12
Ich entkam dem Feuer – mit Verbrennungen zweiten Grades an den Füßen. Mein Haus brannte bis auf die Grundfesten nieder. Alles, was ich besaß, meine Bücher, meine Kleider, meine Möbel, sogar mein Auto … war weg. Ein Nachbar rief die Feuerwehr, aber als sie mit dem Löschen anfing, war das Haus schon nicht mehr zu retten. Die gute Nachricht lautet, dass das Feuer unter Kontrolle gebracht werden konnte, bevor es sich auf die benachbarten Häuser ausbreitete. Als der erste Schock abzuklingen begann, gab ich mir Mühe, wenigstens dafür ein wenig dankbar zu sein.
Die Polizei traf kurz nach der Feuerwehr am Schauplatz ein. Da ich aus einem Fenster auf der Rückseite des Hauses geklettert war, hatte ich das brennende Kreuz in meinem Vorgarten zunächst nicht bemerkt. Gottes Zorn stimmte mit dem Ku-Klux-Klan darin überein, dass ein brennendes Kreuz eine fabelhafte Visitenkarte abgab.
Nun könnte man sich natürlich fragen, warum Gottes Zorn ausgerechnet das Haus eines Exorzisten niederbrannte? Eigentlich sollten wir doch beide auf derselben Seite stehen, richtig?
Falsch, laut Gottes Zorn. Diese Kameraden sind der Meinung, dass wir Exorzisten zu lax gegenüber Dämonen eingestellt sind, weil wir nicht auch deren Wirte ins Visier nehmen. Sie stehen tierisch darauf, Leute zu verbrennen, und wir verderben ihnen den Spaß. So, wie sie die Sache sehen, verdient der menschliche Wirt eines Dämons genauso den Tod wie der Dämon selbst – sogar solche Wirte, die gegen ihren Willen von einem Dämon in Besitz genommen wurden. Der Ansicht von Gottes Zorn zufolge können sich die Abgesandten Satans nur in solchen Menschen einnisten, die sowieso schon von Grund auf böse sind. Der Verein war schlimmer als die Kreuzzüge und die Spanische Inquisition zusammen.
Die Nachbarn kamen aus ihren Häusern gelaufen, um sich die Show anzusehen, während ich bei den Leuten vom Notfalldienst saß, Sauerstoff tankte und mir inständig wünschte, meine Füße würden abfallen, damit ich sie nicht mehr spüren musste. Als die Sanitäter mir endlich erlaubten, die Sauerstoffmaske abzunehmen, brachte mir meine Nachbarin Mrs Moore ein Handy, damit ich Brian anrufen konnte.
Lieber hätte ich die Nacht im Hotel verbracht. Nicht, weil ich nicht bei Brian sein wollte, sondern weil ich eine Heidenangst hatte, ich könnte ihn durch meine Anwesenheit in Gefahr bringen. Sehen Sie, obwohl die Sache auf den ersten Blick nach einem typischen Anschlag von Gottes Zorn aussah, war dabei einfach etwas zu viel Zufall im Spiel. Ich meine, jetzt mal ehrlich: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass erst meine beste Freundin versucht, mich zu tasern, dann mitten in der Nacht bewaffnete Männer in mein Haus einbrechen, mir ein Mord angehängt wird und schließlich Gottes Zorn genau diesen Moment auswählt, um zu versuchen, mich mitsamt meinem Haus in ein Häufchen Asche zu verwandeln?
Ich hoffte inständig, dass der Täter sich mit einem Mordversuch pro Nacht begnügen würde, denn ohne meine Brieftasche konnte ich mir kein Hotelzimmer nehmen. Widerwillig rief ich Brian an. Ich ließ ihn in dem Glauben, die Polizei läge richtig, und der Anschlag sei von Gottes Zorn verübt worden. Nur für heute Nacht. Morgen würde ich ihm sagen, dass ich ernsthaft fürchtete, jemand versuche mich umzubringen, und ihn nicht in irgendetwas mit hineinziehen wollte. Die Unterhaltung würde bestimmt nicht angenehm werden, besonders da ich nicht vorhatte, ihm zu sagen, was vermutlich wirklich dahintersteckte. Ehrlich, ich rechnete nicht damit, dass er mich wegen illegaler Beherbergung eines Dämons anzeigen würde, aber nach seiner Darbietung auf der Polizeiwache kürzlich war ich mir nicht mehr hundertprozentig sicher.
Ich lieh mir etwas von Mrs Moore, was aussah wie eins dieser hawaiianischen Muhmuh-Kleider (ja, ich weiß, dass das nicht die korrekte Schreibweise ist, aber versuchen Sie mal, eins von den Dingern zu tragen, ohne wie eine trächtige Milchkuh auszusehen). Es war besser als mein nasser Schlafanzug, wenn auch nicht viel. Ihr ging es fast bis zu den Knöcheln, mir gerade so bis zu den Knien. Meine Füße (Größe 41, plus Verband) in ihre Schuhe (Größe 37) zu bekommen, musste ich erst gar nicht versuchen.
Ich sah aus wie Hui Buh, das Schlossgespenst, als Brian mich abholen kam. Mein edler Ritter störte sich nicht daran und trug mich trotzdem auf den Armen zum Auto, damit ich nicht auf meinen bandagierten Füßen laufen musste. Er hielt während der gesamten Fahrt meine Hand. Wir redeten kaum ein Wort. Ich starrte nach draußen, wo die Morgendämmerung sich bereits bemerkbar machte, und versuchte meinen Kopf von allen Gedanken freizubekommen, während mir die Tränen aus den Augen liefen und die Wangen kühlten.
Auch als wir bei seinem Apartmentgebäude ankamen, trug Brian mich nach oben. Wäre ich auch nur in halbwegs normaler Verfassung gewesen, hätte ich protestiert. Als wir in seiner Wohnung ankamen, befreite er mich in Rekordzeit von meinem Muumuu und schien ausnahmsweise überhaupt nicht wahrzunehmen, dass ich drunter nackt war. Er zog mir liebevoll die Decke bis zum Kinn und legte sich dann voll bekleidet zu mir ins Bett. Ich schmiegte meinen Kopf auf seine Brust, und während er mir sanft über die Haare strich, schlummerte ich ein.
Ärgerlicherweise verzichtete Lugh darauf, sich im Laufe der Nacht meiner frittierten Füße anzunehmen. Er hatte seine Lektion offenbar gelernt, doch als ich um die Mittagszeit endlich aufwachte, wünschte ich mir, er hätte sich als nicht ganz so gehorsamer Schüler erwiesen. Bei jedem Schritt schienen meine Füße aufs Neue in Flammen aufzugehen. Ich musste mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können.
Brian war einfach unglaublich. Während ich schlief, hatte er mir eine neue Bankkarte besorgt, eine neue Kreditkarte bestellt und mich als Mitinhaberin seines eigenen Kreditkartenkontos registrieren lassen, damit ich in der Zwischenzeit an Geld herankam. Und nicht nur das: Jetzt brachte er mir auch noch Frühstück ans Bett.
Ich war wie ausgehungert und schlang die köstlichen, mit Ahornsirup übergossenen Waffeln in Rekordzeit hinunter. Brian sah mir beim Essen zu und hatte dabei ein zufriedenes kleines Lächeln im Gesicht. Mir wurde ganz warm ums Herz, und ich war kurz davor, zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden in Tränen auszubrechen. Wie hatte ich mich nur dazu hinreißen lassen können, auch nur ansatzweise begehrliche Gedanken in Richtung Adam oder Lugh aufkommen zu lassen, wenn es doch Brian gab? Ich schämte mich vor mir selbst, und als Brian die leeren Teller in die Küche bringen wollte, hielt ich ihn zurück.
»Lass sie doch einfach auf dem Nachttisch stehen«, sagte ich mit kehliger Stimme.
Er bekam ganz dunkle Augen vor Lust, legte aber die Stirn besorgt in Falten. »Meinst du wirklich, dies wäre ein guter Zeitpunkt? Du hast eine ganz schön harte Nacht hinter dir.«
Ich packte ihn am Hemdkragen und zog ihn zu mir herunter. Er hat die weichsten und glattesten Lippen, die ich jemals berührt habe. Sie schmeckten himmlisch vertraut und wohlbekannt.
Es brauchte nicht viel, um ihn von seiner Sorge um mein Wohlergehen abzulenken. Kaum berührten sich unsere Zungenspitzen, streifte er mit den Fersen die Schuhe ab, stieg ganz zu mir ins Bett und barg mein Gesicht in seinen Händen, während sich unsere Zungen umkreisten.
Er hörte kurz auf, um zu verschnaufen, leckte über seine Lippen und grinste neckisch. »Du schmeckst nach Ahornsirup.«
»Magst du Ahornsirup?« Meine Worte waren kaum mehr als ein gehauchtes Flüstern.
Er zog die Decke herunter, so dass meine Brüste unbedeckt vor ihm lagen. Immer noch mit demselben verschmitzten Grinsen im Gesicht tauchte er den Finger in eine der kleinen Siruppfützen, die auf meinem Teller übrig waren, und strich damit sanft über eine meiner Brustspitzen. Mein Rücken beugte sich wie von selbst ins Hohlkreuz, und ich stöhnte.
Er wiederholte die Prozedur mit der anderen Brustspitze und hielt mir dann den Finger hin, damit ich den restlichen Sirup ablecken konnte.
Während wir einander tief in die Augen sahen, umschloss ich seinen Finger mit meinem warmen feuchten Mund. Die Dunkelheit seiner Augen und die Röte seines Gesichts sagten mir, dass er nicht nur am Finger spürte, wie ich ihn mit der Zunge liebkoste. Ich stellte mir vor, wie ich seinen heißen harten Schwanz mit Ahornsirup betröpfelte und ihn dann in den Mund nahm. Mein Innerstes überzog sich wie mit warmem Tau, und ich wollte ihn auf der Stelle in mir haben.
Ganz kurz dachte ich an meinen ungebetenen Gast, der jedes meiner Erlebnisse in Echtzeit mit mir teilte. Dann drängte ich den Gedanken beiseite.
Im Gegensatz zu vielen anderen Männern, die ich gekannt hatte, liebte Brian das Vorspiel fast genauso sehr wie das eigentliche Hauptereignis. Er hatte nichts dagegen, wenn eine ganze Stunde verging, während wir gegenseitig unsere Sinne marterten. Hörten wir dann endlich damit auf, wurde durch die damit einhergehende Erleichterung unser Genuss noch gesteigert.
In diesem Moment jedoch stand mir nicht der Sinn nach Vorspiel. Hier ging es nicht um gegenseitige Stimulation. Hier ging es um den urtümlichen, lebensbejahenden Sex, den man hat, nachdem man an seine eigene Sterblichkeit erinnert worden ist. Brian war ein so einzigartiger Liebhaber, dass er das begriff, ohne dass ich etwas sagen musste. Verstehen Sie jetzt, warum ich so egoistisch an ihm festhalte, obwohl ich eigentlich denke, dass er ohne mich besser dran wäre?
Er spielte nur gerade so lange mit mir, bis meine Brustspitzen nicht mehr ganz so klebrig waren, und ging dann zum ernsten Teil der Veranstaltung über. Er kniete sich hin, löste seinen Gürtel und öffnete den Reißverschluss. Er nahm sich nicht die Zeit, die Hose auszuziehen, sondern zog sie einfach nur so weit herunter, dass sie nicht mehr im Weg war, und schob dann mit den Knien meine Beine auseinander.
Normalerweise hätte ich darauf bestanden, dass er ein Kondom benutzt. Zwar nehme ich die Pille, halte es aber für besser, stets zwei Verhütungsmittel auf einmal einzusetzen, nur für den Fall, dass eins davon nicht funktioniert. Doch nach der vergangenen Nacht wollte ich keine künstliche Grenze zwischen uns spüren – wollte ganz allein ihn spüren und wie er mich tief im Innern berührte, mich mit seinem ganzen Körper und mit seinem ganzen Herzen liebte.
Als er in mich eindrang, fühlte es sich so gut an, dass ich mein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Ich zog seinen Kopf wieder zu meinem herunter und verschlang seine Lippen und seine Zunge. Er fing an, seine Hüften zu bewegen – in harten, heftigen Stößen. Ich wickelte meine Beine um seinen Körper und seufzte auf.
Er verwöhnte mich nicht mit sanftem, zärtlichem Sex, diesmal nicht. Diesmal fickte er mich. Und es war perfekt. Es kam mir so heftig, dass ich mich heiser schrie.
Als es vorbei war, war ihm sein Mangel an »Raffinesse« peinlich. Ich war immer noch außer Atem und strich ihm über die schweißnasse Wange.
»Es gibt eine geeignete Zeit und einen geeigneten Ort für Raffinesse. Hier hatte sie nichts zu suchen.«
»Wenn du meinst«, sagte er und wälzte sich von mir herunter. Ich weiß nicht, ob ihn meine Worte wirklich überzeugt hatten oder nicht. Doch in dem Augenblick schwebte ich immer noch auf Wolke sieben, und es war mir ziemlich egal.
Die Probleme fingen an, als ich Brian fragte, ob er mir ein Paar Turnschuhe borgen könnte. Er ist größer als ich, aber ich habe ziemlich große Füße, besonders mit zehn Lagen Mull drumherum, also ging ich davon aus, dass ich seine Schuhe nicht verlieren würde. Es hatte ihn nicht gestört, als ich aufgestanden war und mich angezogen hatte. Aber diese Frage störte ihn.
»Wofür brauchst du Schuhe?«, fragte er misstrauisch. »Du darfst sowieso nicht viel rumlaufen.«
Ich brauchte Schuhe, um zu Adam zu gehen und herauszufinden, ob er in der Lage war, meinen Dämon auszutreiben. Diese Kleinigkeit wollte ich allerdings gerne für mich behalten. Auch wenn ich nicht wirklich davon ausging, dass Brian das, was ich ihm stattdessen erzählen wollte, viel besser gefallen würde.
Wie sehr hätte ich mir gewünscht, dieses Gespräch verhindern zu können, aber es ging nicht. Ich seufzte und klopfte mit der Hand auf den Platz neben mir auf dem Bett. Doch er verschränkte die Arme und sah störrisch auf mich herab.
»Du gehst nirgendwohin, Morgan.«
Da war ich anderer Meinung. »Ich muss aber.«
»Einen Dreck musst du!«
Ich zuckte zusammen. Ich war es nicht gewohnt, ihn so schnell in Wut geraten zu sehen. Hatte ich vielleicht einen schlechten Einfluss auf ihn?
»Du verstehst nicht«, sagte ich. »Ich glaube, jemand versucht mich umzubringen, und wenn ich bleibe, bringe ich dich in große Gefahr.«
Das ließ ihn aufhorchen. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht. Er setzte sich immer noch nicht zu mir aufs Bett, zog aber einen Stuhl heran und setzte sich auf die Lehne, so dass er beinahe auf Augenhöhe mit mir war.
»Du meinst, jemand anderes als die Leute von Gottes Zorn?«
Ich nickte.
»Wer? Warum?«
Ich seufzte. »Wenn ich das wüsste, wäre mein Leben deutlich einfacher.«
Nachdem ich einmal begonnen hatte, ihm meine Theorie darzulegen, dauerte es nicht lange, bis er von ihrer Richtigkeit überzeugt war. Er musste zugeben, dass es kaum reiner Zufall sein konnte, dass es plötzlich kübelweise Mist auf mich niederregnete. Ich musste ihm noch nicht einmal von dem Schlamassel mit Val erzählen, was gut war, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich ihm die Sache erklären sollte, ohne ihm zu gestehen, dass ich besessen war.
Brian ist in vielerlei Hinsicht der Traum von einem modernen, einfühlsamen Mann. Doch das bedeutet nicht, dass sich tief unter seinem zivilisierten Äußeren nicht genau dieselben primitiven Urinstinkte verbergen wie bei jedem anderem Mann. Sie können sich bestimmt vorstellen, wie gerne ein Mann es hört, wenn seine Frau ihm sagt, sie sei in Gefahr und wolle sich zu seiner eigenen Sicherheit von ihm fernhalten.
Tatsächlich kann ich mich nicht mehr an den gesamten Streit erinnern. Ich glaube, mein Unterbewusstsein schützt mich gegen den damit verbundenen Schmerz, denn zum Ende hin wurde das Ganze ziemlich hässlich. Brian brüllte mich mit vor Wut rot angelaufenem Gesicht an. Gerade er, der sonst so gut wie nie die Stimme erhebt. Ich brüllte natürlich in gleicher Lautstärke zurück. So wütend, wie wir aufeinander losgingen, grenzt es an ein Wunder, dass keiner von uns beiden handgreiflich wurde.
Um kurz nach drei Uhr nachmittags verließ ich türenknallend die Wohnung und spürte dabei noch nicht einmal den Schmerz, den mir meine misshandelten Füße verursachten. Ich hatte eine Tasche mit einer zweiten Garnitur Kleidung dabei, Brians Kreditkarte und zweihundert Dollar in bar. Er hatte mir die Scheine praktisch vor die Füße geschmissen, als er merkte, dass er mich schon fesseln musste, wenn er mich daran hindern wollte, die Wohnung zu verlassen. Mein Stolz sagte mir, dass ich sein Geld auf keinen Fall annehmen konnte. Doch nüchtern betrachtet hatte ich kaum eine andere Möglichkeit.
Die Vernunft siegte, und so verbrachte ich die folgenden Minuten damit, verstreute Zwanziger vom Boden aufzuheben, während Brian einfach nur dastand und feindselig auf mich niederblickte. Ich erwartete, dass er etwas in der Art von »und komm nur ja nicht wieder« sagen würde, als ich zur Tür hinausspazierte. Doch das war nicht der Fall.
Zeitweise musste ich gegen einen Heulkrampf ankämpfen, aber ich schaffte es, die Tränen zu unterdrücken. Er reagierte schließlich nicht anders, als ich es erwartet hatte, und jetzt hieß es, Zähne zusammenbeißen und durch.
Ich checkte in das Marriott-Hotel am Kongresszentrum ein, da es günstig lag. Trotz der quälenden Schmerzen, die mir meine Füße bereiteten, hielt ich bei einem Einkaufszentrum an, um mir andere Schuhe und Klamotten zu besorgen.
Ich kaufte alles, ohne es anzuprobieren. Irgendwie war ich nicht in Shoppinglaune. Wen wundert’s.
Ich bekam das Bild nicht aus dem Kopf, wie Brian mich anschrie und dabei hinter seiner wütenden Miene ein Ausdruck ehrlichen Schmerzes zu erkennen war. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, brannten meine Augen erneut.
Er war in einer Familie aufgewachsen, die ihm stets ihre Zuneigung gezeigt hatte und ihn bei allem, was er tat, unterstützte. Ihm war beigebracht worden, dass kein Problem so groß ist, dass es nicht gelöst werden kann, dass Liebe alle Hindernisse überwindet und Tugend am Ende ihren Lohn empfängt. Vielleicht glaubte er nicht gerade daran, dass wir im Paradies lebten. Aber er glaubte auf jeden Fall, dass wir es versuchen sollten.
Ich hingegen bin in einer Welt aufgewachsen, die von Zorn, Ablehnung und Verbitterung geprägt war. In der Kunst, keine Kompromisse einzugehen, hatte ich die besten Lehrer der Welt. Schon mit dreizehn legte ich mir die Weltsicht eines unverbesserlichen Zynikers zu und bin sie bis heute nicht wieder losgeworden.
Ich konnte nie ein Teil von Brians Welt sein. Hat man einmal auf die dunkle Seite gefunden, gibt es keinen Weg zurück ins Licht. Brian in meine Welt hinabzuzerren, wäre hingegen eine Leichtigkeit für mich gewesen. Der Streit hatte mir gezeigt, dass er bereits auf dem Weg zu mir nach unten war.
Das durfte ich nicht zulassen. Es wäre der Zerstörung eines einzigartigen Juwels gleichgekommen. Ich musste ihn ziehen lassen, bevor es zu spät war. Selbst wenn ein Teil von mir daran zerbrach.
Im Hotel hielt ich mir die Nase zu und würgte eine Cola mit Rum runter – vielleicht würde ich mich mit etwas Alkohol im Blut besser fühlen. Tat ich nicht. Doch wer immer hinter mir her war, würde die Jagd nicht aufgeben, nur weil ich gerade deprimiert war, also rief ich in Adams Büro an. Natürlich war er nicht da. Ich versuchte, den Typen am Telefon zu überreden, mir Adams Handynummer zu geben, aber er weigerte sich hartnäckig. Mein Charme wirkte nicht mehr. Ich hinterließ Adam die dringende Botschaft, mich in meinem Hotelzimmer anzurufen, legte mich dann aufs Bett und starrte an die Decke.
Nachdem ich fünfzehn Minuten auf diese Weise zugebracht hatte, ging es mir noch schlechter als vorher, und ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, es mit mehr Alkohol zu versuchen. Zum Glück klingelte das Telefon. Hätte ich noch etwas getrunken, wäre mir wahrscheinlich speiübel geworden.
Ich weigerte mich, Adam am Telefon zu sagen, worum es ging – man wusste schließlich nie, wer mithörte –, aber er bedrängte mich auch nicht. Er hatte von dem Feuer gehört und nahm deswegen wohl auf meinen zerfransten seelischen Zustand Rücksicht.
Zwanzig Minuten später stand er vor der Tür. Plötzlich fiel mir auf, dass einem manche Leute ziemlich eindeutige Absichten unterstellen würden, wenn man sich mit einem gutaussehenden Mann allein in einem Hotelzimmer trifft. Ich konnte nur hoffen, dass das nicht der Grund war, warum Adam sich ohne weitere Fragen sofort auf den Weg zu mir gemacht hatte.
Als er mich sah, runzelte er die Stirn.
»Du siehst fürchterlich aus«, sagte er.
Ich machte die Tür weiter auf, um ihn hereinzulassen. »Danke für die aufmunternden Worte.« Ich drehte mich um und sah ihn mir an. Mir fielen wieder die unanständigen Gedanken ein, die mir am Tag zuvor bei seinem Anblick gekommen waren, doch dann erinnerte ich mich daran, wie ich vorhin Brian praktisch bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust gerissen hatte. Das war alles zu viel für mich, und ich spürte, wie mir wieder die Tränen hochkamen.
Adams Augen weiteten sich. »Tut mir leid«, sagte er. »Das war unsensibel von mir.«
Das war das Letzte, was ich brauchen konnte: einen gutaussehenden, sadistischen Dämon, der ohne jeden Grund nett zu mir war. Nichts fraß sich schneller durch meinen Panzer als Freundlichkeit.
Ich gab mich bewusst unhöflich, ignorierte seine Entschuldigung und stampfte zum anderen Ende des Zimmers, wo ein paar ungemütliche Stühle standen. Nun ja, wirklich stampfen konnte ich mit meinen Füßen natürlich nicht, aber ich ließ es zumindest so aussehen. Adam fiel offenbar auf, wie viel Mühe mich meine Vorstellung kostete.
»Du hast die Verbrennungen nicht heilen lassen?«, fragte er und nahm Platz.
Ich traute meiner Stimme noch nicht wieder und schüttelte nur den Kopf.
»Aber warum denn nicht?«
»Bist du ein aufgeschlossener Mensch?«
Er gab ein Geräusch von sich, das sich wie eine Mischung aus verächtlichem Schnauben und Lachen anhörte. »Aufgeschlossener als du jedenfalls.«
Darauf ging ich nicht weiter ein und erzählte ihm von meinem Mitreisenden. Während ich sprach, beobachtete ich aufmerksam sein Gesicht und versuchte zu erkennen, ob er mir glaubte oder nicht. Ich konnte es nicht sagen, aber dafür bemerkte ich etwas anderes, etwas sehr Interessantes. Als ich Lughs Namen zum ersten Mal aussprach, zuckte Adam zusammen.
Er zuckte nur ganz leicht zusammen. Hätte ich ihn nicht so genau beobachtet, wäre es mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen.
Lughs Name hatte irgendeine besondere Bedeutung für Adam. Blieb nur abzuwarten, ob es mir herauszufinden gelang, welche.
Nachdem ich alles erzählt hatte, schwieg er für eine Weile und war tief in Gedanken. So deutete ich jedenfalls den in die Ferne gerichteten Blick in seinen Augen. Natürlich war es ebenso gut möglich, dass er einfach nur darüber nachdachte, was er zu Abend essen wollte.
Als er mit dem Nachdenken fertig war, streckte er den Arm nach mir aus. Bevor ich wusste, was er wollte, hatte er auch schon meine Hand gepackt.
»He!«, protestierte ich und versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien.
»Schhh«, sagte er, schloss beide Hände um meine Hand und machte die Augen zu.
Ich wollte ihm sagen, wo er sich »schhh« hinstecken konnte, nahm aber an, dass das sowieso nichts bringen würde.
Nach ungefähr dreißig Sekunden ließ er meine Hand wieder los, öffnete die Augen und schüttelte den Kopf.
»Ich kann ihn nicht finden«, sagte er. »Ich glaube dir, wenn du sagst, er sei irgendwo da drin, andernfalls wäre auch dein Bluterguss nicht so schnell verheilt, aber deine Aura ist zu stark für ihn.« Er erhob sich und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Wie kann ein Mensch so viel Kraft besitzen?« Ich glaube, er redete mehr mit sich selbst, was mich aber nicht davon abhielt, ihm zu antworten.
»Lautet deine Frage, wie es mir möglich ist, stärker als irgendein Dämon zu sein, oder stärker als speziell dieser?«
Wie erwartet antwortete er nicht. Stattdessen kam er direkt vor meinem Stuhl zum Stehen und sah auf mich herab. Ich wäre wirklich gerne aufgestanden, damit ich mir nicht so den Nacken verbiegen musste, aber ich wusste, wie schmerzhaft das wäre.
»Er hat dir diese Zettel immer geschrieben, während du schliefst, und kommuniziert mit dir nur über deine Träume?«
»Mhm.«
Adam nickte, und seine Miene verriet mir, dass er zu einer Entscheidung gelangt war.
»Das hier tut mir leid«, sagte er.
Bevor ich die Chance hatte, mich auch nur halbwegs zu beunruhigen, tauchte wie aus dem Nichts die Rückseite seiner Hand neben mir auf und schlug von der Seite her in mein Gesicht wie eine Abrissbirne.