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Robert Feller fuhr mit seinem Porsche in die Einfahrt von Victor Rubens’ Villa am Kellersee. Er musste unbedingt mehr über den Todesfall vor sieben Jahren erfahren. Und natürlich wollte er mehr über den Abend wissen, an dem Laura Krone zu Tode gekommen war. Was für ein schönes Anwesen, dachte Robert neidlos, als er aus dem Wagen stieg. Er freute sich immer über hübsche Häuser und interessante Wohnungen. Es war einfach schön, wenn Menschen Geschmack bewiesen. Seine Mutter besaß selbst ein paar wunderbare Immobilien, um die er sich in ihrem Namen gerne kümmerte. Robert ging auf das Tor zu und klingelte.

»Ja?«

»Kriminalpolizei! Mein Name ist Feller. Ich würde gerne mit Herrn Rubens sprechen.«

Das Tor öffnete sich automatisch. Feller ging hindurch und lief den Weg entlang bis zur Haustür. Rubens stand bereits im Eingang.

»Kommissar Feller.« Rubens reichte ihm die Hand. Er hatte einen sympathisch kräftigen Händedruck.

»Es tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber es gibt noch ein paar Fragen.«

Rubens nickte ernst und trat zur Seite. »Natürlich. Bitte kommen Sie rein.«

Robert wurde durch das Haus auf die Terrasse geführt. Rubens wollte mit Kaffee nachkommen. Robert setzte sich und sah sich um. In einem Eimer schwammen ein paar kleine Fische. Er vermutete, dass es sich um Köderfische handelte. Der Mann musste ja angeln, wenn er diesen herrlichen See direkt vor der Haustür hatte. Nach ein paar Minuten kam Rubens zurück und balancierte zwei Tassen. Er stellte sie so umständlich auf den Tisch, dass der Kaffee in die Untertassen schwappte.

»Ach, das tut mir leid.« Rubens lächelte entschuldigend. »So was mach ich selten selbst, wissen Sie. Ich bin allein zu Hause. Meine Frau ist mit einer Freundin für ein paar Tage nach Sylt gefahren. Und meine Haushälterin hat gestern ihren wohlverdienten Jahresurlaub angetreten.«

Robert nickte verständnisvoll und kippte den Kaffee aus dem Unterteller zurück in die Tasse.

»Herr Rubens, ich muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen.«

Rubens nickte. »Das ist mir natürlich klar. Was wollen Sie denn wissen?«

Robert Feller nahm sein Notizbuch aus der Sakkotasche. Nicht, dass da irgendetwas von Bedeutung stand, aber die Geste beeindruckte immer wieder, hatte er in den letzten Jahren festgestellt.

»Waren Sie zu irgendeiner Zeit an dem Abend mit Laura Krone allein in ihrer Maske oder haben Sie die Maske betreten, als sonst niemand da war?«

»Ob ich was? Natürlich war ich in ihrer Maske!« Rubens sah ihn empört an. Sein Gesicht wurde dunkelrot. »Sie hatte einen Vertrag mit meiner Produktionsfirma. Wenn ich ihr schon ein so großartiges Comeback ermögliche, will ich nicht, dass am Ende noch was schiefgeht. Selbstverständlich habe ich mit ihr geredet und versucht, ihr klarzumachen, dass sie den Auftritt in der ›Dinnerparty‹ als eine Werbung in eigener Sache verstehen müsste. Sie musste schön und sympathisch rüberkommen. Sonst wäre die Sache eher kontraproduktiv für das Filmprojekt gewesen. Zwischendurch waren wir auch mal allein. Der Maskenbildner hatte sich ja um alle Dinnergäste zu kümmern. Und unter vier Augen haben wir dann auch über die alten Zeiten geplaudert. Was denken Sie denn? Das ist doch kein Verbrechen!«

»Natürlich nicht«, versuchte Robert ihn zu beschwichtigen. Rubens regte sich viel zu sehr auf.

»Aber aufgrund der Umstände …«

»Ach, spielen Sie jetzt auf diese alte Geschichte an?«

Robert sah ihn erstaunt an und hielt seine nächste Frage zurück. Rubens schien weiterreden zu wollen. Er wirkte aufgeregt.

»Es war ein Unfall!« Rubens zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Man hat mich damals oft genug befragt, aber eine Tatsache bleibt eine Tatsache. Es war ein Unfall. Krista ist unglücklich gestürzt.«

 

*

 

 

Sophie lief nicht direkt zurück nach Hause. Sie beschloss, ihren Spaziergang zu verlängern und noch etwas an der Elbe entlangzuspazieren. Sie brauchte Bewegung und sie musste nachdenken. Am Elbstrand tummelten sich Hunderte von Menschen. Manche hatten einen Grill aufgestellt und saßen mit Freunden oder der Familie im warmen Sand. Sophie nahm das alles wahr, doch ihre Gedanken kreisten immer um dasselbe Thema: Laura und Victor Rubens. Es fiel ihr schwer, das zu glauben, dabei war es die einzig logische Erklärung. Die beiden hatten ein Verhältnis gehabt. Und es passte zu Laura. Sie war zu ehrgeizig. Ihr waren alle Mittel recht gewesen, um an ihr Ziel zu kommen. Sie war schön und berechnend gewesen. Laura hatte eine geheimnisvolle Macht. Sophie wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, womit Laura noch so hatte glänzen können, außer mit ihrem sensationellen Body. Victor Rubens musste Wachs in ihren Händen gewesen sein.

Nach einer halben Stunde kehrte Sophie um. Die vielen Menschen gingen ihr plötzlich auf die Nerven und sie sehnte sich nach der Ruhe in ihrem grünen Paradies. Sie war froh, endlich wieder zu Hause zu sein. Sophie ging in den Garten und sofort rannte die kleine Ronja wild bellend auf sie zu.

»Hallo, meine Süße!« Sie knuddelte die Hündin ausgiebig. »Wo ist denn dein Herrchen?«

»Herrchen ist bei der Arbeit. Feuer machen.«

Sie lief zu Ben. Ronja folgte ihr schwanzwedelnd.

»Es ist noch so viel Kram im Kühlschrank! Da dachte ich, wir hauen es auf den Grill, bevor alles schlecht wird.«

Sophie ließ sich auf der Liege nieder und streckte ihre langen Beine aus.

»Sehr guter Einfall. Wie herrlich! Zu meinem Glück fehlt mir eigentlich nur ein Glas Weißwein.«

Ben hatte verstanden, und zwei Minuten später hielt sie ein Glas gut gekühlten Chardonnay in der Hand.

»Wie war dein Tag?«

»Super!« Ben strahlte. »Ich war bei Olli. Du würdest die Surfschule und vor allem das Bistro nicht wiedererkennen. Alles ist jetzt modern und schick. Die alte Wohnung von Hanjo hat er komplett umgebaut. Es erinnert nichts mehr an die verstaubten Räume.«

Sophie lief es eiskalt den Rücken herunter, als sie sich an das Badezimmer erinnerte, in dem sie beinahe ertränkt worden war.

»Olli geht es also gut?«

»Dem geht es supergut. Ich soll dich schön grüßen. Was hast du denn heute gemacht?«

Sophie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch langsam aus. »Sascha Richter hat mich angerufen.«

»Was? Warum?« Ben starrte sie erstaunt an.

»Er hofft darauf, dass ich ein Interview mit ihm in die ›Stars & Style‹ bringen kann.«

»Was aber nicht geht?«

»Genau, was aber nicht geht, weil kein Mensch mehr weiß, wer Sascha Richter überhaupt ist.«

»Also, sinnlose Arbeit.«

»Weiß ich nicht.« Sophie lächelte hintergründig. »Richter hat in seiner Alkohollaune ein bisschen geplaudert …«

»Du wolltest überhaupt kein Interview machen!«

»Und er hat mir erzählt, dass Laura mit Rubens ein Verhältnis hatte. Ein ernstes. Rubens hat für seine Flamme die Drehbücher umschreiben lassen.«

Ben machte große Augen. »Laura hatte was mit dem alten Sack? Das kann ich kaum glauben.«

»Sie hatte den alten Sack sogar richtig im Griff, wie es scheint. Sascha Richter hat mir erzählt, dass sie es geschafft hat, aus ihrer Nebenrolle eine Hauptrolle zu machen. Sascha ist bis zur Lächerlichkeit aus dem Script geschrieben worden. Er konnte nichts dafür, aber in dem Film wirkte er wohl nur noch wie ein Laiendarsteller.«

»Kein Wunder. Wahrscheinlich hat er jeden Tag einen neuen Text bekommen.«

Sophie nickte. »Möglich. Auf jeden Fall macht Sascha Richter Laura für seinen bodenlosen Abstieg verantwortlich. Er hat sie mit jeder Faser seines Körpers gehasst.«

»Das vermutest du?«

Sie sah Ben direkt in die Augen.

»Nein, das hat er mir selbst gesagt.«

 

*

 

 

Ben schüttelte den Kopf und machte sich am Grill zu schaffen. Ihm gefiel die ganze Sache gar nicht. Sophie steckte ihren hübschen Kopf schon wieder viel zu tief in die Sache. Heute, als er Olli auf Fehmarn besucht hatte, war ihm bei der Hausbesichtigung der kalte Schweiß ausgebrochen. Auch wenn Olli gründlich renoviert hatte und nun alles modern und frisch wirkte, hatte er die ursprünglichen Räumlichkeiten immer wieder vor sich gesehen. Diese grausamen Fotografien von den ermordeten Frauen und Sophie, die mehr tot als lebendig in der Badewanne gelegen hatte.

»Sascha Richter hat auf jeden Fall noch immer ein ernsthaftes Alkoholproblem. Hörst du mir eigentlich zu?«

»Bitte?« Ben schreckte aus seinen Gedanken auf. »Ich werde mal das Zeug auf den Grill werfen.«

Sophie blitzte ihn wütend an. »Wenn es dich nicht interessiert, dann kann ich ja auch einfach meine Klappe halten.«

Ben legte das Grillgut auf den Rost und gönnte sich einen ausgiebigen Schluck Bier. »Sophie, ich höre dir zu, auch wenn mir nicht gefällt, in was du dich da reinhängst. Die Sache mit Laura und Rubens finde ich schräg, aber ich glaube nicht, dass sie die erste Schauspielerin war, die sich auf der Karriereleiter hochgeschlafen hat.«

Sophie kraulte Ronja und sah beleidigt auf den Rasen. »Und was denkst du über Sascha Richter? Er ist doch die dumme Nuss in der Geschichte. Der Film war sein Ende.«

Ben wendete die Steaks. »Ich kann ja nachvollziehen, dass er wütend war und ist. Wer wäre das nicht? Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er vorher ein perfektes Familienleben geführt und nichts getrunken hat. So was passiert doch nicht von jetzt auf gleich.«

Sophie zog die Augenbrauen hoch und nickte. »Das mag alles sein. Er war ja ganz gut beschäftigt, auch wenn die Rollen, die er gespielt hat, eher Nebenrollen waren.«

»Er hat anscheinend genug verdient mit diesen sogenannten Nebenrollen!« Ben wollte nichts mehr davon hören. Gab es denn überhaupt kein anderes Thema mehr?

Sophie sprang von der Liege auf.

»Ich habe vor ein paar Stunden selbst mit Sascha Richter gesprochen. Er ist fertig und für ihn ist Laura verantwortlich für seinen furchtbaren Zustand. Ohne ihre Einmischung wäre Richter vielleicht groß rausgekommen. Für ihn ist sie der Sündenbock.«

»Auf was willst du eigentlich hinaus?«

»Ich bin mir sicher, dass er Laura jahrelang hasste. Er hat ihr die Schuld an seinem verkorksten Leben gegeben. Ihretwegen hat sich seine Frau von ihm getrennt. Wegen ihr sieht er seine Kinder kaum noch. Nicht, dass sie aktiv dazu beigetragen hat. Nein. Sie hat sich über Richter und Konsorten gar keine Gedanken gemacht, weil sie selbst der Mittelpunkt ihrer Welt gewesen ist.«

Sophie zündete sich die nächste Zigarette an und wühlte in ihrer Handtasche. »Ich muss telefonieren. Ich rufe den Mari an.«

»Was soll das?«

»Stell dir vor, ich habe den offiziellen Auftrag meines Chefredakteurs, Mari zu interviewen.«

Ben zuckte mit den Schultern und tat so, als würde er sich auf die Steaks konzentrieren. In Wirklichkeit dachte er, dass er an Richters Stelle Laura auch gehasst hätte. Aber er käme nie auf die Idee, einen anderen Menschen zu töten.

 

*

 

 

Marcello Mari saß auf seinem großen Balkon in Uhlenhorst und tippte nervös mit den Fingernägeln gegen sein Gin-Tonic-Glas. Heute lief alles falsch. Erst hatte dieser Kommissar Schölzel ihn aufgesucht. Sie hatten natürlich herausgefunden, dass Laura ihn mehrmals angerufen hatte. Und wenn schon. Er hatte souverän ausgesagt, dass er für diese Tatsache wohl kaum etwas konnte und sich von ihr eher belästigt gefühlt habe. Unter Kontakt haben, würde er etwas anderes verstehen. Dieser Schölzel hatte sich damit zufrieden gegeben. Kaum war der unangenehme Kripobeamte aus der Tür, hatte das Telefon geklingelt. Sascha Richter wagte es, ihm den Tag komplett zu versauen. Was bildete sich der Typ nur ein? Glaubte er wirklich, er würde sich erpressen lassen? Selbst wenn er wollte, er konnte Sascha nicht helfen. Keiner würde Richter eine Rolle geben. Er war in der Szene als Trinker bekannt. Niemand würde das Risiko eingehen, mit einem zitternden Wrack zusammenzuarbeiten. Marcello zuckte zusammen, als das Telefon wieder klingelte. Er würde Sascha sagen, dass er zur Hölle fahren sollte.

»Ja!«, fauchte er schroff.

»Spreche ich mit Marcello Mari? Hier ist Sophie Sturm von der ›Stars & Style‹.«

Er riss erstaunt die Augen auf. »Ja, ich bin’s, Marcello. Entschuldigen Sie den rüden Ton, aber ich dachte, es ist mal wieder dieser versoffene Penner, Sasch…« Er biss sich auf die Lippen. Er hatte einen Fehler gemacht.

»Sascha Richter hat Sie angerufen? Was wollte er denn?«

Zu spät. Er würde ihr irgendetwas erwidern müssen.

»Mich erpressen. Dieser Spinner versucht, mir Angst einzujagen. Er will mit einer großen Boulevard-Zeitung sprechen und Dinge über mich erzählen.«

»Was für Dinge?«

Verdammt. Er war auf so ein Gespräch überhaupt nicht vorbereitet. Er musste sich konzentrieren und so gelassen wie möglich wirken. »Keine Ahnung, was er sich in seinem kranken Kopf so einbildet. Es geht mir auch am Allerwertesten vorbei. Ich habe ihm gesagt, er soll sich erst wieder melden, wenn er wirklich einen Redakteur gefunden hat, der ihm die Geschichte abkauft.« Er bemühte sich um einen lässigen Plauderton und lachte leise. »Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie diese Redakteurin sind?«

»Nein, bin ich nicht. Ich möchte eine Geschichte mit Ihnen machen.«

Marcello grinste und ballte die Faust.

»Na, das klingt doch großartig. Gerne.«

»Schön, dann treffen wir uns am besten gleich morgen. Passt es Ihnen am frühen Abend im Au Quai?«

Gute Wahl. Er mochte das Restaurant sehr. »Selbstverständlich. Ich werde uns einen Tisch auf der Terrasse reservieren.« Er würde versuchen, sie auf ein paar Drinks einzuladen und seinen Charme spielen lassen. Sophie war eine sehr attraktive Frau.

»Ach, was will Richter denn eigentlich von Ihnen?«

»Er will, dass ich ihm helfe, wieder einen Job zu kriegen.«

»Und wenn Sie das nicht versuchen, was dann? Welches dunkle Geheimnis von Ihnen glaubt er denn zu kennen?«

Mari stöhnte. »Wissen Sie, Sophie, darüber zerbreche ich mir schon den ganzen Abend den Kopf. Ich habe keine Ahnung. Ich habe langsam den Verdacht, dass ich ein furchtbar langweiliger Mensch bin.«

Sophie lachte. »Vielleicht will er ja das erzählen. Der Frauenschwarm Marcello Mari ist im wirklichen Leben todlangweilig.«

Mari lachte mit. »Dann wäre mein Image als Frauenheld natürlich im Eimer.«

Sie verabschiedeten sich. Mari legte auf und leerte seinen Drink in einem Zug. ›Stars & Style‹. Ein Starporträt wäre wunderbar. Würde dieser kranke Mann ihm Steine in den Weg werfen können? Nicht unwahrscheinlich. Er ahnte, was Sascha Richter wissen könnte. Irgendeine seiner Exfreundinnen hatte Richter wahrscheinlich erzählt, dass er Frauen nicht gerade mit Samthandschuhen anfasste. Schlimmer noch. Er hatte eine sadistische Ader, die er gern auslebte.