30. Kapitel
Voort und Myri setzten mit ihren Sternenjägern zu einem langsamen, tödlich langweiligen Anflug auf die Operationsbasis der Gespenster an. Sie sanken auf ihren Repulsoren nach unten und landeten im Steinbruch. Es dauerte einige Minuten, um ihre Astromechs auszuladen – Fuzzy und die verbeulte schwarze R5-Einheit, die Voort Mülltonne nannte – und die Sternenjäger mit großen Planen aus hellbraunem Flexiplast abzudecken. Dann stiegen sie mit den Droiden in den mit einem Geländer gesicherten offenen Turbolift, der noch aus der Zeit stammte, als der Steinbruch ein gut laufendes Geschäft gewesen war. Klappernd stieg der Aufzug auf Klippenhöhe empor.
Die beiden Gespenster, die noch immer ihre orange-weiße X-Flügler-Pilotenmontur trugen und die Helme in Händen hielten, betraten das Hauptgebäude – und landeten in einem Wirrwarr reger Aktivität.
An der Decke des Einsatzzentrums schwebte ein Hologramm, das die Grenze zwischen Kura-Stadt und der Chakham-Basis zeigte. Huhunna hielt ihre Hand in das Bild, wie um einen niedrigen Berg am Westrand der Grenzlinie zu packen.
Jesmin schaute auf, als Voort und Myri eintraten. »Das ist ihre Basis. Wir knobeln gerade aus, wie wir da reinkommen.«
Voort nickte. »Ausgezeichnet. Muskelboy, küss ihnen die Hand.«
Trey, der sich in einem Polstersessel fläzte, ignorierte ihn. »Ihr werdet ein Köfferchen für die Juwelen brauchen.«
Voort tat seine Bemerkung mit einem Winken ab. »Ich hätte auch gern ein Kristallköfferchen. Das ist allerdings nicht deine Abteilung. Ich will, dass du dich so schnell wie möglich nach oben zur Skifter-Station begibst, um außen die Sensordisruptoren anzubringen. Und wie sieht’s mit Protonentorpedos aus?«
Trey schüttelte den Kopf. »Das wird wohl eher nichts. Allerdings kann ich neue Waffenaufhängungen an den S-Flügeln anbringen und ein bisschen was Raketenmäßiges dafür zusammenbasteln.«
»Das wird genügen müssen.« Voort suchte Drikalls Blick. »Saniboy! Kannst du Turmans Vitalsignale manipulieren?«
»Natürlich.« Der Sanitäter lächelte und ließ zwei Reihen beeindruckend scharfer Zähne aufblitzen. »Was hättest du denn gern? Herzrasen ist meine Spezialität.«
Turman schaute mit alarmierter Miene vom Sessel auf. »Momentchen mal …«
»Mach dir deswegen keine Sorgen.« Thaymes’ Blick wanderte zwischen seinem Monitorschirm und dem Hologramm hin und her, auf das Huhunna weiterhin einstocherte. »Ich habe einen Krachmacher für Kinder neu kodiert. Wenn man das Gerät außen am Botscha-Anzug anbringt, wird es sich anhören, als habe Turman zwei Herzschläge. Oder willst du lieber drei? Ich kann ihm drei Herzschläge geben.«
Drikall schaute wie verraten und verkauft drein.
Scuts Stimme drang aus dem Nachbarraum, dem kombinierten Küchen- und Essbereich, den Wran die Katastrophenkantine getauft hatte: »Verpassen Sie dem Clawditen nur ja keine Betäubungsmittel. Das endet nie gut.«
Dann kam jemand aus der Kantine – nicht Scut, sondern ein schlanker Mensch, der sich jetzt in jener zwielichtigen Zone zwischen den mittleren Jahren und dem befand, was danach kam. Das Haar des Mannes war weiß, aber noch nicht ausgedünnt, und sein silbergrauer und in modernem Coruscant-Stil gehaltener Anzug war gut geschnitten und sauber. Als er Voort entdeckte, kam er mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Professor! Es ist schön, Sie wiederzusehen.«
»Dr. Cheems!« Voort schüttelte ihm die Hand. »Wie war Ihr Shuttleflug?«
»Ermüdend, danke der Nachfrage. Und, bitte, nennen Sie mich Mulus.«
»Ich bin Voort. Haben Sie sich schon eingelebt?«
»Absolut, und ich habe mich auch bereits an die Arbeit gemacht. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.« Mulus übernahm die Führung und kehrte in die Kantine zurück.
Der Esstisch war fast zur Gänze mit Schaubildern, halb zusammengebauten Geräten sowie verschiedenen Hand- und Blasterwaffen bedeckt. An einem Ende stand ein Apparat, der ein Pistolengriff-Löteisen gewesen wäre, wenn der »Lauf« nicht anstatt mit einem Heizelement mit einer winzigen, transparenten Polierplatte versehen gewesen wäre. Daneben standen mehrere kleine Duraplastkästchen, in denen sich Edel- und Halbedelsteine befanden, einige geschliffen und facettiert, andere roh.
Mulus nahm neben dem Pistolengriff-Werkzeug Platz. Voort ließ sich auf den Stuhl daneben sinken, und die anderen Gespenster versammelten sich um sie herum. Einige blieben stehen.
»Also.« Mulus hielt ein Kästchen mit ungeschnittenen Steinen hoch. »Dies sind verschiedene Gesteinsproben von Kuratooine, die Viull für mich besorgt hat.«
»Viull …« Voort wirkte nachdenklich. »Oh, Sie meinen Scut.«
Mulus warf seinem Yuuzhan-Vong-Sohn einen strengen Blick zu. »Du weißt genau, wie sehr deine Mutter diesen Spitznamen hasst.«
Scut zuckte mit den Schultern und lächelte – ein seltsamer Ausdruck auf einem Yuuzhan-Vong-Gesicht.
»Wie auch immer.« Mulus stellte das Kästchen wieder ab. »Unterm Strich haben wir hier die üblichen Edelsteinvorkommen für eine Welt dieses Typs. Die Saphire von Kuratooine werden besonders geschätzt. Obgleich mir persönlich der Bernstein sehr gut gefällt, den man hier findet.«
Voort schüttelte den Kopf. »Bernstein wird für uns nicht funktionieren. Das ist etwas Organisches. Wir brauchen abgebaute, anorganische Steine.«
»Zu schade. Trotzdem werde ich etwas Bernstein mit nach Hause nehmen.« Mulus stellte das Kästchen ab. »Aber, um zur Sache zu kommen, wenn Sie diese Leute … Wie nennt ihr die noch gleich?« Er sah Scut an.
»Die Ziele.«
»Wenn ihr die Ziele davon überzeugen wollt, dass sie Edelsteine vor sich haben, die in vollkommener Abgeschiedenheit abgebaut und bearbeitet wurden und dementsprechend vollkommen unbekannt sind, gibt es zwei grundlegende Herangehensweisen. Entweder braucht ihr ein Material, das ihnen noch nie zuvor untergekommen ist, oder eine Schleiftechnik, die sie noch nie gesehen haben. Natürlich wäre beides zusammen noch wesentlich überzeugender. Was nun Materialien betrifft, die ihnen noch nie zuvor untergekommen sind, so ist das ziemlich knifflig, weil ihr dann tatsächlich irgendein Material gefunden haben müsstet, das noch niemand kennt …« Seine Stimme verklang, und er wartete auf eine Reaktion.
Die Gespenster schüttelten die Köpfe.
»Verdammt! Ich hatte insgeheim gehofft, ihr würdet mich mit derlei begeistern. Alternativ könnt ihr auch etwas verwenden, das im Labor geschaffen wurde. Allerdings ist das ebenfalls knifflig, da ein solches Material in aller Heimlichkeit entwickelt werden müsste. Ohne jedwede veröffentlichte Beschreibungen des Zeugs, um andere Gemmologen über diese Entdeckung zu unterrichten oder von der Regierung bewilligte Fördergelder zu rechtfertigen. Dass so etwas praktisch niemals vorkommt, ist wohl nicht weiter erwähnenswert. Wie ihr sicherlich wisst, neigen die Wissenschaftler eines bestimmten Fachbereichs dazu, gern zu wissen, was andere so treiben. Offenkundig brauchen wir, um dieses Problem zu lösen, deutlich mehr unverschämt reiche verrückte Wissenschaftler – ein Job, für den ich mich sofort bewerben würde.«
»Vater!« Scut klang ungeduldig. »Die wenigsten von uns haben länger zu leben als ein Jahrhundert, und du schweifst gerade vom Thema ab.«
»Oh, tut mir leid. Und selbst wenn euch ein hilfsbereiter verrückter Wissenschaftler zur Verfügung stünde, lassen sich einige künstliche Edelsteinproduktionstechniken unter dem Mikroskop nachweisen.«
»Dann also die andere Herangehensweise …« Trey sah aus, als habe er Mühe, sich daran zu erinnern, worum genau es sich dabei handelte. »Sie sagten etwas von Schleiftechniken, die noch niemand je gesehen hat?«
»Korrekt. Was das betrifft, kann ich behilflich sein, denke ich. Im Laufe der Jahre habe ich mehrere Schallgeräte entwickelt, die dazu dienen, Edelsteine zu schneiden. In den richtigen Händen lassen sie sich damit sogar besser schneiden als auf physikalische Weise. In den falschen Händen indes hat man am Ende nichts weiter als ein kleines Häuflein hübscher, aber wertloser Juwelensplitter.«
Voort blickte nachdenklich. »Sind diese Geräte im Handel erhältlich?«
»Oh ja. Tatsächlich trägt der Verkauf von und die Ausbildung an den Cheems-Schallmeißeln einiges zu unserem Auskommen in meinem vermeintlichen Ruhestand bei.«
»Worauf ich hinauswill, ist, dass die Geräte damit allgemein bekannt sind und sich niemand davon zum Narren halten lässt.«
Cheems lächelte. »Allerdings ist das nicht die einzige schallbasierte Edelsteinschnitttechnik, die ich erfunden habe. Es gibt da noch eine andere, an der ich seit Jahren herumbastle. Ich weiß nicht recht, ob es einen Markt für die Resultate gibt, die man damit erzielt. Man nimmt einfach ein Schallmeißelgerät mit Mikrometerpositionskontrolle und einem Fraktalmathematikprogramm als Steuerung und lässt den Apparat auf einen Edelstein los. Hier, ich zeige es euch.« Er öffnete ein weiteres Kästchen, holte einen kleinen, in schwarzen Samt eingeschlagenen Gegenstand daraus hervor und enthüllte das Objekt. »Kennt sich hier abgesehen von meinem Jungen sonst noch jemand mit Edelsteinen aus?«
Myri hob eine Hand. »Ich habe Erfahrung damit, alle möglichen Arten von Fälschungen zu erkennen.« Auf Voorts verwirrten Blick hin erklärte sie: »In jedem Kasino versuchen Leute, falschen Schmuck als kostbar auszugeben – um im Spiel zu bleiben oder Schulden zu begleichen.«
Cheems gab ihr das Objekt. Außerdem reichte er ihr ein optisches Gerät, einen kleinen Einaugenscanner.
Sie hielt den ersten Gegenstand hoch, sodass er sich vollends im Licht der Glühstäbe an der Decke befand. Für Voort sah das Objekt wie ein Ableger von einem Busch aus. Es hatte einen zwei Zentimeter langen Hauptstamm, von dem in unregelmäßigen Abständen winzige, zweigähnliche Extrusionen in zufällige Richtungen abstrahlten. Der Gegenstand war von einem cremigen Rotton. »Es sieht aus und wiegt so viel wie eine Koralle.« Myri klang nachdenklich.
Cheems schüttelte den Kopf. »Ah, aber in Wahrheit ist es eine hapanische Rubin-Variante.«
»Und es sieht auch organisch aus wie eine Koralle.« Myri hielt das Objekt unter Cheems Sichtgerät. »Interessant. Unter der Vergrößerung kann man die Facetten sehen. Tausende und Abertausende davon.« Sie reichte beides Jesmin, die neben ihr saß. »So etwas habe ich tatsächlich noch nie zuvor gesehen.«
Cheems strahlte. »Und sonst auch niemand, abgesehen von Viull und meiner Frau, die einige solcher Stücke besitzt. Allerdings hilft sie mir dabei, mein großes Debüt der Technik zu organisieren, indem sie sie für sich behält und sie niemals in der Öffentlichkeit trägt, bis ich bereit für eine Vorführung bin. Die Schönheit dieser Technik besteht darin, dass fehlerhafte Steine Resultate erbringen, die genauso schön sind wie bei makellosen. Risse und Unreinheiten werden Bestandteil des finalen Designs …«
Voort musterte den Edelstein, der am Tisch herumgereicht wurde. »Scut, der Botscha-Anzug. Könnte man einige dieser Stücke als Verzierungen einarbeiten? So, als würde das Volk der Botscha dieselbe Art von Selbstmodifikation betreiben wie die Yuuzhan Vong?«
Scut dachte darüber nach. »Das wäre wirklich hübsch. Und ja, das kriege ich hin.«
»Das hat für dich allerdings nicht oberste Priorität. Am wichtigsten ist nach wie vor, dafür zu sorgen, dass der Anzug Turman nicht verdaut.«
Turman, der gerade dabei war, den Edelstein zu betrachten, hob ruckartig den Kopf. »Wie war das?«
»Und die Thaal-Maske – die ist auch wichtiger.«
Scut nickte. »Dann stehen die Verzierungen auf der Prioritätenliste an dritter Stelle.«
»Mich verdauen?«
Voort wandte seine Aufmerksamkeit wieder Cheems zu. »Das ist definitiv genau das, was wir wollen. Funktioniert Ihre Technik mit dem, was wir hier zur Verfügung haben?«
»Zumindest mit dem, was ich mitgebracht habe. Auch wenn jeder, der mit mir zusammenarbeitet, einen vollkommenen Gehörschutz benötigt.«
»Den besorgen wir. Mulus, danke fürs Herkommen. Womöglich helfen Sie uns am Ende sogar dabei, viele Leben zu retten.«
Cheems strahlte. »Ich revanchiere mich bloß für einen Gefallen.«
Einen Tag später hatten sie weitere Antworten. Thaymes, der sich durch alte, nicht online zugängliche geologische Gutachten gearbeitet hatte, die bereits angefertigt wurden, bevor der Planet auch nur einen Namen besaß, hatte bei seinen Nachforschungen Schallvermessungskarten der Höhlen unter dem Gelände der Chakham-Basis zutage gefördert. Einige dieser Höhlen waren sehr tief und schienen keine Verbindung zur Oberfläche zu besitzen. Andere, die weiter oben lagen, verfügten über Öffnungen auf Höhe des Stützpunkts. Einige dieser Zugänge befanden sich in Baumgruppen, ein gutes Stück von den Gebäuden der Basis entfernt.
Trey, der auf Thaymes’ Monitor einige der Höhlen- und Tunnelgänge mit einem Finger entlangfuhr, nickte. »Da es kein allzu großes Sprengpaket sein muss, denke ich, dass wir es ziemlich weit unten platzieren können.«
Voorts Blick schweifte zwischen ihm und der Karte hin und her. »Aber nicht so tief, dass die Seismografen auf dem Stützpunkt die Explosion nicht registrieren.«
»Oh, sie werden sie registrieren.«
»Dann muss als Allererstes der Krabbler einsatzbereit sein.«
Trey nickte. »Bum!«
»Und die von Thadley Biolan aufzeichneten Nachrichten an Ledina Chott – hast du sie genau studiert? Kriegst du es hin?«
Turman, der Feierabend hatte, nachdem er den ganzen Tag über Drinks in einer von Schnapphunden viel frequentierten Bar serviert hatte, ließ sich im Einsatzzentrum müde auf den Stuhl neben Voorts sinken.
Voort schaute nicht auf, sondern studierte weiterhin die Diagramme, die Jesmin ihm früher am Tag gebracht hatte. Sie zeigten ein großes Gebäude, das Wasserpumpen beherbergte. Jesmin hatte erklärt, dass sich das Gebäude im Nordwestquadranten der Chakham-Basis befand, am tiefsten Hang des Schwarzgipfelberges. Ein Schaubild, von dem Jesmin zugegeben hatte, dass es teilweise eher spekulativ war, zeigte einen getarnten Turboliftschacht, der vermutlich in die alten Minen unter dem Berg und dem umliegenden Gelände hinabführte. »Na, Bühnenboy, wie läuft’s mit deiner Nur-Flüssigkeiten-Diät?«
Turman ächzte und behielt das Geräusch eine ganze Weile bei. Er hielt bloß inne, um Luft zu holen. »Ich bin nicht hier, um darüber zu reden. Es geht um Ledina Chott.«
»Thaals nächste Geliebte, wenn wir ihn nicht vorher erwischen. Was ist mit ihr?«
»Vor Kurzem haben die Schnapphunde Befehle erhalten – inoffizielle Befehle –, die sie betreffen. Sie ist tabu. Unter den gewöhnlichen Soldaten macht das Gerücht die Runde, dass sich die Schnapphunde, ganz gleich, ob Mann oder Frau, respektvoll und äußerst zurückhaltend verhalten sollen, falls sie ihr jemals begegnen sollten. Darüber hinaus heißt es unter den Soldaten, dass es einen die Karriereleiter schnell nach oben bringt, wenn man jemanden verscheucht, der Interesse an ihr zeigt. Das ist jetzt erst ein paar Wochen her.«
»Bald, bald, bald … Er wird seine Identität als Thaal jetzt schon sehr bald aufgeben, um zu Thadley zu werden.« Voort klang beinahe selbstzufrieden.
»Thaal ändert sein Vorgehen. Er hat seine letzte Geliebte getötet, bloß um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Was, wenn er an Ledina Chott herantritt und sie ihn abblitzen lässt?« Turman wirkte besorgt. »Ist sie sicher?«
»Das weiß ich nicht.« Voort legte die Schaubilder beiseite. »Nicht einmal mit elf Gespenstern können wir jede Eventualität berücksichtigen. Und du kannst nicht in ihrer Nähe sein, um sie zu beschützen. Anderswo bist du wichtiger.«
»Ich weiß.« Turman stand auf. »Ich wollte mich einfach nur mal bei jemandem ausheulen.«
Am nächsten Morgen pirschten sich Huhunna und Jesmin mit einem Paket im Gepäck bis auf zehn Meter an den waldseitigen Sensorzaun des Armeestützpunkts heran. Hinter einem Baum holten sie den Inhalt des Pakets aus der Tasche, in der es sich befand.
Es war eine Art Droide. Der einen halben Meter lange rautenförmige Körper war mit einer Reihe mit Gelenken versehener Durastahlbeine ausgestattet, die überall aus dem gesamten Rumpf des Droiden und in sämtliche Richtungen ragten. An den Enden der Raute befanden sich grüne Kugeln, die optische Sensoren bargen.
Jesmin drehte einen der Sensoren, bis er einrastete. Der Droide erwachte zum Leben und richtete sich auf einigen seiner Gliedmaßen auf. Er orientierte sich und wandte sich seinem fernen Ziel zu. Leider stand nur wenige Zentimeter entfernt ein Baum, der ihm den Weg versperrte. Der Droide musterte den Baum von oben bis unten, ehe er sich nach links drehte und wie in Zeitlupe auf den Sensorzaun zumarschierte – zumindest kam es Jesmin so vor.
Huhunna seufzte und sagte dann auf Shyriiwook: »Zu langsam. Nichts würde etwas fressen wollen, das so riecht. Aber möglicherweise kommt irgendwas daher, will damit spielen und demoliert das Ding dabei. Es muss sich schneller bewegen.«
»Nein, wäre der Droide schneller, würden die Bewegungsmelder ihn registrieren. Bei diesem Tempo wirkt er auf den Sensorschirmen wie eine statische Störung. Sobald er zehn Meter hinter dem Zaun ist, kann er einen Zahn zulegen.«
Huhunna blickte dem Droiden einfach nur nach und schüttelte mit sorgenvoller Miene den Kopf.
Im Einsatzzentrum sah sich Trey die gelegentlich eintrudelnden, via Blitzübertragung übermittelten Holokamera-Aufnahmen des sich langsam fortbewegenden Droiden an. Hin und wieder ging er sämtliche visuellen Aufzeichnungen im Schnellvorlauf durch, sodass es so aussah, als würde sich der Droide in normalem Tempo bewegen, während vom Winde verwehte Blätter und Insekten mit Überschallgeschwindigkeit vorbeizischten.
Lange nach Jesmins und Huhunnas Rückkehr zeigte das Bild, wie der Droide auf Oberflächenniveau in eine Spalte an einem kleinen Abhang vordrang. Die Holokamera schaltete ohne Erfolg durch die verschiedenen Modi – Optik, Infrarot und Restlicht –, ehe sie in den Bewegungsmeldemodus wechselte und dabei blieb. Jetzt erlaubte die Analyse von Luftbewegungen dem Droiden, ein dreidimensionales Diagramm des Netzwerks von Spalten, Höhlen und Tunneln anzufertigen, durch das er sich bewegte.
Schließlich empfing Trey keine neuen Signale mehr. »Er ist zu tief, als dass das Kom-Signal weiterhin durchkommen könnte.« Er stand auf und packte seinen Rucksack. »Damit stehen für mich die Skifter-Station und noch mehr Sabotage auf dem Programm. Wie wollt ihr Bühnenboy auf den Stützpunkt bekommen?«
Jesmin schaute zu Huhunna hinüber. »Wir stecken Bühnenboy in einen Sack, um zu verhindern, dass er irgendwelche forensischen Spuren aufnimmt. Dann schleichen wir uns durch die Baumkronen und überbrücken Lücken mit einer altmodischen Seil-Kletterhaken-Vorrichtung, die Huhunna wie keine Zweite einzusetzen weiß, bis wir an der Grenzverteidigung vorbei sind. Sobald es so weit ist, mache ich mich aus dem Staub, und Huhunna übernimmt die schwere Last.«
Trey hob seinen Rucksack hoch. »Sagt Turman, ihr hättet gehört, dass sich das Schalentier, auf dem der Anzug genetisch basiert, so aufs Überleben spezialisiert hat, dass es sich bei Bedarf anpasst, um neue Arten von Nahrung zu verdauen, die in seiner Umgebung auftauchen.«
Jesmin grinste. »Das ist die Dunkle Seite der Macht, die da aus dir spricht.«
»Dann nehme ich an, dass man auf der Dunklen Seite mehr Spaß hat. Gute Nacht.«
»Viel Glück.«
Voort und Turman blickten auf den Körper hinab, den Turman gleich anlegen würde. Der Botscha-Anzug, die finale Version der Neoglith-Maske für den ganzen Körper, lag auf Scuts Labortisch. Der vertikale Schlitz in der Brust und die Leere hinter den Augenhöhlen deuteten darauf hin, dass das Ding nicht wirklich am Leben war.
Aber eigentlich war es das durchaus. Voort war sicher, den Anzug atmen zu sehen. Er warf Turman einen mitfühlenden Blick zu. Der Clawdite würde gleich in einen komplett geschlossenen Sack aus lebendem Gewebe klettern, der aus dem Magen eines Krustentiers hergestellt worden war, um tagelang da drin zu leben.
Turman wandte sich an Voort. »Ich habe einst geschworen – geschworen –, dass ich niemals wieder lächerlich aussehende Monster spielen würde, für die ich in sperrige Ganzkörperanzüge schlüpfen muss.«
Voort schnaubte. »Das ist dir gerade wieder eingefallen, oder wie?«
»Nein, das habe ich mir eben ausgedacht. Ich suche nach wie vor nach einer Möglichkeit, aus dieser Nummer wieder rauszukommen.«
»Steig da rein, Bühnenboy, und ich werde ein Jahr lang sämtlichen Damen erzählen, dass du der tapferste Mann bist, den ich je getroffen habe.«
Turmans Gesichtsausdruck wandelte sich schrittweise von stark angespannt zu resignierend. Er nickte. »Du hast meine Schwachstelle entdeckt. Jeder Schauspieler braucht Bestätigung – und gute Kritiken.« Er atmete tief durch, ehe er auf die Kiste stieg, die Scut neben den Tisch gestellt hatte, um ihm das Hochklettern zu erleichtern. Er trug lediglich einen Kilt aus einem Material, von dem Scut schwor, dass es das Mageninnere des Anzugs nicht reizen würde – ungefärbtes Wildleder. Während Scut die Ränder der Brusthöhle des Anzugs aufhielt, stieg Turman auf den Tisch und schob dann seinen Fuß in den Anzug. Ein flüchtiges Aufflackern von Widerwillen huschte über seine Züge.
Es brauchte mehrere Minuten und die Unterstützung von Scut und Voort, um den Anzug anzulegen. Turman musste sich in die Brusthöhle setzen und die Beine langsam und vorsichtig in die Beinröhren des Anzugs schieben, um den fleischigen Anzug dabei so zu strecken, dass er sich an seine Körperkonturen anpasste. Dann lehnte er sich ohne Begeisterung zurück und wiederholte dasselbe Prozedere mit den Armen.
Scut packte den Kiefer des Anzugs und zog fest und gleichmäßig daran. Nach einigen Sekunden teilte sich der Kopf mit einem schlürfenden, reißenden Laut, und Säume wurden sichtbar, die von hinter dem Kiefer bis hoch zu den Schläfen verliefen. Die Schädelhöhle tat sich auf.
Turman lehnte sich zurück und schob den Kopf hinein. »Seit ich in dieses Ding gestiegen bin, ist jede Sekunde meines Lebens widerwärtiger gewesen als die letzte.«
Scut lächelte. »Und dabei bist du noch nicht mal fertig.« Von einander gegenüberliegenden Tischseiten aus drückten er und Voort die Brustnaht zu. »Wie fühlt sich das an?«
Turman zog eine Grimasse. »Als würde man einen Schutzanzug anziehen, in den jemand warme Butter gegossen hat. Allerdings habe ich den Eindruck, dass man drei Milliarden von diesem Ding verkaufen könnte, wenn man noch eine Vibrationsfunktion einbaut.«
»Ich werd’s mir durch den Kopf gehen lassen. Die Hände?«
Turman hob die Hände des Botscha-Anzugs. Er krümmte die Finger. Dann tat er es erneut und ließ die Bewegungen spastisch, ruckartig, insektenhaft wirken. »Die Muskeln dieses Dings helfen dabei.«
»Du wirst diese Muskeln noch zu schätzen lernen, wenn es gilt zu laufen.« Scut überprüfte den Brustsaum der gesamten Länge nach, um sicherzugehen, dass alles korrekt verschlossen und die Naht wieder unsichtbar war. »Andernfalls wärst du schnell erschöpft. Und vergiss nicht, dass der Anzug in zwei Tagen abzusterben beginnt. Das kann zwei oder auch vier Tage dauern. Die Enzyme, die dazu verwendet wurden, um das Wachstum des Anzugs bis zu diesem Zustand zu beschleunigen, lassen sich nicht neutralisieren, und seine Körpermasse enthält nicht genug Nährstoffe, um ihn längere Zeit am Leben zu erhalten.«
»Ich weiß, ich weiß. Außerdem soll ich ihn regelmäßig mit Wasser abspülen und direkte Sonneneinstrahlung vermeiden.« Turman klang elend.
Voort ging nach vorn zum Kopf. Er passte Turmans richtigem Kopf ein kompaktes Headset an, positionierte sorgsam die Ohrhörer und brachte mit einem Klecks Haftgel das Mikrofon an Turmans Mundwinkel an. Sein Blick schweifte zu Scut. »Turmans Haut braucht Sauerstoff, richtig? Versorgt die Maske ihn damit?«
»Sauerstoff?« Scut schaute erschrocken drein. »Das habe ich doch glatt vergessen.«
Voort und Turman sahen ihn an.
»War nur Spaß. Ja, das Innenfutter führt seiner Haut Sauerstoff zu – um konkreter zu sein: die Atmosphärenluft ringsum – und hält Toxine davon fern. Anstatt ihn zu verdauen.« Scut packte den geöffneten Schädel des Anzugs. »Bereit?«
»Nein.«
Scut brachte den Schädel in Position.
Diese Version des Kopfes des Botscha-Anzugs unterschied sich in einiger Hinsicht von der, die Voort zuvor gesehen hatte. Die Augenhöhlen waren ein bisschen schmaler, um sich Turmans Physiognomie besser anzupassen, und von einem dünnen Film roten Gewebes bedeckt, was Turmans Augen wie rötliche Murmeln wirken ließ. Noch mehr roter Film legte sich über Turmans Lippen und seine Kieferpartie, um sie in etwas zu verwandeln, das wie seltsame, im Rachen liegende Organe von unbestimmter Funktion wirkte.
Zwei aus Mulus’ Fraktalkorallenrubinen bestehende Hörner ragten aus der Stirn hervor, mehr zur Zier, aber bedrohlich.
Turman sagte: »Das Zeug schmiegt sich an meinen Kiefer.« Als er sprach, bewegte sich das Maul des Anzugs realistisch. »Und meine Augäpfel – diese rote Schicht berührt sie.«
Scut lächelte wieder. »Gut, dann funktioniert alles wie geplant.«
Voort versuchte, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen. »Die Wirkung ist ausgesprochen realistisch.«
»Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
Scuts gute Laune schwand nicht. »Das kannst du ruhig machen! Das Maul lässt alles durch, was auch immer du von dir gibst. Allerdings ernährst du dich seit Tagen bloß flüssig, von daher dürfte das nicht sonderlich interessant werden.«
Voort schob eine Hand unter Turmans Rücken und machte sich bereit, ihn hochzuheben. »Helfen wir ihm auf die Beine, während er darüber nachgrübelt, wie er uns am besten sagen soll, dass er uns hasst.«
Das taten sie. Turman verbrachte einige Minuten damit, die Körpersprache, die er im Laufe der vergangenen Woche entwickelt hatte, an die Beschränkungen anzupassen, die ihm der Anzug auferlegte – genau wie seine Handbewegungen eben, bewegte er sich ruckartig und unstet, definitiv nicht wie ein Säugetier. Auch torkelte er ein wenig, bis es ihm schließlich gelang, auf den fremdartigen Füßen sicher das Gleichgewicht zu halten.
Schließlich wandte Turman sich an Voort und Scut. »Mich überkommt mehr Panik, Platzangst und Übelkeit als je zuvor in meinem Leben. Aber ich bin bereit.«