ZETA
Donnerstag, 31. Dezember, 12.50 Uhr
Tane beobachtete die Schimpansin, die wiederum ihn beobachtete. Es waren eigentlich zwei Schimpansinnen, aber nur eine von ihnen beobachtete ihn. Die andere beobachtete Rebecca. Tanes Affe wurde Z2 genannt, jedenfalls stand das auf seinem Käfig. Rebeccas Affe hieß Z1.
Z1 war jünger als Z2, soweit Tane es beurteilen konnte, aber schließlich war er kein Experte für Schimpansen-Altersbestimmung. Aber in Z2 s Augen lag ein weiser, fast feierlicher Ausdruck, und das galt auch für die Art und Weise, in der sie im Käfig saß, aufrecht, stattlich, die Hände im Schoß gefaltet. Das Gesicht eines traurigen alten Clowns.
Z1 hatte eher einen durchtriebenen Gesichtsausdruck. Schelmisch, wenn man einen Schimpansen überhaupt als Schelm bezeichnen konnte. Vielleicht wäre »schelmpansisch« das bessere Wort, dachte Tane.
Die Käfige standen fast in der Mitte eines Raumes, der normalerweise als Hauptrestaurant eines modischen neuen Hotels in der Küstenstadt Orewa genutzt wurde.
Man hatte die beiden Schimpansenkäfige auf hochglanzpolierte Holztische gestellt. Die anderen Tische waren mit Reagenzgläsern und Petrischalen bedeckt, mit denen Männer in schwarzen Raumfahreranzügen, aber mit offenen Visieren, beschäftigt waren.
In der Mitte des Saals standen drei Tische, auf denen ein großes, langes Etwas stand, das mit einem weißen Tischtuch bedeckt war.
Rebecca und Tane saßen still da. Die Soldaten, die sie hierhergebracht hatten, hatten sie nicht gerade zum Reden ermuntert, aber Tane vermutete, dass Rebecca ihm ohnehin nicht viel zu sagen gehabt hätte, wenn sie hätten reden dürfen. Nichts Nettes jedenfalls.
Er blickte auf die Armbanduhr. Der Minutenzeiger tickte langsam dahin. Wie lange waren sie schon hier? Es kam ihm zwar wie Stunden vor, aber er dachte, dass kaum mehr als eine Dreiviertelstunde vergangen sein konnte, seit der schwarz gekleidete Sturmtrupp das Haus gestürmt hatte. Wo war Rebeccas Mutter?, fragte er sich. Hatte man auch sie verhaftet?
Der Sturmtrupp im Haus hatte aus neuseeländischen Soldaten bestanden, wahrscheinlich SAS-Leute. Aber diese hier waren keine Neuseeländer. Sie sprachen nur leise miteinander, mehr ein Gemurmel, aber alle hatten einen amerikanischen Akzent. Jedenfalls erkannte Tane die Uniformen, die Astronautenanzüge. Das waren dieselben Leute, denen sie auch schon auf der Insel begegnet waren.
Tane und Rebecca warteten und beobachteten die Schimpansen. Die Schimpansen beobachteten Tane und Rebecca ebenfalls, bis es ihnen zu langweilig wurde und sie anfingen, einander zu beobachten oder mit den Zeitungen zu spielen, mit denen man ihre Käfige ausgelegt hatte.
Nach einer Weile ging die Tür auf und ein groß gewachsener Mann trat ein. Er redete in ein Mobiltelefon. Tane erkannte ihn sofort wieder: der Anführer der Soldaten, Dr. Anthony Crowe.
Ihm folgten zwei weitere Soldaten, die zwischen sich einen trotzig-wehrhaften Maori hereinschleppten – Harley Rawhiri Williams alias Fatboy. Wie Tanes und Rebeccas Arme waren auch Fatboys Hände mit einem Plastikband auf dem Rücken gefesselt, aber er hatte sein Kinn aggressiv vorgeschoben und schaffte es sogar, seinen leicht angeberischen Gang beizubehalten. Er trug sogar noch seinen Hut. Am Schluss kam die Wissenschaftlerin, die sie im Fernsehen gesehen hatten, Lucy Southwell.
Crowe steckte das Handy weg und blieb vor Tane und Rebecca stehen. Er öffnete den Mund, aber Fatboy kam ihm zuvor.
»Echt sorry, Leute.«
Tane schaute zu Rebecca hinüber. Was würde sie sagen?
Sie bekam keine Gelegenheit dazu.
»Du kannst ja reden!«, staunte Crowe. »Das waren drei Wörter – drei Wörter mehr, als ich von dir zu hören bekommen habe, seit ich das Vergnügen hatte, dich kennenzulernen. Setz dich.«
Er winkte den beiden Soldaten, die Fatboy auf einen Stuhl neben Rebecca setzten.
»Sie hatten schon eine Straßensperre errichtet«, erklärte Fatboy. »Hatte nicht mal Zeit, euch anzurufen und zu warnen.«
Crowe zog einen Stuhl heran, drehte ihn um und setzte sich mit gespreizten Beinen darauf, die Arme auf die Lehne gestützt.
Er betrachtete sie nacheinander eine Weile, dann zog er Rebeccas Notizbuch heraus und blätterte mit gerunzelter Stirn darin. Schließlich schlug er es zu und steckte es wieder in seine Beintasche.
Wieder starrte er sie durchdringend an und warf schließlich Southwell einen kurzen Blick zu. »Löst ihre Fesseln.«
Ein noch größerer Mann mit dichtem schwarzem Lockenhaarschopf und texanischem Akzent sagte erstaunt: »Bist du sicher, Stony?«
Crowe nickte. »Ich gehe jede Wette ein, dass die Kids hier keine Terroristen sind. Bei ihm war ich nicht so sicher.« Er nickte in Fatboys Richtung. »Aber die zwei hier – ganz bestimmt nicht.«
Tane spürte einen Funken Erleichterung. Wenigstens für Terroristen hielt man sie nicht.
Der Texaner holte eine Schere und winkte ihnen, sich nach vorn zu beugen, damit er ihnen die Fesseln durchschneiden konnte.
»Versprecht mir wenigstens, nicht wieder über Bord zu springen«, sagte Crowe und verzog die Lippen zu etwas, das man fast als Grinsen bezeichnen konnte.
»Wir versprechen überhaupt nichts«, sagte Rebecca.
»Na gut, dann eben nicht«, seufzte Crowe. »Aber wir sind hier im dritten Stockwerk und ich denke, die Landung würde euch ein bisschen härter vorkommen als letztes Mal.«
»Wie haben Sie uns gefunden?«, wollte Tane wissen.
»Fingerabdrücke.«
»An den Sauerstoffflaschen?«, fragte Rebecca, aber Crowe antwortete nicht darauf.
Rebecca starrte Crowe an, der mit der Zungenspitze irgendwas zwischen seinen Zähnen herauspulte und sie seinerseits nachdenklich anstarrte. Southwell zog einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. Nach einer Weile meinte Crowe: »Wer seid ihr? Und was hattet ihr auf der Insel zu suchen? Wart ihr im Forschungslabor?«
»Wenn ich es Ihnen erzähle, glauben Sie mir doch nicht«, antwortete Rebecca.
»Du hast keine Ahnung, was ich alles glauben würde. Vor allem heute. Und vor allem hier.«
Tane sah, dass Rebecca intensiv nachdachte. Er fragte sich, ob sie wohl bereit war, die volle Wahrheit zu sagen. Sie würden wahrscheinlich nicht alles glauben. Infolgedessen würden sie ihnen gar nichts glauben.
Rebecca musste denselben Gedanken gehabt haben, denn sie sagte nur: »Wir wollten erreichen, dass sie das ChimäraProjekt stoppen.«
»Warum?«
Warum? Crowe hatte nicht gefragt, »Was?«, wie Tane sofort klar wurde. Also wusste er über das Projekt Bescheid.
»Weil wir glauben, dass nur Schlechtes herauskommt, wenn es weitergeführt wird. Und dass es eine Katastrophe verursachen könnte, eine von Menschen ausgelöste Katastrophe.«
»Glaubst du denn, dass diese Katastrophe von Menschen ausgelöst wurde?«, fragte Crowe mit einer Handbewegung in Richtung Norden.
»Sie etwa nicht?«
Er spitzte die Lippen, dann meinte er: »Ich glaube, da läuft eine Bande Terroristen mit einer neuen Waffe herum. Keine Ahnung, was das mit dieser Green zu tun hat. Also erzählt mir erst mal, warum ihr euch über das Projekt Sorgen macht. Aber zuallererst will ich hören, woher ihr überhaupt über das Projekt Bescheid wisst.«
»Wir haben Professor Green schon vor ein paar Wochen auf der Insel kennengelernt«, erklärte Rebecca wahrheitsgemäß, doch dann log sie munter drauflos: »Sie hat uns davon erzählt.«
Crowe dachte kurz darüber nach.
»Sie glauben ihr doch nicht etwa?«, fragte Southwell.
Crowe drehte sich zu ihr. »Es passt zu den Fakten. Zu der Tatsache jedenfalls, dass sie erst wieder auf der Insel auftauchten, als alle Wissenschaftler schon verschwunden waren.«
Er wandte sich wieder an Rebecca. »Und vor allem hätte ich gern gewusst, wie sich ein paar Kinder so ein schickes kleines U-Boot leisten können.«
»Wir haben den Jackpot im Lotto abgeräumt«, sagte Rebecca gleichmütig. »Wo ist unser U-Boot jetzt?«
»In Sicherheit«, antwortete Southwell. »Macht euch deshalb keine Sorgen. Wir haben es zum Marinestützpunkt in Devonport bringen lassen.«
»Ihr habt also den Jackpot abgeräumt«, fuhr Crowe fort, »und dann beschlossen, den Gewinn für ein U-Boot auszugeben, um euch damit auf eine Insel zu schleichen, wo ihr in ein Forschungslabor einbrechen wolltet?«
»Ja, das ist eine ziemlich gute Zusammenfassung, ja doch.«
»Und die kryptischen Notizen in deinem Notizbuch?«
»Unsere Pläne. Wir haben sie verschlüsselt, falls das Notizbuch verloren geht.«
Gute Ausrede, dachte Tane anerkennend. Die kryptischen Botschaften würden für einen Nichteingeweihten tatsächlich wie ein Code aussehen.
»Und ich bin sicher, dass du mir auch eine ähnlich aalglatte Erklärung für den seltsamen Sender in dem Alukoffer geben kannst?«
»Klar doch«, sagte Rebecca gelassen. »Wir wollten das Ding an eine Antenne auf dem Sky Tower anschließen. Der Sender benutzt Gammastrahlen, die sich durch Wasser übertragen lassen. Damit können wir uns ins Internet einloggen, auch wenn wir auf Tauchstation sind.« Sie grinste. »Um unsere E-Mails abzurufen, verstehen Sie.«
Es wirkte fast glaubhaft.
Crowe dachte ernsthaft darüber nach. »Gammastrahlen, he?« Er schien verunsichert. »Deine Story hat ein paar Lücken. Verdammt große Lücken. Aber insgesamt kommt sie mir recht plausibel vor.«
Er nahm das Notizbuch wieder heraus und gab es ihr zurück. »Vielleicht haben wir uns beim Kennenlernen ein bisschen unhöflich benommen. Okay, ich heiße Stony Crowe und gehöre zur Bioterror-Abwehr der US-Armee.«
»Rebecca Richards.« Sie nahm das Buch vorsichtig entgegen, als traue sie ihm nicht über den Weg.
»Harley Williams«, sagte Fatboy.
»Tane Williams«, sagte Tane.
Auch Lucy Southwell stellte sich vor.
»Nun gut. Da ihr so viel über das ChimäraProjekt wisst«, sagte Crowe, »wären wir für ein bisschen Aufklärung dankbar. Wir haben Professor Greens Notizen durchforstet, aber keinerlei Hinweis auf irgendein Problem gefunden. Und auch keinen Hinweis, wie Terroristen das Projekt für ihre Zwecke nutzen könnten.«
Tane wollte schon protestieren, dass sie absolut gar nichts über das Projekt wüssten, aber Rebecca schoss ihm einen warnenden Blick zu. Einen eiskalten, warnenden Blick.
»Wir helfen gerne«, sagte sie.
»Hat denn diese Green irgendwann eine Bemerkung über makroskopische Pathogene oder bakterielle Cluster gemacht?«
Tane hatte beides noch nie gehört.
»Das ist unmöglich«, sagte Rebecca.
»Du weißt also über das Konzept oder die Theorie von makroskopischen Pathogenen Bescheid?«
»Nein«, sagte Rebecca, als sei es eine unendlich dumme Frage, »aber ich weiß, was ein Pathogen ist, und ich weiß, was makroskopisch heißt. Aber das ist nicht möglich. Bin ganz sicher!«
Crowe zuckte die Schultern. »Nur weil etwas außerhalb dessen ist, was wir bereits wissen, ist es noch lange nicht unmöglich. Wird wohl besser sein, wenn ihr euch das hier mal anschaut.«
Er stand auf und führte sie zu dem langen Gegenstand, der immer noch bedeckt war.
Sie stellten sich rings um die Tische auf, und Crowe zog die Tischdecke mit einem Schwung weg. Ein Glastank war mit einem undurchdringlichen Nebel gefüllt. Auf den Längsseiten des Tanks waren in regelmäßigen Abständen dicke Gummihandschuhe eingelassen.
»Sie haben eine Probe vom Nebel genommen!«, staunte Rebecca. »Haben Sie sie schon analysiert?«
»Mmm«, nickte Crowe gedankenverloren. »Bislang ohne greifbare Ergebnisse. Aber das ist es nicht, was ich euch zeigen wollte.«
Tane starrte tief in den Nebel. Bewegte sich dort nicht etwas?
»Was dann?«, fragte Rebecca.
»Das hier.«
Crowe legte eine Hand an die Tankwand und klopfte mit der anderen Hand auf das Glas. Aus dem Tank drang ein leises Pfeifen, und plötzlich tauchte aus dem Nebel ein seltsames Gebilde auf. Es schoss rasend schnell auf die Hand zu. Tane, Rebecca und Fatboy fuhren instinktiv zurück, und sogar Crowe zuckte unwillkürlich zusammen, als das Gebilde voll gegen die Glasscheibe krachte. Crowe zog die Hand zurück.
»Was zum Teufel ist das?«, fragte Fatboy entgeistert.
Tane stand mit offenem Mund da und starrte in den Tank. »Wir nennen sie Quallen«, erklärte Crowe. »Sie scheinen durch Erschütterungen angelockt zu werden. Entweder Bewegungen oder Schall.«
Tane fand die Bezeichnung sehr passend, obwohl diese Kreatur sehr viel kleiner war als alle Quallen, die er jemals im Ozean gesehen hatte. Dieses Ding hatte ungefähr die Größe einer großen Hummel und sein beulenartiger Körper war aus einem durchscheinenden Material. Der Körper schien aus drei Teilen zu bestehen, die wie ein Y zusammengefügt waren, und darunter hing ein Büschel dünner fiberartiger Fühler herab.
»Das haben Sie im Nebel gefangen?«, fragte Rebecca.
Crowe schüttelte den Kopf. »Nein. Wir haben nur eine Probe vom Nebel abgesaugt und in den Tank gefüllt, um herauszufinden, woraus er besteht. Da waren die Quallen noch nicht im Tank.«
»Aber wie …?«
»Sie bildeten sich einfach, wahrscheinlich aus dem Nebel. Zuerst kleine dunkle Flecken, die dann immer größer wurden.«
»Gemein!«, sagte Fatboy.
Völlig ungläubig sagte Rebecca: »Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass das hier ein makroskopisches Pathogen ist, oder?«
»Was um Himmels willen ist denn ein makroskopisches Pathogen?«, fragte Tane.
Crowe schaute ihn abschätzend an. »Ein Pathogen ist ein Organismus, der einen anderen, größeren Organismus angreift. Wie zum Beispiel Bakterien oder Viren, die den menschlichen Körper angreifen. Alle Pathogene, die wir kennen, sind mikroskopisch. Zu klein, um sie mit bloßem Auge sehen zu können.«
»Und makroskopisch heißt, dass sie groß genug sind, um sie ohne Mikroskop sehen zu können«, ergänzte Southwell.
»Sie behaupten also, dass diese Kreatur hier eine Art Riesenvirus ist?«, schnaubte Rebecca höhnisch.
Crowe schien fast zu lächeln, jedenfalls zuckten seine Mundwinkel ganz kurz. »Ein Riesenvirus? Nein. Viren sind subzellulär, sie sind also kleiner als eine normale menschliche Zelle. Müssen sie auch sein, denn sie kriechen in die Zellen, um sie von innen anzugreifen. Nein, kein Riesenvirus.«
Die kleine quallenähnliche Kreatur trieb wieder langsam von der Scheibe weg und verschmolz mit dem Nebel.
Crowe fuhr fort: »In Oxford habe ich vor ein paar Jahren eine Vorlesung eines gewissen Doktor Hans Heinrich besucht. Ein sehr angesehener Immunologe. Er stellte die Hypothese auf, dass es makroskopische Pathogene geben könne. Keine Viren, sondern Anhäufungen von Bakterien. Man nennt das bakterielle Cluster.«
Er machte eine Pause und schaute sich in der kleinen Gruppe um. »Bakterien sind Einzeller. Aber wenn man eine ganze Menge von ihnen zusammenwachsen lässt, bilden sie Kolonien oder häufen sich zusammen und betten sich in einen Schleim ein, einen Biofilm, wie wir das nennen. Ein solches bakterielles Cluster kann ganz andere Eigenschaften aufweisen als das einzelne Bakterium. Sie tauschen chemische Signale zwischen den Zellen aus, und das Cluster selbst kann eine ganz eigene Form annehmen. Wir können wellenförmige, turmartige und andere Strukturen beobachten. Doktor Heinrich vermutete, dass es bakterielle Cluster geben könne, die sich wie ein einziger Organismus verhalten. Möglicherweise so groß wie ein Salzkristall. Tausende einzelner Bakterien, die aber zusammenarbeiten. Ein einziges makroskopisches Pathogen. Dringt es in einen Körper ein, überwindet es dessen Abwehrmechanismen durch die schiere Menge der bakteriellen Zellen, die es freisetzt. Und soweit wir wissen, haben wir hier genau das vor uns.«
»Es ist aber größer als ein Salzkristall«, murmelte Fatboy.
Sehr viel größer, dachte Tane.
Rebecca sagte: »Sie glauben also, dass diese Terroristen, diese Schneemänner, bakterielle Cluster entwickelt und sie so trainiert haben, dass sie Menschen angreifen?«
Crowe schüttelte den Kopf. »Sie mussten gar nicht trainiert werden, genauso wenig, wie ein Virus trainiert werden muss, um uns anzugreifen. Das ist ihre Natur. Sie können nicht anders. Aber wir haben keinerlei Hinweise auf bakterielle Cluster in Professor Greens Aufzeichnungen gefunden, nichts, was auch nur entfernt damit zu tun haben könnte. Deshalb hatte ich gehofft, dass ihr ein wenig Insiderwissen habt.«
Einer der Soldaten trat näher und sagte leise: »Wir sind jetzt bereit für den Test, Doktor.«
»Gut. Fangt an.«
»Z1 oder Z2?«
Crowe zuckte die Schultern. »Egal.«
»Es sind Lebewesen!«, sagte Rebecca aufgeregt. »Warum geben Sie ihnen nur Ziffern, keine Namen?«
»Es sind keine Schoßtiere«, gab Crowe brüsk zurück. »Schoßtiere haben Namen. Das hier sind Labortiere.«
Der Texaner öffnete einen der Käfige und der ältere Schimpanse, Z2, sprang mit einem freudigen Quietschen heraus und zauste ihm das Haar.
Er grinste; Tane musste lachen.
»Sie hat Charakter«, lächelte Rebecca. »Ich gebe ihr einen Namen.« Sie dachte kurz nach. »Zett Zwei … Zette …«
»Zeta«, schlug Tane vor.
Sie schaute ihn kurz an, dann akzeptierte sie seinen Vorschlag.
»Zeta«, rief sie, »hallo, Zeta!«
Zeta schaute Rebecca an und streckte die Hand aus, als wollte sie ihr in die Arme springen, aber der Texaner hielt sie fest.
Crowe fand das alles gar nicht lustig. »Das sind keine Schoßtiere!«, wiederholte er eisig.
»Weil es Ihnen dann schwerer fallen würde, den Affen Elektroden ins Hirn zu bohren und sie danach lebend zu sezieren, nicht wahr?«, sagte Rebecca mit einer Kleinmädchenstimme, die völlig im Widerspruch stand zu dem, was sie sagte. »Und was ist mit der anderen, Zett Eins?«
»Xena«, schlug Tane vor.
»Zeta und Xena«, verkündete Rebecca. »Und welchen kleinen Test haben wir denn heute für dich vorbereitet, Zeta?« Sie streckte der Schimpansin die Hand hin, die sie tätschelte und Rebecca mit großen traurigen Clownsaugen anblickte.
»Wir setzen sie in den Tank«, erklärte Crowe ungerührt. Rebecca fuhr entsetzt herum.
An einem Ende des Tanks befand sich ein separater Behälter, der durch eine Glastür vom Tank abgetrennt war. Die Tür war mit dicken Gummidichtungen versiegelt.
Sie ließen Zeta selbst in den Behälter steigen, was sie auch bereitwillig und zutraulich tat. Dann schoben sie den Deckel darüber. Im Haupttank war ein Pfeifen und Zischen zu hören, als die Qualle aufgeregt im Nebel kreiste.
Zeta zuckte ein wenig zusammen und begann, sich ständig um sich selbst zu drehen, aber davon abgesehen, schien es ihr nicht viel auszumachen, in dem engen Behälter gefangen zu sein.
»Das können Sie doch nicht machen!«, rief Rebecca immer und immer wieder. »Sie können sie noch nicht mit diesem Ding zusammenbringen!«
Southwell schien sich bei der Sache auch nicht wohlzufühlen, versuchte sie aber zu erklären: »Sie liefert uns wertvolle Ergebnisse! Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten.«
»Genetisch betrachtet stimmen sie zu 99 Prozent mit uns Menschen überein«, fügte Manderson hinzu.
»Sie schmeicheln sich selbst«, murmelte Rebecca, aber die Beleidigung ging über Mandersons Lockenkopf hinweg.
»Wir müssen herausfinden, was diese Pathogene uns zufügen können«, erklärte Crowe.
»Und dazu müssen Sie ein unschuldiges Tier opfern?«
»Das ist nur ein Schimpanse«, sagte Crowe scharf, offensichtlich verärgert. »Fünfzigtausend Menschen wurden in Whangarei schon geopfert . Bald werden es noch viel mehr sein, wenn wir nicht herausfinden können, was es mit dem Nebel auf sich hat.«
Crowe nickte Manderson zu, der die Hebel zurückklappte, die die Abtrennung geschlossen hielten. Zetas Abteil füllte sich mit Nebel.
»Nein!«, schrie Rebecca auf. Sie presste die Hände gegen das Glas, und Zeta lächelte ihr zu. Die anderen USABRF-Leute versammelten sich neugierig um den Tank.
Zeta schien zuerst ein wenig erstaunt, als der Nebel in ihre Kammer strömte, doch als er dichter wurde, blickte sie sich verwirrt um. Die Qualle zischte im dichtesten Nebel herum und vermied offenbar die dünneren Schwaden am Ende des Tanks.
»Außerhalb des Nebels können sie nicht überleben«, murmelte Crowe, der den Vorgang konzentriert beobachtete. »Ohne Nebel können sie sich nicht bewegen, also können sie auch nicht überleben. Der Nebel nährt sie und sorgt für ihre Bewegungsfähigkeit.«
Die Qualle schoss an ihnen vorbei an der Glaswand entlang. Inzwischen hatte sich der Nebel gleichmäßig im Haupttank und im Nebenbehälter ausgebreitet. Die Qualle wirbelte um Zeta herum – und verschwand wieder im Haupttank.
Das war alles. Nichts geschah.
Nach einer Weile unternahm Zeta einen kleinen Erkundungsausflug. Tane hielt den Atem an und hörte, dass auch Rebecca leise aufstöhnte.
Zeta ging in den Haupttank, wobei sie komischerweise versuchte, den Nebel vor ihren Augen wegzuwedeln. Sie entdeckte eine der Quallen, die auf Augenhöhe an ihr vorbeitrieb. Tane zuckte zusammen, als sie plötzlich die Hand danach ausstreckte. Doch die Qualle regte sich nicht. Zeta schlug sogar danach.
»Die Qualle ist nicht an ihr interessiert«, stellte Southwell verblüfft fest.
»Holen wir sie raus«, befahl Crowe.
»Super, Zeta!«, schrie Rebecca mit einer Mischung aus Freude und Erleichterung, hüpfte von einem Bein aufs andere und boxte vergnügt in die Luft. »Super!«
Ihre Begeisterung war ansteckend; Tane entdeckte, dass auch er breit grinste.
Zeta kreischte und hüpfte glücklich im Tank herum, als wollte sie einen irischen Volkstanz aufführen. Fatboy lachte, aber Crowe schüttelte nur den Kopf.
Nun lief der Prozess in umgekehrter Richtung ab. Das kleine Abteil am Ende des Tanks wurde wieder verschlossen; die Männer pumpten Frischluft hinein und saugten den Nebel ab.
»Warum lassen sie Zeta nicht raus?«, wollte Rebecca wissen.
»Sie könnte kontaminiert sein«, entgegnete Crowe, dann wandte er sich abrupt um: »Doktor Southwell, würden sie ihnen bitte die Aufzeichnungen zeigen?«
Southwell führte sie zu einem Tisch am anderen Ende des Saals, auf dem ein paar Hefte ausgebreitet lagen.
»Vicky Greens Aufzeichnungen«, erklärte sie. »Wisst ihr, worüber sie auf der Insel forschten?«
»Nicht genau«, antwortete Rebecca. »Vicky erwähnte nur etwas von Rhinoviren.«
»Sie erforschten tatsächlich Rhinoviren. Sie arbeiteten auch ein wenig an NLVs, aber nur für kurze Zeit, um gewisse Aspekte ihrer Hauptarbeit zu überprüfen. Sie forschten über konservierte Antigene. Das sind verbreitete Strukturen innerhalb der Viren, die …«
»Das hat sie uns auch erzählt«, unterbrach Rebecca sie. »Was wissen Sie über das ChimäraProjekt?«
»Konservierte Antigene erwiesen sich als schwer nachweisbar. Unser Immunsystem wird immer wieder ausgetrickst, weil die Viren ständig die Form ändern. Das erwies sich als Sackgasse.«
»Und was geschah dann?«
»Professor Green erhielt vor Kurzem die Genehmigung vom Gesundheitsministerium, mit der anderen Seite der Gleichung zu experimentieren.«
»Mit der menschlichen Seite der Gleichung?«
»Genau. Sie spielten ein wenig mit Knochenmark herum, wo die Antikörper produziert werden, und versuchten, das menschliche Immunsystem genetisch zu verändern, um einen generischen Antikörper zu erzeugen.«
»Also einen Antikörper, der jede Art und Form von Virus erkennen würde?«
»Jede Art von Rhinovirus«, berichtigte Southwell. »Das war das Gebiet, auf das sie sich konzentrierten.«
»Und wie«, fragte Rebecca ein wenig skeptisch, »kann man einen generischen Antikörper erzeugen?«
»Das Projekt war mit einem ganz bestimmten Ziel genehmigt worden. Sie sollten verschiedene Arten von Antikörpern zusammenfügen. Damit entstand eine …« Southwells Stimme versagte, offenbar wollte sie den Satz nicht zu Ende bringen.
»Es entstand eine Chimära«, ergänzte Rebecca. »Und das ist alles? Was haben Sie noch herausgefunden?«
Southwell schüttelte den Kopf. »Nichts weiter. Green hatte noch keinen Bericht über ihre Forschungsarbeiten vorgelegt. Wir haben also nur ihre Aufzeichnungen.« Sie deutete auf die Hefte auf dem Tisch. »Würde es dir etwas ausmachen, sie durchzusehen? Vielleicht fällt dir etwas auf.«
»Gern.« Rebecca nahm eines der Hefte in die Hand.
Tane blätterte ebenfalls beiläufig in einem Heft. Rebecca war die Einzige, die möglicherweise etwas davon verstand, aber er fand es interessant, wie sauber und klar die handschriftlichen Aufzeichnungen waren, die Daten und Formeln, die Green notiert hatte. Vickys Handschrift zog sich klein, sauber und flüssig über die Seiten dahin. Tane fragte sich, warum sie das alles nicht einfach in einen Computer getippt hatte.
Fatboy fiel es zuerst auf, als er sich im Saal umsah. »Was machen sie jetzt?«, fragte er plötzlich.
Tane und Rebecca schauten sich um. Zwei der Männer hatten die Hände in die Gummihandschuhe gesteckt, die in die Tankwand eingelassen waren. Einer hielt Zeta fest, während ihr der andere eine Spritze in den Arm verabreichte.
Zeta gefiel das überhaupt nicht; sie kreischte und fletschte die Zähne.
»Sie nehmen vielleicht eine Blutprobe«, sagte Rebecca. »Um herauszufinden, ob der Nebel sich irgendwie auswirkt.«
Sie schaute wieder in das Heft in ihrer Hand, aber eine Sekunde später blickte sie noch einmal zu Zeta hinüber.
Der Mann hatte die Spritze wieder herausgezogen – aber sie war leer. Rebecca runzelte verwundert die Stirn und ging hinüber. Aus dem Tank blickte Zeta ihr traurig entgegen, fast flehend.
»Was machen Sie denn da?«, wollte Rebecca wissen. »Sie wollten ihr doch Blut abnehmen, oder nicht?«
Crowe kam schnell herbei. »Rebecca, das ist unsere Arbeit, nicht deine. Lass uns bitte unsere Arbeit machen.«
Im Tank hatte Zeta zu zittern begonnen. Sie setzte sich plötzlich hin und schaute Rebecca wie ein völlig verängstigtes Kind an. Ihre Oberlippe zog sich über die Zähne zurück, sodass es aussah, als grinste sie bösartig.
Tane verspürte ein mulmiges Gefühl im Magen.
Southwell legte Rebecca den Arm um die Schultern und versuchte sie vom Tank wegzuschieben. Doch Rebecca schüttelte ihren Arm wütend ab.
»Was haben Sie mit ihr gemacht?«
Zeta fiel gegen die Glaswand; ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie keuchte heftig. Sie schaute noch einmal zu Rebecca auf, dann wurde ihr Blick trüb. Ihre Augen blieben geöffnet. Ihre Brust wurde still.
Crowe griff nach Rebeccas Arm, nicht grob, aber entschlossen, und zog sie vom Tank weg.
Rebecca schrie: »Sie haben sie umgebracht! Was machen Sie jetzt mit ihr? Sezieren, nur um zu sehen, ob der Nebel irgendeine Wirkung auf sie hatte?«
Crowe gab keine Antwort.
»Genau das werden Sie tun, stimmt’s? Ihr seid Ungeheuer, keine Menschen!«
»Ungeheuer?«, fauchte Crowe. Zum ersten Mal zeigte sein versteinertes Gesicht Gefühle. »Ungeheuer?« Er packte Rebecca grob am Nacken und drückte ihr Gesicht direkt gegen die Glaswand des Tanks. Ein Zischen, weißer Nebel wirbelte auf. Eine Qualle krachte gegen das Glas, nur Millimeter von Rebeccas Augen und Mund entfernt. Sie schrie. Tane und Fatboy sprangen gleichzeitig vor, aber starke Hände packten sie an den Ellbogen und rissen sie zurück.
»Das sind deine Ungeheuer! Wir haben keine Zeit mehr, um abzuwarten, wie es dem Tier in einem Monat geht. Wir haben nur noch ein paar Tage Zeit, dann wird dieser Nebel über Auckland herfallen! Wir brauchen eine Antwort, und zwar jetzt sofort!«
»Mörder!«, flüsterte Rebecca schluchzend, während ihr Mund immer noch gegen das Glas gepresst wurde.
Manderson griff mit den Gummihandschuhen in den Tank und bettete die tote Schimpansin auf den Tankboden. Im Tod hatte Zeta wieder ihren Frieden gefunden. Das Fletschen war verschwunden, und ihr Gesicht hatte wieder den Ausdruck eines traurigen Clowns angenommen.
Crowe starrte Rebecca mit kaltem Blick an. »Ich habe dir doch geraten, ihr keinen Namen zu geben.«