FTBY DNT GO
Donnerstag, 31. Dezember, 9.30 Uhr
Fatboy war zu Goony gefahren, um zwei Overalls zu besorgen, und während er weg war, kam Rebecca herein und setzte sich neben Tane. Sie legte ihm die Hand auf den Arm.
»Wo sind wir da nur reingeraten?«, fragte sie.
Tane gab keine Antwort. Es gab auch nichts zu antworten.
Aber er legte seine Hand auf ihre und sie beugte sich vor, bis ihre Stirn seine Stirn berührte.
»Wir sind schon so lange gute Freunde«, sagte sie.
»Seit ewig«, nickte Tane.
»Und es wäre doch ziemlich seltsam, wenn du etwas anderes denken würdest«, fuhr sie fort.
»Ja, echt seltsam«, stimmte Tane zu.
»Aber …«, sagte sie leise.
Tane wich ein wenig zurück und schaute sie an. »Aber … was?«
»Aber …«
Die Haustür krachte ins Schloss, und Fatboy polterte ins Zimmer, zwei saubere weiße Overalls über dem Arm, die auf Brust und Rücken in großen Lettern die Aufschrift »JetSatCom« trugen.
»Sie sind echt!«, erklärte er stolz. »Goony hat mal bei der Firma gearbeitet.«
Tane stand schnell auf, verlegen und irgendwie schuldbewusst, obwohl er nicht wusste, warum. Er hielt einen der Overalls hoch und betrachtete ihn.
»Hat er denn nicht wissen wollen, wozu du sie brauchst?«, fragte er.
Fatboy nickte. »Doch, das wollte er. Ich hab ihm die Antwort bar auf die Kralle gegeben. Tausend Kröten.«
Tane lachte und warf Rebecca einen kurzen Blick zu. Sie schaute ihn nicht an.
»Wann machen wir es?«, fragte sie Fatboy. »Wann installieren wir das Chronophon?«
»Die Sicherheitsvorkehrungen sind unser größtes Problem«, erklärte Fatboy. »Im Tower befindet sich das Casino, also werden sie besonders scharfe Sicherheitseinrichtungen haben. Heutzutage laufen alle möglichen Terroristen herum. Sie werden jeden misstrauisch beobachten, der mit einem Koffer im Sky Tower herumspaziert.«
»Sogar dich in deinem hübschen neuen Overall?«, fragte Tane.
»Sogar mich in meinem Overall«, nickte Fatboy.
Die Satellitenschüssel, die sie benutzen wollten, gehörte JetSatCom.
Tane hatte den Namen der Firma sorgfältig auf den Deckel des Aluminiumkoffers gemalt, sodass der Koffer wie ein Werkzeugkoffer aussah.
»Bist du sicher, dass du das ganz allein durchziehen willst?«, fragte Rebecca. »Wäre es nicht besser mit zwei Leuten?«
Fatboy schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir nun wirklich genug diskutiert. Ihr beide seht einfach nicht alt genug aus, um als Techniker von JetSatCom durchzugehen.«
In gewisser Hinsicht wünschte sich Tane, dass er gehen dürfte. Das hier war schließlich der Höhepunkt der ganzen Sache mit dem Chronophon, der größten Erfindung seit dem Telefon oder seit dem Flugzeug oder vielleicht sogar der größten Erfindung, die jemals gemacht wurde. Und er, Tane Williams, hatte sich die Sache ausgedacht, es war seine Idee! Und niemand wusste es! Vielleicht würde es niemals jemand erfahren. Es kam ihm sehr ungerecht vor, dass er bei diesem entscheidenden Augenblick nicht dabei sein durfte.
In anderer Hinsicht allerdings war er froh, nicht gehen zu müssen. Goony hatte ihnen eine Skizze der obersten Sektion des Sky Tower gezeichnet. Fatboy würde mit dem Lift zweihundert Meter nach oben fahren, dann in einen anderen Lift umsteigen, der ihn die restlichen fünfzig Meter bis zum Sky Deck bringen würde. Von dort führten innere Leitern zum Krähennest, wie Goony die winzige Plattform nannte, die in dreihundert Metern Höhe außen am Sky Tower hing. Aber das war noch nicht das Ende der Kletterei. Die JetSatCom-Satellitenschüssel war zusammen mit vielen anderen noch einmal fünfzehn Meter über dem Krähennest installiert – und der einzige Zugang führte über eine weitere Leiter, die sich an der Außenseite der obersten Metallspitze des Turms befand.
Das alles musste er bewältigen, während er den schweren Metallkoffer mit sich schleppte. Dazu brauchte man wirklich gute Nerven und ziemlich viel Kraft.
»Besser, wir bringen es bald hinter uns«, sagte Fatboy entschlossen.
Tane spürte, dass Fatboy wegen des Aufstiegs nervöser war, als er eingestehen wollte. »Viel Glück«, sagte er, als Fatboy in den Overall stieg.
»Letzter Testlauf?«, fragte Rebecca.
»Wird wohl besser sein«, antwortete Fatboy.
Sie hatten das Chronophon immer wieder getestet. Das Letzte, was passieren durfte, war, dass das Gerät versagte, wenn es auf der Turmspitze installiert war.
»Ich mache das.« Tane verschwand in Rebeccas Zimmer, wo ihr Laptop auf einem kleinen Schreibtisch stand.
Er öffnete das Programm, das Rebecca geschrieben hatte, und tippte »Viel Glück Fatboy« ein, dann klickte er auf SENDEN.
Der Sender, der am Laptop angeschlossen war, schickte nun die Message an den Empfänger, den Goony in das Chronophon eingebaut hatte. In dem Metallkoffer würde auf einem kleinen Display genau der Text aufleuchten, den er gerade eingetippt hatte. Im Moment würde das Signal dort enden. Erst wenn das Chronophon an die große Satellitenschüssel auf dem Sky Tower angeschlossen war, würde das Gerät das Signal an die Gammastrahlenblitze weiterleiten.
Von der Küche kam kein »Okay« als Empfangsbestätigung, deshalb versuchte er es noch einmal. »SCHAU NICHT RUNTER« tippte er dieses Mal und schickte die Message ab.
Immer noch keine Reaktion aus der Küche, was ihm reichlich seltsam vorkam. Bei allen vorangegangenen Tests hatte das Gerät einwandfrei funktioniert.
Er wollte gerade zur Küche gehen, um zu schauen, was los war, als ein Icon in einer Ecke des Monitors zu blinken begann.
Noch eine Botschaft!
Rebeccas Software checkte stündlich die NASA-Website nach neuen Swift-Botschaften und decodierte sie automatisch.
Er klickte auf den blinkenden Icon und öffnete das Fenster, in dem sich die Swift-Messages lesen ließen. Wie gewöhnlich war es ein einziges kryptisches Durcheinander von Buchstaben und Ziffern. Sie würden so schnell wie möglich herausfinden, was die neue Mitteilung zu bedeuten hatte.
FTBYDNTGO.
WTRBLSTMPS.
DSVLETHM.
SLTABS.
DNTABSRB .
Auch in früheren Mitteilungen gab es Sequenzen, die sie noch nicht vollständig verstanden hatten.
WTRWKS zum Beispiel.
Er ließ die Mitteilung ausdrucken, wartete aber nicht darauf, sondern lief zur Küche. Wir beide können uns darum kümmern, sobald sich Fatboy auf den Weg gemacht hat, dachte er.
Wir beide. Das klang gut und gefiel ihm. Was hatte ihm Rebecca sagen wollen, bevor Fatboy hereinstürzte und alles verdarb? Sein Herz klopfte heftig. Hatte sie ihm sagen wollen, dass sie mehr als nur gute Freunde sein könnten? Das war es, ganz sicher. Sie kannten sich schon so lange, und jetzt endlich war es so weit … vielleicht?
Er lief den kurzen Flur entlang und stürmte durch die Schwingtür.
Das Chronophon stand geöffnet auf dem Küchentisch. Sogar von der Tür aus konnte er die Worte »SCHAU NICHT RUNTER« auf dem Display lesen.
Fatboy jedoch konnte sie nicht lesen. Rebecca auch nicht. Fatboy hatte die Arme um sie gelegt, und sie hatte die Arme um ihn gelegt, und sie waren verloren in ihrer eigenen Welt. Als Tane eintrat, trafen sich ihre Lippen.
Tane stockte der Atem. Ein Würgereiz stieg tief aus ihm hoch, sein Mund füllte sich mit ekelhaftem, gallenbitterem Geschmack. Er schluckte heftig, verschluckte sich, musste heftig husten. Seine Kehle brannte. Rebecca und Fatboy blickten auf, fuhren erschrocken auseinander.
»Was ist los, Tane?«, fragte Rebecca erschrocken und trat einen Schritt von Fatboy weg.
Tane starrte sie beide an, schluckte krampfhaft, um den Geschmack im Mund loszuwerden.
»Was ist denn?«, fragte auch Fatboy.
Er schaute noch einmal zwischen beiden hin und her. »Nichts«, sagte er, aber er hörte, wie gepresst es klang. In seinen Ohren dröhnte es, und eine Sekunde lang verschwamm alles vor seinen Augen. »Nichts!«, lachte er gezwungen. »Ich dachte, das Chronophon funktioniert nicht mehr, weil ich keine Antwort von euch bekommen habe, aber jetzt sehe ich, dass alles okay ist.« Mit einer verlegenen Geste deutete er auf das Display.
Fatboy las die Mitteilung und lachte.
Rebecca warf Tane einen eigenartigen Blick zu und sagte: »Wir haben nur voneinander Abschied genommen.«
»Klar«, sagte Tane. »War ja deutlich zu sehen.«