2
Als ich aufwachte, sah ich über mir eine mit weißen Platten getäfelte Decke. Ich hatte rasende Kopfschmerzen. An der Stelle, wo der Dämon meinen Arm gepackt hatte, spürte ich ein schmerzhaftes Pochen. Ich war so erschöpft, dass allein schon das Atmen anstrengend war.
Ich war dankbar, noch am Leben und ich selbst zu sein. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, mein Körper hätte sich nicht angefühlt, als sei er von einem Laster überrollt worden. Stöhnend setzte ich mich auf.
Ich befand mich immer noch im Hinrichtungsraum mit dem weiß gekachelten Boden. Doch der Raum war jetzt völlig leer. Meine Kerzen waren weg, ebenso meine Tasche, mein Mantel, Lisa Walker und der verbogene Stahltisch, auf dem sie gelegen hatte. Sogar die Bank, auf der ihre Eltern gesessen hatten, war verschwunden.
Schwankend stand ich auf, und mir wurde auf der Stelle speiübel. Ich fasste mir an den Bauch und spürte etwas, was dort nicht hingehörte. Als der Anflug von Übelkeit vorbei war, zog ich meinen Pulli hoch und sah, dass man mir einen Sicherheitsgürtel angelegt hatte.
Da wurde mir klar, was passiert war.
Ich blickte zur Decke und entdeckte die Überwachungskamera. Man hatte mich bei meiner kleinen Vorstellung beobachtet und mitbekommen, wie Lisa mich berührt hatte.
Deshalb trug ich jetzt dieses hübsche Accessoire. Man hielt mich für besessen.
Das einzige Mittel, mit dem sich etwas gegen einen Amok laufenden Dämon ausrichten lässt, sind Elektroschocks. Sie lassen ihn die Kontrolle über den von ihm besessenen Körper verlieren. Zu versuchen, den Gürtel wieder abzunehmen, wäre also vermutlich eine sehr schlechte Idee gewesen.
Der Tag wurde wirklich immer besser.
»Hallo?«, rief ich. »Kann mich irgendjemand hören?«
Niemand antwortete, also versuchte ich es erneut. »Hallo da draußen! Ich bin nicht besessen. Ich habe den Dämon zerstört. Sie können mich jetzt hier rauslassen.«
Immer noch keine Antwort. Wunderte mich nicht. Nach allem, was das Personal des Centers mitangesehen hatte, musste es ja unter Verfolgungswahn leiden. Man würde so vorsichtig mit mir umgehen wie mit dem Teufel persönlich.
»Können Sie mir wenigstens sagen, wie es Lisa geht?«
Mit einem Klicken wurde ein Mikrophon eingeschaltet. »Sie lebt«, erklärte eine körperlose Stimme. Jenkins, nahm ich an, obwohl über den Lautsprecher die Stimme blechern und hohl klang.
»Wie schwer ist sie verletzt?« Menschliche Körper sind einfach nicht dafür gemacht, Stahlfesseln zu zerreißen. Hätte ich nicht am eigenen Leib gespürt, wie Lisas kleine Hände mich packten, wäre ich sicher gewesen, der Stahl hätte mehr aushalten können als ihre Arme.
Wieder ein Klicken. »Sie wird wieder gesund. Körperlich wenigstens.«
Sie hatte also den Verstand verloren. Das war zu erwarten gewesen, aber trotzdem bedauerlich. Es bestand eine winzige Chance, dass sie ihren Verstand eines Tages wieder zurückgewann. Viel wahrscheinlicher war jedoch, dass sie den Rest ihres Lebens im Wachkoma vor sich hinvegetieren würde.
»Glauben Sie mir, ich bin wirklich nicht besessen«, sagte ich.
»Wir haben gesehen, wie der Dämon Sie berührt hat.«
»Ja, und ich habe gespürt, wie er mich berührt hat. Aber er ist nicht in mich eingedrungen. Vielleicht habe ich ihm nicht geschmeckt.« Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, warum der Dämon diese allerletzte Fluchtmöglichkeit nicht genutzt hatte. Aber Fakt war, dass er es hatte bleiben lassen.
»Ist das Ihre Art von Humor, Ms Kingsley?« Die Stimme klang zwar blechern, aber das Missfallen hörte man trotzdem raus.
Ich starrte zur Kamera hoch. Mir missfiel hier ebenfalls so einiges. »War das Ihre Art von Humor, mich in ein Zimmer mit einem Dämon einzusperren, den Sie offensichtlich keineswegs so gut ›unter Kontrolle‹ hatten, wie sie glaubten?« Bis jetzt hatte man mir noch keine Zeit gelassen, wirklich sauer zu werden. Aber es würde nur noch ein paar Minuten dauern, ehe ich einen erstklassigen Wutanfall bekam. »Wenn sie es geschafft haben, mir einen Sicherheitsgürtel anzulegen, warum hatte dann nicht auch der Dämon einen an?« Ich kannte die Antwort schon: Niemand hatte geglaubt, dass Lisa es schaffen könnte, sich von dem Tisch loszureißen. Ich hatte es genauso wenig geglaubt. Sonst hätte ich sofort etwas gesagt, als ich in den Raum kam.
»Ein unglückliches Versäumnis«, sagte Jenkins in bester Bürokratenmanier – was meine Laune nicht gerade besserte.
»Und danke, dass Sie mir zur Hilfe gekommen sind, als ich in Schwierigkeiten steckte«, fauchte ich.
Er verzichtete auf weitere bürokratische Beschönigungen und klang aufrichtig zerknirscht. »Tut mir sehr leid, Ms Kingsley. Aber ich musste dafür sorgen, dass die Zivilisten aus dem Zimmer verschwinden.«
Sicher – und ihnen dabei auf dem Fuß nach draußen folgen.
Ich erwiderte nichts. Vielleicht, weil ich im Grunde der Meinung war, dass er das einzig Richtige getan hatte. Nur ein Vollidiot würde sich auf einen Zweikampf mit einem Dämon einlassen. Jenkins war kein einfacher Fußsoldat, sondern ein mit Bedacht handelnder Entscheidungsträger. Wahrscheinlich hatte er nur deswegen den Raum verlassen, weil er vorhatte, mit einer kleinen Armee bewaffneter Wachleute zurückzukehren.
»Wir haben Vater Ben gebeten, ins Kellergeschoss zu kommen und sich Ihre Aura anzusehen«, fuhr Jenkins fort. »Wenn Sie tatsächlich nicht besessen sind, dann entschuldige ich mich jetzt schon für die Unannehmlichkeiten, die wir Ihnen bereitet haben, Ms Kingsley.«
Ich seufzte. Das war so ziemlich das Schlimmste, was mir hätte passieren können: in einem Hinrichtungsstaat unter den Verdacht zu geraten, ich sei von einem Dämon besessen, und dann auch noch von einem Priester untersucht zu werden, der vielleicht außerstande war, meine Aura richtig zu erkennen. Zumal Priester in der Regel dem Glauben anhingen, Dämonen seien direkt der Hölle entsprungen und nur zu dem einen Zweck auf der Welt, die Menschheit ins Verderben zu stürzen. Ich mochte ja selbst nicht besonders viel für Dämonen übrig haben, aber für den Inbegriff alles Bösen hielt ich sie deswegen noch lange nicht.
»Sagen Sie Vater Ben, er soll sich die Mühe sparen«, sagte ich. »Rufen Sie stattdessen Valerie March an und bitten Sie sie, herzukommen und mich zu untersuchen.«
Val und ich kannten uns von der Highschool, und sie war meine beste Freundin. Auch sie arbeitete als Exorzistin, hatte den Beruf aber aus ganz anderen Gründen gewählt als ich. Val war mit dem ehrenhaften Ziel angetreten, das allgemeine Image der Dämonen zu verbessern, indem sie die schwarzen Schafe unter ihnen aussiebte und zur Strecke brachte. Ich selbst sah meinen Job eher als gute Entschuldigung an, hin und wieder einem Dämon kräftig in den Hintern zu treten.
Trotzdem war Val eine verdammt gute Exorzistin, und sie gehörte zu den wenigen Vertretern meines Standes, denen ich ohne weiteres mein Leben anvertrauen würde. Leider wohnte sie in Philadelphia, was bedeutete, dass sie es nicht vor morgen hierher schaffen würde. Aber lieber noch einen weiteren Tag in diesem hübschen Raum gefangen sein, als Bekanntschaft mit dem Brennofen zu machen.
»Vater Ben könnte in weniger als einer Stunde hier sein«, sagte Jenkins. »Wohnt diese Valerie March irgendwo in der Nähe?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber sie ist eine ausgebildete Exorzistin.«
»Ich versichere Ihnen, dass Vater Ben …«
»Rufen Sie sie an, Jenkins. Ich sage Ihnen die Nummer.«
Der Lautsprecher gab so lange keinen Ton von sich, dass ich schon fürchtete, Jenkins könnte meine Bitte einfach ignorieren. Vor meinem geistigen Auge sah ich bereits, wie irgendein abergläubischer Pfaffe mir den Stempel der Verdammnis aufdrückte, die Wachleute mich so lange mit ihren Tasern, diesen hübschen Elektroschockpistolen, bearbeiteten, bis ich nur noch ein still vor mich hin zuckendes Wrack war – und mich dann auf einen nigelnagelneuen Hinrichtungstisch schnallten. Fehlte nur noch der Apfel im Mund, und das Spanferkel wäre fertig für den Grill. Wenn die Leute dort draußen davon ausgingen, dass Lisa Walkers Dämon auf mich übergesprungen war, dann gingen sie ebenfalls davon aus, dass Morgan Kingsley, die erfolgreichste Exorzistin aller Zeiten, es nicht fertiggebracht hatte, diesen Dämon zu bändigen. Was es ziemlich sinnlos machte, überhaupt erst einen anderen Exorzisten gegen ihn antreten zu lassen. Lieber gleich auf Nummer sicher und rein mit ihr in den Ofen.
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, und ich rieb mir fröstelnd die Oberarme.
»Also in Ordnung, Ms Kingsley, dann geben Sie mir die Nummer.«
Erleichtert nannte ich sie ihm. Jetzt hieß es nur noch warten.
Wer Valerie March und mich nebeneinander sieht, würde nie auf die Idee kommen, wir könnten miteinander befreundet sein. Wir sind mehr oder weniger das genaue Gegenteil voneinander. Ich bin groß, habe einen kräftigen Knochenbau – was nicht bedeutet, dass ich dick bin – und außerdem auffällige rote Haare, die ich fast so kurz geschnitten trage wie ein Mann. Auch habe ich oft ziemlich abgefahrene Klamotten an sowie insgesamt fünf Piercings in meinem linken Ohr (im rechten habe ich nur zwei). Knapp überm Hintern habe ich mir außerdem ein hübsches kleines Tattoo von einem Schwert machen lassen. Der Griff ist mit einem keltischen Knotenmuster verziert, und die Klinge zeigt genau auf meine Pospalte. Wenn ich eine meiner tiefgeschnittenen Jeans trage, ist der Griff über dem Bund gut zu erkennen.
Ich habe mir das Tattoo machen lassen, als ich fünfzehn war – weil ich im Fernsehen eine Frau mit einem Tattoo gesehen hatte und fand, dass es toll aussah. Meine Eltern erklärten mir natürlich, dass Tätowierungen nicht damenhaft seien, was so ziemlich das Dümmste war, womit sie mir hätten kommen können. Gleich am nächsten Tag ging ich ins Tattoo-Studio. Ich bekam einen Monat Hausarrest, entwischte aber mindestens zwei oder drei Mal pro Woche durchs Fenster.
Val hingegen hält sich lieber an die Regeln. Die Frau geht noch nicht einmal bei Rot über die Straße! Bei mindestens zwei Dritteln meiner persönlichen Lebensentscheidungen hatte sie mir gesagt, dass ich einen großen Fehler begehe, mochte mich aber trotzdem. Das nenne ich echte Freundschaft.
Als sie im Gerichtsgebäude eintraf, stand ich schon seit etwas mehr als vierundzwanzig Stunden unter Bewachung. Es waren nicht gerade die besten vierundzwanzig Stunden meines Lebens.
Ich musste die ganze Zeit in dem kahlen Raum bleiben. Auf dem nackten Kachelboden zu schlafen machte mir nichts aus. Na ja, natürlich war es nicht besonders angenehm, aber bei weitem nicht so schlimm wie die Sache mit dem Klo. In dem Raum gab es nämlich keins.
Wollte ich zur Toilette gehen, musste ich erst um Erlaubnis fragen. Dann rückten sechs oder sieben Wachleute an und bauten sich vor der Tür auf, die Taser im Anschlag, als ob der Sicherheitsgürtel nicht genügte, um mich in Schach zu halten. Sie begleiteten mich bis in die Toilette. Schlimmer noch, ich durfte nicht einmal die Tür zu meiner Kabine schließen. Ich musste mein Geschäft erledigen, während sie ihre Taser auf mich gerichtet hielten und mir zuschauten, den Finger am Abzug und allem Anschein nach ganz versessen darauf, mir eine ordentliche Ladung zu verpassen.
Natürlich: Hätte ich tatsächlich einen Dämon im Körper gehabt, wäre es eine unverzeihliche Dummheit gewesen, mich auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Für jeden halbwegs anständigen Dämon ist es eine Leichtigkeit, eine Kloschüssel aus dem Boden zu reißen. Und glauben Sie mir: Wenn ein Dämon Ihnen eine Kloschüssel an den Kopf schmeißt, stehen Sie so schnell nicht wieder auf.
Ich verkniff mir also den Gang zum Klo, so lange ich konnte, aber vierundzwanzig Stunden waren ein bisschen zu viel des Guten. Die Leutchen hier konnten sicher sein, dass ich noch eine ganze Weile nicht gut auf sie zu sprechen wäre.
Als Val endlich eintraf, kam das Schlägerkommando mit ihr in den Raum und bezog im Halbkreis um mich herum Stellung. Ich saß mit dem Rücken an der Wand auf dem Boden und wäre gern aufgestanden, um Val zu begrüßen. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass die Wachen sofort das Feuer eröffnen würden, wenn ich mich bewegte.
Val trug genau jene Art von seriöser Geschäftskleidung, gegen die ich mich mein Leben lang gewehrt hatte, und strahlte ihre übliche Aura von Kompetenz und Pflichtbewusstsein aus. Ich meine natürlich keine echte Aura. Eigenschaften wie Kompetenz und Pflichtbewusstsein zeigen sich nicht in der Aura eines Menschen, sonst wäre das Leben wesentlich einfacher. Sie hatte ihr blondes Haar zu einem Zopf geflochten und trug eine Nickelbrille auf der Nase. In ihrer Freizeit benutzte sie Kontaktlinsen, aber während der Arbeit lieber eine Brille, weil sie dadurch noch seriöser wirkte.
Sie lächelte mich an und schüttelte den Kopf.
»Morgan, du bist der chaotischste Mensch, den ich kenne.«
Ich grinste sie an, stand aber immer noch nicht auf. Die Wachleute schienen sich etwas entspannt zu haben, aber nicht so sehr, als dass sie nicht beim geringsten Anlass auf mich losballern würden.
»Wem sagst du das«, erwiderte ich. »Kannst du mich bitte hier rausholen?«
»Ich werde mir Mühe geben.«
Ein weiterer Wachmann kam herein, in der Hand Vals Koffer. Wie ich bereits erwähnte, können bei manchen Exorzisten die Zeremonien ziemlich aufwendig werden. Bei Val war das der Fall. Nicht weil sie den ganzen Schnickschnack brauchte, um sich konzentrieren zu können, sondern weil sie glaubte, dass sich damit Eindruck bei den Kunden schinden ließ. Ich hielt zu diesem Thema lieber meinen Mund.
Allerdings wäre ich froh gewesen, wenn sie ausnahmsweise nicht ganz so viel Aufwand betrieben hätte. Ich wollte so schnell wie möglich hier weg. Aber sie gab sich nun mal nicht mit halben Sachen zufrieden – dabei hatte sie bestimmt auf den ersten Blick erkannt, dass ich nicht besessen war. Ergreifen Dämonen von einem Menschen Besitz, haben sie auf das gesamte Gedächtnis dieses Menschen Zugriff und können ziemlich gut darin werden, sein übliches Verhalten nachzuahmen, aber in der Regel brauchen sie dazu Zeit und Übung. Ist der Zustand der Besessenheit noch ganz frisch, fällt Leuten, die den besessenen Menschen gut kennen, die Veränderung in seinem Verhalten für gewöhnlich schnell auf. Ob sie diese Veränderung dann auch auf die korrekte Ursache zurückführen, ist eine andere Frage.
Ich hätte Val gern gebeten, sich zu beeilen. Ich musste wieder aufs Klo und wollte diesmal auf Publikum verzichten. Aber Val war offenbar fest entschlossen, ihr gesamtes Programm abzuspulen. Ich presste die Schenkel zusammen und betete, dass ich mir nicht in die Hose machte.
Zu Vals Zeremonie gehörten Musik, Kerzen und ein magischer Kreis aus Salz. Bei den Wachleuten machte das Ganze offensichtlich Eindruck, und sie blickten immer wieder fasziniert von mir zu Val. Wäre ich wirklich besessen gewesen, hätte sie diese Unaufmerksamkeit leicht das Leben kosten können.
Endlich wachte Val aus ihrer Trance auf und verkündete, ich sei sauber. Die Wachleute waren von ihrer Zeremonie so begeistert, dass sie sofort ihre Taser sinken ließen und ich aufs Klo konnte.
Als ich wieder herauskam, wartete Jenkins vor der Tür. Ich nehme an, er wollte sich noch einmal für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. Aber sein Geseiere war das Letzte, was ich in jenem Moment ertragen konnte. Val stand neben ihm und sah mir meine Wut an. Sie fasste meinen Arm – genau dort, wo der Dämon mir die Muskeln zusammengequetscht hatte – und lächelte Jenkins höflich an.
»Lassen Sie sich einen guten Rat geben, Mr Jenkins«, sagte sie. »Ich kenne Morgan wie eine Schwester, und wenn Sie jetzt auch nur ein Wort sagen, werde ich sie Ihnen nur mit Mühe vom Leib halten können.«
Ihr Lächeln war zuckersüß, doch an ihrem Ton merkte man, wie ernst sie es meinte. Jenkins sah unsicher zwischen uns hin und her und blickte so jämmerlich drein, dass er mir beinahe wieder leidtat. Wäre all das jemand anderem zugestoßen, hätte ich ihm wahrscheinlich auf die Schulter geklopft und gesagt, er habe sich genau richtig verhalten. Aber in diesem Fall war ich diejenige gewesen, die unter seinem Handeln zu leiden gehabt hatte – und mich in christlicher Nachsicht zu üben, gehörte noch nie zu meinen Stärken. Da müssen Sie nur meine Familie fragen.
Jenkins befolgte Vals Rat und nickte kurz. Stumm wie ein Butler löste er den Sicherheitsgürtel von meinen Hüften. Ich biss mir auf die Zunge, um mich nicht doch noch zu einer bösen Bemerkung hinreißen zu lassen, und ließ mich dann von Val so schnell wie möglich nach draußen führen.
Ich hatte meinen Wagen natürlich auf einem Parkplatz abgestellt, auf dem man nur zwei Stunden stehen durfte, also war er inzwischen abgeschleppt worden. Val fuhr mich bei dem Abschleppunternehmen vorbei, damit ich ihn – und das im Kofferraum liegende Gepäck – wieder auslösen und endlich in mein Hotel einchecken konnte. Einen Lichtblick gab es jedoch: Über Nacht hatte es aufgehört zu schneien, und die Straßen waren wieder trocken und frei. Val wollte sich über die ganze Geschichte mit mir unterhalten, aber ich sagte, dass ich zuerst einmal eine Dusche und frische Kleider brauchte.
Eine Stunde später traf ich mich mit ihr in der schäbigen kleinen Bar des Hotels. Sie hatte ihren Hosenanzug abgelegt und trug jetzt eine graue Stoffhose und einen dunkelblauen Rollkragenpulli. Das lief bei ihr schon unter »legerer Freizeitkleidung«. Ich hingegen hatte Lust gehabt, den Bürgern von Topeka ein bisschen was zum Gucken zu geben, und mir deshalb eine tief sitzende schwarze Lederhose und einen smaragdgrünen Kaschmirpulli mit tiefem Ausschnitt angezogen. Außer uns saßen nur vier weitere Gäste in der Bar, lauter Geschäftsmänner in dunklen Anzügen, und ich konnte förmlich spüren, wie jeder Einzelne von ihnen mir mit den Augen durch den Raum folgte.
Ich gehöre nicht zu jener Art Frauen, die so tun, als wüssten sie nicht, wie sie auf das andere Geschlecht wirken. Meine Aufmachung mag manchmal für eine Frau etwas aggressiv sein, aber sie passt gut zu meiner Größe und zu meinem Auftreten, und ich habe mich daran gewöhnt, dass die Leute mich anstarren. In Wahrheit gefällt es mir sogar – auch wenn mein Freund Brian es schrecklich findet. Er bittet mich immer, etwas weniger Aufreizendes anzuziehen. Wir sind jetzt schon etwas länger als ein Jahr zusammen und verstehen uns im Bett fantastisch, aber er kennt mich immer noch nicht gut genug, um mir mit so einer Bitte gar nicht erst zu kommen. Wenn wir ausgehen, ziehe ich grundsätzlich den schärfsten Fummel an, den ich im Kleiderschrank finden kann. Was wohl auch der Grund dafür ist, dass wir es oft gar nicht erst aus dem Haus schaffen.
Val hatte mir bereits meinen Lieblingsdrink bestellt, eine Pina Colada. Schon gut, mir ist vollkommen klar, dass es komisch aussieht, wenn man mit insgesamt sieben Piercings in den Ohren und in einer schwarzen Lederhose einläuft, aus deren Bund ein Tattoo rausguckt, und dann so einen Kindercocktail trinkt. Aber ich hasse den Geschmack von Alkohol. Wenn man bei einem Drink den Alkohol rausschmecken kann, kriege ich ihn einfach nicht runter.
Val musste lachen, als ich mich erschöpft neben ihr auf den Hocker sinken ließ und auf einen Zug das halbe Glas leerte.
»Darf ich fragen, warum du eine schwarze Lederhose einpackst, wenn du zu einem Geschäftstermin nach Topeka fliegst?«, fragte sie mit amüsiertem Lächeln.
Ich grinste sie an. »Sagen wir einfach, ich hatte so eine Ahnung.«
In Wirklichkeit hatte ich die Hose eingepackt, weil ich mich darin besonders weiblich und attraktiv fühlte. Schwarzes Leder ist zwar angeblich kein Material, das man im ersten Moment als besonders feminin bezeichnen würde. Aber so wie mich die Kerle anglotzen, wenn ich die Hose anhabe, muss es sich dabei um eine Fehleinschätzung handeln.
Ihr Lächeln verschwand. Sie machte ein besorgtes Gesicht und legte den Kopf auf die Seite. »Also, was ist passiert?«
Ich erzählte ihr alles. War nicht gerade angenehm, den ganzen Albtraum noch einmal in allen Einzelheiten durchzugehen. Aber nachdem sie extra hierhergekommen war, um meinen Hintern zu retten, war ich ihr das wohl schuldig.
Nachdem ich alles erzählt hatte, lag Vals Stirn in tiefen Falten, und von ihrem Martini war kein Tropfen mehr übrig. Sie bestellte einen zweiten, und ich rührte schweigend in den geschmolzenen Überresten meiner Pina Colada herum.
»Warum hat er nicht Besitz von dir ergriffen?«, murmelte Val und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.
Ich seufzte. »Keine Ahnung, Val. Das kapiere ich auch nicht.« Ich hatte den größten Teil der vergangenen vierundzwanzig Stunden damit verbracht, diese Frage unter jedem nur erdenklichen Blickwinkel durchzuspielen, war aber auf keine Antwort gekommen.
Vals Drink kam, und sie nippte an ihrem Glas. »Vielleicht war er aus irgendeinem Grund zu langsam und hatte nicht genug Zeit, in deinen Körper einzudringen.«
»Er wich zurück, bevor ich überhaupt losfeuerte.« Ich schüttelte den Kopf und unterdrückte das Bedürfnis, mir schützend die Arme um den Körper zu legen. Noch nie in meinem Leben war ich so beunruhigt gewesen. Wenn man bedenkt, womit ich mein Geld verdiene, will das schon etwas heißen. Ich lächelte gequält. »Jetzt sieh uns nur mal an – deprimiert und nachdenklich, weil es einem Dämon nicht gelungen ist, sich meines Körpers zu bemächtigen.«
Val lachte, aber auch bei ihr wirkte es gezwungen. »Bescheuert, oder?« Sie erhob ihr Glas und gab sich Mühe, nicht mehr so besorgt auszusehen. »Wen kümmert schon, wie die ganze Sache genau abgelaufen ist? Hauptsache, du bist heil da rausgekommen.«
»Darauf trinke ich!« Ich stieß mit ihr an, und wir wendeten uns weniger schwierigen Themen zu. Trotzdem wollte mir die Sache keine Ruhe lassen.
Nachdem wir unsere Drinks geleert hatten, aßen wir in einem kleinen Restaurant zwei ausgezeichnete Steaks, wie man sie nur im mittleren Westen serviert bekommt. Mein Appetit ließ etwas zu wünschen übrig, aber ich gab mir alle Mühe, das Essen trotzdem zu genießen. Danach kehrten wir sofort ins Hotel zurück, und ich rief Brian an, um ihn wissen zu lassen, dass es mir gut ging.
Ich hatte keine Lust, ein weiteres Mal alles durchzukauen. Deshalb gab ich ihm erst gar keine Gelegenheit, mich nach Details zu fragen, und sagte stattdessen: »Ich denke gerade an eine Zahl zwischen eins und hundert. Rate mal, welche.«
Am anderen Ende der Leitung entstand eine kurze Pause. Entweder hatte er eine genauso schmutzige Phantasie wie ich, oder er überlegte, ob er es mir durchgehen lassen sollte, dass ich vom Thema ablenkte. So, wie ich ihn kannte, war Letzteres der Fall.
»Ahm … an die zehn vielleicht?«, fragte er, doch an der Mischung aus Lachen und Lust in seiner Stimme erkannte ich, dass er längst wusste, um welche Zahl es ging.
»Das war dein erster Versuch. Jetzt hast du nur noch zwei.«
Ein übertrieben verzweifeltes Stöhnen. »Na gut, dann wollen wir mal sehen … Wie steht es mit der 35?«
Ich konnte mir ein leises Kichern nicht verkneifen. Obwohl Kichern nun wirklich nicht meine Art ist.
»Das war der zweite Versuch. Jetzt hast du nur noch einen.«
»Hm, das ist aber hart.«
»He! Das ist normalerweise mein Text!«
Er ignorierte meinen Kommentar. »Du hast nicht zufällig an die 69 gedacht, oder?«
Schön zu wissen, dass wir dermaßen ähnlich tickten. Als ich mich daran erinnerte, wie gut seine edelsten Stellen schmeckten, spürte ich das Kribbeln im ganzen Körper. »Volltreffer, Kumpel. Du hast gerade den Hauptpreis gewonnen.«
»Schade, dass man sich den nur in Topeka abholen kann.«
»Ja, wirklich schade«, sagte ich. »Da müssen wir wohl etwas improvisieren.« Ich klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, zog die Bettdecke zurück und schlug die Kissen auf. Dann kletterte ich ins Bett.
»Was hör ich denn da«, sagte Brian mit leiser, verführerischer Stimme. »Machst du es dir etwa gemütlich?«
Ich kuschelte mich in die weichen Kissen. »Mhm – und was ist mit dir?«
»Tja, ich denke, ich werd’s mir auch ein bisschen bequem machen.«
Ich hörte, wie er den Reißverschluss seiner Hose öffnete, und schloss die Augen. Dann stellte ich mir vor, was sich hinter diesem Reißverschluss verbarg, und rieb meine Schenkel aneinander. Mir wurde warm, und ich wünschte, ich hätte ihn wirklich vor mir.
»Du holst ihn schon raus?«, fragte ich mit gespielter Empörung. Gleichzeitig öffnete ich meine Hose und fuhr mit den Fingern über den seidigen Stoff zwischen meinen Beinen. »Und ich hab dich immer für einen so standhaften Typen gehalten.« Ich stellte mir vor, meine Finger wären Brians Zunge, und mir stockte der Atem.
Er lachte tief. »Bin ich auch. Besonders, wenn ich mir vorstelle, wie du meinen Schwanz im Mund hast. Wo sind deine Hände denn gerade, wenn ich fragen darf?«
Ich lachte. Auf frischer Tat ertappt, sozusagen. Umständlich zog ich mir mit dem Telefon am Ohr Hose und Slip aus. »Dort, wo deine Zunge sein sollte«, hauchte ich.
Er stöhnte. Ich hörte, wie er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr – vielleicht bildete ich es mir aber auch nur ein.
Glauben Sie mir: Brian hat mit Abstand die geschickteste Zunge in der Geschichte der Menschheit. Weitaus geschickter als jedes andere Exemplar, mit dem ich jemals Bekanntschaft gemacht habe. Ich presste mich tiefer in die Kissen. Meine Finger waren nur ein schwacher Ersatz. »Was machst du gerade?«, keuchte ich.
»Was glaubst du?«, fragte er, und ein wohlbekanntes Geräusch drang an mein Ohr. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sich seine Hand um seinen Schwanz schloss, und ich wurde noch feuchter. Ihm dabei zuzusehen, wie er es sich machte, erregte mich unglaublich.
Gerade als ich richtig auf Touren kam, verstummten jedoch am anderen Ende der Leitung plötzlich alle Laute und Kommentare, und es war nur noch schweres Atmen zu hören. Ich wusste, dass Brian noch nicht gekommen war – er war nicht der Typ, der dabei keinen Laut von sich gab. Ich versuchte den Frust zu unterdrücken, der in mir aufstieg, und hielt meine Hand still.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Nichts«, sagte er, immer noch außer Atem. »Aber da du morgen sowieso nach Hause kommst, würde ich lieber warten, bis ich dich in Fleisch und Blut vor mir habe.« Ich stöhnte – und Brian lachte. »Nur weil ich warten will, heißt das aber nicht, dass du das Gleiche tun musst.«
Geduld war noch nie meine Stärke gewesen, aber seine Worte klangen wie eine Herausforderung – und ich war es nicht gewohnt, Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. »Gut, dann warte ich auch«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Es dauert ja nicht mehr lange«, versicherte er mir. »Ich hol dich vom Flughafen ab.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, lieber nicht. Nach dieser ganzen Geschichte muss ich erst mal ein bisschen runterkommen. Du hättest nicht viel Freude an mir.« Ein bisschen Spaß am Telefon wäre drin gewesen. Aber mit Brian zu schlafen, bevor ich ihm alles über meinen kleinen Ausflug nach Topeka erzählt hatte – das widerstrebte mir dann doch.
»Lass das ruhig meine Sorge sein«, sagte er.
Trotz stieg in mir auf. Brian neigte manchmal dazu, mich einzuengen, und im Moment brauchte ich unbedingt meinen Freiraum.
»Ich rufe dich an, wenn ich zu Hause bin«, erklärte ich bestimmt.
Er zögerte, und ich befürchtete schon, er würde anfangen zu diskutieren. Aber dann tat er es doch nicht. »Willst mich wohl noch ein bisschen schmoren lassen«, stöhnte er.
Ich lehnte mich erleichtert in die Kissen zurück. Für gewöhnlich ließ er mich nicht so einfach davonkommen. Vielleicht verstand er mich langsam besser. Aber wenn ich ihn jetzt am ausgestreckten Arm verhungern ließ, konnte es gut sein, dass er morgen am Flughafen auftauchte.
Also setzte ich meine Hand in Bewegung und versuchte erst gar nicht, das leise Stöhnen zu unterdrücken, das in meiner Kehle aufstieg. Brian mochte sich in Enthaltsamkeit üben, bis er mich in Fleisch und Blut vor sich hatte. Aber meine Selbstbeherrschung kannte ihre Grenzen.
»Hast wohl doch keine Lust abzuwarten?«, fragte er mit einem kehligen Raunen, von dem ich eine Gänsehaut bekam.
»Überhaupt nicht.« Ich lauschte ins Telefon und hörte, wie sich sein Atem wieder beschleunigte. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie er mit den Fingerspitzen über die glatte, seidige Haut meiner empfindlichsten Stellen fuhr. Die Vorstellung fühlte sich beinahe schmerzhaft echt an, und ich seufzte leise.
»Willst du mich in den Wahnsinn treiben?«
Ein leises, belegtes Lachen kam aus meiner Kehle. »Kannst ja was dagegen tun.«
»Überhaupt nichts werd ich tun«, erwiderte er, aber ich konnte förmlich hören, wie er mit sich im Clinch lag.
»Ich bin pitschnass«, hauchte ich mit gespielter Unschuld. »Wär’s nicht schön, wenn du dich selbst davon überzeugen könntest?«
»Du bist ein ungezogenes Mädchen, Morgan.«
»Das bin ich – aber es macht verdammt viel Spaß, ungezogen zu sein.« Ich war kurz vorm Explodieren und musste aufpassen. Bevor ich mich meinem Orgasmus überließ, wollte ich sicher sein, dass auch er nicht mehr anders konnte.
»Ich bin brav wie ein Mönch«, keuchte er, aber die Geräusche, die aus dem Hörer kamen, vermittelten einen anderen Eindruck.
»Du willst mir doch nicht erzählen, dass das deine Nase ist, die da immer länger wird, mein kleiner Pinocchio.«
Sein Lachen klang schon fast verzweifelt. Ich stellte mir vor, wie der Schweiß auf seiner Haut glänzte und ein salzig-süßer Lusttropfen aus seiner Eichel hervorperlte. Ich biss mir hart auf die Unterlippe, weil ich kurz davor war, die Kontrolle zu verlieren.
»Spürst du, wie fest sich meine Finger um ihn schließen?« Ich war überrascht, dass ich noch in klaren Sätzen sprechen konnte.
»Nein«, protestierte er keuchend. Sein Kopf wollte vielleicht, dass ich aufhöre. Sein Körper aber ganz bestimmt nicht.
»Und? Spürst du’s?«, fragte ich wieder – und der halbherzige Protest, der daraufhin aus dem Hörer kam, sagte mir alles, was ich wissen musste. Ich ließ mich gehen und kam mit leisen Lustschreien zum Höhepunkt.
Brian gab ein resigniertes Stöhnen von sich und hörte endlich auf, gegen das anzukämpfen, wonach ihn im Grunde genauso sehr verlangte wie mich.
Danach gaben wir beide für eine ganze Weile nichts außer erschöpftem Keuchen von uns.
»Ich liebe dich«, sagte Brian, als er wieder etwas zu Atem gekommen war.
Ich seufzte zufrieden. »Ich dich auch.« »Ruf mich gleich an, wenn du wieder zu Hause bist.« »Mach ich«, sagte ich und kreuzte dabei die Finger hinterm Rücken wie ein zehnjähriges Mädchen. Ich würde ihn anrufen, sobald ich mich bereit dazu fühlte, und das wusste er auch. Im Stillen gelobte ich jedoch wenigstens, ihn nicht allzu lange zappeln zu lassen – und mich selbst auch nicht. So schön es auch gewesen war, zusammen mit ihm zu kommen: den Mann, den ich liebte, dabei in mir zu spüren, war doch etwas ganz anderes.
Noch beim Auflegen hatte ich die feste Absicht, mich vollständig auszuziehen und mir vielleicht sogar die Zähne zu putzen. Aber meine Arme und Beine fühlten sich so schwer an, dass ich mich stattdessen entschied, erst einmal ein paar Minuten die Augen zuzumachen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich immer noch so müde und benommen, als sei ich gerade erst eingeschlafen. Das war seltsam, denn laut meiner Uhr hatte ich volle zehn Stunden geschlafen und sollte mich einigermaßen frisch und erholt fühlen. Ich ging ins Bad, um zu duschen, und kaute dabei nachdenklich auf der Unterlippe.
Hatte ich etwa wieder geschlafwandelt? In den vergangenen Monaten war mir das öfter passiert, und danach hatte ich mich am nächsten Morgen auch immer wie erschlagen gefühlt. Allerdings war ich dabei immer mittendrin wach geworden. Nicht gerade ein angenehmes Gefühl übrigens, mitten in der Nacht plötzlich aufzuwachen und orientierungslos im eigenen Wohnzimmer zu stehen.
Heute war ich mir eigentlich sicher, die ganze Nacht durchgeschlafen zu haben – und fühlte mich trotzdem wie gerädert.
Vielleicht lag es an dem ganzen Stress, den ich in den letzten Tagen gehabt hatte. Ja, so musste es sein.
Während ich meine Koffer für den Trip zurück nach Philadelphia packte, fand ich jedoch eine eigenartige Notiz. Sie stand auf dem mit dem Schriftzug des Hotels versehenen Briefblock, der neben dem Telefon lag, und war in meiner Handschrift verfasst.
Der Dämon ist nicht in dich eingedrungen, weil du bereits besessen bist.
Verdammt. Schätze, ich war in der vergangenen Nacht doch mal kurz auf gewesen. Ich riss den Zettel von dem Block ab, knüllte ihn zusammen und warf ihn in den Mülleimer. Ein kaltes, klammes Gefühl breitete sich auf meiner Haut aus.
Anscheinend spielte mir mein Unterbewusstsein einen Streich. Als Exorzistin hatte mich die Frage, warum der Dämon nicht in mich eingedrungen war, im Schlaf weiter beschäftigt. Und im Laufe der Nacht war mein Unterbewusstsein offensichtlich auf die beunruhigendste Antwort gekommen, die sich überhaupt nur auf diese Frage finden ließ – und hatte mir dann beim Schlafwandeln diesen netten kleinen Gruß hinterlassen.
Nichts, worüber ich mir ernsthaft Sorgen machen musste. Wäre ich tatsächlich besessen, hätte der Dämon schließlich die volle Kontrolle über meinen Körper. Man kann nicht besessen sein, ohne es zu merken. Außerdem hatte Val meine Aura untersucht und mich als sauber eingestuft.
Doch von einem Dämon besessen zu sein war schon immer meine schlimmste Angst gewesen, weshalb ich auch diesen Beruf gewählt hatte. Aber gegen irrationale Ängste kann man mit rationalen Gedanken wenig ausrichten. Folglich jagte mir dieser blöde Zettel einen Schrecken ein, so sehr ich mich auch zu beruhigen versuchte.
Eines können Sie mir glauben: Sollte man in Topeka irgendwann wieder die Dienste eines Exorzisten benötigen -ich werde die Letzte sein, die sich freiwillig meldet.