10
Nach meinem erfolgreichen Gespräch mit Dominic Castello machte ich eine weitere Fahrt mit dem Zug, diesmal, um nach Hause zu gelangen und dort zu bleiben. Es war Freitagabend, und normalerweise hätte ich mich mit Brian verabredet, aber heute war ich dazu nicht in der Stimmung. Vermutlich würde ich es Brian irgendwann verzeihen, dass er mir kein Alibi gegeben hatte, aber so weit war ich noch nicht. Als ich nach Hause kam, rief ich ihn an und ließ ihn wissen, wo ich war. Unser Gespräch war kurz und angespannt.
Nachdem ich aufgelegt hatte, räumte ich ein wenig auf und änderte dann ein weiteres Mal den Sicherheitscode meiner Alarmanlage. Ich hatte schon vor meinem Besuch bei Castello geduscht, gönnte mir aber vor dem Zubettgehen ein heißes Bad zur Entspannung. Ich ließ mich eine halbe Stunde lang von dem köstlichen Duft meines Schaumbads umhüllen und fühlte mich gleich besser.
Als ich gerade meinen Bademantel überstreifte, klingelte es an der Haustür, und ich spürte, wie sich jeder meiner Muskeln augenblicklich wieder verspannte. Ich fluchte.
Ich hätte wissen müssen, dass Brian mir keine Zeit lassen würde, sein Verhalten zu verdauen. Er hatte das Bedürfnis, die Sache sofort wieder aus der Welt zu schaffen, und würde mir keine Ruhe lassen, bis wir darüber geredet hatten. Das gehört zu den Eigenschaften, die mich an ihm in den Wahnsinn treiben. Er kann mich nicht einfach mal eine Weile sauer auf ihn sein lassen, ohne zu versuchen, sofort wieder alles in Ordnung zu bringen. Ich glaube, er ist es gewohnt, jede Angelegenheit in seinem Leben so schnell wie möglich zu erledigen. In seiner Familie streitet sich niemand länger als einen Tag. Spätestens sobald die Sonne untergeht, herrscht wieder ungetrübte Harmonie.
Ich bin nicht so. Werde es nie sein. Nicht, dass ich es nicht gerne wäre. Ich meine, wer hat schon Lust, sein halbes Leben damit zu verbringen, auf irgendjemanden sauer zu sein? Aber ich bin in einer Atmosphäre aufgewachsen, in der ich mir diese Art von Verhalten nicht aneignen konnte. Sie mögen vielleicht glauben, weil ich gegen meine Familie rebelliert habe, hatte sie keinen Einfluss auf mich. Doch, hatte sie. Nur leider keinen guten.
Während ich zur Haustür marschierte, steigerte ich mich in eine Heidenwut hinein. Ich würde Brian gehörig den Marsch blasen und ihn dann mit eingeklemmtem Schwanz nach Hause schicken.
Ein guter Plan – wenn es tatsächlich Brian gewesen wäre, der vor der Tür stand. Doch es war Adam.
Ich stöhnte und wünschte, ich wäre schlau genug gewesen, durch den Türspion zu gucken, statt mich von meiner Wut auf Brian zu voreiligen Schlüssen verleiten zu lassen.
»Was für eine nette Überraschung«, sagte ich und zog meinen Bademantel enger zu. Ich versuchte, nicht an die Blutflecken auf Castellos Rücken zu denken oder mir Adam mit einer Peitsche in der Hand vorzustellen. Aber es klappte nicht.
Offenbar hatte ich doch mehr für Adam übrig gehabt, als ich immer dachte, sonst wäre ich mir jetzt nicht so … hintergangen vorgekommen. War das nicht total bescheuert?
Adam musterte mich eindringlich. Ich hatte keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging oder warum er hier war. Seine Augen fixierten meine Wange so eindringlich, dass ich mich fragte, ob vielleicht noch Schaum dranhing. Es wäre mir aber peinlich gewesen, hinzufassen und nachzusehen.
»Kann ich reinkommen?«, fragte er.
Ich stellte mich in den Türrahmen. »Nein.« Diesen sadistischen Dreckskerl würde ich bestimmt nicht ins Haus lassen. Schon gar nicht, wenn ich ganz allein war und nur einen Bademantel trug.
»Ich kann dich leicht aus dem Weg schieben.«
»Dann hast du schneller eine Anzeige am Hals, als du gucken kannst.«
Er lachte grimmig. »Ich bin der Chef der Sondereinsatzkräfte. Da braucht es schon mehr als eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, um mir Angst zu machen.«
»Verschwinde von meinem Grundstück, Adam. Ich mein’s ernst.« Ich versuchte, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch er machte seine Drohung wahr und schob mich einfach beiseite.
In einem Anfall von Panik versuchte ich wegzulaufen, trotz Bademantel und nackter Füße.
Dämonenflink packte er meinen Arm, zog mich ins Haus und schlug die Tür zu. Er packte hart genug zu, um blaue Flecken zu hinterlassen, aber ich fürchtete, es könnte ihm gefallen, wenn ich mich beschwerte. Natürlich konnte es auch gut sein, dass er Gefallen daran hatte, wie ich mich gegen ihn wehrte. Fuhren Sadisten nicht genau darauf ab?
Unwillkürlich fiel mein Blick auf seinen Schritt. Zum Glück sah ich keinerlei Anzeichen einer Erektion. Stand er vielleicht nur auf Männer?
»Um Gottes willen, Morgan!«, fuhr er mich an. »Versuchst du tatsächlich nachzusehen, ob ich einen Steifen kriege, wenn ich dich ein bisschen gröber anfasse?«
Da ich genau das tat, fiel es mir schwer, allzu entrüstet zu wirken.
Er zog mich nahe an sich heran und beugte den Kopf zu mir herunter, so dass seine Lippen fast mein Ohr berührten.
»Da müsste ich dir schon wesentlich stärker weh tun, damit ich scharf werde, Schätzchen. Und falls du vorhaben solltest, mir zwischen die Beine zu treten – das würde ich mir zweimal überlegen.«
Er hatte wohl gespürt, wie ich meinen Körper anspannte. Doch ich war überrascht, wie leicht er meine Absicht durchschaute. Kurz überlegte ich, es trotzdem zu tun. Aber ich wollte nicht herausfinden, auf welche Weise er sich rächen würde.
»Lass mich los«, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Er gehorchte, aber an seiner Körperspannung merkte ich, dass er jederzeit bereit war, mich wieder zu packen, falls ich eine falsche Bewegung machen sollte. Mein Herz hämmerte so wild, als wollte es ein Loch in meinen Brustkorb schlagen, und obwohl ich gerade eine halbe Stunde in der Badewanne gelegen hatte, brach mir der kalte Schweiß aus. Er konnte mir mit Leichtigkeit sämtliche Knochen brechen. Und je mehr er mir dabei weh tat, umso mehr Spaß würde es ihm machen. Angesichts solcher Aussichten verkniff sogar ich mir meine dummen Sprüche.
Er sprach mit tiefer, leiser Stimme und in drohendem Ton.
»Ich würde dir nur zu gerne weh tun, Morgan. Das meine ich ernst. Dominic fällt es so schon schwer genug, mit allem fertigzuwerden. Ohne dass du ihn zu Hause belästigst und abfällige Bemerkungen über seinen Lebenswandel machst.«
Was er sagte, jagte mir eine Heidenangst ein. Aber als ich ihm ins Gesicht sah, entdeckte ich Schmerz und keine Wut. »Was macht das dir denn schon? Dein Dämonen-Kumpel lebt doch nicht mehr in ihm. Er ist doch nur noch ein jämmerliches Menschlein, oder?«
»Nicht, dass es dich irgendwas anginge, aber ich habe dir schon gesagt, dass Sauls Wirt und mein Wirt bereits befreundet waren, bevor Saul und ich auf der Bildfläche erschienen sind. Mein Wirt hat Dominic gern, und ich habe meinen Wirt gern. Lass Dominic also in Ruhe, Morgan. Bitte.«
»Verstehe ich das richtig? Du hast ihn bis aufs Blut ausgepeitscht und bist jetzt wütend auf mich, weil ich seine Gefühle verletzt habe?«
Seine Miene verhärtete sich. Der Schmerz war nicht mehr zu sehen – oder zumindest verborgen. »Ja, so ungefähr.«
Vielleicht machte sich Adam wirklich Sorgen um Castello, auf seine eigene verkorkste Weise. Und aus welchem Grund auch immer: Castellos Schicksal ließ mich nicht kalt. Trotz meiner Angst sah ich Adam mit festem Blick ins Gesicht.
»Was ich zu ihm gesagt habe, war ernst gemeint. Wenn du ihm weh tust, kriegst du’s mit mir zu tun. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass er auch so schon genug einstecken musste.«
Adams Ton wurde sanfter. »Meinst du das ernst?«
»Da kannst du Gift drauf nehmen.« Und frag mich bitte nicht, warum. Denn eine Erklärung habe ich dafür weiß Gott nicht.
Ich hätte Adams Gesichtsausdruck nicht unbedingt als Lächeln bezeichnet, aber er war nahe dran. »Na, das ist nun etwas, worum du dir wirklich keine Sorgen machen musst.« Er sah mich eindringlich an. »Das mit der Wunde ist gleich beim ersten Hieb passiert. Ich habe ihm danach noch jede Menge weitere Hiebe versetzt, ohne dass einer davon auch nur eine Spur auf seinem Rücken hinterlassen hätte. Ich habe aus meinem Fehler gelernt.«
Ich hob abwehrend die Hände. »Danke, so genau wollte ich es gar nicht wissen, Adam.«
Er lachte. »Willst du nicht noch hören, wie ich ihn danach getröstet habe?«
Ich sah ihn bitterböse an, wusste aber, dass ich schon wieder rot wurde. Vor meinem geistigen Auge sah ich Adams nackten Hintern – nicht, dass ich diesen jemals zu Gesicht bekommen hätte, bitteschön! – und wie er sich auf eindeutige Weise bewegte. Die Vorstellung hätte eklig sein sollen, aber so reagierte ich nicht darauf. So, wie ich reagierte … Ja, das war nun wirklich eklig!
Ich löste mich so gut ich konnte von dem Bild. »Hast du vor, mir weh zu tun?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schob dabei wie zufällig den Ausschnitt meines Bademantels enger zusammen.
Sein Lächeln war herablassend. »Ich tue nie jemandem zum Spaß weh, der nicht ausdrücklich darum bittet.« Sein Blick wurde wieder eindringlicher, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zurückzuweichen. »Ich muss aber zugeben, dass ich große Lust dazu hätte. Dominic hält inzwischen nicht mehr viel aus, und ich habe jede Menge überschüssige … Energie. Vielleicht kann ich dich eines Tages irgendwie dazu überreden mitzumachen.«
»Ha! Eher friert die Hölle zu.«
Er grinste mich an. »Dann fang ich schon mal an, für eine Eiszeit zu beten.«
Er lächelte so unverschämt, dass ich ihm am liebsten eine gescheuert hätte. »War das alles? Verlässt du jetzt endlich wieder mein Haus?«
»Nein, ich denke nicht.«
»Und wenn ich ganz, ganz lieb darum bitte?«
»Dazu bist du gar nicht fähig, Schätzchen.« Seine Wut schien verflogen zu sein oder wurde zumindest von etwas anderem überlagert. Belustigung, schien mir. War mir lieber als Wut, wenn auch nur geringfügig.
Ich seufzte. »Besteht die Chance, dass du aufhörst, mich Schätzchen zu nennen?«
»Klar. Du musst nur etwas mehr Gastfreundschaft zeigen.«
Mir gefiel das Funkeln in seinen Augen nicht. »Welche Art von Gastfreundschaft?« Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht noch misstrauischer klingen können.
»Ein Drink wäre nett. Ich möchte mit dir über die Mordanklage reden. Ich habe etwas herausgefunden, was du meiner Meinung nach wissen solltest.«
Jetzt hatte er tatsächlich mein Interesse geweckt. »Ich zieh mir schnell was an. Du kannst im Wohnzimmer warten.« Ich machte eine Geste mit der Hand.
Adam grinste schelmisch. »Meinetwegen musst du dich nicht in Schale werfen.«
Mir lag schon eine bissige Antwort auf der Zunge, aber ich nahm an, dass ich damit alles nur noch schlimmer machen würde. Ich wies mit gebieterischer Geste auf meine Couch. »Sitz. Und bleib. Ich bin sofort wieder da.«
Ich hörte ihn leise lachen, während ich in Richtung Schlafzimmer davonging. In meinem Kopf tauchte die verlockende Idee auf, mir schnell etwas anzuziehen und dann aus dem Fenster zu steigen. Aber wenn er wirklich etwas Wichtiges herausgefunden hatte, musste ich es unbedingt erfahren. Obwohl ich natürlich keine Ahnung hatte, warum er bereit sein sollte, sein Wissen mit mir zu teilen – bei der Wut, die er momentan auf mich hatte.
Adam entpuppte sich als ziemliches Rätsel, und das gefiel mir überhaupt nicht.
Ich kramte ein altes Paar Jeans hervor – das ich gekauft hatte, bevor Hüftjeans in Mode kamen – und zog einen ausgebeulten Schlabberpulli an, den ich von Brian hatte mitgehen lassen, nachdem er bei einem unserer Rendezvous meine Bluse zerrissen hatte. Die Kombination raubte meinem Körper jegliche Form, was ich in Anbetracht der Blicke, die Adam mir ständig zuwarf, für eine gute Sache hielt. Ich fragte mich, ob Castello etwas dagegen hatte, wenn sein Freund eine Frau so ansah. Dann fragte ich mich, warum Adam und Castello allem Anschein nach weiterhin ein Paar waren, wenn doch Castellos Dämon nicht mehr existierte. Dann fragte ich mich, warum mich das so beschäftigte, und schob das Thema mit Gewalt beiseite.
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, bereute ich meine Aufmachung auf der Stelle. Adam warf einen Blick auf mich und fing lauthals an zu lachen. Ich ließ mich auf das gelbe Zweiersofa fallen und verlegen in die Polster sinken.
»Hattest du Angst, ich würde über dich herfallen, wenn du dich nicht wie eine Pennerin anziehst?«, fragte Adam mit amüsiert zuckenden Mundwinkeln. Mir fiel zum ersten Mal auf, dass er um die Augen herum Lachfalten hatte. Wäre er nicht ein schwuler Dämon mit einer Vorliebe für SM-Praktiken gewesen (vor allem für den S-Teil dieser Praktiken), dann hätte ich das vielleicht sexy gefunden.
Ich streckte das Kinn vor. »Willst du mir erzählen, du wüsstest nicht, dass du mich die ganze Zeit anguckst, als sei ich Rotkäppchen und du der große böse Wolf?«
Er hörte auf zu grinsen, aber in seinen Augen lag immer noch ein neckisches Funkeln. »Nein, du hast recht. Ich hab ganz schön dick aufgetragen.« Dann wurde sein Blick wieder ernst. »Du musst keine Angst vor mir haben, Morgan. Ich würde dir nie ohne dein ausdrückliches Einverständnis Schmerzen zufügen. Und Vergewaltigung ist auch nicht mein Ding.«
»Klar, dafür bist du ein viel zu netter Typ.«
Er zuckte mit den Achseln. »So weit würde ich jetzt auch wieder nicht gehen.«
»Du hast gesagt, du hättest Informationen für mich. Wieso beenden wir nicht unseren verbalen Schlagabtausch und gehen zum wichtigen Teil der Unterhaltung über?«
»In Ordnung. Als Dominic mich anrief und von deinem Besuch erzählte, war mir sofort klar, dass du nicht aus reiner Nächstenliebe dort aufgekreuzt bist.« Diese unvorteilhafte Einschätzung ließ mich zusammenfahren, aber er beachtete es gar nicht. »Ich nahm an, du dächtest, er hätte vielleicht etwas mit Mordanklage gegen dich zu tun. Also habe ich ihn gefragt, ob da was dran ist.«
Ich zog die Augenbrauen so weit hoch, dass ich das Gefühl hatte, sie würden an meinen Haaransatz stoßen. »Du hast deinen eigenen Freund gefragt, ob er mir einen Mord angehängt hat? Scheint, als wäre ich nicht die Einzige, der es schwerfällt, anderen zu vertrauen.«
Er winkte ab. »Ich wusste, dass er nichts damit zu tun hat. Aber wenn dich irgendjemand in Schwierigkeiten bringen wollte, war es ein naheliegender Gedanke, dass Dominic dabei vielleicht gerne behilflich sein würde. Warum ein Verbrechen begehen, wenn man jemand anderen dazu bringen kann, es für einen zu begehen? Also habe ich ihn gefragt, ob seit dem Exorzismus jemand versucht hat, ihn über dich auszuhorchen. Zuerst hat er es verneint. Aber als ich ihn dann fragte, mit wem er seitdem alles gesprochen hat, stieß ich auf einen sehr interessanten Namen. Und als er darüber nachdachte, ging Dominic auf, dass diese Person tatsächlich versucht hat herauszufinden, was er über dich denkt.«
»Meinetwegen kannst du übrigens jederzeit aufhören, um den heißen Brei herumzureden, und mir einfach sagen, von wem du sprichst.«
»Na gut. Ich spreche von deinem Bruder Andrew.«
Ich knirschte mit den Zähnen. Eigentlich hätte es nicht so weh tun sollen, einen weiteren Beweis dafür geliefert zu bekommen, dass mein Bruder mein Feind war. Lugh hatte ihm ja schon mehr oder weniger den Prozess gemacht. Und eigentlich war er ja auch gar nicht mehr mein Bruder, sondern der Dämon Raphael.
Aber zum Teufel mit der Logik. Es tat trotzdem weh.
»Nur um sicherzugehen, habe ich mir den Mitschnitt des Anrufs bei der Polizei besorgt, der in jener Nacht dort einging. Er war anonym, wurde vom Haus des Opfers aus geführt, und wer immer ihn gemacht hat, hat dabei keine Fingerabdrücke auf dem Telefon hinterlassen. Die Stimme des Anrufers ist nur gedämpft zu hören, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich dabei um Andrews Stimme handelt.«
Ich atmete tief ein. »Wieso bist du dann hier und redest mit mir? Wieso nimmst du Andrew nicht fest?«
»Ich bin nur für Gewaltverbrechen zuständig. Ein anonymer Anruf bei der Polizei ist kein Gewaltverbrechen.«
»Aber einen illegalen Exorzismus durchzuführen schon!«
»Ist dein Bruder Exorzist?«
Er kannte die Antwort auf diese Frage, denn es gibt keine von Dämonen besessenen Exorzisten. Allerdings hatte ich bis vor ein paar Tagen auch noch gedacht, dass es keine Menschen gibt, die von einem Dämon besessen sind, ohne es zu merken – also, was wusste ich schon?
»Wenn er von dem Haus aus angerufen hat«, sagte ich, »dann muss er doch zumindest als Komplize gelten.«
Doch Adam schüttelte den Kopf. »Meine Beweise gegen ihn beschränken sich darauf, dass er sich gestern mit Dominic unterhalten hat und seine Stimme meiner Meinung nach dieselbe ist wie die des anonymen Anrufers. Das ist zu wenig. Viel zu wenig. Aber es ist nicht zu wenig, um dir zu sagen, dass du vorsichtig sein solltest.«
Ich legte den Kopf schief. Adams Gesicht strahlte Aufrichtigkeit aus. »Wieso sollte dir mein Wohlergehen am Herzen liegen? Du hasst mich.«
Er verdrehte die Augen. »Ich hasse dich nicht. Ich bin wütend auf dich. Wenn du den Unterschied nicht kennst, bist du diejenige, die Hilfe braucht, nicht Dominic.«
Mein Gott, hatte Castello unsere Unterhaltung etwa Wort für Wort wiedergekäut?
Adam stand schwungvoll auf. Ich musste mich erst aus den Polstern herauswühlen. Dabei sah ich ungefähr so anmutig aus wie ein Nilpferd.
»Ich geh dir jetzt nicht länger auf die Nerven«, sagte er. »Den Code für deine Alarmanlage hast du ausgewechselt, richtig?«
»Mhm.«
Er nickte zufrieden, und ich brachte ihn zur Tür. Ich dachte, ich sei ihn endlich los, aber in der Tür hielt er noch mal inne und griff in seine Jacke.
»Ach, das hätte ich fast vergessen«, sagte er. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt er mir einen Taser hin, mit dem Griff nach vorne. »Wenn bei dir nachts mysteriöse Kerle mit Masken vorm Gesicht einbrechen, solltest du besser bewaffnet sein.«
Zu sagen, dass ich erstaunt war, wäre untertrieben. Ich wurde aus diesem Typ nicht schlau. Erst drohte er, mir weh zu tun – und dann gab er mir einen Taser, damit ich mich besser verteidigen konnte?
Ich zögerte lange, meinen Blick auf den Taser gerichtet. Bestimmt war damit ein Verbrechen begangen worden. Adam ließ mich mit offenen Augen in die Falle tappen – und schlug noch einen weiteren Nagel in meinen Sargdeckel. Aber so groß der Schrecken auch war, den er mir heute Abend eingejagt hatte, mein Bauchgefühl sagte mir, dass er nicht derjenige war, der mir etwas anzuhängen versuchte. Trotz aller Zweifel nahm ich den Taser also an mich.
»Danke.« Ich räusperte mich. »Und, ähm, tut mir leid, wenn ich Dominics Gefühle verletzt haben sollte. Das wollte ich nicht, ehrlich.«
Er nickte. Ich konnte nicht sagen, ob das bedeutete, dass er meine Entschuldigung akzeptierte oder einfach nur wohl wollend zur Kenntnis nahm, dass ich mich dazu durchgerungen hatte.
Ich wollte die Tür zudrücken, doch einmal mehr stoppte er sie mit der Hand.
»Eine Sache noch«, sagte er und sah mich dabei wieder mit derselben unheimlichen Eindringlichkeit an wie vorhin. »Der Bluterguss, den du gestern an der Wange hattest: Er ist nicht mehr da.«