19
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich einfach nur dasaß und versuchte, meine hyperventilierende Lunge unter Kontrolle zu kriegen – und nicht darüber nachzudenken, was diese Schweine mit Brian anstellten. Wahrscheinlich ziemlich lange. Lugh machte dem Ganzen schließlich ein Ende, indem er mir wieder einen Eispickel durchs Auge jagte.
»Okay, okay«, sagte ich. »Ich geh zu Adam zurück. Hör schon auf.«
Ich verfiel in einen angenehmen Zustand der Benommenheit, der vorübergehend alles unwirklich und weit weg erscheinen ließ. Ich war für jede kleine Linderung meiner Qual dankbar, obwohl mir klar war, dass es dadurch nur umso schlimmer werden würde, wenn anschließend wieder alles auf mich einstürzte.
Es war später Nachmittag, also nahm ich an, Adam müsste von der Arbeit zurück und wieder zu Hause sein – vorausgesetzt, meine Mordanschuldigung hatte seinen Terminkalender nicht allzu sehr durcheinandergebracht.
Dominic ging an den Apparat. Er klang nicht gerade erfreut, von mir zu hören. »Ganz schön mutig von dir, hier anzurufen!«, blaffte er mich an.
Ich konnte seine Gefühle verstehen, war aber viel zu erschöpft und verzweifelt, um die Energie für eine anständige Entschuldigung aufzubringen, und eine, die nur halbwegs anständig war, würde wohl kaum reichen.
»Ist Adam da?«
»Nein. Und ruf hier nicht wieder an.«
Er legte auf. Ich überlegte, ob ich es erneut probieren sollte, entschied mich dann aber dagegen. Die Chancen, dass er abheben würde, standen schlecht. Möglich, dass Adam mir um Lughs willen immer noch zu helfen bereit war. Dominic war es offensichtlich nicht.
In der Hoffnung, dass Adam bis zu meiner Ankunft zu Hause eingetroffen wäre, verließ ich Brians Wohnung und fuhr mit dem Taxi ans andere Ende der Stadt. Als der Fahrer mich absetzte, warf ich einen Blick auf den Parkplatz, der gegenüber Adams Haus lag, und war erleichtert, seinen Wagen dort stehen zu sehen.
Das Gefühl der Erleichterung verschwand allerdings schnell wieder, als ich mir vorstellte, wie es sein würde, ihm nach meinem Anruf gestern wieder unter die Augen zu treten. War das alles tatsächlich erst gestern passiert? Mir war in so kurzer Zeit so viel Mist widerfahren, dass ich das Gefühl hatte, in der Zwischenzeit müssten bereits Jahre vergangen sein.
Ich schleppte mich widerstrebend die drei Stufen zu seiner Veranda hinauf. In meinem Bauch flatterten die Schmetterlinge wild durcheinander. Doch dann dachte ich daran, was Brian gerade durchmachte, erinnerte mich an die Angst, die ich in seinen gütigen Augen gesehen hatte, und an den schrecklichen Klang seiner Schreie. Ich musste das hier einfach tun.
Ich klingelte und hielt den Atem an. Die Sekunden vergingen mit quälender Langsamkeit. Dann stand Adam in der Tür.
Er betrachtete mich mit dem gleichen Blick, mit dem man auf einen Hundehaufen niederblickt, in den man gerade getreten ist, knallte mir aber immerhin nicht die Tür vor der Nase zu. Er machte einen Schritt zur Seite und ließ mir genug Platz, dass ich ohne ihn zu berühren eintreten konnte.
Während ich hineinging, versuchte ich, mich zu erinnern, wie das Atmen funktionierte.
Dominic stand im Flur. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich tot gewesen, noch bevor ich die Türschwelle überschritten hatte.
»Wie kannst du es wagen!«, stieß er hervor.
»Dom«, fiel ihm Adam ins Wort. »Das ist eine Sache, die nur Morgan und mich etwas angeht. Geh nach Hause. Ich ruf dich bald an.«
So einfach weggeschickt zu werden, schien Dominic zu verletzen, doch er gab sich Mühe, es nicht zu zeigen. Er marschierte wortlos auf die Tür zu und rempelte mich dabei unsanft mit der Schulter an.
Als er die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, packte Adam ihn am Arm. Die beiden sagten nichts zueinander, tauschten aber irgendeine stille Botschaft aus, die dazu führte, dass Dominics Körperhaltung sich sichtlich entspannte.
Dann war Dominic weg – und ich mit einem gefährlichen Dämon allein, der jeden Grund hatte, mich abgrundtief zu hassen.
»Sie haben Brian«, sagte ich, griff in meine Tüte und holte das abscheuliche Videoband hervor.
Adam hob die Brauen und sah mich mit verhaltener Neugier an.
»Meinen Freund«, erklärte ich und spürte sofort wieder, wie es mir die Kehle zuschnürte. »Sie foltern ihn.« Meine Stimme zitterte, doch ich weigerte mich, in Tränen auszubrechen – nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich war nicht sicher, ob ich bei Verstand bleiben würde, wenn ich meinen Gefühlen freien Lauf ließ.
Adam machte nicht den Eindruck, als würde meine Notlage sonderlich viel Mitleid bei ihm hervorrufen. Nicht, dass ich das erwartet hatte. Ich zwang mich dazu, ihm in die Augen zu blicken.
»Ich könnte sagen, dass es mir leidtut, aber das wirkt so läppisch …«
»Ja, tut es«, pflichtete er mir bei. Aus seinen Augen sprach eiskalte Wut, bei deren Anblick einem das Mark in den Knochen gefror.
»Aber es ist nichts passiert?«, fragte ich. »Sie haben … nichts gefunden?«
»Nein.«
Wir waren heute offenbar etwas einsilbig. Ich zwang mich, hartnäckig zu bleiben. »Sie werden ihn so lange foltern und mir jeden Tag ein neues Videoband schicken, bis ich mich ihnen ausliefere.«
»Wozu selbst du nicht dumm genug bist – obwohl nicht viel fehlt.«
Unwillkürlich zuckte ich bei diesen Worten zusammen. Einsilbig war er mir lieber gewesen. Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht zulassen, dass sie ihm weiter weh tun. Ich kann es einfach nicht.«
»Doch: Wenn die Alternative lautet, dich selbst in die Hände dieser Leute zu begeben, dann kannst du es. Sollte Lugh sterben – und Dougal den Thron besteigen –, würde das für dein Volk den sicheren Untergang bedeuten. Er wird nicht sofort kommen, weil Lugh Anhänger hat, die weiter für euch kämpfen werden, selbst wenn er nicht mehr da ist. Doch eines Tages wird Dougal euch alle zu leeren Gefäßen machen, deren einziger Lebenszweck darin besteht, jedem Dämon als Hülle zu dienen, dem gerade danach ist. Ich bin Dämonenjäger, weil ich einer von Lughs Leutnants bin. Ich bin hier, um so viele von Dougals Leuten wie möglich zurück ins Dämonenreich zu schicken. Es tut mir ehrlich leid, dass ein unschuldiger Zivilist im Namen unserer Sache leiden muss, aber die Sache ist wichtiger als jede Einzelperson.«
Dem ließ sich nicht groß widersprechen, obwohl ich dazu versucht war. Trotzdem war ich nicht bereit, Brian aufzugeben.
»Dann muss ich wohl eine dritte Option finden, nicht wahr?«
Er blickte mich wortlos an. Der tote, hässliche Ausdruck in seinen Augen sagte mir, dass seine Abneigung gegen mich inzwischen in ehrlichen Hass übergegangen war. Ich verdiente es nicht anders, doch das machte seinen Blick nicht erträglicher.
»Ich muss ihn finden«, sagte ich. »Ich muss herausfinden, wo sie ihn festhalten, und ihn da rausholen.«
»Und wie willst du das tun?«
»Mit deiner Hilfe.«
Er lachte, doch es war ein verbittertes, freudloses Lachen. »Glaubst du wirklich, ich würde dir helfen, nach allem, was du getan hast? Du musst verrückt geworden sein! Ich werde Lugh in meine Obhut nehmen und alles tun, um ihm beiseite zu stehen. Du hingegen kannst von mir aus zur Hölle fahren.«
Er packte meinen Arm und zog mich in Richtung Treppe.
»Ich verspreche dir, dass ich alle paar Tage reinschauen werde, um dich zu füttern«, sagte er, während ich hinter ihm herstolperte. »Lugh wird nicht zulassen, dass du verhungerst, aber ich bezweifle, dass er viel gegen dein Hungergefühl tun kann. Ein Jammer, wirklich.«
»Adam, bitte …«
»Halt verdammt noch mal dein Maul, Morgan.« Wir hatten die Treppe erreicht. Er nahm zwei Stufen auf einmal. Ich musste mehr oder weniger fliegen, um mithalten zu können.
»Brian hat es nicht verdient, für meine Sünden zu büßen!«, schrie ich.
Adam antwortete nicht – warum sollte er sich auch für das Schicksal von jemandem interessieren, den er nicht einmal kannte, wenn das Leben seines eigenen Königs auf dem Spiel stand? Sicherlich kümmerte ihn noch weniger, wie sehr ich unter Brians Entführung litt. Wir hatten den Kopf der Treppe erreicht. Die Tür zu dem schwarzen Zimmer stand weit offen – wie das Tor zur Hölle. Mein Magen machte einen Salto rückwärts. Aus reiner Herzensgüte würde Adam mir bestimmt nicht helfen. Aber es gab etwas, womit ich ihn dazu bringen könnte, es sich noch einmal zu überlegen – da war ich mir auf geradezu widerliche Weise sicher.
»Was, wenn ich dir mein Einverständnis gebe?«, sagte ich mit erstickter Stimme, als er mich an dem schwarzen Zimmer vorbeischleifte.
Er blieb abrupt stehen und drehte sich zu mir um.
»Wie bitte?«
»Du hast einmal gesagt, dass du mir gerne weh tun würdest, und dass du dazu mein Einverständnis brauchst.« Meine Stimme zitterte, und ich war sicher bleich wie der Tod. Ich musste mich ganz darauf konzentrieren, Brian zu retten, und durfte nicht darüber nachdenken, was ich Adam gerade anbot. »Was, wenn ich mich einverstanden erkläre? Hilfst du mir dann, Brian zu finden?«
Ich konnte Adam ansehen, wie sein Gehirn arbeitete, obwohl er im ersten Moment so tat, als würde ihn mein Vorschlag nicht im Geringsten interessieren. »Glaubst du, dein edles Opfer könnte mich rühren? Wenn mir, danach wäre, könnte ich so viel mit dir spielen, wie ich wollte, ohne dass du etwas dagegen tun könntest.«
Trotz der Angst, die sich in mir ausbreitete, zwang ich mich, ihm in die Augen zu blicken. »Aber das wäre nicht dasselbe, oder?«
Seine Augen verdunkelten sich merklich – und mein Instinkt sagte mir, dass ich um mein Leben rennen sollte. Wäre ich vielleicht auch, wenn Adam mich nicht immer noch am Arm festgehalten hätte. Ein feiner Schweißfilm trat auf seine Oberlippe, und ich wusste, dass ich ihn am Haken hatte. Er wollte haben, was ich feilbot. Und ich glaube, er hätte es selbst dann haben wollen, wenn er nicht so wütend auf mich gewesen wäre. Wie regelmäßig hatten er und Dominic ihre kranken Spielchen wohl veranstaltet, als Dominic danach noch jedes Mal von seinem Dämon geheilt werden konnte? Und wie sehr vermisste Adam jetzt das Ganze? Ich hätte wetten können, ziemlich stark, so wie sein Gesicht aussah.
»Du hast recht«, sagte er schließlich. »Es wäre nicht dasselbe.«
Er lächelte, aber seine Miene war die eines hungrigen Raubtiers. »Wir sind im Geschäft, Mädchen.«
Steh mir bei, lieber Gott!, betete ich und ließ mich mit pochendem Herzen und stockendem Atem von ihm in seine Schreckenskammer führen.