwandelt – mit dem einzigen Unterschied, dass es etwas netter eingerichtet war als eine übliche Rumpelkammer. Wann immer ich bei irgendeinem Gegenstand nicht wusste, wo ich damit hinsollte, landete er dort oben. Das schloss auch mehrere Kisten Bücher mit ein, die ich seit meinem Einzug nicht ausgepackt hatte. Ich bin einer dieser Menschen, die nie etwas wegwerfen können und selbst Dinge behalten, die sie eigentlich nicht mögen.
Keine Ahnung warum, aber aus irgendeinem Grund kniete ich mich jetzt vor diese Kisten und wühlte so lange darin herum, bis ich auf ein altes Taschenbuch mit Eselsohren stieß, von dem ich noch nicht einmal gewusst hatte, dass ich es besaß. Hatte ich es jemals gelesen? Ich konnte mich nicht daran erinnern, aber so, wie es aussah, musste es irgendjemand gelesen haben. Es fiel schon auseinander, so oft waren die Seiten umgeschlagen worden – und das konnte ja wohl nur bedeuten, dass es gut war, oder?
Ich hoffte, dass ich in dem Buch mehr Ablenkung finden würde als im Fernsehprogramm, und begann zu lesen.
Ich erwachte mit einem Ruck. Ich saß immer noch in demselben Sessel, in den ich mich zum Lesen gesetzt hatte. Doch das Buch war nirgendwo zu sehen, und auf meinem Schoß lag ein Schreibblock.
Val ist nicht deine Freundin!!!
Wach auf, Morgan. Wehr dich gegen mich. Schnell. Da ist jemand unten im Haus!
Ich könnte jetzt sagen, dass mir beim Lesen der Notiz ein kalter Schauer über den Rücken lief, aber das wäre mächtig untertrieben. Es fühlte sich eher so an, als liefe mir eine ganze Eiszeit den Rücken runter. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und meine Hände krallten sich um die Armlehnen. Ungefähr zwei Sekunden lang versuchte ich mir einzureden, dass mir nur mein Unterbewusstsein einen Streich spielte. Dann hörte ich Schritte im Erdgeschoss. Eigentlich hätte meine Alarmanlage aufheulen müssen, wenn jemand ins Haus eingebrochen wäre. Doch diesmal wusste ich, dass ich mir nicht nur etwas einbildete.
Sie glauben jetzt vielleicht, eine taffe Braut wie ich holt ihre Uzi aus dem Schrank und stürmt wie Rambo im Adrenalinrausch nach unten, um es den Eindringlingen zu zeigen.
Nun, ich mag taff sein, aber nicht blöd.
Ich schlich mich leise zum Fenster, das auf meinen winzigen Garten hinausging. Mein Puls raste, während ich es vorsichtig hochschob. Von unten hörte ich ein Geräusch, das sich wie Flüstern anhörte. Ein Flüstern, auf das jemand im Flüsterton antwortete – was bedeutete, dass ich es mit mindestens zwei Einbrechern zu tun hatte.
Ich setzte mich aufs Fensterbrett und schwang meine Beine nach draußen. Um meinen Garten läuft eine Rosenhecke herum, und an der Rückwand des Hauses ist ein Spalier angebracht, an dem sich Rosen hinauf ranken. Ich betete, dass das Spalier mein Gewicht aushalten würde, und zog von außen das Fenster wieder zu.
Da ich nicht die weise Voraussicht besessen hatte, dornenlose Rosen an der Hauswand zu pflanzen, bekam ich auf dem Weg nach unten jede Menge Stiche und Kratzer ab. Ich sprang zu Boden und spähte vorsichtig an der Hauswand vorbei.
In meiner Einfahrt stand ein schwarzer Geländewagen mit getönten Scheiben. Ich hatte dieses Auto nie zuvor gesehen.
Ich konnte niemanden in dem Wagen erkennen, aber möglicherweise lauerte hinter den getönten Scheiben ein ganzes Einsatzkommando. Trotzdem: Die Eindringlinge würden jeden Moment nachsehen, ob jemand im ersten Stock war, und dann wollte ich auf gar keinen Fall gut sichtbar im Garten stehen.
Ich rannte quer durch den Garten. Die Angst schnürte meinen Magen zusammen, und ich erwartete, jeden Moment jemanden hinter mir rufen zu hören. Aber alles blieb ruhig. Ich nahm die Rosenhecke in vollem Lauf – manchmal sind lange Beine ein echter Vorteil – und rannte weiter. Der Sohn meiner Nachbarn hatte sich ein Baumhaus gebaut, und das erschien mir jetzt wie der perfekte Ort, an dem ich mich verstecken und von wo aus ich alles beobachten konnte. Ich dachte kurz darüber nach, bei einem Nachbarn zu klopfen und die Polizei anzurufen. Aber es war mitten in der Nacht, und bis ich es geschafft hätte, jemanden aus dem Bett zu holen, wären die Eindringlinge längst über alle Berge. Oder sie würden das Klopfen hören und mich holen kommen.
Mit meinen zerstochenen Händen würde ich im Baumhaus des Jungen bestimmt eine ziemliche Sauerei anrichten, aber das ließ sich nicht ändern. Ich kraxelte die wackligen Holzsprossen hinauf, die am Stamm des Baumes festgenagelt waren, und duckte mich in die enge Stube. Durch eines der kleinen Fenster hatte ich freie Sicht auf meine Einfahrt und die Vordertür. Ich hielt die Luft an, hoffte, dass sich hier zu verstecken die richtige Entscheidung gewesen war, und wartete ab.
Ich musste nicht lange warten. Kaum drei Minuten später ging die Vordertür auf, und drei schwarzgekleidete Gestalten kamen aus dem Haus. Ich hielt mir selbst den Mund zu, um mich nicht durch einen unfreiwilligen Laut zu verraten. Alle drei trugen Skimasken, so dass ich nur ihre Augen, Nasen und Münder sehen konnte, und selbst davon war auf die Entfernung nicht viel zu erkennen. Nach Größe und Körperbau zu urteilen handelte es sich um Männer, aber das konnte im Dunkeln täuschen. Nicht zu übersehen war jedoch, dass alle drei bis an die Zähne bewaffnet waren.
Ich bin kein Waffenfanatiker, deswegen kann ich nicht sagen, was genau die Männer bei sich trugen. Auf jeden Fall aber trug jeder von ihnen ein großkalibriges Gewehr oder eine Schrotflinte auf dem Rücken und zusätzlich einen Hüfthalfter mit eingesteckter Handfeuerwaffe. Wer auch immer diese Leute sein mochten und was sie vorgehabt hatten, es war ihnen verdammt ernst damit.
Sie stiegen in den Geländewagen und fuhren davon. Der Fahrer zog seine Skimaske erst aus, nachdem er rückwärts aus der Einfahrt gesetzt hatte. Hinter der Windschutzscheibe konnte ich flüchtig kurzgeschnittenes Haar aufschimmern sehen, aber das war auch schon alles. Ich hätte nicht einmal zu sagen vermocht, welche Haarfarbe der Mann hatte. Das Nummernschild des Wagens konnte ich erst recht nicht entziffern.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort oben in dem Baumhaus saß und vor Kälte und Angst zitterte. Irgendwann war ich mir halbwegs sicher, dass die Eindringlinge nicht zurückkommen würden, kletterte nach unten und schlich mich in mein Haus zurück. Ich rechnete damit, dass jeden Moment irgendjemand hinter einer Hecke hervorspringen würde, aber nichts passierte.
Sie hatten die Haustür abgeschlossen – was mir ziemlich seltsam vorkam für ein Kommando vermummter Einbrecher. Doch ich hatte einen Ersatzschlüssel unter der kleinen Hecke versteckt, die entlang der Hauswand verlief. Nicht unter einem dieser bescheuerten künstlichen Steine, unter dem jeder sofort nachgucken würde, der in das Haus eindringen wollte. Mein Ersatzschlüssel lag unter einem echten Stein.
Als ich wieder im Haus war, holte ich als Erstes meinen Taser und machte ihn feuerbereit. Eine Waffe in der Hand zu haben beruhigte meine Nerven etwas. Dann ging ich ins Wohnzimmer und rief die Polizei.
Die nächsten fünfzehn Minuten verbrachte ich damit nachzusehen, ob irgendetwas im Haus fehlte. Es überraschte mich allerdings herzlich wenig, dass das nicht der Fall war. Wenn das normale Einbrecher gewesen waren, dann war ich der Weihnachtsmann.
Kurz bevor die Polizei eintraf, ging ich schnell nach oben und riss die Notiz ab, die ich mir selbst geschrieben hatte. Ich riss auch gleich die nächsten drei Blätter von dem Block, nur zur Sicherheit. Ich erwartete nicht, dass die Polizei das Haus so gründlich durchsuchen würde, aber ich wollte auf keinen Fall, dass sie die Notiz fand. Sie wäre zu schwierig zu erklären gewesen.
Es war fünf Uhr morgens, als die Polizei das Haus wieder verließ. Ich hatte alles zu Bericht gegeben, woran ich mich erinnern konnte.
Die »Einbrecher« hatten nicht nur die Tür hinter sich abgeschlossen, sondern auch die Alarmanlage wieder eingeschaltet. Es sollte wohl so aussehen, als sei nie jemand da gewesen. Jetzt fiel mir auch auf, dass nicht nur kein einziger Gegenstand im Haus fehlte, sondern auch kein einziges Möbelstück verrückt war. Super. Unsichtbare Einbrecher.
Unsichtbare Einbrecher, die nichts mitgehen ließen, pro Nase zwei Kanonen trugen und in mein Haus eingedrungen waren, ohne die Alarmanlage zu beschädigen. Die Polizei glaubte, dass die Kerle wahrscheinlich meinen Sicherheitscode kannten und die Anlage einfach ausgeschaltet hatten.
Sie können sich darauf verlassen, dass ich den Code genau in dem Augenblick änderte, als der letzte Polizist zur Tür raus war. Sie können ebenfalls sicher sein, dass ich kein Auge zutat, so müde ich auch war. Ich verbrachte die frühen Morgenstunden damit, verängstigt und verwirrt auf meinem Sofa zu sitzen und mit glasigem Blick ins Leere zu starren. Das Schlimmste war, dass es niemanden gab, den ich um Hilfe bitten konnte. Nicht Val, die laut meinem Dämon oder meinem Unterbewusstsein – was immer Ihnen lieber ist -nicht wirklich meine Freundin war. Auch nicht meinen Bruder, aus demselben Grund. Und auch nicht Brian. Wenn mein ohnehin verzocktes Leben gerade dabei war, komplett den Bach runterzugehen, wollte ich wenigstens ihn da rauslassen.
Gegen Abend wusste ich, dass ich meinen Entschluss, Brian zu verschonen, nicht durchhalten konnte. Ich hatte den größten Teil des Tages im Büro verbracht und Berichte zu den Exorzismen angefertigt, die ich an Lisa Walker und Dominic Castello durchgeführt hatte. Ich bin sowieso nicht die Schnellste, was das Erledigen von Papierkram angeht, aber dass ich es trotz meines Schlafmangels schaffte, alles in nur acht Stunden fertigzubekommen, grenzte an ein kleines Wunder.
Normalerweise treffen Brian und ich uns eher selten unter der Woche. Er muss oft bis spät in den Abend hinein arbeiten, und ich bin viel auf Reisen. Und wenn wir beide am nächsten Morgen früh aufstehen müssen, macht es sowieso nur halb so viel Spaß. Aber bei dem Gedanken, nach Hause zu gehen, musste ich sofort an die drei Maskierten denken, die in mein Haus eingebrochen waren und danach sorgfältig hinter sich abgeschlossen hatten. Bei der Erinnerung gefror mir fast das Blut in den Adern.
Wie wahrscheinlich war es schon, dass das Ganze eine einmalige Sache gewesen war? Einbrechen, niemanden antreffen, wieder gehen und wegbleiben. Sicher doch.
Konnte ich darauf zählen, dass mir auch beim zweiten Mal die Flucht gelingen würde? Nein. Letzte Nacht hatte ich Riesenschwein gehabt. Trotz des unterbewussten Frühwarnsystems, das ich offenbar in mir hatte, hätte die Sache böse ins Auge gehen können.
Richtig: Ich klammerte mich immer noch an die Hoffnung, dass die Zettel von meinem Unterbewusstsein stammten. Doch es fiel mir immer schwerer, an dieser Illusion festzuhalten, und ein besonders ängstlicher Teil von mir war sicher, dass ich früher oder später gezwungen wäre, mich von dieser Vorstellung zu trennen. Doch mein Motto lautet: Niemals heute besorgen, was sich auch verschieben lässt auf morgen.
Trotzdem konnte ich nicht den Abend mit Brian verbringen, ohne ihm das Geringste davon zu erzählen, was vergangene Nacht passiert war. Also berichtete ich ihm die offizielle Version des Tatgeschehens, so wie die Polizei es sich zusammengereimt hatte: Mehrere Profi-Einbrecher waren in mein Haus eingedrungen, hatten dann aber gehört, wie ich aus dem Fenster kletterte, und Reißaus genommen.
Ich selbst hielt diese Version für ausgemachten Unsinn und ging eigentlich davon aus, dass Brian derselben Ansicht sein würde. Doch ich kann wohl besser lügen, als ich dachte. Entweder das – oder er kam erst gar nicht auf die Idee, dass ich ihn bei einer so ernsten Angelegenheit anlügen würde. Schließlich hängt er ja dem schönen Glauben an, dass kein Mensch auf der Welt wirklich böse ist – was so ziemlich genau das Gegenteil von dem ist, was ich glaube. Ich kam mir unfair ihm gegenüber vor – ein Gefühl, das mir allmählich vertraut wurde –, versuchte aber, ihn im Bett für meine Unehrlichkeit zu entschädigen. Er hat schon immer sehr viel von meinen mündlichen Fähigkeiten gehalten, und ich ließ ihn in den Genuss jedes Kunststücks kommen, das ich auf diesem Gebiet draufhabe.
Danach schmiegte er sich in Löffelstellung an mich und schlief ein, während ich noch lange wachlag. Obwohl mein Körper verzweifelt nach Ruhe verlangte, hatte ich Angst einzuschlafen.
Ich erwachte in einem blendend weißen Raum.
Weiße Wände, weiße Decke, weißer Boden. Überall weiß.
Ich blickte an mir hinab und sah, dass ich weiße Jeans und einen weißen Pulli trug. Ich dachte sofort, ich müsse träumen, nur fühlte es sich nicht so an. Ich kniff mir in den Arm, und es tat weh.
Hinter mir hörte ich jemanden leise atmen. Ich drehte mich langsam um.
Er bildete einen schockierenden Kontrast zu der weißen Umgebung. Ungefähr 1,95 Meter groß, mit glatten, rabenschwarzen Haaren, die im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Schwarze, mit silbernen Nieten verzierte Lederjacke. Schwarze, eng anliegende Lederhose, die unten in die Schäfte seiner kniehohen schwarzen Lederstiefel gestopft war. Gebräunte Haut, gerade hell genug, um die eines Weißen zu sein, gerade dunkel genug, um diese Einschätzung wieder in Zweifel zu ziehen.
Nachdem ich den farblichen Schock überwunden hatte, bekam ich gleich den nächsten Schreck, als ich ihm in die Augen sah. Sie hatten die Farbe von dunklem Bernstein, den man gegen die Sonne hält, und er sah mich damit so intensiv und konzentriert an, dass allein schon dieser Blick genug Kraft zu haben schien, um mich an meinem Platz zu halten.
Er kam einen Schritt auf mich zu, und ich konnte mich gerade so weit aus meinem Lähmungszustand befreien, um einen Schritt rückwärts zu machen. Er hielt inne, sah mich weiter mit derselben verstörenden Intensität an und hob die Hände, als wollte er sagen: »Sieh – keine Waffen, alles ganz harmlos.«
Ich hatte keine Ahnung, was vor sich ging, eins jedoch wusste ich – dieser Typ war alles andere als harmlos. Groß, muskulös, ehrfurchtgebietend, mit glühenden Augen und einem ernsten, scharfkantigen Gesicht, das mich sofort an einen Serienmörder denken ließ.
Ich räusperte mich und überlegte, warum ich trotzdem so wenig Angst hatte. Ich konnte ich mich daran erinnern, dass ich an meinen netten, harmlosen Freund Brian gekuschelt im Bett gelegen hatte. Jetzt war ich in einem unheimlichen weißen Raum eingesperrt, zusammen mit einem der furchteinflößendsten Typen, den ich jemals gesehen hatte. Klar, mein Puls schlug ein bisschen höher als sonst, aber ich war keineswegs außer mir vor Angst, was eigentlich normal gewesen wäre. Hatte man mich vielleicht unter Drogen gesetzt?
»Ich fürchte, wir haben nicht viel Zeit«, sagte Mr Gruselig. Seine Stimme passte zu seinem Aussehen, ein tiefer, brummiger Bass, von dem man auf der Stelle weiche Knie bekam.
Ich sah mich in dem leeren, glattwandigen Raum um – wo zum Teufel war die Tür? – und fragte mich, wohin er wohl glaubte, dass ich verschwinden könnte.
Dann verzog der Psycho-Killer auf einmal den Mund zu einem Lächeln, und sein Gesicht nahm einen beinahe verschmitzten Ausdruck an, der ihn sofort ganz anders wirken ließ. Die bedrohliche Ausstrahlung, die er eben noch an sich hatte, verschwand so plötzlich, als hätte ich sie mir nur eingebildet. Nichts an ihm hatte sich wirklich verändert. Er war immer noch derselbe Hüne in dem schwarzen Lederoutfit. Auch seine Augen glühten weiterhin, als ob sie von innen angeleuchtet seien. Aber war der Typ vor einer Sekunde noch zum Wahnsinnigwerden gruselig gewesen, war er jetzt zum Wahnsinnigwerden sexy. Und das alles nur, weil er lächelte.
»Deine Fähigkeit, mich aus deinem Bewusstsein zu drängen, ist erstaunlich«, sagte er in diesem tiefen James-Earl-Jones-Bass.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte vergeblich, meine Stimme zu finden. Sie schien irgendwo in meiner Kehle festzustecken, und trotz der skurrilen Umstände konnte ich es nicht lassen, den großen, dunklen, gefährlich aussehenden Typen noch einmal von Kopf bis Fuß zu mustern. Ihm schien das nichts auszumachen. Im Gegenteil, der Beule in seiner Hose nach zu urteilen hatte er sogar Gefallen daran.
Er lachte, und der Klang schlug tief in mir eine Saite an. Mein Mund wurde trocken, andere Teile meines Körpers dafür umso feuchter.
»Wie ich sehe, gefällt dir die körperliche Gestalt, die ich angenommen habe«, sagte er, und seine bernsteinfarbenen Augen funkelten freudig.
»Ah …« Mehr bekam ich nicht raus.
Das Lachen verschwand aus seinen Augen. Ich kam mir vor, als hätte man mir etwas ungemein Kostbares geraubt.
»Du träumst«, sagte er. »Auf eine Art jedenfalls. Ich hab schon alles versucht, um mit dir in Kontakt zu treten. Die Sache mit den Zetteln funktioniert nicht so richtig. Du wachst immer mittendrin auf.«
Ach so, darum ging es hier also. Stimmt, der Typ war genau die Art von Bote, die sich mein Unterbewusstsein ausdenken würde, um mir geheime Botschaften zu übermitteln. Ich beschloss, locker zu bleiben und einfach abzuwarten, bis der Traum wieder vorbei war. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah mein Gegenüber mit der coolsten Taffe-Braut-Miene an, die ich im Repertoire hatte. Er wirkte nicht sonderlich beeindruckt.
»Ich weiß, dass du dir einzureden versuchst, dass ich nur ein Produkt deiner Phantasie bin«, fuhr er fort. »Aber jetzt mal ehrlich, Morgan, deine Phantasie ist doch gar nicht lebhaft genug, um sich so etwas wie mich zusammenzuspinnen.«
Ich konnte den wissenden Ausdruck in seinen Augen nicht ertragen und senkte den Blick. Ich kannte diesen Kerl doch überhaupt nicht. Er hatte nicht das Recht, mich so anzusehen.
»Hör zu«, sagte ich und hielt meine Augen auf eine der Nieten an seiner Jacke gerichtet. »Ich habe keine Ahnung, wer du bist oder was du von mir willst …«
»Wenn du die Freundlichkeit hättest, mich aussprechen zu lassen, würde ich’s dir erzählen«, sagte er.
Widerwillig blickte ich ihm wieder ins Gesicht. Gott, sah er gut aus. Mörderisch gut. Ich tat so, als würde ich meinen Mund mit einem Reißverschluss zuziehen. Er hob eine Braue, als wüsste er nicht genau, was diese Geste bedeuten sollte, fuhr dann aber trotzdem fort zu sprechen.
»Ich bin Lugh. Ich bin ein Dämon und befinde mich momentan im Besitz deines Körpers.« Er runzelte die Stirn, was die Schönheit seines Gesichts etwas beeinträchtigte. »In gewisser Weise jedenfalls, denn außer während deines Schlafes schaffe ich es nicht, Einfluss auf dich zu nehmen.«
Ich erinnerte mich an den Brief, den ich mir selbst geschrieben hatte, denjenigen, in dem ich meinen imaginären Dämon Lugh genannt hatte. »Du behauptest, ich hätte dir erlaubt, Besitz von mir zu ergreifen, als ich unter Drogen stand, richtig?«
Er nickte. »Das Erste, woran ich mich erinnern kann, als ich auf der Ebene der Sterblichen erwachte, war, auf deinem Bett zu liegen. Jemand hatte dich ans Bett gefesselt. Ein Mann mit einer Maske über dem Gesicht war gerade dabei, dich wieder loszubinden. Ich würde sagen, es war Andrew, aber sicher bin ich mir nicht.«
»Und wieso kann ich mich an nichts erinnern?«
»Weil man dich unter Drogen gesetzt hatte. Du warst genauso unfähig, deinen Körper zu bewegen, wie ich es war.«
Ich kaufte ihm die Geschichte nicht ab – oder gab mir wenigstens alle Mühe, sie ihm nicht abzukaufen. Aber selbst wenn das alles nur ein Traum war, schien es mir das Vernünftigste, diesem Psycho-Killer-Typen nicht allzu heftig zu widersprechen. Schließlich sah er so aus, als könnte er mir mit dem kleinen Finger das Genick brechen.
»Warum sollte jemand so große Mühe auf sich nehmen, um dich in einen unfreiwilligen Wirt einzuschleusen?«, fragte ich. »Es gibt doch genügend freiwillige Wirte.«
Er runzelte die Stirn, und das Licht, das seine Augen von innen anzuleuchten schien, flammte auf. »Ich habe Feinde unter meinesgleichen. Leute, die nicht mit dem einverstanden sind, was ich sage. Ich glaube, jemand hat versucht, mich mundtot zu machen. Dieser Jemand muss gewusst haben, dass ich nicht in der Lage sein würde, Kontrolle über deinen Körper zu erlangen. Valerie zu erzählen, dass ich Kontakt zu dir aufgenommen habe, war übrigens keine gute Idee.«
»Jetzt hör mal zu, Mister …«
»Wenn sie mich mundtot machen wollten, sind sie bestimmt nicht erfreut darüber, dass ich mich mit meinem Wirt unterhalten kann.«
Ich warf frustriert die Hände in die Luft. »Wen zum Teufel meinst du mit ›sie‹?«
Er kam noch einen Schritt auf mich zu. Wieder machte ich einen Schritt zurück. Er mochte der heißeste Typ sein, den ich jemals gesehen hatte, aber ich traute ihm nicht über den Weg.
»Ich weiß es nicht. Aber bitte sei vorsichtig. Um wen es sich auch handelt, sie werden dich nicht in Ruhe lassen.«
Er flackerte. Genau wie ein alter Schwarzweißfilm.
»Verdammt!«, sagte er. »Du wehrst dich wieder gegen mich. Bitte versuch dich zu entspannen und mich mit dir reden zu lassen. Wir müssen uns überlegen, wie wir vorgehen wollen.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, auf welche Weise ich mich gegen ihn zur Wehr setzte, aber ich wusste, dass ich nicht damit aufhören wollte. Ich hatte genug von diesem Traum, vielen herzlichen Dank.
Wieder flackerte er.
Dann war er plötzlich verschwunden, und ich stand allein in dem weißen Raum.
Sekunden später erwachte ich sicher und unverletzt in Brians Armen.