DER GOTT AUS DER MASCHINE
1.25 Uhr
Der Nebel war nicht in den Schacht gedrungen. Völlig frei von Antikörpern und Makrophagen. Zuerst stiegen sie die Treppe nur langsam hinunter, Stufe um Stufe, dann immer schneller.
Fatboy trug seine Motorradkleidung, die fast vollständig aus Leder gefertigt war, aber Tane trug nur Jeans und die modische Lederjacke, die er sich beim Einkaufsbummel mit Rebecca gekauft hatte, vor ungefähr hundertfünfzig Jahren.
Er glaubte zwar, dass das Leder stark genug war, um die Antikörper abzuhalten, aber bei den Jeans war er nicht so sicher.
Unten an der Treppe im Erdgeschoss hatten sie ihre Motorradhelme liegen gelassen, die beide ein Vollvisier hatten. Es war beruhigend, die Helme wieder aufzusetzen. Sie boten wenigstens etwas Schutz.
Die Welt war still, als sie oben am letzten langen Treppenabschnitt standen. Sie befanden sich hier in der Eingangshalle des Casinos. Die riesigen Glastüren des Casinos waren aus Temperglas, das als bruchsicher galt und dicht verschlossen. Hielten die Welt – und damit auch den Nebel – fern.
Fatboy wollte auf die Lifttüren zugehen, aber Tane hielt ihn zurück.
»Wir schaffen es nicht bis zur Harley«, flüsterte er. »Wir brauchen irgendetwas, um uns vor ihnen zu schützen.«
»Woran denkst du?«, fragte Fatboy.
Tane deutete mit einer Kopfbewegung auf die riesigen Glastüren der Halle. Sie konnten Gestalten sehen, die sich draußen im Nebel bewegten; das blinkende rote Warnlicht der Feuerwehr, die weiter unten auf der Straße stand, ließ sie wie rot umrissene Silhouetten erscheinen.
Hastig gingen sie hinter dem Empfangstresen in Deckung.
»Das Feuerwehrauto?«, fragte Fatboy und runzelte die Stirn. »Sie würden uns meilenweit kommen sehen.«
»Es ist groß und stark«, meinte Tane. »Und von hier bis zum Princess Wharf geht es fast immer bergab, bis hin zur Hobson Street.«
Fatboy nickte zustimmend. »Ist jedenfalls einen Versuch wert.«
Noch mehr Gestalten irrten vor der Glastür im Nebel, als ob sie ihre Hoffnungen zunichte machen wollten. Plötzlich krachte es an den Glasflügeltüren, und sie duckten sich unwillkürlich, doch als sie wieder aufblickten, schien alles normal zu sein.
Doch schon krachte es erneut und dieses Mal begleitet vom Geräusch von splitterndem Glas.
»Hoffentlich wartet Rebecca noch auf uns, wenn wir ankommen«, sagte Tane.
Fatboy lächelte gezwungen. »Erst mal müssen wir es bis zum Feuerwehrauto schaffen. Wie machen wir das?«
Das regelmäßig blinkende Warnlicht schien sie herbeiwinken – oder in die Fänge der Schneemänner locken zu wollen.
»Sturmlauf wird wohl das Beste sein, denke ich«, überlegte Fatboy. »Wir rasen direkt hinüber und springen in den Wagen, bevor sie uns erwischen können.«
»Das schaffen wir nicht«, sagte Tane zweifelnd.
»Wir können nicht ewig hierbleiben.«
Tane nickte. »Okay, aber ich brauche etwas Dickeres als nur die Jeans an den Beinen, sonst habe ich überhaupt keine Chance.«
Er blickte sich in der Halle um. Auf der einen Seite stand der lange Tresen der Rezeption. In der Mitte befand sich der Tisch der Empfangsdame und auf der anderen Seite ein ziemlich großes Café, daneben ein Souvenirladen. Vielleicht würde er dort etwas finden?
Der Laden war verschlossen, aber Tane schlug das Schaufenster mit einem Abfalleimer aus Metall ein. Vorsichtig stiegen sie über die Glasscherben.
»Selbst wenn wir ein paar Plastik-Tikis vor uns hertragen, werden sie uns nicht vom Leib bleiben«, bemerkte Fatboy.
Sie fanden Baseball-Kappen mit dem Neuseeland-Logo, Schals, Gürtel, Wollmützen; T-Shirts hingen an einem Metallständer mitten im Raum. Tane experimentierte gerade mit den T-Shirts, die er um seine Beine zu wickeln versuchte, als Fatboy rief: »Komm mal hier rüber.«
In einer Ecke lag ein Stapel Schaffelle, dick und wollig. Ein beliebtes Souvenir bei Touristen, die ein Land besuchten, in dem achtzig Millionen Schafe lebten. Tane strich über die lederne Rückseite und nickte. »Das muss reichen.«
Er wickelte ein Schaffell um jedes Bein und band sie mit teuer aussehenden Ledergürteln fest. Ein weiteres Schaffell band er um den Bauch.
Er stellte den Kragen der Lederjacke hoch und band als zusätzlichen Schutz einen dicken Wollschal um den Hals. Schließlich zog er Lederhandschuhe an.
»Wie seh ich aus?«, wollte er wissen.
»Mää-mää«, blökte Fatboy.
Tane stutzte und dachte kurz darüber nach. Er nahm ein weiteres Schaffell und drapierte es um seine Schultern, wobei er die Ecken mit einer riesigen Sicherheitsnadel über der Brust befestigte.
»Gestalterkennung!«, sagte er. »Die Antikörper erkennen ja nur bestimmte Gestalten. Erinnerst du dich an Vicky Greens Zeichnung mit den Kreisen und den Dreiecken und den Stängeln? Wenn wir unsere Gestalt verändern, kann es sein, dass sie uns nicht erkennen!«
Fatboy griff nach einem Schaffell. »Cleveres Bürschchen, der Kleine.«
Und wenn das nicht funktionierte, würden die Felle trotzdem ein wenig mehr Schutz gegen die Kreaturen bieten.
Sie betrachteten sich einen Moment lang gegenseitig und mussten lachen – trotz der gefährlichen Situation oder gerade deshalb.
Der Lärm am Eingang war immer lauter geworden; auch das bruchsichere Glas der Türen würde wahrscheinlich dem Druck nicht mehr lange standhalten können.
»Dort kommen wir nicht mehr durch«, rief Fatboy. »Vielleicht mit dem Lift runter und durch die Tiefgarage und den Seitenaus…«
Die beiden riesigen Glastüren zerbarsten gleichzeitig. Der Nebel strömte ins Casino. Und mit dem Nebel kam das furchtbare Zischen. Im Nebel wimmelte es von Antikörpern. Hunderte von Antikörpern. Und dahinter tappten die großen Makrophagen herein.
»Los, komm schon!«, schrie Fatboy und raste quer durch die Casinohalle.
Tane riskierte einen Blick über die Schulter. Schon hatte sich der Dunst in der Halle ausgebreitet, der mit jeder Sekunde dichter wurde. Die Makrophagen folgten ihnen, aber langsam, als wateten sie durch hüfthohes Wasser.
»Sie sind langsamer geworden«, brüllte Tane. »Der Nebel ist noch zu dünn – sie können sich darin nicht so schnell bewegen.«
Mitten im Raum befand sich die Liftanlage. Die Tür des Lifts, den sie bereits benutzt hatten, stand offen. Sie liefen hinein, und Tane drückte hastig auf die Taste zur ersten Ebene der Tiefgarage. Nichts regte sich.
»Scheiße!«, brüllte er.
Vor dem Lift tappten die ersten Makrophagen um die Ecke des Liftschachts und kamen auf sie zu, fast wie in Zeitlupe.
Tane rammte noch einmal den Finger auf die Taste, während Fatboy auf die Taste drückte, mit der sich die Lifttür schließen ließ.
Die weißen Gestalten kamen noch näher und versperrten den Fluchtweg. Tane drückte sich in eine Liftecke und streckte die Hände aus, als könne er so die Makrophagen von sich fernhalten. Fatboy richtete sich zu voller Höhe auf, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte den Ungeheuern trotzig entgegen. Die ersten Makrophagen hatten gerade die Lifttür erreicht, als sie sich plötzlich schloss.
Ein paar Sekunden später ertönte ein leiser Gong, und sie öffnete sich wieder. Sie blickten in eine dunstige, düstere Parkebene. Graue, dunstverhangene Betonwände ringsum. Nur ein schmaler Streifen Nebel kroch langsam auf den Zufahrten von den darüber liegenden Parkebenen herunter und wurde dort von den großen Frischluftventilatoren buchstäblich zerstäubt, die normalerweise gegen die Autoabgase ankämpften.
»Hier lang!«, rief Fatboy und deutete auf das Zeichen »Ausfahrt«.
Es war unheimlich, durch den unterirdischen Dunst zu laufen. In der Nähe flackerte eine halb defekte Neonlampe, die wie eine Art Stroboskop durch den dünnen Dunst drang. Ihre Schritte hallten in schnellem Stakkato von den kahlen Betonwänden zurück.
Jeden Augenblick mussten sie mit Antikörpern und Makrophagen rechnen, die sich aus dem Nebel über sie hermachen würden, aber nichts davon ließ sich blicken. Hier unten in der Tiefgarage war der Nebel für die Kreaturen einfach noch zu dünn.
Sie rannten eine lange Auffahrtsrampe hinauf, erreichten die nächste Ebene, liefen eine weitere Rampe hinauf und sahen endlich ein Schild: »Ausfahrt Hobson Street«.
Die Ausfahrt erwies sich als lange Kurve, die sie aus dem Gebäude in den dichteren Nebel führte.
»Langsam bewegen«, sagte Tane. »Crowe sagte, sie fühlen Bewegungen im Nebel.«
Sie ließen sich auf alle viere nieder und krochen, langsam und vorsichtig weiter, wobei sie versuchten, den Nebel so wenig wie möglich aufzuwirbeln. Am Ende der Ausfahrtspur kamen sie an den Parkhauskassen und den Ausfahrtschranken vorbei und gelangten endlich auf die Straße vor dem Gebäude.
Der Löschzug der Feuerwehr stand kaum fünfzig Meter weit entfernt, mitten auf einer Kreuzung, aber in dem dichten Nebel sahen sie nur undeutlich die Warnleuchten blinken. Von der Besatzung war nichts zu sehen, aber das hatte Tane auch gar nicht erwartet. In der Ferne bellte ein Hund wie verrückt.
Die Straße selbst konnten sie kaum sehen – als gäbe es sie gar nicht.
Tane schob seinen Helm dicht an Fatboys Kopf und flüsterte: »Nicht sprechen, nur wenn es nicht anders geht. Sie reagieren auch auf Geräusche.«
Aus der Richtung des Löschzugs kam ein scharfes Zischen, das immer lauter wurde. Tane und Fatboy erstarrten. Tane zeichnete rasch ein Kreuz über sein Visier, eine Warnung, dass sie nicht einmal mehr atmen sollten.
Zwei Makrophagen schossen plötzlich an ihnen vorbei. Sie bewegten sich sehr schnell, hielten aber nicht an. Tane und Fatboy, die regungslos auf dem Asphalt am Ende der Ausfahrt knieten, schienen sie nicht zu bemerken. Kurz darauf trieben auch ein paar Antikörper im Nebel vorbei.
Tane wartete, bis das Zischen nicht mehr zu hören war, dann tippte er Fatboy leicht auf die Schulter.
Sie mussten noch einmal anhalten, als eine weitere Makrophage von rechts auftauchte und direkt vor ihnen mit lautem Zischen stehen blieb. Tane war absolut sicher, dass sie sie erspürt hatte, und worauf sie jetzt wartete, wollte er sich lieber nicht vorstellen. Er schloss die Augen und hielt den Atem an. Wie war es, wenn man von diesem Ding verdaut wurde? Tat es weh, oder war es ganz schnell vorbei? Langsam öffnete er wieder die Augen, rechnete damit, vernichtet zu werden, aber nach einer Weile glitt die Makrophage einfach weiter, und das Zischen verklang im Nebel.
Tane spähte vorsichtig um die Ecke des Casinos, um festzustellen, ob sich Makrophagen in der Nähe des Löschzugs aufhielten. Doch im dichten Nebel konnte er nicht weit sehen. Im Nebel waren die Gestalten fast unsichtbar, und solange sie sich nicht bewegten, war auch ihr Zischen nicht zu hören.
Das Hundegebell klang jetzt viel näher, aber das Tier selbst war nicht zu sehen.
Doch aus derselben Richtung hörte Tane das verräterische Zischen, und das Gebell wurde noch lauter. Der Hund brauchte keine Angst zu haben, dachte Tane verbittert, die Makrophagen waren nur hinter menschlichen Zellen her.
Er kroch einen Meter weiter, dann noch einen, und plötzlich schoss aus dem Nebel eine dunkle Gestalt mit irrem Gebell heran. Der Hund blieb ein paar Schritte entfernt stehen und fletschte bösartig die Zähne, knurrte und bellte und schnappte wütend nach ihm.
Tane zuckte unwillkürlich zurück und richtete sich auf.
Sofort war aus drei verschiedenen Richtungen das Zischen zu hören, das sich rasend schnell näherte.
»Los!«, brüllte Fatboy und sprang auf.
Die Tür des Fahrerhauses stand weit offen.
Tane warf sich hinein und hörte, wie Fatboy die Tür hinter sich zuschlug.
Doch auf der Fahrerseite war das Fenster heruntergelassen, und Tane tastete verzweifelt nach der Kurbel, fand sie und kurbelte wie irre das Fenster hoch.
Da krachte es schon an der Tür, aber das Metall und das bruchsichere Glas hielten stand. Tane sah kurz eine der aufgeblähten Makrophagen vor dem Fenster auftauchen, zwang sich aber, sich auf das zu konzentrieren, was er jetzt zu tun hatte.
Vor der Windschutzscheibe sah er drei oder vier Makrophagen auftauchen.
»Fahr los!«, brüllte Fatboy und tastete hektisch über die Schalter auf der Beifahrerseite.
Fahren? Wie denn? Tane hatte noch nie im Leben einen Löschzug der Feuerwehr gefahren, aber Fatboy vermutlich auch nicht. Endlich entdeckte er den Schlüssel, der nicht an der Lenkradsäule, sondern vor ihm im Armaturenbrett steckte, und drehte ihn um. Der Motor röhrte auf.
Gangschaltung … wo war die Gangschaltung? Der Truck hatte Automatikgetriebe, wie im plötzlich klar wurde, und er schob den Hebel auf Drive.
Dann entdeckte er auch die Handbremse und löste sie, gleichzeitig trat er den Gashebel fast durch. Der Truck ruckte heftig an und schoss voran. Von der Motorhaube kam ein lautes Krachen – zwei der Makrophagen verschwanden, er sah Stücke ihrer Körper an der Windschutzscheibe vorbeiwirbeln. Er riss das Steuer herum und lenkte den Wagen die Hobson Street entlang, in Richtung des Hafens.
Die dichte Wolle der Schaffelle war übersät von Antikörpern, die sich mit ihren Y-förmigen Körpern dicht aneinanderfügten und ihn wie ein entsetzliches Flickmuster bedeckten. Ein paar waren auf seinem Visier gelandet, die er wegfegte, aber er hatte keine Zeit, sich gegen die übrigen zu wehren.
Wieder hämmerte es auf allen Seiten gegen die Türen und den Aufbau des Löschzugs.
»Hab ihn!«, schrie Fatboy plötzlich und packte einen riesigen Joystick, der vor ihm aufragte. Ein scharfer Wasserstrahl schoss über ihnen aus dem Fahrzeug und über die Straße. Fatboy riss den Joystick hin und her, und der Wasserstrahl folgte den Bewegungen.
»Volle Pulle!«, brüllte Fatboy.
Und Tane gab volle Pulle. Er trat das Gaspedal voll durch und der starke Motor beschleunigte gleichmäßig.
Wieder tauchte eine Gruppe Makrophagen vor ihnen aus dem Nebel auf. Fatboy schwenkte den Wasserstrahl über die gesamte Gruppe und zerlegte sie in Stücke.
Das Hämmern kam jetzt von allen Seiten des Feuerwehrwagens und sogar von oben.
Hinter ihnen zersplitterte ein Fenster, fast gleichzeitig zerbarst auch die Windschutzscheibe, als eine riesige Makrophage gegen das Glas krachte und dann seitwärts abrutschte.
Das Mercedes-Cabrio, das sie früher gesehen hatten, stand quer mitten auf der Straße, die Motorhaube war völlig eingedrückt und steckte in einem anderen verlassenen Auto. Tane erwischte es am Heck, sodass es herumgerissen und in die Luft geschleudert wurde. Es flog über das andere Auto hinweg und krachte mit der Oberseite nach unten auf den Gehweg.
Fatboy fegte immer noch mit dem Wasserstrahl vor ihnen die Straße – schoss eine Schneise durch die immer dichter herandrängenden Makrophagen.
Der Feuerwehrtruck raste über die Kreuzung der Fanshawe Street, wobei Tane unterwegs mit einer Ampel kollidierte, aber das konnte ihn nicht aufhalten.
Tane hielt den Truck strikt auf Kurs, über die Überführung hinweg, und gab noch mehr Gas, als sie links die Tepid Baths vorbeifliegen sahen.
Dann blies plötzlich ein heftiger Windstoß vom Harbour her, fast so stark wie die Bö, die sie beinahe vom Sky Tower gefegt hätte. Der Wind war so stark, dass er den dichten Nebel für einen kurzen Augenblick aufwirbelte und zurücktrieb.
Ein winziges Zeitfenster, durch das sie ihr Schicksal sahen.
Sie würden es nicht bis zum Princess Wharf schaffen. Niemals konnten sie zum Meer vorstoßen.
Der aufgewirbelte Nebel hatte eine Sekunde lang den Blick auf das freigegeben, was ihnen bevorstand: eine Armee von Makrophagen, Reihe um Reihe, Kolonne um Kolonne. Sie standen quer über die Quay Street bis hinüber zur Zufahrt der Hafenmole. Tausende, Abertausende. Genau an der Stelle, an der er sich mit Rebecca dem Protestmarsch gegen den Walfang angeschlossen hatte, hatten sich nun die Makrophagen zu ihrem Protestmarsch gegen die Menschheit versammelt.
Nicht einmal eine Feuerwehr mit Höchstgeschwindigkeit würde sich den Weg durch eine solche Masse von Kreaturen bahnen können.
»Tane!«, gellte Fatboys Stimme, und Tane sah plötzlich das weiße Gesicht einer Makrophage in der Fahrerkabine, keinen Meter von seinem eigenen Gesicht entfernt. Auf Fatboys Seite hatte die Tür den Kampf gegen die anstürmenden Makrophagen verloren und hing verkrümmt und mit zertrümmerter Scheibe an einem Scharnier herunter.
Tane schrie und verlor die Kontrolle über den schweren Truck. Der Feuerwehrzug schwenkte zur Seite und raste auf die Betonbrüstung der Überführung zu.
2.05 Uhr
Die Stimme seines Einsatzleiters bellte eine Anweisung, und Ramirez zog die Maschine in eine steile Kurve. So weit er blicken konnte, bot sich dasselbe Bild: weißer Nebel.
»Verstanden«, antwortete Ramirez. Sie wollten, dass er ein letztes Mal im Tiefflug über die Verteidigungslinie flog, um Informationen über die Lage der Bodentruppen zu beschaffen.
Er zog den Düsenjäger noch einmal in eine Kurve und ging in den Sinkflug über. Er näherte sich von Norden. Jagte auf den Sky Tower zu, der in der Ferne aus dem Nebel ragte.
Ramirez kam so steil herunter, dass es fast ein Sturzflug war. Er schoss auf den Nebel zu und fegte dann so knapp darüber hinweg, dass seine Maschine wie ein Stein aussah, der über flaches Wasser geflippt wurde. Ramirez versuchte, Löcher im Nebel auszumachen, um einen Blick auf den Boden zu erhaschen, aber der Nebel hatte sich so verdichtet, dass er buchstäblich undurchdringlich geworden war.
Er schüttelte den Kopf und wollte gerade die Leitstelle informieren, als ihm die Worte auf den Lippen gefroren. Der Nebel wallte plötzlich vor ihm auf und schien nach seinem Flugzeug zu greifen.
Ramirez’ Welt wurde weiß. Etwas polterte gegen Rumpf und Cockpit.
Er riss das Steuerruder zurück, um die Maschine steil aus dem Nebel hochzuziehen, aber es war schon zu spät. Vom rechten Flügel kam ein stotterndes Geräusch, und der Motor spuckte grelle Flammen. Etwas war in den Motor gesaugt worden. Zwei Sekunden später schossen auch aus der linken Düse Flammen.
»Mayday, Mayday, Mayday«, sagte Flight Lieutenant Ramirez drängend, aber mit professioneller Ruhe. »Triebwerkausfall, Flammen beidseitig. Ich steige aus.«
Er versuchte, so hoch wie möglich zu steigen, und drückte dann auf den Knopf, der den Schleudersitz auslöste. Das System kickte ihn mit einer Wucht aus der Maschine, die ihm den Magen in die Kniekehlen trieb, und der flammende Jet schoss wie eine Sternschnuppe weiter über den Himmel, ohne Piloten und direkt auf den Turm zu.
Ramirez’ Fallschirm öffnete sich mit einem scharfen Ruck, den er schmerzhaft durch das ganze Rückgrat und in jeder Faser seiner Eingeweide spürte. Er war sicher, dass irgendwelche Knochen gebrochen waren. Aber das spielte ohnehin keine große Rolle mehr. Denn als der Fallschirm sanft auf die Erde schwebte, waren Gurte und Pilotenanzug leer.
2.05 Uhr
Alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen. Im einen Augenblick kam die Kreatur auf ihn zu, im nächsten Augenblick tauchte Fatboy neben ihm auf und zielte mit einem glänzenden Gegenstand auf die Makrophage.
Tane begriff zunächst nicht, was Fatboy in der Hand hielt, doch als es in die Makrophage schnitt und sie buchstäblich in Stücke hackte, sah er, dass es die Jadekeule war, Fatboys Patu pounamu.
Die weiße Gestalt taumelte zurück, aber Fatboy gab nicht auf und stieß weiter zu, mit so schnellen Hieben, dass das Patu wie ein grüner Blitz aussah. Fatboy sang, er sang in Maori, und das Blut seiner Vorfahren rauschte durch seine Adern.
Aber die Kreatur griff wieder an, schon umschloss ihr weißes Fleisch Fatboys Arm. Er stieß einen furchtbaren, markerschütternden Schrei aus, und die Keule fiel zu Boden.
Der Truck schleuderte auf die Betonbrüstung zu, Funken sprühten hoch, als das Metall an der Betonmauer entlangkreischte. Widerwillig riss Tane den Blick los und schaute für eine Sekunde wieder auf die Straße, riss das Steuer herum und konnte mit knapper Not einem schmutziggrauen Brückenpfeiler ausweichen.
Als er wieder zu Fatboy hinüberblickte, sah er ihn gerade noch mit der Makrophage durch die offene Tür stürzen.
Doch im Fallen rief er, verzweifelt, aber doch unbesiegt: »Rette die Welt, Tane!«
Dann war er verschwunden.
»Harley!«, schrie Tane, außer sich vor Entsetzen.
Aber für Trauer war keine Zeit und auch keine Zeit, um die schiere Ungeheuerlichkeit der Katastrophe zu begreifen, die soeben geschehen war. Das musste bis später warten. Über ihm krachte es wie ein Donnerschlag. Er warf einen kurzen Blick durch das zerschmetterte Beifahrerfenster in den ausgedünnten Nebel und sah, dass ein Kampfflugzeug in einen Wolkenkratzer gestürzt war und auf dem Boden vollends zerschellte.
Das Wrack des Flugzeugs explodierte auf der Quay Street, nicht weit von Tane entfernt. Wrackteile flogen durch die Luft. Tane blieb keine Zeit zu bremsen oder den brennenden Wrackteilen auszuweichen. Das brennende Kerosin und die Wrackteile bildeten eine feurige Narbe, die über die Straßen schnitt.
Die Druckwelle zerschmetterte die restlichen Fenster des Feuerwehrtrucks, und Tane reagierte instinktiv und duckte sich hinter das Armaturenbrett, um nicht als hässlicher Schmierfleck auf den Wänden der Fahrerkabine zu enden.
Überall loderten jetzt Flammen empor, eine Barriere aus Feuer, aber dann war auch sie schon vorbei. Erst nach einer Weile wurde ihm klar, dass die gewaltige Explosion die Ränge der Makrophagen beträchtlich dezimiert hatte. Hunderte waren auf der Stelle in Stücke zerfetzt worden, viele andere wurden über den Rand der langen Mole in den Ozean geschleudert, wo sie nun Blasen warfen und zischten. Das Meer färbte sich weiß.
Wieder andere verschwanden unter den kreischenden Rädern des Feuerwehrtrucks, der jetzt völlig außer Kontrolle war und an der Hafenmauer entlangscheuerte.
Ein kleines Café hatte seine vielen Tische und Stühle im Freien aufgestellt; jetzt lagen überall nur noch Bruchstücke herum. Der Löschzug raste heran, Tane versuchte nach links auszuweichen, aber das starke Sicherheitsgeländer lenkte ihn wieder auf geraden Kurs.
Tane klammerte sich benommen an den Türrahmen. Er sah, wie Cafés, Restaurants und Apartments vorbeiflogen, und musste ohnmächtig zusehen, wie das Sicherheitstor am Ende der Kaimauer rasch näher kam.
Jetzt griffen die übrig gebliebenen Makrophagen erneut an, warfen sich mit voller Kraft gegen den schwer demolierten Löschzug.
Eine sprang direkt auf die Motorhaube, taumelte über Scherben und verbogene Aluleisten heran und griff nach Tane. Im selben Moment krachte es, und Tane wurde gegen das Armaturenbrett geschleudert. Blut strömte aus seinem Kopf, und die Makrophage wurde rückwärts über die Betonmauer ins Meer katapultiert.
Tane nahm nur vage wahr, dass das Geländer durch den Aufprall und Schwung des Feuerwehrwagens zerschmettert wurde. Eine seltsame Stille trat ein, die nur durch das Heulen des Motors durchbrochen wurde, und dann flog ihm der Ozean entgegen.