KAITIAKITANGA
19.40 Uhr
Die Gefreite Shaw setzte sie vor dem mit rotem Kiesel bestreuten Zufahrtsweg zum Haus ab, das sich in den Wald einfügte, als gehörte es dazu, und salutierte vorschriftsmäßig zum Abschied.
Tane fragte sich, wohin sie jetzt fahren würde, und hoffte, dass sie nach Süden musste, weg vom Nebel.
Im Haus war es still. Die Bäume standen dicht um das Haus und ließen das schwindende Abendlicht nur spärlich durch. Lange, fingerähnliche Schatten krochen über die Holzverkleidung der Außenwände und ließen das Haus wie verloren oder verwunschen erscheinen.
An der Haustür entdeckten sie einen Zettel, der die Stille erklärte. Sind im Marae.
Das war der einzige Ort, an den sich ihre Eltern in solch unsicheren Zeiten zurückziehen würden.
»Ich hol den Wagen«, sagte Tane, schloss die Haustür auf und öffnete dann die Garagentür. Die anderen folgten. Der knallrote Volkswagen ihrer Mutter nahm eine Hälfte der Garage ein; der andere Wagen, der Jeep, den ihr Vater gewöhnlich fuhr, stand nicht da.
Der Reserveschlüssel des VW hing an einem Haken in der Vorratskammer. Tane warf ihn Fatboy zu.
Rebecca setzte sich schweigend auf den Rücksitz und spielte Handspiele mit Xena.
Schließlich stellte Tane die Frage, die ihnen allen durch den Kopf ging. »Glaubst du, dass Crowe und seine Leute und die Armee den Nebel aufhalten können?«
»Sie wissen nicht wie«, antwortete Rebecca, aber ihr Tonfall ließ erkennen, dass sie mehr dazu zu sagen hatte, sodass sich Tane umdrehte und sie aufmerksam anschaute.
»Weißt du es?«
Rebecca schloss die Augen und schwieg.
»Rebecca«, sagte Fatboy sanft, »gibt es irgendeine Möglichkeit, die Antikörper aufzuhalten? Die Makrophagen zu vernichten?«
»Ich weiß es nicht.« Rebecca schüttelte den Kopf. »Aber irgendwas stand in den Botschaften. Ich bin aber nicht sicher.«
»Was?«, rief Tane entsetzt. Xena zuckte zusammen, legte die Hände über die Augen und schaute ihn durch die Finger ängstlich an.
Tane schüttelte den Kopf und versuchte, sich an den Wortlaut der letzten Mitteilung zu erinnern. Oder war es etwas in einer der früheren Botschaften gewesen, die sie nicht vollständig entziffern konnten?
»Rebecca, versuche dich zu erinnern«, drängte Fatboy. »Wir reden hier über das Leben von Hunderttausenden, Millionen, vielleicht sogar Milliarden!«
Rebecca schwieg. Fatboy und Tane warfen sich besorgte Blicke zu.
»Komm schon, Rebecca«, sagte Tane mit gezwungener Fröhlichkeit. »Spielen wir heute mal die Helden und retten die Welt!«
Sie seufzte so müde und erschöpft, dass sich ihre Stimmung wie ein Leichentuch über die Gemüter der beiden Jungen legte. »Ich glaube«, sagte sie schließlich, »die Welt braucht uns nicht dazu – sie ist im Moment ziemlich erfolgreich dabei, sich selbst zu retten.«
Tane wollte widersprechen, aber die Worte erstarben ihm auf den Lippen. So, wie sie die Arme verschränkt hatte und die Lippen zusammenpresste, war ihm klar, dass sie das Gespräch für beendet ansah.
Sie fuhren die Hügel hinunter und bogen auf die Straße ein, die nach Süden zum Marae führte.
Auf der Straße, über die sie jetzt fuhren, musste offenbar vor Kurzem ein heftiger Kampf stattgefunden haben – der Kampf von vielen Menschen, die verzweifelt versuchten, sich durch völlig verstopfte Straßen voranzukämpfen, um zur Nord-West-Autobahn zu gelangen. Die Anzeichen waren überall zu sehen. Früher am Tag musste die Straße wohl völlig mit Autos verstopft gewesen sein. Mit Motorschaden oder aus Treibstoffmangel liegen gebliebene Fahrzeuge hatte man rücksichtslos und willkürlich über die Straßenböschungen gekippt. Ein paar standen noch mitten auf der Straße, sodass Fatboy vorsichtig darum herumfahren musste. Die meisten Autos waren beschädigt.
Als Rebecca endlich wieder den Mund aufmachte, sagte sie nur: »Ich bin hungrig.«
Tane wurde plötzlich klar, dass sie heute noch gar nichts gegessen hatten.
»Wie wär’s mit einem Big Mac?«, witzelte er, als zufällig ein McDonald’s-Zeichen am Straßenrand auftauchte.
Sie seufzte. »Bestimmt nicht geöffnet.«
Natürlich war ihm klar, dass es nicht geöffnet sein würde. Er hatte es scherzhaft gemeint, aber es kam ihm jetzt nicht mehr besonders witzig vor.
Die Lichter brannten, das große goldene M lockte wie ein Leuchtfeuer schon von Weitem. Die Angestellten hatten das Restaurant wohl Hals über Kopf verlassen und sich nicht die Zeit genommen, Reklame und Lichter auszuschalten. Unmöglich, dass es noch geöffnet sein würde.
Es war geöffnet.
Mit ungläubigem Staunen lenkte Fatboy den Wagen in den Drive-in.
»Was möchten Sie bestellen?«, fragte eine Frau im mittleren Alter hinter dem Ausgabeschalter. Tane bemerkte, dass sie nicht die normale Uniform der Mitarbeiter trug. Vielleicht war sie die Managerin oder sogar die Besitzerin des Restaurants.
»Einen Big Mac«, sagte Fatboy, »oder besser gleich zwei Big Mac Combos. Was nimmst du, Tane?«
»Dasselbe.«
»Na, dann also drei Combos.«
»Kommt sofort, Sir«, antwortete die Frau gut gelaunt. Auf ihrem Namensschild stand Helen. »Möchten Sie nicht gleich Super-Combos bestellen?«
Fatboy starrte sie einen Augenblick lang verblüfft an. »Okay«, nickte er dann.
Sie nahm das Geld entgegen und sagte: »Bitte fahren Sie weiter zum Ausgabeschalter.«
Der Mann hinter dem Ausgabeschalter reichte ihnen die Tüten. Fatboy und Tane sahen sich verblüfft an.
Die ganze Transaktion war so völlig normal abgelaufen, dass Tane sich einen Augenblick lang fragte, ob er alles andere nicht einfach nur geträumt hatte – ein einziger Albtraum von Nebeln, Antikörpern, Makrophagen. Aber als sie an einer langen Reihe Häuser mit vernagelten Fenstern und Türen vorbeifuhren und Augen sahen, die sie misstrauisch zwischen den Brettern hindurch anstarrten, wusste er, dass der Albtraum Wirklichkeit war.
Die Welt ist im Moment ziemlich erfolgreich dabei, sich selbst zu retten.
Am Marae herrschte das reinste Chaos. Riesige Menschenmengen waren bereits versammelt, und immer noch kamen mehr aus West Auckland. Am Eingang stauten sich die Fahrzeuge.
Fatboy parkte den VW in der Auffahrt eines verlassenen Hauses auf der anderen Straßenseite. Zu Fuß gingen sie an der Autoschlange vorbei.
Vor der Versammlungshalle war eine Gruppe Männer dabei, die Fenster mit riesigen Plastikplanen und Klebebändern zu versiegeln.
Das hält den Nebel vielleicht eine Weile auf, aber bestimmt nicht sehr lange, dachte Tane.
Seine Eltern standen am Eingang zur Halle, in eine hitzige Diskussion mit mehreren Leuten verwickelt.
Ihre Mutter schrie auf, als sie die beiden Jungen erblickte, mit einer Mischung aus Freude, Furcht und Erleichterung. Sie lief herbei und umarmte Tane und Fatboy gleichzeitig. Rebecca stand ein wenig abseits, Xena auf dem Arm, die ihre Arme um Rebeccas Nacken geschlungen hatte. Sie schien sich fehl am Platz zu fühlen.
Tanes Eltern weinten vor Freude und Erleichterung und erzählten ihnen gleichzeitig vom Verhör durch die Polizei und vom Nebel. Dass Rebecca einen Schimpansen auf dem Arm hielt, schienen sie gar nicht zu bemerken.
»Gott sei Dank, dass ihr wieder da seid«, sagte der Vater. »Habt ihr schon von der Giftwolke gehört? Wir versuchen gerade, die Versammlungshalle in einen Schutzraum zu verwandeln. In der Halle können wir die Sache aussitzen, bis der Nebel weitergezogen ist.«
Tane und Fatboy tauschten einen kurzen Blick.
»Das wird nichts nützen«, sagte Tane. »Ihr müsst aus Auckland fliehen, und ihr habt nicht mehr viel Zeit.«
»Was habt ihr gehört?«, fragte die Mutter und packte Tane am Arm. »Gibt es neue Berichte?«
Der Vater sagte verwirrt: »Die Anweisungen im Radio und Fernsehen waren recht eindeutig. Wer nicht fliehen kann oder will, soll sein Haus nebeldicht machen. Genau das machen wir gerade. Wir haben schwere Plastikplanen und bedecken damit jede Öffnung, und ein paar Jungs mit Dichtmittelpistolen werden mögliche Lücken oder Löcher versiegeln. Außerdem gibt es gar keine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen – sämtliche Straßen nach Süden sind völlig verstopft.«
»Es geht nicht um den Nebel«, sagte Fatboy drängend. »Es geht um das, was im Nebel ist. Ihr müsst hier weg!«
Sein Vater schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich.«
»Was meinst du damit – was im Nebel ist?«, wollte seine Mutter wissen. »Wisst ihr etwas, das uns die Behörden verschwiegen haben?«
»Wir haben sie gesehen«, sagte Tane, »die … Kreaturen im Nebel.«
»Kreaturen?«, fragte die Mutter entsetzt und warf unwillkürlich einen Blick auf Xena, die fröhlich zurückgrinste.
»Es ist wohl besser«, sagte der Vater, »dass ihr mit den Ältesten redet. Kommt rein.«
»Gut, aber vorher solltet ihr ein paar Leute losschicken. Sie sollen Sperrholzplatten herbeischaffen, schweres Marinesperrholz, wenn sie es finden können. Damit vernagelt ihr jedes Fenster und jede Tür, nachdem ihr sie mit den Plastikplanen verschlossen habt, und anschließend versiegelt ihr alle Ränder mit Dichtmittel. Wenn ihr genug Holz findet und genug Zeit bleibt, solltet ihr am besten zwei Lagen aufbringen. Eine innen, eine außen, und der Zwischenraum muss versiegelt werden.«
»O mein Gott«, stöhnte die Mutter auf. »Was ist nur los?«
»Wie viel Zeit bleibt uns?«, fragte der Vater.
»Das wissen wir nicht«, antwortete Tane.
Als sie die Versammlungshalle betraten, wurde Tane plötzlich sehr deutlich bewusst, dass Rebecca hier die einzige Pakeha war – die einzige Nicht-Maori.
Die Halle war ein großer Saal mit hoher Decke, die von Holzsäulen getragen wurde. Die Wände waren mit traditionellen Schnitzereien und Darstellungen der Vorfahren geschmückt. Im Innern war es düster, selbst unter normalen Umständen, aber heute wurde das Licht der nackten Glühbirnen an der Decke von den schwarzen Plastikplanen, die vor die Fenster gehängt worden waren, noch mehr verschluckt.
Die Stammesältesten saßen in einem großen Halbkreis in der Mitte des Saals. Tane fühlte sich sehr unwohl, als er mit Fatboy und Rebecca in den Halbkreis trat; er glaubte, ihre prüfenden Blicke förmlich spüren zu können – und tatsächlich betrachteten sie die drei jungen Menschen kritisch.
Während die Dämmerung hereinbrach, erzählten sie ihre Geschichte. Es dauerte fast eine Stunde. Sie begannen mit den Swift-Botschaften und ließen nichts Wichtiges aus, bis hin zu ihrer Rückkehr nach Hause mit der Gefreiten Shaw.
Danach herrschte lange Zeit Schweigen. Das Licht der leicht hin und her schwankenden Glühbirnen strich über die geschnitzten Gesichter an den Wänden und ließ die tiefen Furchen in ihren ernsten Gesichtern noch tiefer erscheinen.
Fatboy und Tane wussten, dass sie nicht unaufgefordert reden durften, und Rebecca schien nichts weiter sagen zu wollen.
Schließlich stand einer der Ältesten auf, ein Mann mit tief zerfurchtem Gesicht und vom Alter gebeugtem Rücken. Er trug einen Anzug, der zwei Nummern zu groß für ihn schien. Langsam reckte er sich und trat in die Mitte des Kreises. Der Anzug musste ihm früher gepasst haben, dachte Tane, aber der Körper war langsam geschrumpft.
Seine Eltern senkten ehrfürchtig die Blicke, als der alte Mann vor ihnen stand.
Doch im Gegensatz zu seinem hinfälligen Körper klang seine Stimme überraschend stark und mächtig.
»Wir können nicht weg von hier, aber ihr sagt, wir können auch nicht bleiben.«
»Ihr müsst fliehen«, sagte Tane ernst. »So schnell ihr fliehen könnt. Die Versammlungshalle wird euch nicht schützen können.«
»Nehmt jedes Auto, jeden Bus, den ihr finden könnt«, fügte Fatboy hinzu. »Ladet alle auf und fahrt so schnell und so weit nach Süden, wie ihr könnt.«
Der Älteste wies mit einer Geste auf die Wände der Halle. »Ich habe geholfen, diese whare runanga zu bauen. Ihr Holz hat den Schweiß und das Blut vieler tapferer Männer aufgenommen. Sie ist ein sehr starkes Gebäude.«
»Wir haben die Kreaturen aus nächster Nähe gesehen«, sagte Tane eindringlich, aber mit mühsamer Beherrschung, denn am liebsten hätte er vor Frustration laut aufgeschrien. »Wenn ihr nicht flieht, werden alle, die hier sind, sterben!«
Sein Vater schloss die Augen, und seine Mutter griff nach Tanes Hand.
Der Älteste fragte: »Kann man dieses Ding noch aufhalten, auch wenn es nun schon so weit fortgeschritten ist?«
Tane schüttelte unsicher den Kopf, aber Fatboy nickte.
»Rebecca glaubt, dass es einen Weg gibt.«
Alle blickten auf Rebecca, die mit niedergeschlagenem Blick und hängenden Schultern vor ihnen stand, als müsse sie eine Last tragen, die viel zu schwer für sie war. Und das war sie auch, dachte Tane. Sie hat diese Last schon viel zu lange getragen.
»Von einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt betrachtet«, sagte sie langsam, »ist es vielleicht sogar die beste Lösung. Sind die Menschen erst einmal verschwunden, kann sich die Erde selbst wieder heilen, und wenn sie wieder gesund ist, können vielleicht in Millionen Jahren wieder Menschen entstehen. Es wäre wie ein Waldbrand oder Buschfeuer, das von Zeit zu Zeit nötig ist, um die Vegetation auszudünnen und alles Faule und Verrottete zu beseitigen, damit neues Leben aus der Asche entstehen kann.«
Tane wollte widersprechen, aber der Älteste gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen.
»Du glaubst also, dass wir Menschen eine Krankheit sind?«, fragte er.
Rebecca blickte zu Boden. »Ein Biologe würde uns als Seuche bezeichnen.«
An einer Wand, in der Nähe des Eingangs, stand ein Klavier. Xena kämpfte kurz gegen Rebecca, um sich zu befreien, und rannte dann zu dem Klavier hinüber, sofort gefolgt von einer Menge Kinder. Sie sprang auf den Klavierstuhl und begann auf den Tasten herumzuhämmern. Ab und zu blickte sie sich um, als erwartete sie Applaus.
Der Älteste ging auf Rebecca zu und hob ihr Gesicht an. »Was du sagst, stimmt vielleicht für diese neue Zeit, aber es war nicht immer so.«
»Ich weiß.« Tränen traten in Rebeccas Augen.
Der Älteste schaute sie einen Moment lang mit ernster Miene an. Sein Blick war voller Weisheit.
»Weißt du, was kaitiakitanga bedeutet, Mädchen?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid.«
Der Älteste lächelte und sagte ein paar Worte in Maori, die für die geschnitzten Vorfahren an den Wänden bestimmt waren. Dann wandte er sich wieder zu ihr. »Ihr Pakeha glaubt, dass das Land den Menschen gehört. Aber wir Maori glauben, dass die Menschen dem Land gehören. Wir sind Tangata Whenua – Menschen des Landes. Es ist eine Auszeichnung, auf diesem Land leben zu dürfen, aber es ist kein Recht. Und deshalb tragen wir auch eine große Verantwortung, die wir kaitiakitanga nennen.«
Ringsum herrschte Schweigen; alle Augen waren auf den Alten gerichtet. Tanes Blicke schweiften jedoch zu den Masken der Vorfahren an den Wänden. Er glaubte zu spüren, dass sie ihn ebenfalls anstarrten.
Von draußen tönte der Lärm von Hämmern herein. Offenbar hatten sie die Sperrholzplatten sehr schnell herbeigeschafft. Tane hoffte, dass sie stark genug waren.
Der Mann fuhr zunächst in Maori fort, dann wechselte er ins Englische. »Tausende Jahre lang haben wir Maori unsere Umwelt beschützt. Was wir benutzten und verbrauchten, haben wir der Natur zurückgegeben und ersetzt. Doch dann kamen die Pakeha in unser Land. Wir Kaitiaki hätten Papatuanuku – die Erdmutter – verteidigen müssen, doch das taten wir nicht. Unsere Stimmen verstummten.«
Zustimmendes Murmeln der übrigen Ältesten klang durch den Saal.
»Dann glaubt ihr also auch«, sagte Rebecca langsam, »dass die Menschheit vernichtet werden muss, bevor sie ihren Gastgeber, die Erde, vernichtet?«
»Nein, mein Kind.« Die Stimme des Alten klang sanft, kaum mehr als der Atem eines kleinen Kindes, und doch mit solcher Kraft, dass selbst die Masken der Vorfahren zu beben schienen und die Worte in allen Ecken der Halle zu hören waren. »Wir sind Teil der Natur, Geschöpfe von Papatuanuku. Nicht wir sind die Krankheit, sondern Habgier und Dummheit.«
»Aber wir können nicht zurück!«, widersprach ihm Rebecca laut. »Eine Mutation könnt ihr nicht rückgängig machen. Die Menschheit kann nicht mehr in Dörfern leben und kumara anbauen!«
»Richtig, das können wir nicht«, nickte der Älteste traurig. »Aber wir können lernen, mit Bäumen und Seen, mit Bergen und Meeren, mit Fischen und Tieren zu leben, als eine Familie, als Whanau, nicht als Eroberer und Eindringlinge! Es gibt nur einen einzigen Weg: kaitiakitanga!«
Der Älteste ging zu seinem Stuhl zurück und ließ sich mühsam darauf nieder. Seine Autorität, seine Macht schienen sich in seinen geschrumpften Körper zu verflüchtigen.
Lange herrschte Stille. Eine Brise drang herein und ließ die Plastikplanen rascheln. Das Geräusch erinnerte Tane daran, dass die Zeit knapp wurde. »Was können wir tun?«, fragte er leise.
»Ihr wisst, was ihr zu tun habt«, sagte sein Vater, stand auf und wiederholte seine Worte mit stolz erhobenem Kopf. »Wir wissen, was wir zu tun haben. Wir leben in einer westlichen Gesellschaft, wir haben die westliche Lebensweise übernommen, aber wir haben unsere eigene Kultur niemals vergessen.«
Ein Chor der Zustimmung auf Maori vom Ältestenrat hallte durch den Raum.
»Das trifft vielleicht für dich zu«, sagte Tane. »Aber nicht für alle anderen. Die jungen Menschen haben sie vergessen.« Er brach ab, dann fuhr er gequält fort: »Ich habe sie vergessen.«
Mein Volk. Meine Kultur. Mein whakapapa.
Der Älteste erhob noch einmal die Stimme, ohne sich von seinem Platz zu erheben. »Du hast dein whakapapa nicht vergessen, weil du es nicht vergessen kannst. Du hast nur die Augen verschlossen. Und nun hast du sie wieder geöffnet.«