18

 

Es war bereits nach 20 Uhr. Sie hatten sich noch angesehen, wie die Dinnerrunde ihre Vorspeise genoss. Nichts deutete auf die Konflikte hinter der Kamera hin. Die Gäste lobten den ersten Gang in den höchsten Tönen. Laura mimte die charmante Gastgeberin, und selbst Mari und Richter spielten ihre Rollen hervorragend.

Sophie streckte ihre Beine aus. Ihr Rücken schmerzte. Sie hatte genug gesehen. Nach der Vorspeise war sie ja selbst am Drehort eingetroffen. Das musste sie sich nicht heute Abend noch mal auf Video anschauen. »Kannst du mir eine Kopie machen?«, fragte sie müde.

»Wovon?«, wollte Lasse wissen.

»Am besten von dem ganzen Material.«

»Von dem ganzen Zeug? Was willst du damit?«

»Es der Polizei geben.«

Sie konnte Bens verwunderten Blick regelrecht spüren. Lasse starrte sie überrascht an.

»Sophie, ich will versuchen, das zu verkaufen. Ich muss die Crew bezahlen, auch wenn die Sendung geplatzt ist. Ich will zumindest ein bisschen Geld wieder reinholen und die Aufnahmen den Boulevardmagazinen anbieten.«

Sophie sah ihn eindringlich an. »Du kannst das nur vernünftig verkaufen, wenn eine starke Geschichte dahintersteckt. Mord wäre so etwas. Aber ein Mord wird das nur, wenn die Polizei auch in die Richtung ermittelt. Im Moment gehen die nämlich von versehentlicher Selbsttötung aus.«

»Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Oder wie man so schön sagt. Sophie, ich brauche Geld. So einfach ist das. Was macht dich überhaupt so sicher, dass Laura ermordet wurde?«

Sophie würde ihm nichts von den Briefen erzählen. Noch nicht. Ihre Erklärung musste reichen. »Ich weiß es eben.«

 

*

 

 

Stefan kramte seine Sachen zusammen und war im Begriff, das Büro endlich zu verlassen, als Robert eintrat.

»Du bist noch da?«, fragte er überrascht.

»Witzig! Wer hat mir denn den Auftrag erteilt, mal ein bisschen in der Vergangenheit zu wühlen?«

Stefan zuckte nur lässig mit den Schultern. »Und? Hast du was?«

»Allerdings!«

Robert warf ihm ein paar ausgedruckte Seiten auf den Schreibtisch.

»Und?«

»Ich bin nicht dein persönlicher Praktikant. Warum liest du es dir nicht einfach selbst durch? Es ist jetzt 20.30 Uhr und eigentlich habe ich frei.«

»Ach, machst du jetzt auf beleidigte Leberwurst?«

Robert sah ihn seltsam an. »Weißt du was? Ich habe echt keinen Bock mehr auf deine großkotzige Art. Wenn ich nicht wüsste, dass du dich deiner Familie gegenüber großartig verhältst und deine Kinder und deine Frau dich aufrichtig lieben, würde ich dich für einen abgrundtief entsetzlichen Menschen halten!«

Stefan zog die Augenbrauen hoch und starrte Robert an.

»Glotz von mir aus wie Bambi. Ich habe Feierabend.« Robert verließ das Büro, ohne sich zu verabschieden.

Stefan saß einen Augenblick da und dachte über Roberts Worte nach. Hatte er ihn wie einen Praktikanten behandelt? Ja, wahrscheinlich schon. Stefan schnalzte mit der Zunge und fingerte eine Zigarette aus der Schachtel. Ob er ihn nun mochte oder nicht, Robert war ein großartiger Kripobeamter. Gerade weil sie im Privatleben kaum Gemeinsamkeiten hatten, arbeiteten sie unbefangen und neutral zusammen. Er selbst war Familienvater. Seine Frau und seine drei Kinder lebten auf Fehmarn. Auch wenn er unter der Woche in einem kleinen Apartment in Lübeck hauste, genoss er doch, wann immer er Zeit hatte, sein Familienleben. Robert war Single, von Haus aus reich, und im Gegensatz zu ihm hatte er ein gepflegtes Erscheinungsbild. Robert hätte auch in einem Sack besser ausgesehen als er selbst. Stefan griff nach den Computerausdrucken, die Robert für ihn gemacht hatte. Er überflog die Seiten mit offenem Mund. Seine Zigarette hielt er unangezündet in der Hand. Das waren Informationen, mit denen er nie und nimmer gerechnet hatte. Victor Rubens. Vor sieben Jahren hatte es auf einer Premierenparty in seiner Privatvilla einen Unfall gegeben. Einen tödlichen Unfall. Es war sogar von Mordverdacht die Rede.

 

*

 

 

Ben konnte es gar nicht erwarten, dass sie endlich aus dieser Dunkelkammer herauskamen. Er brauchte dringend frische Luft. Außerdem knurrte sein Magen schrecklich. Auf Ibiza würde er jetzt irgendwo was essen gehen. Vielleicht am Strand in Talamanca. Er würde auf das Meer sehen und sich zu seiner Lieblingspizza ein kühles San Miguel gönnen. Zum ersten Mal vermisste er seine neue Heimat in Spanien.

Sie verließen das Loft und fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten. Ronja sprang begeistert herum. Ben spürte den warmen Wind im Gesicht und fragte sich, warum er in Hamburg war.

»Hast du auch Hunger?«, fragte Sophie.

»Kannst du Gedanken lesen?«

»Leider nicht, aber deinen Magen knurren hören.«

Ben musste lachen. Ja, er war in Hamburg, um Sophie ein ganz besonderes Geschenk zu machen.

»Ich lade dich ein. Chinesisch vom Feinsten! Das Hotel Atlantic ist gleich um die Ecke. Im Tsao Yang kann man super essen.«

»Warum nicht? Mittlerweile bin ich so hungrig, dass sie mir auch eine frittierte Ratte mit acht Köstlichkeiten servieren dürfen.«

»Das wird nicht auf der Karte stehen, aber man ist dort stets bemüht, dem Gast jeden Wunsch zu erfüllen.«

Das Hotel war nur einen Steinwurf entfernt. Das Restaurant war wirklich schön. Für seinen Geschmack allerdings etwas zu edel. Er fühlte sich in einer solchen Umgebung immer ein bisschen unwohl. Sie bekamen einen Tisch mit Alsterblick. Nachdem sie bestellt hatten, sah Sophie ihn mit großen Augen an.

»Jetzt sag schon. Was hältst du von den Aufnahmen?«

»Ich halte von deiner verdammten Schnüffelei gar nichts.«

»Das hast du bereits ein Dutzend Mal erwähnt und ich habe es auch zur Kenntnis genommen. Aber du musst doch zugeben, dass Richter und Mari sich unglaublich verhalten haben. Die beiden hassen sich.«

»Sie leben aber noch«, erinnerte Ben.

Sophie ging nicht darauf ein. »Und dieser plötzliche Wandel von Laura …«

»Spricht für die Theorie, dass sie irgendwelche Drogen genommen hat. Hör mal, ich habe Hunger wie ein Wolf und ich neige dazu, dann aggressiv zu werden, wenn mich jemand nervt. Und im Moment nervst du. Und zwar gewaltig.«

Sophie schien ein bisschen beleidigt zu sein, doch sie schnitt das Thema nicht mehr an. Fast schweigend genossen sie das hervorragende Essen.

»Danke für die Einladung«, meinte Ben versöhnlich, als sie zurück in die Lobby gingen. »Das war wirklich lecker. Ich habe jetzt sogar genug Kraft, um deine Mordtheorien zu ertragen. Aber bitte erst, wenn wir in deinem Garten sind und ich auf der Liege ein kaltes Bier trinken kann.«

Sophie nickte grinsend. Dann blieb sie abrupt stehen, stieß ihn mit dem Ellenbogen an und deutete auf einen Kerl, der gerade an ihnen vorbeigerauscht war. »Wir müssen noch kurz an die Bar.«

»Wir könnten aber doch …«

Sophie war bereits losmarschiert. Ben stöhnte und folgte ihr dann. Sie begrüßte den Mann bereits. Ben erkannte ihn sofort wieder, schließlich hatte er ihn gerade noch auf dem Video gesehen.

»Sophie, schön, Sie zu sehen.«

»Was für ein Zufall. Darf ich vorstellen? Marcello Mari, Ben Lorenz.«

Zufälle gab’s! Ben beschloss, die Rolle zu spielen.

»Herr Lorenz.« Mari gab ihm seine Hand.

»Freut mich, Sie kennenzulernen!« Ben wischte sich unauffällig die Hand an seiner Jeans ab. Er hatte das Gefühl, Aalschleim an seinen Fingern zu haben.

»Wie geht es Ihnen?«, hörte er Sophie mitfühlend fragen.

»Sicher, keine schöne Sache.« Mari lächelte traurig. »Aber ›the show must go on‹, oder? Sie wissen doch, wie das ist.«

»Ich meine nur, weil Sie und Laura sich doch einmal sehr nahegestanden haben.«

»Ach, du meine Güte! Die Geschichte ist ungefähr ein Jahrzehnt her. Damals wurde von der Presse viel mehr drausgemacht, als eigentlich war. Verstehen Sie mich nicht falsch. Was passiert ist, ist natürlich schrecklich. Aber es ist einer Frau passiert, die ich gar nicht mehr kannte. Laura und ich hatten überhaupt keinen Kontakt mehr.«

 

*

 

 

Stefan Sperber fuhr über die Fehmarnsundbrücke. Er wollte nur noch nach Hause. Jetzt brauchte er Tina. Seine schöne, kluge Frau würde ihn aufheitern. Sie würde ihm sagen, dass er im Grunde genommen kein schlechter Kerl sei und dass sie ihn lieben würde. Stefan atmete tief durch, doch das beklemmende Gefühl wollte nicht von ihm abfallen. War er wirklich so ein unsensibler Klotz, wenn es um seinen Job ging? Behandelte er seine Kollegen ungerecht? Er parkte den Wagen und ging ums Haus. Tina wartete bereits auf der Terrasse.

»Schatz, da bist du ja endlich.« Sie schloss ihn in die Arme. Er hielt sie ganz fest. »Ist alles in Ordnung?«

Stefan schüttelte den Kopf. »Ich bin ein schlechter Chef.«

Tina starrte ihn verwundert an. »Ein schlechter Chef? Das ist doch Quatsch. Jetzt setz dich.«

Stefan nahm Platz. Auf dem liebevoll gedeckten Tisch stand eine Schale mit Nordseekrabben und ein Korb mit frischem Brot. Er hatte keinen Appetit.

»Greif zu. Du musst doch Hunger haben.«

»Ich hatte eine Pizza, heute Mittag.«

»Es ist gleich zehn. Da wird in deinem Magen ja wohl wieder Platz für ein paar Krabben sein.«

Er trank einen Schluck Wein und kramte die Zigarettenschachtel aus seiner Tasche.

Tina sah ihn besorgt an. »Was ist los?«

»Robert Feller ist mein bester Mann. Er ist ein hervorragender Kripobeamter. Sein einziges Manko ist, dass ihm bei Obduktionen schlecht wird.«

»Den meisten Menschen würde schlecht werden, vergiss das nicht.«

»Robert hat mir heute an den Kopf geworfen, dass ich ihn wie einen Praktikanten behandle. Das hat mich echt getroffen. Stell dir vor, dein Mann hat nachgedacht. Robert hat recht. Ich bin ständig aufbrausend und ich sollte die Arbeit der Kollegen mehr loben.«

»Gut.« Tina lächelte ihn zufrieden an. »Dann weißt du doch, was du tun musst. Entschuldige dich bei Robert und erkläre ihm, dass es nicht persönlich gemeint war. Können wir jetzt essen?«

»Sophie habe ich heute angedroht, sie wegen Behinderung der Ermittlungen ranzukriegen.«

»Sophie? Sie war es doch, die die Polizei gerufen hat.«

»Sie hat Beweismaterial zurückgehalten.« Stefan erzählte ihr die ganze Geschichte. »Ich bin ja froh, dass sie uns die Briefe gebracht hat. Vielleicht hätte ich ihr sogar danken müssen.«

»Du isst jetzt und ich rufe sie an. Ich werde ihr gegenüber andeuten, dass es dir leidtut.«

Er sah sie dankbar an.

»Ach, Stefan, du wirst nie ein Lämmchen werden. Und das will auch niemand.«

Tina ging ins Haus, um in Ruhe telefonieren zu können. Stefan schloss für einen Moment die Augen. Die Anspannung löste sich und plötzlich hatte er wieder Appetit. Seine Frau hatte recht. Ihm würde schon kein Zacken aus der Krone fallen, wenn er ab und zu mal Danke sagte. Am Ende des Tages saßen sie doch alle im selben Boot. Sie wollten Verbrechen aufklären und die wahren Täter finden.

 

*

 

 

Ben war froh, als er am Ende dieses langen Tages endlich mit einem Bier auf der Gartenliege saß. Ronja hatte sich am Fußende zusammengerollt und schlief. Sophie war noch im Haus. Das Telefon hatte geklingelt. Ben nahm an, dass sie das Gespräch angenommen und sich festgequatscht hatte. Ihm war es ganz recht, ein paar Minuten Ruhe zu haben. Er war schon halb eingenickt, als Sophie sich zu ihm gesellte. Sie hatte ein Glas Rotwein in der Hand.

»Was für ein Tag!«, stöhnte sie und ließ sich auf die zweite Liege plumpsen, ohne auch nur einen Schluck Wein zu verschütten. »Das war Tina am Telefon. Ich soll dich schön grüßen.«

»Danke. Und? Hat Stefan sich bei ihr beklagt, dass du die Briefe zurückgehalten hast?«

»Nein. Tina hat eher durchscheinen lassen, dass Stefan selbst der Meinung war, er sei etwas zu ruppig gewesen. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Er war doch so wütend.«

»Das kannst du wohl sagen! Du solltest seine Nerven nicht überstrapazieren. Allein wegen Tina. Sie sitzt doch wieder zwischen den Stühlen. Ich finde, wir sollten das Abenteuer jetzt hier beenden.«

»Ich habe nachgedacht.«

»Ach ja?« Ben machte sich auf das Schlimmste gefasst.

»Ich finde, wir haben heute allerhand erreicht. Wir haben gesehen, dass sich die Dinnerrunde nicht abkann.«

»Die Herren konnten sich gegenseitig nicht leiden«, erinnerte er.

»Richter hat Mari provoziert, indem er ihm vorhielt, dass er damals aus Lauras Bett geflogen sei. Also hat sie vermutlich Schluss gemacht.«

Ben sah sie skeptisch an. »Und darum vergiftet er sieben Jahre später ihr Essen? Wirklich, Sophie, das ist ganz schön weit hergeholt und es gibt nicht den geringsten Beweis.«

»Immerhin hatte er einen Grund, ihr in Deutschland kein Comeback zu wünschen. Und Sascha Richter hat nach seiner schwachen Vorstellung in ›Die mexikanische Nanny‹ kaum noch Angebote bekommen.«

»Schlecht gespielt hat er ja wohl selbst. Das kann er Laura doch nicht in die Schuhe schieben.«

»Du hast ihn auf dem Video gesehen. Der Typ ist kaputt. Ich glaube nicht, dass der noch wirklich rational denkt.«

»Sophie! Jetzt mach aber mal einen Punkt! Was ist mit Victor Rubens? Auch verdächtig? Willst du jetzt vielleicht behaupten, er habe Laura aus Amerika zurückkommen lassen, um sie umzulegen, weil er dann Presserummel hat? Du hast keine Spur und keine Ahnung. Lass es gut sein.«

Sophie sah ihn beleidigt an. »Wir sind doch noch ganz am Anfang.«

»Ich für meinen Teil bin bereits am Ende der Geschichte. Wir wissen lediglich, dass zwei Teilnehmer der Dinnerrunde sich nicht leiden konnten. Okay. Laura ist tot. Fakt! Aber nichts weist darauf hin, dass einer der Herren schuldig ist. Wahrscheinlich ist Laura selbst ihr schlimmster Feind gewesen. Und sie hat sich selbst auf dem Gewissen, weil sie einfach übertrieben hat.«

»Und was ist mit den Briefen?«

Ja, was war mit den Briefen? Darauf wusste Ben auch keine Antwort.

 

 

Samstag

 

 

Sophie war früh wach. Sie hatte schlecht geschlafen. Laura war durch ihre Träume gegeistert. Ihr Tod ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Außerdem hatte sie sich in der gestrigen Nacht noch furchtbar mit Ben gestritten. Er wollte einfach nicht verstehen, warum sie die ganze Sache so beschäftigte. Ben hatte sogar angekündigt, ihr nicht weiter helfen zu wollen. Sophie setzte sich auf und massierte sich den steifen Nacken. Ronja begann sofort, mit dem Schwanz zu wedeln und zu fiepen. Die kleine Hundedame hatte sich wieder in ihr Schlafzimmer geschlichen.

»Wollen wir raus?«, flüsterte Sophie.

Ronja sprang auf und bellte.

»Pst. Ben schläft sicher noch.«

Sophie schlüpfte in eine Jogginghose und ein T-Shirt und schnappte sich ein Paar Sneakers. Leise verließ sie mit Ronja das Haus. Es war ein herrlicher Morgen. Die Sonne schien und ein frischer Wind jagte die wenigen Wolken über den blauen Himmel. Sie liefen am Elbstrand entlang. So früh waren noch nicht viele Menschen unterwegs. Es war wundervoll, wieder mit einem Hund zusammen zu sein. Fast wie früher, als Pelle bei mir war, dachte Sophie wehmütig. Vielleicht sollte sie doch darüber nachdenken, sich wieder einen Hund anzuschaffen. Obwohl sie sich selten einsam fühlte, wäre es wunderbar, wieder einen Gefährten auf vier Pfoten zu haben. Nur einen braunen Labrador würde sie nicht mehr haben wollen. Es gab nur einen Pelle. Vielleicht sollte sie einfach mal ins Tierheim fahren, dachte Sophie gerade, als Ronja plötzlich losschoss wie ein Jagdhund nach einem Kaninchen.

»Ronja!«, brüllte Sophie so laut sie konnte.

Ronja dachte nicht daran, stehen zu bleiben. Ein gutes Stück entfernt ging ein Mann mit einem weißen Königspudel spazieren. Wer hatte heute noch so einen Hund?, fragte sich Sophie. Königspudel waren in den 50er-Jahren en vogue.

»Die will nur spielen!«, rief sie und lief eilig weiter. Sie hatte Angst, dass Ronja in eine Beißerei geraten könnte. Ronja war außer Rand und Band. Freudig bellend sprang die junge Hündin den Pudel an wie ein Känguru. Das Tier fiel um wie ein Stein. »Sie meint das nicht böse«, keuchte Sophie außer Atem und lief schneller. Der Mann gab ihr ein Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Plötzlich traute sie ihren Augen nicht. Robert Feller?

»Robert?«, fragte sie verdutzt, als sie angekommen war.

»Guten Morgen, Sophie.«

Robert trug eine verwaschene Jeans und ein ausgeleiertes Sweatshirt.

»Mein Gott, ich hätte dich in diesem Look fast nicht erkannt.«

»Normaler Freizeitlook. Jeans, Pulli …«

»Klar. Für mich gehörst du nur zu den Menschen, die sogar im Designerpyjama schlafen.«

»Da kann ich dich beruhigen. Ich schlafe nackt. Und die Jeans ist natürlich eine Edeljeans. Used Look. Mit Klamotten solltest du dich eigentlich auskennen.«

»Wie kann sich ein einfacher Kommissar nur so was leisten?«

»Ich esse nicht viel und lass mich sonst von reichen Frauen finanziell unterstützen.«

Sophie musste lachen. Ihr war nie aufgefallen, dass Robert Humor hatte.

»Neuer Hund?«, fragte Robert.

Sophie blickte zu Ronja, die bellend versuchte, den Pudel zum Toben anzuregen.

»Nein. Ich bin noch nicht so weit. Der Hund gehört Ben.«

Robert nickte. »Was ist da denn alles drin?«

Sophie sah ihn empört an. »Alles drin? Ronja ist keine Promenadenmischung. Sie ist ein Podenco Ibicenco und damit direkter Nachfahre der ägyptischen Pharaonenhunde.«

»Soso. Pharaonenhund.« Robert schien ihr nicht so recht zu glauben. »Sie ist ganz schön lebhaft. Wie alt ist sie denn?«

»Erst ein paar Monate.«

»Du solltest dir auch wieder einen Hund zulegen.«

Sophie nickte. »Ich fange an, darüber nachzudenken.«

»Ich finde ja, dass ein Golden Retriever zu dir passen würde.«

»Ach, diese Moderasse? Hältst du mich für eine Tussi?«

»Nein, ich meinte nur …«

»Königspudel, schneeweiß. Alle Achtung. So einen Hund hätte ich dir allerdings auch nicht zugetraut. Oh! Sind das Swarovskikristalle am Halsband? Nicht, dass wir uns missverstehen. Ich mag Schwule! Ein paar meiner besten Freunde sind schwul. Aber du? Polizist, schwul und ein George-Michael-Lookalike? Bisschen viel!«

Robert stöhnte. »Ich hasse diesen Hund. Er gehört meiner Mutter. Mum hat gerade ein neues Hüftgelenk bekommen. Was soll ich denn machen? Mutter liebt das Vieh definitiv mehr als mich. Wenn ich mich nicht angemessen um den Köter kümmere, enterbt sie mich. Der Hund ist auch noch dumm und kein bisschen erzogen. Manchmal möchte ich ihn wirklich an den nächsten Baum binden und schnell wegrennen.«

Sophie musste schmunzeln. Sie hätte nie vermutet, dass Robert so unter der Fuchtel seiner Mutter stand.

»Und? Wie kommt ihr in Lauras Sache weiter?«

Jetzt grinste Robert und schüttelte langsam den Kopf. »Netter Versuch. Auch wenn du mir lange nicht so unsympathisch bist wie meinem Chef, ich werde dir nichts sagen.«

Sophie hatte das auch nicht erwartet, trotzdem startete sie noch einen Versuch. »Du könntest mir zumindest verraten, ob ihr diese Morddrohungen ernst nehmt.«

»Ja, das tun wir schon. Wir haben ihre Telefonlisten überprüft und all das Zeug.«

»Ich gebe freiwillig zu, mit ihr telefoniert zu haben.«

»Sie hat anscheinend gerne telefoniert. Ihre Liste war verdammt lang. Allein mit diesem Marcello Mari hat sie mindestens einmal am Tag telefoniert.«

Sophie riss die Augen auf. »Was?«

Robert biss sich auf die Lippe. »Vergiss es!«

»Robert, ich habe Mari gestern rein zufällig an der Bar des Hotel Atlantic getroffen. Ich war mit Ben im ›Tsao Yang‹ essen.«

»Zufällig? Na klar! Hör zu …«

»Nein, hör du zu. Mari sagte mir, er habe seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Laura!«

 

*

 

 

Robert Feller starrte Sophie an. Hatte er das gerade richtig verstanden? In Sophies Gegenwart war er immer ein bisschen nervös. Sie war genau sein Typ, zumindest optisch. Er bewunderte zwar ihre Art, Dinge anzupacken, aber für seinen Geschmack war sie ein bisschen zu tough.

»Das hat er gesagt?«, fragte Robert noch mal nach. »Er hätte seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Laura?«

Sophie nickte.

»Dann hat er dich wohl angelogen. Interessant.«

»Aber warum?«

Robert versuchte, sich zu konzentrieren. Sophie war noch attraktiver, als er sie in Erinnerung gehabt hatte.

»Du schnüffelst also wieder herum?«

»Ja, wundert dich das?« Sophie sah ihn ungeduldig an. »Sie hat mir diese Briefe zukommen lassen!«

»Ich wünschte mir wirklich, du würdest dich raushalten. Stefan wird ausflippen.«

»Er muss es doch gar nicht erfahren. Wenn mir was auffällt, könnte ich dich …«

»Sophie, bitte halte mich nicht für einen Idioten.« Robert überlegte kurz. Umstimmen konnte er Sophie sowieso nicht. Und wenn sie ihre Informationen zuerst ihm mitteilte, könnte er vielleicht wirklich mal glänzen. Was hatte er schon zu verlieren? »Wir haben, wie gesagt, ihre Telefonrechnung überprüft. Sie hat mit Marcello Mari telefoniert und mit Victor Rubens, aber das kann man wohl außen vor lassen, weil die beiden ja berufliche Pläne hatten. Da sind noch etliche Nummern, die wir erst zuordnen müssen.«

»Ich kann das nicht nachvollziehen.«

»Was?«

»Sie haben mehrmals telefoniert. Vielleicht haben sie sich sogar getroffen! Glaubst du wirklich, dass weder Mari noch Rubens ihr verraten haben, dass sie die geheimen Dinnergäste sind?«

Robert überlegte kurz. »Ich hätte es an ihrer Stelle wahrscheinlich nicht verheimlichen können. Aber ich bin nicht im Filmbusiness und habe keine Ahnung, wie die da so ticken. Ist das so wichtig?«

»Laura wirkte wirklich überrascht, als sie die Tür geöffnet hatte!«

»Sie ist oder war immerhin Schauspielerin.«

Sophie nickte, doch Robert konnte ihr ansehen, dass sie skeptisch war.

»Ich muss zurück. Ich ruf dich an, wenn mir noch was auffällt.«

»Hier ist meine Karte. Da ist meine Handynummer drauf. Ich denke, es ist besser, wenn Stefan nicht erfährt, dass wir uns über den Fall unterhalten haben.«

Sophie lächelte ihn an. »Ich sage es ihm bestimmt nicht.«

Dann trabte sie mit der hübschen Hündin im Schlepptau zurück. Robert sah ihr nachdenklich hinterher. Es wäre in der Tat merkwürdig, wenn Mari und Rubens die ›Dinnerparty‹-Geschichte geheim gehalten hätten. Sophie glaubte nicht, dass es nur darum gegangen war, Laura den Spaß nicht zu verderben. Laura war anscheinend wirklich überrascht gewesen. Das hatten mehrere Zeugen ausgesagt. Schauspielerin hin oder her. Sie hatte wohl tatsächlich im Vorfeld nichts gewusst. Falls die Herren ihr nichts gesagt hatten, dann mussten sie dafür ihre Gründe gehabt haben. Robert rief nach dem Hund. Es war ihm immer peinlich, diesen beknackten Namen zu brüllen. »Alexander!« Wer nannte seinen Hund schon Alexander? Nur seine Mutter. Sie war ja auch nicht davor zurückgeschreckt, ihn auf Robert Traugott Gabriel taufen zu lassen. Er brauchte jetzt dringend eine kalte Dusche, bevor er sich wieder nach Lübeck aufmachte und Stefan unter die Augen trat. Plötzlich blieb er ruckartig stehen. Alexander keuchte beleidigt, als das Swarovskihalsband ihn bremste. Sophie war doch erst zum Hauptgang am Drehort erschienen. Wie konnte sie da wissen, dass Laura beim Eintreffen der Gäste ernsthaft überrascht gewirkt hatte?