8
Später am selben Nachmittag musste ich ein zweites Verhör über mich ergehen lassen. Diesmal fand es in einem echten Verhörraum statt und ohne dass Brian dabei war. Er hatte meinen Fall an eine Kollegin weitergegeben – eine wie aus dem Lehrbuch wirkende Anwältin, die sehr auf Zack zu sein schien und mich kaum zu Wort kommen ließ. Die Bullen interessierten sich natürlich sehr für den Bluterguss in meinem Gesicht. Ich musste mich später bei Val dafür bedanken.
Aus einem alten Rest Loyalität heraus erzählte ich, ich hätte mir den Bluterguss beim Schlafwandeln zugezogen. Die Beamten hatten sich allerdings so in die Idee verrannt, ich hätte den Dämon dieses Thomas Wilson ausgetrieben, dass sie mir sowieso nicht glaubten. Sie gingen davon aus, dass es zu einem Handgemenge mit Wilson gekommen war und ich mir dabei einen Faustschlag eingefangen hatte.
Meine Anwältin versprach mir, dass ich auf Kaution freikommen würde, auch wenn O’Reilly sich in dunklen Andeutungen erging, es würde keine bewilligt werden.
So oder so musste ich die Nacht im Gefängnis verbringen. Wenigstens hatte ich diesmal eine Pritsche und eine Toilette in meiner Zelle. Im Vergleich zu dem Hinrichtungsraum in Topeka eine deutliche Verbesserung. Trotzdem hoffte ich, das Übernachten in Zellen würde sich nicht zur Gewohnheit entwickeln.
Ein Teil von mir hatte Angst vor dem, was auf mich zukam. Sollte der Staatsanwalt es schaffen, die Vorwürfe gegen mich zu untermauern, konnte es sehr gut sein, dass ich tatsächlich ins Gefängnis musste. Vielleicht sogar für den Rest meines Lebens. Trotzdem fiel es mir schwer, mir ernsthaft vorzustellen, ich könnte wegen der Tat verurteilt werden.
Ich bin keine unerschütterliche Optimistin, die glaubt, dass es nie zur Verurteilung Unschuldiger kommt. Doch ich nahm an, dass ohne jeden Zeugen und ohne erkennbares Motiv auch die überzeugendsten Indizien nicht für eine Verurteilung ausreichen würden.
Gegen fünf Uhr nachmittags wurde ich von den Wachen abgeholt und erneut in den Verhörraum gebracht. Sie ließen mich allein und in Handschellen in dem Raum sitzen. Mir wurde mulmig. Kam jetzt die Szene, in der sie versuchten, ein Geständnis aus mir herauszuprügeln? Es gefiel mir überhaupt nicht, dass meine Anwältin nicht anwesend war und die Wachen meine Aufforderung, sie anzurufen, einfach ignoriert hatten.
Ich saß ungefähr zehn Minuten so da und schwitzte besorgt vor mich hin. Dann kam Adam White zur Tür herein.
Er war nicht unbedingt der letzte Mensch, den ich erwartet hätte, aber ich war dennoch überrascht. Ich sah mit skeptischer Miene zu, wie er mir die Handschellen abnahm und mir gegenüber Platz nahm.
»Die Sache liegt nicht gerade in deiner Zuständigkeit, oder?«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte mich wortlos an. Sein Blick war unangenehm, doch ich kämpfte erfolgreich dagegen an, mich darunter zu winden. Schließlich hielt ich die Stille jedoch nicht mehr aus und brach das Schweigen.
»Ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts.«
Er blinzelte, als würden ihn meine Worte überraschen. »Das wird nicht nötig sein.«
»Von wegen!«
Er hob die Hände. »Ehrlich, Morgan. Ich bin nicht dienstlich hier. Du hast es selbst gesagt: Dieser Fall fällt nicht in meine Zuständigkeit.«
»Was willst du dann von mir?« Das kam ziemlich unfreundlich heraus, dabei hatte er mir keinen Grund dazu gegeben. Aber im Gefängnis zu sitzen, machte mich nicht gerade genießbarer.
Er verschränkte die Hände und legte sie auf den Tisch. Dann beugte er sich nach vorne, als sei das, was er jetzt sagte, nur für ihn und mich bestimmt.
Sicher: Für ihn, mich und alle, die auf der anderen Seite des Spiegels hinter ihm saßen.
»Ich möchte wissen, was los ist«, sagte er sehr leise, jedoch ohne wirklich zu flüstern. Dabei sah er mir in die Augen, als glaubte er, alles erfahren zu können, was er wissen wollte, wenn er mich nur eindringlich genug anstarrte.
Ich beugte mich ebenfalls nach vorne und nahm die gleiche Haltung ein wie er. »Das würde ich auch gerne wissen.«
Seine Mundwinkel zuckten, und seine karamellfarbenen Augen funkelten warm und belustigt. Seine Miene wirkte so freundlich, dass ich ihn für eine halbe Sekunde beinahe sympathisch fand. Dann rief ich mir wieder ins Gedächtnis, was er war, und der flüchtige Wahn fiel von mir ab.
»Hol entweder meine Anwältin her oder hör auf, meine Zeit zu verschwenden«, sagte ich und konnte sehen, wie der amüsierte Ausdruck aus seinen Augen verschwand.
Er lehnte sich zurück und hörte mit dem verschwörerischen Getue auf. »Ich weiß, dass du es nicht getan hast, Morgan.«
Der war so gut, dass ich lachen musste. »Ja, das weiß ich auch.«
Er kümmerte sich nicht um meine Stichelei. »Ich habe mich über deinen Fall informiert, und auch über deinen Anruf bei der Polizei vorletzte Nacht.«
»Warum? Was geht dich die ganze Sache an? Du bist Dämonenjäger, nicht Polizist.«
Ich hatte Adam noch nie die Beherrschung verlieren sehen und bekam langsam das Gefühl, dass das auch nie passierte. Jeder normale Typ hätte sich über die Anspielung, dass er kein richtiger Polizist war, geärgert. Adam überging sie einfach.
»Dieser Fall hat auch mit Dämonen zu tun. Und es ist offensichtlich, dass dir jemand etwas anhängen will. Fragt sich nur, warum.«
Das fragte ich mich auch, hatte bisher aber keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Mein sonniges Gemüt sorgte zwar dafür, dass viele Leute mich nicht mochten und manche vielleicht sogar tatsächlich so etwas wie Hass gegen mich empfanden. Aber dass mich jemand genügend hasste, um mir einen Mord anzuhängen, konnte ich mir nicht vorstellen.
»Ich würde dir gerne helfen, wenn du mich lässt.«
Ich schüttelte irritiert den Kopf. »Wieso um alles in der Welt solltest du mir helfen wollen? Ich verdiene mein Geld damit, solche wie dich umzubringen, falls du’s vergessen hast.« Das ließ mich kaltblütiger klingen, als ich in Wirklichkeit war. Aber ich versuchte wohl immer noch, Adam dazu zu bringen, endlich die Beherrschung zu verlieren.
»Und ich bringe solche wie mich zur Strecke, wenn sie gegen die Gesetze verstoßen. Ich weiß, dass du ein Problem damit hast, dass ich ein Dämon bin. Aber wir stehen auf derselben Seite. Ob es dir nun passt oder nicht.«
»Das reicht mir nicht als Begründung.« Mein Gott: Ich wusste ja nicht einmal, warum er so sicher war, dass ich die Tat nicht begangen hatte. Meine Einstellung zu Dämonen kannte er schließlich.
Er legte den Kopf auf die Seite. »Glaubst du, ich brauche einen besonderen Grund, um jemandem helfen zu wollen, dem ein Verbrechen angehängt wird, das er nicht begangen hat?«
»Wenn es sich bei diesem Jemand um mich handelt, dann schon.«
Er beugte sich wieder nach vorne, ergriff meine Hand und umschloss sie mit einem warmen, festen Griff. Ich war total perplex und versuchte auf der Stelle, meine Hand wegzuziehen. Doch da konnte ich lange probieren. Er hielt sie mit beiden Händen fest umschlossen.
»Ich versuche nur, dein Freund zu sein. Ich nehme dir deinen Beruf nicht übel und halte dich für einen hochanständigen Menschen. Deswegen bin ich am Montag auch zu dir gekommen, damit du mir mit Dominic hilfst.«
Hätte ich nicht insgeheim vermutet, dass er mit diesem Dominic mehr als nur befreundet war, hätte ich jetzt glatt gedacht, er versuchte mich anzumachen. Es lag etwas in seinen Augen, eine Art besondere Weichheit, die ich noch nie zuvor an ihm beobachtet hatte. Aber ein Anmachversuch hätte mir mehr eingeleuchtet als dieses plötzliche Freundschaftsangebot.
»Lass meine Hand los, Adam.«
Er gehorchte, sah mich aber weiter mit diesem vertrauenheischenden Blick an. »Ich glaube, dass du in Schwierigkeiten steckst und Hilfe brauchst. Und ich glaube, dass du zu sturköpfig bist, um darum zu bitten.«
Bei Annahme Nummer eins und drei lag er richtig, ob auch Nummer zwei zutraf, musste sich erst noch erweisen. Und sollte sich tatsächlich herausstellen, dass ich Hilfe brauchte, wäre Adam bestimmt nicht derjenige, den ich darum bitten würde.
»Es ist nett von dir, dass du der Jungfrau in Nöten so selbstlos zur Seite stehen willst«, sagte ich. Ich versuchte, nicht allzu sarkastisch zu klingen, hatte aber wohl nicht viel Erfolg, denn der Schlafzimmerblick – oder was für ein Blick es auch immer gewesen sein mochte – wich aus Adams Augen. »Ich bin ein großes Mädchen. Ich kann wunderbar auf mich selbst aufpassen.«
Jetzt sah er mich schon nicht mehr ganz so freundlich an.
»Abwarten.« Er schob seinen Stuhl zurück und ergriff die Handschellen. Ich war nicht so dumm, Widerstand zu leisten, also hielt ich ihm brav die Hände hin und versuchte dabei, seine Miene zu entziffern.
»Weißt du, Adam, das klang eben verdächtig nach Drohung.«
Die Handschellen sprangen ins Schloss. Er sah mir einen Augenblick lang in die Augen, doch ich konnte seinen Blick nicht deuten. Er verzog keine Miene. Diese Ausdruckslosigkeit beunruhigte mich mehr als alles, was ich zuvor in seinem Gesicht gesehen hatte, und ich senkte rasch den Blick.
Er verließ wortlos den Raum, und die Wachen brachten mich zurück in meine Zelle.
Als ich erneut in jenem blendend weißen Raum aufwachte, war ich zutiefst überrascht und verstört. Ich war fest davon ausgegangen, dass ich in der Zelle kein Auge zutun würde. Der Komfort entsprach nicht gerade dem Hilton, und es ließ sich wirklich nicht behaupten, dass ich mich momentan besonders gut entspannen konnte.
Blinzelnd erkannte ich, dass Lugh vor mir stand. Er hatte die Lederjacke abgelegt und trug ein hautenges schwarzes T-Shirt. Ansonsten glich seine Aufmachung der vom letzten Mal. Das enge T-Shirt brachte seine mächtige, muskelbepackte Brust und seine schmalen Hüften zur Geltung, und ich wäre jede Wette eingegangen, dass sich im Bauchbereich ein makelloses Sixpack darunter verbarg.
Ich war kurz davor, einen Wutanfall zu bekommen, weil diese nächtliche Zusammenkunft das Letzte war, was ich im Moment gebrauchen konnte. Wenn ich schon einmal das Glück hatte, in tiefen Schlaf zu verfallen, sollte dieser friedlich und erholsam verlaufen, wie es sich gehörte. Ein Schwätzchen mit meinem persönlichen Dämon zu halten war nun wirklich nicht das, was mir für diese Zeit vorschwebte.
Ich stemmte die Hände in die Seite und blickte mich um. Dann sah ich Lugh wieder an.
»Toll, was du einrichtungsmäßig aus der Bude rausgeholt hast«, sagte ich lässig, obwohl mir alles andere als lässig zumute war.
Er lächelte und ließ dabei seine Zähne aufblitzen, die so blendend weiß waren wie die eines Filmstars. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein solches Lächeln in manchen Staaten gesetzlich verboten ist. Mein Traum-Ich litt plötzlich unter einem heftigen Anfall weicher Knie und wandte den Blick schnell wieder ab.
»Ich dachte, ich kümmere mich erst um die wirklich wichtigen Dinge«, sagte er.
Das brachte mich dazu, meinen Blick wieder auf ihn zu richten. »Du meinst, wie dich selbst?«
Er lächelte noch breiter. Schön, dass er Spaß an meinen Sprüchen hatte. »Ja, vermutlich. Aber ich bekomme langsam etwas Übung. Also will ich mal versuchen, ob ich nicht für etwas mehr Gemütlichkeit sorgen kann.«
Wie aus dem Nichts erschienen eine lange Couch, ein Couchtisch und ein kleines Zweiersofa in dem Raum. Die Sofas hatten eine schlichte Form und nichtssagende, cremeweiße Polster, und auch der Tisch war nicht mehr als eine unbehandelte Holzplatte auf vier Beinen. Ich könnte sagen, dass sich meine Bewunderung in Grenzen hielt – allerdings besitze ich nicht die Fähigkeit, Möbel aus dem Nirgendwo hervorzuzaubern.
»Wollen wir uns setzen?«, fragte Lugh und wies auf die Couch.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Das lohnte sich nicht. Auf keinen Fall würde ich lange genug bleiben, um es mir hier gemütlich zu machen.
»Tut mir leid, aber ich kann nicht bleiben«, erwiderte ich. »Morgen früh muss ich zu einer wichtigen Kautionsanhörung.«
Er nickte ernst. Er trug die Haare heute offen, und ich erwischte mich dabei, wie ich diesen schwarzblauen Glanz bewunderte. Aber dann verdrehte ich entnervt die Augen.
»Ich weiß über deine Schwierigkeiten Bescheid, Morgan.
Ich mag vielleicht nicht in der Lage sein, dich zu beherrschen, aber ich bin trotzdem die ganze Zeit bei dir.«
Da ich nun mal eine schmutzige Phantasie habe, tauchte natürlich sofort vor meinem geistigen Auge auf, wie ich mich gestern mit Brian im Bett vergnügt hatte. Bekam Lugh all das etwa mit? Mir schoss das Blut in die Wangen, und ich wünschte, auf der Stelle aufzuwachen.
»Bitte wehr dich jetzt nicht wieder gegen mich«, sagte Lugh und verhinderte so, dass ich noch tiefer in Scham versank. »Wir müssen uns unbedingt unterhalten, meinst du nicht auch?«
Ich drängte die Vorstellung, wie ich Brian einen blase, während Lugh dabei praktisch mit von der Partie ist, aus meinem Kopf. Es fiel mir nicht leicht, und ich hatte die bestimmte Ahnung, dass ich später wieder darauf zurückkommen würde. Aber Lugh hatte recht: Wir mussten uns dringend unterhalten.
Widerwillig schlurfte ich zur Couch, setzte mich genau in die Mitte und versuchte, so viel Platz einzunehmen wie möglich. Ich mochte vielleicht einverstanden sein, mich mit Lugh zu unterhalten. Aber ich wollte nicht mit ihm auf demselben Sofa sitzen.
Lugh ging zu dem Zweiersofa, und mein erster Gedanke war, dass er sich mit der Grazie eines Tänzers bewegte. Aber dieses Vorstellungsbild wollte irgendwie nicht zu jemandem passen, der so viel Gefährlichkeit ausstrahlte, also stellte ich ihn mir stattdessen als jemanden mit der Körperbeherrschung eines Karatekämpfers vor. Das passte besser. Er nahm Platz, streckte seine langen Beine aus und schlug sie an den Knöcheln übereinander. Gegen den cremefarbenen Sofabezug wirkte seine Haut beinahe golden, sein langes seidiges Haar schwarz wie das Federkleid eines Raben. Rasch rief ich mir meinen netten, soliden Brian ins Gedächtnis und versuchte, den Hormonrausch in den Griff zu bekommen.
Ich lehnte mich zurück, und obwohl die Situation in vielerlei Hinsicht an meinen Nerven zerrte, gab ich mir Mühe, eine lässige Sitzhaltung einzunehmen. »Du wolltest mit mir reden«, sagte ich so ausdruckslos wie möglich. »Also?«
Zum ersten Mal huschte ein Anflug von Unsicherheit über sein Gesicht. Jetzt schien er nervös zu sein und leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Meine Hormone registrierten sofort den vollen, sinnlichen Schwung seiner Unterlippe. Ich riss mich am Riemen und zwang mich zur Konzentration.
Mir fehlte die Geduld abzuwarten, bis er sich entschieden hatte, was er sagen wollte. Also beschloss ich, ihm ein wenig auf die Sprünge zu helfen.
»Erzähl mir doch bitte noch mal, wie du darauf gekommen bist, dich ungeladen bei mir einzunisten.«
Seine Augen verengten sich. »Es war nicht ungeladen. Du warst zwar nicht bei klarem Verstand, als du die Einladung ausgesprochen hast, aber ausgesprochen hast du sie. Du hast deine Einladung sogar ausdrücklich an mich gerichtet, nicht an irgendeinen anderen Dämon. Und du hast sie auf eine Weise ausgesprochen, die es mir unmöglich machte, sie auszuschlagen. Glaub mir, Morgan, ich bin nicht freiwillig hier.«
Schön zu wissen, dass ich eine so begehrte Behausung war. »Du behauptest also, du bist gezwungen worden, Besitz von mir zu ergreifen. Von so etwas habe ich noch nie gehört.« Der Subtext lautete Ich glaube dir kein Wort, und obwohl ich es nicht in diesen Worten formulierte, verriet mir Lughs Blick, dass er genau das auch verstanden hatte.
»So etwas soll normalerweise auch nicht vorkommen«, sagte er langsam und geduldig. »Der Wirt muss mich dazu bei meinem Wahren Namen anrufen, den nur mein engster Familienkreis kennt.«
Ich hob fragend die Brauen. »Lugh ist also gar nicht dein echter Name?«
Er lächelte etwas verhaltener als sonst, aber meinen Hormonen fiel der Unterschied nicht weiter auf. »Ich heiße so, aber mein Wahrer Name ist es nicht. Dem Wahren Namen wohnt besondere Macht inne, und ihm kommt eine große zeremonielle Bedeutung zu. Nicht jeder von uns hat so einen Namen, aber diejenigen, die ihn sich verdient haben, hüten ihn wie ihr größtes Geheimnis.«
Dieses interessante Detail merkte ich mir, um mich später eingehender damit zu beschäftigen. Momentan gab es wichtigere Dinge. »Deine Version lautet also, dass dich jemand bei diesem Namen angerufen hat und dich gegen meinen Willen gezwungen hat, Besitz von mir zu ergreifen. Warum in aller Welt sollte das irgendjemand tun?«
Sein Lächeln verschwand, als sei es niemals dagewesen. Seine Gesichtszüge verhärteten sich, und seine Augen glommen hell auf. Ich wertete das als Ausdruck von Wut – und mir wurde ganz bang bei dem Anblick. Ich schluckte trocken und presste meinen Körper tiefer in die Sofakissen. Guter Zeitpunkt, um endlich aufzuwachen, dachte ich.
Lugh bemerkte meine Reaktion und gab sich sichtlich Mühe, sich wieder zu beruhigen. Als er sprach, war seine Stimme sanft, doch seine Augen glühten noch genauso feurig wie vorher.
»Ich bin nicht wütend auf dich«, sagte er. »Sondern auf … denjenigen, der hierfür verantwortlich ist.«
Das kurze Zögern schien mir darauf hinzudeuten, dass er genau wusste, um wen es sich dabei handelt. Doch ich wollte ihn nicht reizen, indem ich darauf bestand, dass er sein Wissen mit mir teilte. Ich hatte keine Ahnung, ob er in der Lage war, mir etwas zu tun. Aber ich wollte es auch nicht unbedingt herausfinden.
»Wie ich bereits erwähnte, bin ich unter meinesgleichen als Reformer bekannt«, fuhr er fort. »Reformer sind oft unbeliebt. Ich nehme an, dass man mich zu dir gerufen hat, um mich mundtot zu machen. Was bedeutet, dass irgendjemand, der mir nahesteht, mich verraten hat und meinen Wahren Namen weitergegeben hat. Und dieser Jemand hat vermutlich auch gewusst, dass du in der Lage sein würdest, mich aus deinem Bewusstsein zu verdrängen.«
»Okay.« Wie jemand das wissen sollte, war mir nicht klar, denn meines Wissens war kein Besessener dazu in der Lage, den Dämon zu unterdrücken. »Und was könnte es sonst noch bedeuten?«
Er blickte mich düster an. »Dass man mich umbringen will.«
Das klang gar nicht gut in meinen Ohren, denn ich vermutete, dass Schurken von dem Kaliber nicht einfach einen Exorzismus an mir durchführen würden, um ihre Absicht in die Tat umzusetzen – sondern mich eher auf einen Scheiterhaufen stellen und lichterloh in Brand setzen würden.
Lugh sah mir in die Augen, und seine Miene hellte sich etwas auf. »Aber das ist wahrscheinlich nicht der Fall«, sagte er sanft. »Sonst hätten sie mich schon gleich in der ersten Nacht umgebracht.«
Ich dachte an Val und die maskierten Männer, die bei mir eingebrochen waren. »Vielleicht hatten sie kein Problem damit, dich am Leben zu lassen, solange ich dich vollkommen unter Kontrolle hatte. Doch als ich Val diesen Zettel zeigte, erkannten sie, dass du mit mir Kontakt aufgenommen hast, und gingen über zu Plan B.« Plan B, der vermutlich beinhaltete, ihn mitsamt meinem Körper zu einem hübschen kleinen Häufchen Asche zu verbrennen. Juchu!
Ich versuchte, mir Val als Komplizin in einem Mordkomplott gegen mich vorzustellen, aber mein Gefühl wehrte sich entschieden. Sie war meine beste Freundin, verdammt noch mal! Sie würde mir nie etwas antun.
Nur hatte sie mir ja schon etwas angetan, und mit einem Taser war sie ebenfalls auf mich losgegangen, und die Erklärung, die sie dafür geliefert hatte, klang einfach nicht plausibel, so sehr ich es mir auch wünschte.
Der Gedanke schnürte mir die Kehle zu, und ich fürchtete schon, jeden Moment loszuheulen. Ich lasse Tränen selten zu, und wenn, dann bestimmt nicht vor anderen Leuten. Schon gar nicht vor attraktiven, furchteinflößenden Dämonen, die zufällig gerade mit mir zusammen meinen Körper bewohnen.
»Diese Möglichkeit müssen wir ernsthaft in Betracht ziehen«, sagte Lugh.
Er hatte sich zu mir auf die Couch gesetzt. Ich hatte ihn nicht rüberkommen sehen, also nehme ich an, er hatte sich an seinem ursprünglichen Platz in Luft aufgelöst und dann wie aus dem Nichts neben mir Gestalt angenommen. Ich bekam vor Schreck fast einen Herzinfarkt und wollte von ihm wegrücken. Doch er ergriff meinen Arm und hielt mich fest.
»Du musst keine Angst vor mir haben, Morgan. Ich bin nicht dein Feind, und selbst wenn ich wollte, könnte ich dir kein Leid zufügen.«
Wie beruhigend!
»Lass mich los.« Ich sagte diese Worte mit ruhiger, fester Stimme, obwohl mir das Herz gegen die Brust schlug wie ein Presslufthammer. Und das nicht nur aus Angst. Der Griff, mit dem er meinen Arm umschloss, fühlte sich wunderbar warm und fest an, und auch sein restlicher Körper strahlte eine wohlige Wärme aus. Seine Haare fielen ihm auf die Schulter und strichen über die Haut meines Arms wie Seide. Ich war ihm so nahe, dass ich das Leder riechen konnte, das er am Leib trug, und einen exotischen, moschusartigen Duft, den ich nicht kannte.
Er gehorchte, saß aber immer noch viel zu dicht bei mir.
»Lass mir ein bisschen Platz, okay?«, bat ich ihn mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme.
Zu meiner großen Erleichterung rückte er ein Stück von mir ab. Meine Hormone protestierten zaghaft, doch ich brachte sie mit einem innerlichen Machtwort zum Verstummen.
»Was soll ich tun?«, fragte ich, denn offen gestanden hatte ich nicht den blassesten Schimmer.
»Hol dir den besten Exorzisten, den du finden kannst, und lass ihn versuchen, mich dir auszutreiben.«
Mir fiel die Kinnlade herunter.
Mein Gesichtsausdruck schien ihn flüchtig zu amüsieren, dann setzte er wieder die gleiche grimmige Miene auf wie vorher – und die gefiel mir gar nicht.
»Als Reformer trete ich für die Rechte der Menschen ein, Morgan. Eines meiner wichtigsten Anliegen ist es zu verhindern, dass meinesgleichen sich bei Wirten einnisten, die damit nicht einverstanden sind. Wer immer mir das hier angetan hat, hat einen reichlich durchgeknallten Sinn für Humor.
Und er weiß auch, dass ich nicht freiwillig bei so einer Sache mitspiele.«
Er beugte sich vor und fasste meine Hand. Aus Gründen, über die ich nicht näher nachdenken wollte, ließ ich ihn gewähren. »Ich will dich nicht anlügen«, sagte er. »Ich habe den Verdacht, dass selbst euer bester Exorzist nicht in der Lage sein wird, mich auszutreiben. Unter den Meinen besitze ich sehr viel Macht, sonst würde sich niemand wegen meiner Reformbemühungen solche Sorgen machen. Doch du musst es trotzdem probieren. Sonst riskierst du, selbst ums Leben zu kommen, und das auf höchst unangenehme Art und Weise.«
Ich hatte einen Kloß im Hals. So sehr ich Dämonen auch hasste, ich war nicht sicher, ob ich wollte, dass dieser hier bei dem heroischen Versuch ums Leben kam, meines zu retten. Außerdem wusste ich, in welchem Zustand die meisten Menschen eine Austreibung überlebten, und das machte den Vorschlag nicht gerade attraktiver. Wenn allerdings die einzige Alternative darin bestand, dass er umgebracht wurde und ich gleichzeitig bei lebendigem Leib verbrannt, würde ich Tür Nummer eins wählen.
»Ich werde sehen, was sich tun lässt. Aber dafür muss ich erst mal aus diesem Gefängnis rauskommen.«
»Ich habe so eine Ahnung, dass das ziemlich schnell gehen wird.«
Er flackerte, und ich begriff, dass ich dabei war aufzuwachen, obwohl ich noch jede Menge Fragen hatte. Ich öffnete den Mund, um schnell noch eine zu stellen, doch im nächsten Moment saß ich schon aufrecht im Bett. Besser gesagt auf meiner Pritsche.
Eine weibliche Wärterin stand vor meiner Zelle und sah mich ungeduldig an. »Gott, Mädchen, du schläfst wie eine Tote«, sagte sie.
Das war keine Redewendung, die ich momentan besonders gern hörte.
Die Zellentür ging auf. »Deine Anwältin ist hier«, sagte die Wärterin und löste die Handschellen von ihrem Gürtel.
In der Hoffnung, dass das gute Nachrichten verhieß, streckte ich brav die Hände aus und versuchte, nicht allzu sehr über meine schwindende Hoffnung nachzudenken, bei Lugh könnte es sich vielleicht doch um ein Produkt meiner Phantasie handeln.