21

 

Stefan Sperber saß mit Robert Feller und Ingo Schölzel im Konferenzraum des Polizeipräsidiums in Lübeck. Sie tranken schweigend ihren Kaffee und warteten auf Enno Gerken von der Spurensicherung. Stefan kochte bereits. Enno kam immer zu spät. Jedes Mal ließ er sie kostbare Minuten warten. Als die Tür endlich aufflog und Enno sie breit lächelnd mit einem fröhlichen ›Moin!‹ begrüßte, beschloss Stefan, dem Kollegen nach dem Meeting mal gehörig den Marsch zu blasen.

»Ist noch Kaffee da?«

Stefan ignorierte die Frage. »Wir haben mal wieder lange genug gewartet. Also, bitte, Enno. Wir sind ganz Ohr. Was habt ihr?«

Enno verzog die Mundwinkel und öffnete seine Aktentasche, um die Unterlagen hervorzuholen. »Na gut. Ich fange bei Laura Krone an. Die toxikologische Analyse der Proben, die wir von der Rechtsmedizin erhalten haben, ist wie folgt: Laura Krone hat seit Jahren Drogen genommen. Das hat die Haarprobe zweifelsfrei ergeben. Sie hat regelmäßig größere Mengen Alkohol konsumiert. Auch an besagtem Abend. Wir haben die Gewebeprobe ihrer Galle untersucht. Laura Krone hat regelmäßig Antidepressiva und Morphine zu sich genommen. Sie …«

»Sie hat also ständig was geschluckt«, unterbrach Stefan, um es auf den Punkt zu bringen.

Enno nickte. »Die Blutuntersuchung hat ergeben, dass sie an dem besagten Abend jede Menge konsumiert hat. Sie hat auch Kokain geschnupft.«

»Das wissen wir bereits. Konnte irgendein Gift nachgewiesen werden?«

Enno sah ihn erstaunt an. »Das ist alles Gift! Ich nehme an, du meinst so was wie Blausäure, Arsen oder Strychnin?«

»Bingo!«

 

»Nein. Sie hat kein Gift in diesem Sinne zu sich genommen oder verabreicht bekommen.«

»Was ist mit den Spuren vom Tatort?«

Enno seufzte. »Kann ich nicht doch erst mal einen Kaffee bekommen?«

Stefan nickte Ingo Schölzel zu. Der Beamte stand widerstrebend auf und holte eine saubere Tasse.

»Also gut«, fuhr Enno Gerken fort, nachdem er gierig ein paar Schlucke getrunken hatte. »Es gibt unendlich viele Fingerabdrücke. Natürlich die aller Anwesenden, aber leider auch die unzähliger Feriengäste, an die das Haus vermietet wurde. Die Suite im Hotel Atlantic wurde am Morgen des Todestages natürlich gesäubert. Wir haben keine verwertbaren Abdrücke gefunden. Das Personal ist da anscheinend wirklich gründlich.«

»Verdammt!«

»Unter den persönlichen Sachen haben wir Medikamente gefunden. In der Nachtischschublade lag ein zusammengerollter Zehner, der eindeutig zum Koks schniefen verwendet wurde. Im Kleiderschrank hatte die Crown zwei Flaschen Wodka versteckt. Billiges Zeug aus einem Discounter.«

»Das sind alles Beweise für ihren ungesunden Lebenswandel, mehr aber auch nicht. Was ist mit den Briefen?«, hakte Stefan nach.

Enno blätterte in seinen Unterlagen. »Keine Fingerabdrücke, bis auf die von Laura Krone natürlich.«

Stefan war baff. Sophie war wirklich vorsichtig mit den Beweisstücken umgegangen.

»Die Buchstaben sind aus verschiedenen Zeitschriften ausgeschnitten. Alles Modemagazine. Vogue, Madame, Marie Claire … Beim Klebstoff handelt es sich um einen handelsüblichen Klebestift. Das Briefpapier ist in jedem Postshop zu erhalten.«

»Warum Postshop?«

Seine Kollegen sahen ihn verwirrt an.

»Es gibt doch auch in Schreibwarenläden und Supermärkten Umschläge. Vielleicht arbeitet der Drohbriefschreiber in einer Postfiliale. Oder er wohnt unmittelbar in der Nähe.« Bevor jemand seine Meinung dazu äußern konnte, klopfte es und Gerdt Hartwig trat ein.

»Chef? Ich habe da was Eigenartiges herausgefunden.«

Stefan zeigte auf einen freien Stuhl. Hartwig nahm umständlich Platz.

»Was?«

»Laura Crown ist bereits vor drei Wochen von Los Angeles nach Hamburg geflogen. Wir haben die Passagierlisten überprüft.«

»Ja, und?« Stefan verstand nur Bahnhof.

»Sie hat aber erst vor neun Tagen im Hotel Atlantic eingecheckt. Zwölf Tage nach ihrer Ankunft in Hamburg.«

Stefan nickte schweigend. In seinem Nacken begann es zu kribbeln. Interessant. »Also gut, irgendetwas stinkt hier gewaltig. An die Arbeit. Geht ihre persönlichen Sachen noch mal durch. Möglicherweise gibt es eine Quittung. Vielleicht hat sie mit einer Karte gezahlt. Und wenn da nichts ist, dann heißt es Klinken putzen. Irgendwo muss sie ja geschlafen haben.«

 

*

 

 

Sophie war bereits aus der Tür, als sie ihr Telefon im Flur klingeln hörte. Fluchend rannte sie zurück ins Haus. Auf dem Display las sie die bekannte Nummer. Ihr Chefredakteur hatte zwar auch ihre Handynummer, aber er versuchte es immer zuerst auf dem Festnetz. Sophie war sich sicher, dass es ihm nicht darum ging, Telefonkosten zu sparen. Er wollte gern kontrollieren. Also dann. Schnell nahm sie den Hörer ab.

»Sturm am Schreibtisch, selbstverständlich bei der Arbeit!«

»Sophie, warum meldest du dich denn nicht?«

Ja, warum wohl? »Ich hatte noch zu tun. Ich …«

»Was hast du?«, wurde sie schroff unterbrochen.

»Nichts«, gestand sie ehrlich. »So gut wie nichts jedenfalls. Sascha Richter möchte sich mit mir treffen. Aber ich glaube nicht …«

»Der Richter? Vergiss das. Ich wollte dich auch nur beruhigen. Wir haben endlich einen Promi für das Starporträt gefunden.«

Sophie fiel ein Stein vom Herzen. Für diese Ausgabe war sie raus und hatte Zeit. Zeit, sich um Lauras Geschichte zu kümmern und zu recherchieren.

»Ach, Sophie, eine Sache noch. Du warst doch für die Laura-Story bei der Aufzeichnung der ›Dinnerparty‹ und hast auch die anderen Gäste kennengelernt. Mir geht es um den Mari. Der wäre auch mal ein guter Kandidat für ein Starporträt. Nutz mal deine Connections und frag ihn persönlich. Dann können wir uns den Weg über das Management sparen.«

Sophie fragte sich, ob sie das richtig verstanden hatte. »Mari? Marcello Mari?«

»Ja. Ist ein guter Frauentyp. Da steht unsere Zielgruppe doch drauf. Irgendeinen Film wird der doch gerade machen. Wir bunkern den in zweiter Reihe.«

Sophie versprach, einen Termin mit Marcello Mari zu machen, und verabschiedete sich erleichtert. Das lief doch alles fantastisch. Sie musste nicht lügen und betrügen. Sie hatte mehr oder weniger den offiziellen Auftrag, Mari zu interviewen. Stefan würde an die Decke gehen, wenn er davon erfahren sollte, aber er konnte ihr schließlich nicht verbieten, ihrer Arbeit nachzugehen. Sie würde Mari so schnell wie möglich anrufen! Und dann würde sie ein ganz besonderes Interview mit sehr speziellen Fragen vorbereiten. Fragen, mit denen Mari nie im Leben rechnen würde.

 

*

 

 

Endlich klingelte es an der Tür. Ricky wartete schon seit fast zwei Stunden. Früher Nachmittag war anscheinend ein sehr dehnbarer Begriff für die Polizei. Ricky drückte auf den Knopf, der die Haustür unten öffnete, und hoffte, dass er diese Sache schnell hinter sich bringen konnte. Mit schweren Schritten kam der Beamte die Treppen herauf. Ricky erkannte den Mann sofort wieder. Kommissar Schölzel war bei der Zeugenbefragung auf Fehmarn auch dabei gewesen. Zusammen mit diesem Sperber.

»Richard Kramer?«

Ricky nickte und streckte ihm die Hand entgegen.

»Kommissar Schölzel. Wir kennen uns bereits.«

»Ja, ich erinnere mich. Bitte treten Sie ein.«

Er führte den Beamten in sein Wohnzimmer. Schölzel setzte sich umständlich und fingerte ein fleckiges Notizbuch aus der Jackentasche.

»Herr Kramer. Ich muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen. Jedes kleinste Detail könnte für uns wichtig sein.«

Ricky nickte. »Ich werde natürlich versuchen, Ihnen zu helfen. Was wollen Sie denn noch wissen?«

»War außer Ihnen und Frau Krone zu irgendeiner Zeit noch eine dritte Person in dem Raum, in dem Sie …«

»Sie meinen in der Maske. Den Raum, den wir zu Lauras persönlicher Maske umfunktioniert hatten.«

Schölzel nickte.

»Ja. Der Produzent, Lasse Anderson, war zwei- oder dreimal da, um mit Laura die nächsten Einstellungen zu besprechen.«

»Haben Sie den Raum, äh, die Maske auch mal verlassen?«

Ricky sah den Beamten verwirrt an. »Ja, natürlich! Ich musste mich auch um die drei anderen Gäste kümmern. Sie kamen zwar bereits fertig geschminkt ans Set, aber ich musste sie ständig nachpudern. Es war sehr warm und die Herren haben ganz gut gebechert. Zwischendurch haben die geglänzt wie lackiert.«

Schölzel schrieb sich Notizen in sein Büchlein.

»Es ist aber nie jemand allein in der Maske gewesen, außer Ihnen und Frau Krone natürlich?«

Ricky schüttelte nachdenklich den Kopf. »Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Wissen Sie, an diesem Abend war jede Menge los. Das Haus war schön, aber klein. Da waren die Kameraleute, die Assistenten, Tonleute. Es herrschte ein ziemliches Durcheinander, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich habe auf nicht viel mehr geachtet, als dass alle Dinnergäste, und natürlich besonders Laura Crown, gut aussehen. Um ehrlich zu sein, hätte jeder der Anwesenden Laura in der Maske aufsuchen können, ohne dass ich davon etwas bemerkt hätte. Ich war beschäftigt. Es tut mir leid, aber es konnte doch niemand ahnen …«

»Schon gut. Aber dass Laura gekokst hat, das haben Sie schon mitbekommen?«

Ricky schluckte. »Sie haben mich danach nicht direkt gefragt.«

»Das heißt also ja?«

Ricky nickte.

»Herr Kramer. Sie sind Zeuge. Sie müssten doch wissen, dass jedes noch so kleine Detail wichtig sein könnte. Wieso haben Sie das nicht gleich an dem Abend ausgesagt?«

Ricky zuckte mit den Schultern. »Vielleicht habe ich mich nicht getraut.«

»Weil Sie mitgekokst haben?« Schölzel sah ihn angewidert an.

»Was soll ich denn jetzt sagen?«

»Am besten gar nichts. Ich bin nicht hier, um Sie wegen illegalen Drogenkonsums dranzukriegen.« Schölzel atmete tief durch. »Ich kann also festhalten, dass Sie nicht ausschließen können, dass eine dritte Person allein oder auch mit Laura zusammen in der Maske war, als Sie diese verlassen mussten, um die anderen Dinnergäste nachzupudern?«

»Das ist richtig.«

»Und Frau Krone hat gekokst. Noch was?«

»Alles andere wissen Sie schon. Sie war von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Manisch. Zum Schluss war sie todmüde und sie fühlte sich krank. Sie war echt durch den Wind.«

Schölzel verabschiedete sich kurze Zeit später und nahm ihm das Versprechen ab, sich zu melden, wenn ihm noch etwas einfallen sollte. Ricky stand erschöpft, aber erleichtert an der verschlossenen Tür. Er hatte sich doch ganz geschickt angestellt. Und er war sehr höflich gewesen. Dass er gekokst hatte, schien die Polizei in diesem Fall nicht besonders zu interessieren. Darüber musste er sich zum Glück keine Sorgen mehr machen.